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Bundesliga am Samstag

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Bundesliga am Samstag

SZ-Interview mit Ottmar Hitzfeld – von Sebastian Kehl (Borussia Dortmund) erwartet die FR mehr – Juri Schlünz „macht Hansa Rostock mit Menschlichkeit und Mutterwitz zu einer Fußball-Perle der Ostsee“ (FAZ) – „Hans Meyer hat die Berliner Abstiegsgefahr nicht bannen können“ (FAZ) – Abstimmungsprobleme in der Gladbacher Öffentlichkeitsarbeit u.v.m.

Als junger Trainer habe ich Zeitungen intensiver gelesen

SZ-Interview mit Ottmar Hitzfeld

SZ: Herr Hitzfeld, Sie erwähnten eben die „schwierigen Zeiten, die Sie hier beim FC Bayern haben – warum nehmen Sie dann nicht eines der Angebote anderer großer Klubs an? Zum Beispiel vom FC Chelsea, der Sie verpflichten möchte, wie Sie neulich erzählt haben.

OH: Ich hab das gar nicht erzählt. Nur bestätigt. Und eigentlich möchte ich das gar nicht kommentieren. Ich bekomme immer wieder Angebote von großen Vereinen, persönliche Anfragen, weil ich keinen Berater habe. Das war schon immer der Fall und das ehrt mich – aber ich stelle mich doch nicht hin und sage: Ich hab da ein Angebot und hier ein Angebot. Das ist nicht mein Stil.

SZ: Angesichts solcher Offerten – warum tun Sie sich den Stress in München noch an?

OH: Das gehört doch zum Trainerjob. Es gibt halt Zeiten, wo man noch mehr gefordert wird. Ich will hier nicht abhauen, sondern die Aufgabe lösen. Ich bin nicht nur Trainer, um Titel zu holen – das wäre ja fast langweilig –, sondern weil es auch eine Herausforderung ist, Brände zu löschen.

SZ: Das heißt, Sie kalkulieren eine Saison ohne Titelgewinn ein?

OH: Nein, nein. Nach wie vor habe ich den Glauben daran, dass wir eine Chance bekommen, Meister zu werden. Bremen wird mal straucheln – das ist so sicher wie das Amen in der Kirche! (…) Bremens Riesenvorteil ist natürlich, dass sie die Ruhe haben. Die können mal verlieren, dann passiert nichts. Und wenn sie schlecht spielen und gewinnen, dann heißt es bei denen „meisterhaft und bei uns: „Dusel-Bayern. [of: Mir kommen die Tränen. Welche Zeitungen liest Hitzfeld? Liest er nicht den kicker? Schaut er nicht ARD? Sensiblen Bayern empfehle ich die seriöse Hofberichterstattung der Sport-Bild.] Wir bekommen immer nur die Häme, und die anderen werden die ganze Saison über gelobt. Das sind Unterschiede, die eine Mannschaft belasten können.

SZ: Ihre Mannschaft scheint ohnehin nicht besonders stabil zu sein. Ist ein radikaler Umbau geboten?

OH: Man kann nicht sagen: Jetzt verkaufen wir fünf, sechs Spieler – die muss man erst mal verkaufen können, es gibt doch gar keinen Markt dafür. Aber wir sind in einer Situation, da wir uns viele Gedanken machen müssen: Wie kann man diese Mannschaft verstärken? Was kann man ändern?

SZ: Zum Beispiel Roque Santa Cruz verkaufen. Dessen Leistung stagniert.

OH: Es ist natürlich eine Gefahr, wenn ein Spieler zu lange beim Verein ist und es nicht richtig geschafft hat, Stammspieler zu werden – dass er sich mit der Situation arrangiert. Dann muss man fragen: Wie geht es weiter? (…) Ich möchte hier keine Personalpolitik machen. Aber wir müssen uns Gedanken machen, ob wir für die Zukunft den einen oder anderen Spieler austauschen. Es ist eine Gefahr, dass sich einige hier zu etabliert fühlen – und ich wünsche mir mehr Konkurrenzkampf.

SZ: Wie diskutieren Sie mit Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge? Streiten Sie? Gehen Sie in die Offensive?

