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DFB-Pokal

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für DFB-Pokal

unglücklicher Verlierer Greuther Fürth, unglückliche Sieger Bremen und Mönchengladbach – glücklicher Sieger Dieter Hecking (VfB Lübeck) u.v.m.

SpVgg. Greuther Fürth – Werder Bremen 2:3

Bremer Träume

Gerd Schneider (FAZ 5.2.) erlebt unglückliche Verlierer und unglückliche Sieger: „Auf dem Gesicht von Helmut Hack lag alle Bitterkeit, die dieser Pokalabend für Greuther Fürth bereitgehalten hatte – doch Geschäft ist nun mal Geschäft. Also erklomm der Präsident des Zweitligaklubs eine halbe Stunde nach der Partie im VIP-Zelt neben dem Playmobilstadion die paar Stufen auf das Podest und überreichte dem Bremer Trainer Thomas Schaaf ein Geschenk, endgültig das letzte an diesem Abend: eine eigens kreierte Teemischung. Das ist nun nichts Außergewöhnliches, Hack ist im Hauptberuf Geschäftsführer einer Teefabrik und mit dieser Art von Public Relations nicht unerfahren. Doch dieses Mal mußte das Präsent selbst ihm wie blanker Hohn erscheinen. Bremer Träume (…) Es spricht für den Realitätssinn des Werder-Trainers Schaaf, daß er hinterher nicht die üblichen Floskeln (heute zählt nur das Ergebnis) bemühte. Vielmehr sprach er ungeschminkt über die Vorstellung seines Teams, das in der zweiten Hälfte vor lauter Selbstgefälligkeit die Arbeit eingestellt und damit die Gegenwehr des minderbemittelten Gegners erst provoziert hatte. Das war überhaupt nichts, sagte Schaaf, am liebsten würde ich sofort nach Hause fahren und mich ins Bett legen. Allerdings mußte man befürchten, daß ihm die Szenen dieses Spiels den Schlaf geraubt hätten. Sein gefeierter Stürmerstar Ailton etwa fiel nur dadurch auf, daß er so lustlos über das Feld trabte, bis Schaaf ihn in der zweiten Halbzeit auswechselte. Später zeigte sich, daß er Fieber hatte. Keinen guten Eindruck machte auch der Ungar Lisztes, der den Klub verlassen wird und sich offenbar zu Höherem berufen fühlt. Die Geister, die die Bremer Fußball-Konjunktur ruft, setzen der Werder-Führung allmählich zu, und womöglich ist das erst der Anfang einer unvermeidlichen Entwicklung.“

Das ist mehr als ein Sieg, das ist ein Zeichen an die Bremer

Das Streiflicht (SZ 5.2.) versteht die Signale: “Bremen? Was wird dem Menschen in Bremen schon geboten? Ein Leben auf dem 53. Breitengrad, nicht fern vom Meer, aber auch nicht so richtig nah dran. Dauernd stürmt und regnet es. Zum Grünkohl verspeist man eine eigentümliche Grützwurst namens „Pinkel“. Das Bremer Bier, bestes Becks in grünen Flaschen – längst aufgekauft von einer belgischen Großbrauerei. Die Werfthallen sind verwaist, dafür gibt es noch Punks in der Stadt, richtige Achtziger-Jahre-Punks mit zum Himmel gezwirbelten Haaren, die manchmal an Silvester die Schaufensterscheiben einschmeißen, von den paar Geschäften, die noch nicht Pleite gegangen sind. Darüber hinaus werden in Bremen brutale Tatorte gedreht, in denen Menschen an Fleischerhaken ausbluten, und in schlimmen Inszenierungen sitzen Schauspieler nackt auf dem Altar – da schimpfen die Menschen von der Kirche und von der Bild-Zeitung sehr. Kein Wunder, dass Bremen Letzter ist in der Pisa-Studie, Letzter auch in der Iglu-Studie. Wenn man im Internet die Begriffe Bremen und Schlusslicht eingibt, stellt man fest, dass sie fast eine symbiotische Beziehung pflegen, wie Ernie und Bert oder Black Decker. Aber jetzt wird alles anders. Jetzt kommt der Fußball und entfaltet seine heilende Kraft. Man soll ihn nicht überbewerten, den Fußball, aber er kann nun mal ganze Nationen aus der Depression reißen, er kann aus Ghettokindern Helden machen, er kann alles, und alles können bedeutet: den Letzten zum Ersten werden lassen. Werder Bremen, mit seinem leicht kugeligen Brasilianer Ailton und seinem schwer begabten Franzosen Micoud, hat kunstvoll gespielt die ganze Saison, und jetzt ist zur Kunst auch noch das Glück gekommen. In einem Pokalspiel in der letzten Minute ein 1:2 noch fortzuhexen, das Manchester-Trauma des FC Bayern sozusagen umzudrehen – das ist mehr als ein Sieg, das ist ein Zeichen an die Bremer: Hört her, diesmal ist alles möglich! Diesmal brecht ihr nicht ein wie sonst immer, wenn es drauf ankommt, diesmal wird Ailton allen Verteidigern davonrollen und Johan Micoud, Monsieur le regisseur, wird den Ball beherrschen, als wäre der ein gut dressierter Hund.“

