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Bundesliga

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Bundesliga

die Sonntagsspiele in München und Wolfsburg; Bremer breite Brüste; Köln leidet u.v.m.

1860 München – Werder Bremen 0:2

Thomas Klemm (FAZ 9.3.) staunt über Bremer Selbstbewusstsein: „Man kann getrost die Augen verschließen, um die Stärke von Werder Bremen zu ermessen. Man muß einfach nur die Ohren weit aufsperren und auf jene wie selbstverständlich vorgetragenen Worte der Selbstgewißheit lauschen, mit denen der Tabellenführer der Fußball-Bundesliga über sich spricht. Souverän gehe die Mannschaft mit der Situation um, sagte Sportdirektor Klaus Allofs nach dem 2:0 beim TSV München 1860. Einfach so weiterspielen, lautete das Wort zum Sonntag von Angreifer Ivan Klasnic. Wir gehen unseren Weg, versprach Trainer Thomas Schaaf trocken. Selbst nach dem jüngsten Auftritt, der nicht gerade die Sinne betörte, beeindruckten die Bremer die Konkurrenz nicht nur mit anhaltendem Erfolg auf dem Platz, sondern mit ihrer nebenbei zur Schau gestellten Gelassenheit. Ausgerechnet im Münchner Olympiastadion, der Heimstatt des ärgsten Verfolgers FC Bayern, sprachen sie geradezu mit sonst nur vom Rekordmeister gewohnter Souveränität vom Weg zur möglichen Meisterschaft. Und selbst die sprachliche Finesse, die Konkurrenz zu loben und sie gleichzeitig ins Abseits zu stellen, kommt einem etablierten Profi wie Valérien Ismael mühelos über die Lippen. Bayern ist eine große Mannschaft, sagte der Bremer Verteidiger, aber dieses Jahr sind wir stark.“

Klaus Hoeltzenbein (SZ 9.3.) fügt hinzu: „Halb zog es ihn, halb blieb er stehen. Grummelnd, schmollend und mitten ins Nichts hinein gestikulierend trottete Ailton davon, so, als mangele es ihm an Orientierung. Als wisse er nicht genau, wo er hingehört. Auf den Rasen, auf dem er am Sonntag sein Wirken zwar stark beschränkt, jedoch mit einer messerscharfen Flanke das 1:0 eingeleitet hatte? Ins grün-orangene Trikot des SV Werder, in dem er in elf Spieltagen vielleicht Deutscher Meister sein, das er danach aber nie wieder überstreifen wird? Oder in den Flieger, der am Münchner Flughafen auf ihn wartete? Das alles mag Ailton im brabbelnden Selbstgespräch erörtert haben, als er seiner Auswechslung entgegenschritt. In Minute 70 wurde der Brasilianer hinaus gebeten, ein Vorgang, den er in der Regel als ehrabschneidend empfindet. Dieses Mal aber war die Gefühlslage zwiespältig – er musste weg, hatte Termine, und das schien ihn zu irritieren. Während seine Teamkollegen das 2:0 abrundeten, hatte sich Werders Wunderknubbel in der Kabine schon fein gemacht, klemmte das Handtäschchen unter den Arm und stolzierte dem Ausgang des Olympiastadions entgegen. Fort in eine fremde Welt musste er, an den Golf nach Katar, wo er am Montag eingebürgert werden sollte. Und so wurden 25 000 Zuschauer auch Zeuge einer kleinen Kuriosität – nämlich einer Auswechslung, die einmal nicht aus Verletzungs- oder taktischen Gründen erfolgte, sondern auch aus verkehrspolitischen Erwägungen. Offiziell hat dies natürlich kein Bremer zugegeben, aber der Weg ist weit hinaus zum Münchner Flughafen und wird oft von Blechlawinen blockiert. Zudem ging Ailton ja auch mit einem Versprechen: ¸¸Ich werde jedem etwas aus Katar mitbringen, vielleicht für jeden ein Kamel. Wer nach den Gründen sucht, warum sich die Bremer ihre Gemütsruhe noch immer nicht nehmen lassen, trotz einer schärfer werdenden Polemik seitens der Verfolger vom FC Bayern, der muss nur ihren Umgang mit dem zum Wüstenscheich mutierenden Brasilianer betrachten. Seit 1998 proben die Hanseaten die Symbiose mit dem Seltsamen aus dem brasilianischen Norden, nie funktionierte sie besser als jetzt, da sein baldiger Wechsel zum FC Schalke 04 fest steht.“