OH: Wir tauschen unsere Meinungen aus. Man kann mit ruhiger Art bestimmt auftreten und muss nicht rumschreien. Aber letztlich entscheidet der Verein. Das Wort des Vorstands hat mehr Gewicht – weil der Verein Ottmar Hitzfeld überleben wird. Darum möchte ich mich als Trainer nicht überschätzen und sagen: ,Ich bin hier der Chef und bestimme, welcher Spieler gekauft wird. Das kann nicht funktionieren.

SZ: Jetzt hat Uli Hoeneß erstmals Felix Magath mit dem FC Bayern in Verbindung gebracht. Irritiert Sie das?

OH: Das ist doch legitim. Uli wird permanent nach Magath gefragt und versucht ehrlich zu bleiben. Er darf ja nicht die Augen verschließen. Wenn ich die nächsten drei, vier Spiele verliere, dann ist ja klar, dass der Verein handeln muss. Aber damit befasse ich mich gar nicht.

SZ: Sie waren in solchen Fragen schon empfindlicher.

OH: Vor ein paar Jahren, ja. Als junger Trainer habe ich auch die Zeitungen intensiver gelesen. Heute überfliege ich alles nur und lese diagonal. Weil sich sowieso alles wiederholt und man genau weiß: Jetzt kommt dieser Mechanismus und jetzt kommt jene Aussage. Wenn ich mich jetzt laut aufregen würde, dann würden sich alle nur wundern und sagen, dass ich die Nerven verliere. Es geht immer um die Frage, wie weit man die Karten offen legt. Das ist alles ein Spiel.

Jan Christian Müller (FR 20.3.) porträtiert Sebastian Kehl (Borussia Dortmund): “Uli Hoeneß ist noch immer nicht gut auf Sebastian Kehl zu sprechen. Der Manager von Bayern München hat sich seinerzeit nämlich mächtig geärgert. Damals, anno 2001, galt Kehl noch als eines der größten Talente der Republik. Er war 21 und hatte den Bayern schon zugesagt, ehe er ein besseres Angebot von Borussia Dortmund erhielt und prompt annahm. Längst ist Hoeneß froh, dass die Sache mit Kehl geplatzt ist. Der Münchner ätzt: Heute wäre Kehl froh, wenn er bei uns wäre und nicht 20 Prozent seines Gehalts abgeben müsste. Das ist bewusst böse formuliert: Böse gegenüber Kehl, und erst recht böse gegenüber Borussia Dortmund, heute Gegner der Frankfurter Eintracht. Am vergangenen Samstag, beim 2:2 an seiner ehemaligen Wirkungsstätte Freiburg, wurde der 21-fache Nationalspieler erst gnadenlos ausgepfiffen und dann gnadenlos ausgewechselt. Pfiffe ist Kehl inzwischen auch von den eigenen Fans gewohnt, Auswechslungen durch seinen Trainer Matthias Sammer dagegen nicht. Der beeilte sich flugs, die Herausnahme mit Taktik zu begründen, nicht mit Leistung, zumal Kehl ordentlich, wenn auch bestimmt nicht berauschend gespielt hatte. Sebastian, sagt Sammer, bringt die wichtigste Voraussetzung mit: Er zerreißt sich auf dem Platz. Das allein hat weder in der laufenden noch in der vergangenen Saison ausgereicht, um die Fans des BVB zufrieden zu stellen. Vor zwei Wochen, beim 0:2 gegen Stuttgart, konnte selbst im heimischen Westfalenstadion niemand die Pfiffe überhören. Pfiffe gegen Sebastian Kehl, den Frühreifen, immerfort Bemühten, überaus Ehrgeizigen und – dieser Eindruck verfestigt sich zunehmend – womöglich auch reichlich Überschätzten?“

Meyer ist die Lust am Scherzen vergangen

Christian Ewers (FAZ 20.3.): “Seit Meyers Amtsantritt am 3. Januar hat sich wenig verändert. Die Mannschaft zeigt weder schöneren Fußball, noch hat sich ihre tabellarische Situation verbessert. Und ob nun endlich der von Nationalspieler Arne Friedrich geforderte Start einer großen Serie stattfindet, ist fraglich. Zu Gast im Olympiastadion ist Meister Bayern München, der Hertha in der Hinrunde mit 4:1 geschlagen hatte. Meyer versucht, sein Team zu entlasten: Es muß nicht schwerer sein, gegen Bayern zu spielen als gegen Eintracht Frankfurt. Wir allein bestimmen es. Wir haben eine Chance. Das kann Meyer wirklich gut. Sich vor das Team stellen, alle Aufmerksamkeit auf sich lenken, mal durch Witze auf Harald-Schmidt-Niveau, mal durch messerscharfe Spielanalysen und immer öfter durch bissige Kommentare. Meyer, dessen Interviews zu Beginn stets für großes Amüsement gesorgt hatten, ist mittlerweile die Lust am Scherzen vergangen. Der Optimismus versprühende Entertainer hat sich zu einem knurrigen Nachlaßverwalter gewandelt. Meyer bastelt an einer Mannschaft, die zwar über gute Einzelspieler verfügt, aber die so seltsam zusammengestellt ist, daß für sie ein Spielsystem noch erfunden werden muß.“