Borussia Mönchengladbach – MSV Duisburg 5:4 n.E.

Eine Katastrophe, was wir hier abliefern

Auch Andreas Morbach (FTD 5.2.) beschreibt fast ausnahmslos unglückliche Sieger: “Der Siegesspurt von Holger Fach fiel kurz aus. Sein Innenverteidiger Jeff Strasser hatte beim Elfmeterschießen gegen den MSV Duisburg soeben den entscheidenden Strafstoß verwandelt, da zischte Gladbachs Trainer von der Seitenlinie aus los. Doch nach drei Metern war schon wieder Schluss. Stocksteif blieb er stehen, legte die Hände auf den Rücken und vermittelte mit seiner ganzen gefassten Haltung: Mehr Freude über diesen Sieg wäre doch sehr unanständig. In der Tat sind Mannschaften schon glorreicher in ein Pokalhalbfinale eingezogen als Borussia Mönchengladbach gegen die erstaunlich starken Duisburger. „Eine Katastrophe, was wir hier abliefern“, zischte Sportdirektor Christian Hochstätter, nachdem der erst fünf Tage zuvor in Wolfsburg entliehene Tomislav Maric die klassenhöheren Gastgeber mit seinem 2:2 glücklich in die Verlängerung bugsiert hatte. 45 Minuten später war der Zweitligist im Strafstoßduell mit 4:3 besiegt – und alle Borussen machten drei Kreuze. Aber selbst ein so trüber Fußballabend produziert seine Kurzzeithelden. In diesem Fall Torwart Jörg Stiel, der zwei Elfmeter hielt, und Strasser, der den finalen verwandelte. Vor allem aber: Tomislav Maric, den stürmenden Kroaten mit den pechschwarzen Haaren. Keine Woche ist der Mann auf dem Bökelberg, und nur fünf Minuten war er am Dienstag auf dem Feld, als er den neuen Klub vor einer mächtigen Blamage bewahrte. Jetzt stand Maric zu später Stunde im Plexiglastunnel zwischen Stadion und Umkleidekabinen und erzählte mit müder Stimme von seiner „schlimmen Leidenszeit“. Gelitten hat der 31-Jährige in erster Linie wegen einer ominösen muskulären Erkrankung, die den einst strahlenden Goalgetter beim VfL Wolfsburg böse ins Hintertreffen brachte. Die Krankheit ist bis heute nicht genau diagnostiziert, klar war dagegen: Von dem Stürmer mit der beachtlichen Trefferquote (30 Tore in 78 Bundesligaspielen) wollte in Wolfsburg keiner mehr etwas wissen. Zumal Maric schon vor längerer Zeit mit der Borussia angebandelt hatte. „Wir haben immer schon ein bisschen miteinander geflirtet“, bekannte der kroatische Nationalspieler, „aber jetzt haben wir uns zum ersten Mal geküsst.““