VfL Wolfsburg – 1. FC Köln 2:0

Uli, komm, ich mach dir eine schöne heiße Milch mit Honig

Marc Schürmann (FTD 8.3.) hofft leidend: „Realitätsverlust und Größenwahn sind hässliche Gebrechen, aber recht häufige, und daher ungeeignet zum Beeindrucken von Psychiatern. Trotzdem muss ich auf internationalen Seelenärzte-Tagungen nur eine Plastikkarte schwenken, schon schütteln weise Männer ihr Haupt, murmeln düstere Gebete in ihre Bärte und weinen. Es ist mein Mitgliedsausweis Nr. 24702 vom 1. FC Köln. Als Inhaber dieser Karte bewohne ich eine Welt, die der klinischen Wissenschaft unzugänglich bleibt. In dieser Welt ist alles schön. Zwar sendet die Erde mir üble Signale, der 1. FC Köln sei dabei, seine in den letzten Jahren so mühsam errichteten Grundmauern einzureißen, all das, was sich unter seriös, weitsichtig und stabil fassen lässt. Auch vernehme ich, der Overath habe sich eine Ewigkeit geziert, Verantwortung zu übernehmen, jetzt jage er plötzlich einen rechtschaffenen Präsidenten aus dem Amt, und überhaupt, außer guten Flanken habe er doch nie etwas für den Verein getan. Aber meine Welt hat einen Filter wie die Ozonschicht, und der wehrt alles Gegenwärtige ab. In meiner Welt gibt es nur Vergangenheit und Zukunft, und siehe, beides ist herrlich. Wolfgang Overath führt den 1. FC Köln, einst das Real Madrid der Bundesliga, wieder empor zum Ruhm, ein neuer Trainer wird kommen, sein Name wird Christoph sein, Christoph Daum. Erzittern werden das Stadion und der Dom und das Land, Zinedine Zidane wird nach dem Finale sagen, es sei der Traum eines jeden Spielers, einmal für den 1. FC Köln aufzulaufen, und an einem klammen Morgen im November wird Uli Hoeneß sein Büro räumen, geschlagen, und ich werde ihn in den Arm nehmen und sagen: Uli, komm, ich mach dir eine schöne heiße Milch mit Honig.“

Achim Lierchert (FAZ 9.3.) beschreibt Kölner Verpuffung: „Wie ein Geist war Overath in Wolfsburg eingeschwebt, um seinem einzigen Job an diesem Tage nachzukommen: der Mannschaft vor dem Spiel mit Hilfe seiner Aura, die anderen Kölner Funktionsträgern offenbar fehlt, Mut zuzusprechen, um in der Volkswagen Arena die vielleicht letzte Chance auf den Klassenverbleib beim Schopfe zu fassen. Wir können nur versuchen, der Mannschaft den richtigen Geist einzuhauchen, rechtfertigte der Sechzigjährige sein Erscheinen in der Kabine vor dem Anpfiff. Drei, vier Sätze, erinnerte sich Trainer Koller, seien es gewesen. Davon, daß das Team Gas geben solle, habe die Ansprache des Altinternationalen gehandelt, wie Mittelfeldspieler Alexander Voigt berichtete. Daß aber letztlich auch Idole keine Wunder vollbringen können, zeigten die nachfolgenden neunzig Minuten. Wie schon in vergangenen Spielen trat das Team engagiert auf, hielt mit, scheiterte aber an seinen Unzulänglichkeiten in der Defensive und vor allem der kläglichen Ausbeute vor dem gegnerischen Tor. Selbst mit Overath wird es angesichts von acht Punkten Rückstand auf den rettenden Platz 15 bei noch elf ausstehenden Spielen kaum gelingen, die Klasse zu erhalten. Allein an einen Overath-Effekt, auf einen Ruck zu vertrauen – so blauäugig ist trotz der großen Depression nach dem gerade erreichten Wiederaufstieg in Köln niemand.“

Du sollst dir kein falsches Bild von der kommenden Saison machen

FAS-Interview mit Frank Aufermannvom Kölner Fanklub TORa et labora

FAS: Ihr christlicher Fanklub heißt in etwa Schieße Tore und arbeite. Ist das nicht ein gutes Motto für das Bundesligateam angesichts der Sturmflaute?

FA: Das ist das richtige Motto, seit wir 1999 unseren Fanklub gegründet haben, weil es spielerisch nie reicht. Nach den Ausfällen von Podolski und Ebbers gibt es derzeit nur den kleinen Woronin als Stürmer. Also muß das Mittelfeld Tore schießen.

FAS: Das zweite Ihrer zehn Gebote lautet: Du sollst dir kein falsches Bild von der kommenden Saison machen. Richten Sie sich auf die zweite Liga ein?

FA: Nach jetzigem Stand – ja. Manager Rettig behauptet zwar immer, zweigleisig zu planen, doch finanziell plant der FC meines Erachtens für die zweite Liga. Die Frage ist, wie viele Fans das noch mal mitmachen. Der Verein kann viel verlieren, was er sich aufgebaut hat.

FAS: Ist Wolfgang Overath als Partner des Präsidiums ein Heilsbringer?

FA: Overath schießt keine Tore mehr. Mit seinem Fußballsachverstand kann er dem Verein aber mittelfristig nützlich sein. Das alberne Hickhack in der letzten Woche hätte man sich jedoch sparen können. Aber so ist das in Köln.

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