Die Zeit der Rudelbildung und Griesgrämigkeit bei uns ist vorbei

Matthias Wolf (FAZ 20.3.) erfreut sich an der Menschlichkeit Juri Schlünz’: “Der 42jährige, bis vor kurzem kaum in der Branche beachtet, ist gar nicht so farblos, wie man ihm nachsagte. Ihn selbst hat das Klischee immer amüsiert: Sechs Jahre lang hat mich kein Reporter was gefragt. Warum wußten bloß alle, daß ich langweilig bin? Hansas Pressesprecher Axel Schulz bescheinigt seinem Trainer beachtlichem Humor und andere Vorzüge: Er spielt nicht mit den Journalisten, er ist nur authentisch. Uns im Verein war klar, daß Juri voller Überraschungen steckt. Das gilt auch für seine Trainingslehre, die Taktik mit offensivem Pressing und flottem Flügelspiel, und den Umgang mit den Spielern. Die, glaubte man bisher, wären weitgehend nur Durchschnitt. Derzeit spielen sie auf deutlich höherem Level. Die Erfolgsformel erscheint simpel: Schlünz schaffe es, so der Tenor, alle 24 Kicker bei Laune zu halten. Die Zeit der Rudelbildung und Griesgrämigkeit bei uns ist vorbei, sagt Klinkmann: Die draußen sitzen, haben nicht mehr das Gefühl, daß dies ein Dauerzustand ist. Auch weil Schlünz‘ Einwechselkräfte oft Spiele entschieden haben, nennt der 68jährige Vereinschef Schlünz ein Naturtalent, das durch seine Kompetenz, Können, Menschlichkeit und Mutterwitz alle zusammenschweißt. Pause. In der DDR hieß das noch ein Kollektiv. Nur wenige Trainer beherrschen die Kunst, Gemeinschaftssinn unter Profis zu wecken – der Diplomsportlehrer (Für die Leute bin ich der Juri, und das wird so bleiben) tut es. Er ist auch einer der wenigen, der zugibt, Spielweise und Mannschaftsaufstellung mit seinen Profis abzusprechen. Ich kann doch nicht anordnen, was dann keiner umsetzen will. Immer wieder beordert er Spieler, die auf der Tribüne saßen, zurück in den Kader. Bankdrücker rücken plötzlich in die Startformation.“