Vorsprung auf die Realität

Stefan Hermanns (Tsp 5.2.) fügt hinzu: „Am Ende eines Abends voll sprachlicher Aussetzer leistete sich Jürgen Post noch eine letzte Peinlichkeit. Der Aushilfsstadionsprecher vom Bökelberg, im Hauptberuf Kneipier, dröhnte ein krawalliges „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!“ über die Lautsprecher. Doch selbst dieser subtilen Aufforderung folgten die Zuschauer eher widerwillig. Borussia Mönchengladbach hatte zwar gerade das Viertelfinale des DFB-Pokals im Elfmeterschießen 4:3 gegen den Zweitligisten MSV Duisburg gewonnen. Das billige Triumphgeheul aber wirkte völlig deplatziert. Eine Art Ermattung lag über dem Stadion (…) Solch zähe Spiele zeigen den Gladbachern, dass ihre Vorstellungen von einer großen Zukunft inzwischen einen gefährlichen Vorsprung auf die Realität herausgearbeitet haben. Die Vereinsführung träumt vom Europapokal, und nach dem erfolgreichen Jahresabschluss 2003 wollten die Borussen mit dem Abstiegskampf eigentlich nichts mehr zu tun haben. In der nächsten Saison werden die Borussen ein schönes neues Stadion haben; in dieser Saison aber haben sie eben immer noch eine eher biedere Mannschaft, in der zu viele schlechte Fußballer ihr Unwesen treiben.“

TSG Hoffenheim – VfB Lübeck 0:1

Hecking hielt unbeirrt daran fest, eine Bastion gestürzt zu haben

Wenigstens Rainer Seele (FAZ 5.2.) erlebt einen glücklichen Sieger: „Lübeck hat: Marzipan natürlich, das Buddenbrookhaus, reichlich Tradition. Und es hat: einen Fußballklub, der ebenfalls zu einem Werbeträger taugt, der helfen kann, das Renommee der Stadt am Rande der Republik zu mehren. Davon jedenfalls ist ein Mann wie Dieter Hecking überzeugt, der sich am Dienstag abend in dem badischen Örtchen Hoffenheim wie ein Lübecker Marketingexperte gerierte. Hecking, der Trainer des VfB Lübeck, sprach schwärmerisch von einer Signalwirkung für die ganze Region. Was die Lübecker schafften, stellt für Schleswig-Holstein in der Tat ein Stück Sportgeschichte dar. Der Landstrich im Norden Deutschlands war zuletzt vor mehr als sechzig Jahren im Halbfinale des Pokal-Wettbewerbs vertreten: Holstein Kiel war 1941 dieses Kunststück gelungen, doch all seine Hoffnungen wurden in der Vorschlußrunde jäh zerstört mit einem 0:6 gegen den FC Schalke 04. Hecking redete in Hoffenheim auch vom Wunder von Bern. Er hatte den Film zusammen mit seinen Spielern gesehen, und der hatte ihn davon träumen lassen, auch einmal als Außenseiter für Aufsehen zu sorgen, als kleine Schleswig-Holsteiner loszuziehen, um Wirbel zu machen im Lande. Nun ist, das darf nicht vergessen werden, die TSG Hoffenheim noch ein bißchen kleiner als der VfB Lübec, aber der Klassenunterschied schien nebensächlich zu sein für Hecking. Wenn man sieht, wer hier ausgeschieden ist . . ., sagte Hecking, und er hielt unbeirrt daran fest, eine Bastion gestürzt zu haben.“

ToooooorrinDingsbums!

TV-Kucker Christopher Keil (SZ 5.2.) ist Lautstärke gewohnt: “Das Schönste, was man bei einer so genannten Schaltkonferenz von Fußballspielen zu hören bekommt, ist ja der besinnungslose Zwischenschrei: ToooooorrinDingsbums! (…) Fiel ein Tor in Fürth, während Bilder aus Hoffenheim flimmerten, sagte der Kommentator: Wir geben schnell ab nach Fürth. Schnell ertönte zunächst eine Fanfare, es folgte der Umschnitt ins Fürther Stadion, aus dem sich der Kommentator mit tiefer Stimme meldete: Tor. Für Werder Bremen. Tor eben. Besinnungslos hat bis zum Schluss niemand geschrieen, obwohl ja doch immer wieder die „größte Dramatik“ geschildert wurde. Nach weit über drei Stunden und mit reichlich Verspätung kam es zur letzten Überleitung – ans „Nachtmagazin“, informierte gegen halb zwölf ein fehlgeleiteter Trailer. „Wir sind immer noch die Tagesthemen“, erwiderte Anne Will, und das war das Schönste, was man von dieser Schaltkonferenz zu hören bekam.“

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