Die Aussagen sind nicht in Ordnung

Ulrich Hartmann (SZ 20.3.) bemerkt Abstimmungsprobleme in der Gladbacher Öffentlichkeitsarbeit: „„Diejenigen, die der Mannschaft Klasse suggerieren, die lügen. Der Mann, der das gesagt hat, heißt Holger Fach. Er ist der Trainer von Borussia Mönchengladbach. Selten hat sich ein Bundesliga-Trainer nach einem verlorenen Spiel so apokalyptisch über seine Mannschaft geäußert, hat ihr die Eignung abgesprochen und sich dagegen verwahrt, dass die Spieler zumindest ansatzweise Kampfgeist gezeigt hätten und dass der Schiedsrichter Steinborn auch mit Schuld sei an diesem Malheur, weil er kurz vor Schluss ein Handspiel des Aacheners Mbwando nicht mit Elfmeter geahndet hatte. Christian Hochstätter hat diese beiden Aspekte immer wieder ausdrücklich erwähnt, doch all das hat Fach nicht gelten lassen, weil er lieber ehrlich war wie so oft, keine Ausreden suchte und seine Profis provozieren wollte im Hinblick auf das nächste Spiel. „Man hat gesehen, dass uns die spielerischen Mittel fehlen, hat er gesagt. So viel schonungslose Offenheit ist gefährlich im Abstiegskampf. An diesem Samstag spielen die Gladbacher daheim gegen Hamburg und brauchen einen Sieg, um nicht auf einen Abstiegsrang zu rutschen. Hochstätter klingt seit Mittwoch ein bisschen wie der PR-Berater von Holger Fach, denn wenn man ihn auf die Aussagen des Trainers anspricht, dann ist er um Entschuldigungen und Erklärungen bemüht. Fach sei enttäuscht gewesen und frustriert und mit seinen Sätzen übers Ziel hinausgeschossen. „Die Aussagen sind nicht in Ordnung, sagt Hochstätter, aber fragt man ihn, warum der Trainer öffentlich sagt, die Mannschaft habe nicht die nötige Klasse, sagt Hochstätter: „Das ist nicht seine Meinung. Als sich die Mannschaft vor der Winterpause mit einer Siegesserie einen Vorsprung zur Abstiegszone erarbeitet hatte, da habe auch niemand an der Qualität der Spieler gezweifelt. „Die Mannschaft hat in Aachen im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles versucht, sagt Hochstätter; ein Satz, den er viel lieber gehört und gelesen hätte von seinem Trainer. Dass Äußerungen wie jene von Fach für Fußballtrainer auch schon Konsequenzen hatten, spielt für Hochstätter keine Rolle. Der Leverkusener Trainer Thomas Hörster hat über seine Mannschaft vor einem Jahr gesagt: „Wenn wir so weiterspielen, steigen wir ab. Kurz darauf ist er von seinen Aufgaben entbunden worden. „Bei uns in Mönchengladbach hat der Trainer Hans Mayer mal dasselbe gesagt und ist im Amt geblieben, hält Hochstätter dagegen.“

Fußballmärchen am Ort des Mythos Wembley

Offenbar rechnete die FAZ mit einem Engagement Oliver Bierhoffs bei München 60; an Bierhoffs Golden Goal 1996 erinnert Roland Zorn (FAZ 20.3.) – im Präsens: „Das Spiel zwischen den allmählich erschöpften Tschechen und Deutschen treibt unentschieden auf eine verspätete Entscheidung zu. Niemand bemüht sich während der regulären Spielzeit mit letzter Entschlossenheit um den Sieg. Also geht das Finale in die Verlängerung, bei der erstmals in der Geschichte der Europameisterschaften derjenige alles gewinnt, der mit einem goldenen Tor, dem Golden Goal, die Entscheidung vor Ablauf der auf zweimal fünfzehn Minuten angesetzten Zugabe herbeiführt. Es folgt der Moment, der aus einem genervten Reservisten eine Ikone dieser EM macht, einen Spieler, der die Historie des Fußballs um ein goldglänzendes Kapitel anreichert: Oliver Bierhoff. Ich hatte nicht das Gefühl, daß ich auch noch das zweite Tor erziele, wohl aber so eine Ahnung, daß es anders als gegen England diesmal nicht zu einem Elfmeterschießen kommt. Es kommt jedenfalls in der 95. Minute ein langer Ball, und Jürgen Klinsmann geht raus auf den Flügel. Ich merke, daß er den Ball irgendwie flanken muß, sehe aber auch, daß er ihn auf seinen schwächeren linken Fuß bekommt. Der nicht sehr hart hereingegebene Ball landet bei mir, ich decke ihn gut ab, will mich als Rechtsfuß linksrum drehen, da ruft mir Marco Bode, der halbrechts hinter mir steht, zu: Dreh dich linksherum. Das habe ich dann auch gemacht und dabei gemerkt, daß ich von meinem Gegenspieler ein bißchen weg war. Dann habe ich mit links abgezogen, was mir nicht schwerfiel. Als ich schoß, habe ich nicht im Leben daran gedacht, daß der Ball reingeht. Torwart Koubek hätte den (von Hornak noch abgefälschten) Schuß auch halten müssen, der relativ zentral kam. Doch dann sehe ich, wie er den vorbei- und durchrutschen läßt. Wie in Zeitlupe trudelt der Ball ins Tor, so daß ich noch Angst hatte, daß Stefan Kuntz ihm den letzten Tick gibt. Gott sei Dank hat der den Ball nicht mehr berührt, denn Stefan stand im passiven Abseits und wäre im Fall des Falles richtig abseits gewesen. Jedenfalls ist der Ball drin, und Pairetto pfeift ab. Deutschland gewinnt 2:1, und Bierhoff vollbringt und vollendet ein Fußballmärchen am Ort des Mythos Wembley. So weit, daß von hier an seine Karriere von einem Tor, dem Golden Goal, geprägt wird, kann Bierhoff in dem Moment, da es passiert ist, nicht denken. Eigentlich denkt er nämlich an gar nichts. Dem Treffer folgt ein dreiminütiger Blackout, und auf der Tribüne wird mein Vater für ein paar Momente buchstäblich sprachlos. Das Gefühl, daß ich das erste Golden Goal in der Geschichte der großen Turniere geschossen hätte, war überhaupt nicht da. Was geschah, war etwas anderes Unbegreifliches. Erstmals und letztmals in meiner Laufbahn habe ich danach mein Trikot ausgezogen. Das fand ich bei anderen immer ein bißchen affig. Irgendwie fiel der ganze Ballast weg, und es blieb pure Freude. Später erst habe ich mir gesagt, hej, du hast das Spiel entschieden, du warst der entscheidende Mann, du hast doch irgendwie ins Spiel eingegriffen. Erst am Montag morgen um sechs Uhr, als ich von der Siegesfeier zurück auf mein Zimmer kam, das deutsche Frühstücksfernsehen einschaltete und die massenhafte Begeisterung auf deutschen Straßen und Plätzen sah, wurde mir bewußt, welche Wirkung unser Sieg hatte.“

Ausgerechnet Schnellinger!

Vorsicht, Feuilleton! Jürgen Kaube (FAZ 19.3.) mischt sich ein in die Ailton-Frage: „Wie man die Nationenfrage richtig, nämlich globalisierungstechnisch flexibel handhabt, zeigen der Weltkarateverband und das Julius-Lohmann-Gymnasium in Schondorf. Beleg: Die elfjährige Belinda, unser größtes deutsches Karate-Nachwuchstalent, kann dort, was es nach Auskunft ihres Vaters und Managers an keiner staatlichen Schule könnte – einmal pro Woche in Liechtenstein trainieren. Und zwar frei von Angst, die schulischen Verpflichtungen zu vernachlässigen oder wichtige Prüfungen zu versäumen. Belinda haut und tritt nämlich seit Mitte März für Liechtenstein. Inwiefern angstfreies Karatetraining im neuhumanistischen Bildungsbegriff vorgesehen oder reformpädagogisch wünschbar ist, muß an dieser Stelle offenbleiben. Auch wissen wir zuwenig über diesen Kampfsport, um zu argwöhnen, daß die Summe der Unterrichtsausfälle und der Ängste für andere Schüler ihrer Altersgruppe womöglich zunimmt, wenn Belinda sich nunmehr ganz angstfrei auf Hand- und Fußkantenstöße als Hochbegabung konzentrieren kann. Da Ailton aus dem schulpflichtigen Alter schon heraus ist, tun solche Nebenbedenken nichts zur Sache. Gefragt werden muß vielmehr, ob die Fifa bei einer WM nicht die besten Spieler der Welt versammeln will. Und ob es im Fußball denn nicht wie beim Karatesport um reine Leistungsgesichtspunkte geht. Außerdem hat sich der nationale Gesichtspunkt doch längst auch in Wirtschaft, Eßkultur und Kino als unbrauchbar erwiesen. Ausgerechnet Schnellinger! rief Ernst Huberty einst, als der italienische Legionär zum 1:1 ausglich. Warum sollen wir denn, da heute überall solche Arbeitsmigranten spielen, um den Ausruf Ausgerechnet Ailton! gebracht werden, wenn Qatar gegen Brasilien antritt? Die Zukunft heißt Liechtenstein: Wer reinwill und etwas mitbringt, was wir haben wollen, Handkantenschläge, Spannstöße oder Intelligenz, darf rein. Wie zum Beweis geschah ausgerechnet im Pokalspiel von Bremen gegen den VfB Lübeck in dieser Woche etwas Bezeichnendes: Lübeck wechselte in der 59. Minute den ersten Ausländer ein. Ja, mehr noch: Fara Mbidzo aus Zimbabwe ist überhaupt der einzige Ausländer im Team des Zweitligisten. Warum? Weil seine Mitspieler Ferydon Zandi, Ibrahim Türkmen, Silvio Adzic und Daniel Thioune alle Deutsche sind. Der DFB sollte schnell aufwachen, bevor Ailton nachweist, daß seine Großmutter etwas mit einem Karatelehrer aus Liechtenstein hatte.“

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