indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ballschrank

Danke, ich werde Euch nie vergessen

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Danke, ich werde Euch nie vergessen

Jan Christian Müller (FR 19.5.) fühlt mit. “Es gibt sie noch, die seltenen ergreifenden Momente im gegelten Unterhaltungsgeschäft Fußball-Bundesliga. Und wahrscheinlich gibt es dafür kaum einen schöneren Ort als den Lauterer Betzenberg; dort oben, wo die Fans den ungeschminkten Fußball lieben, das wahre Gute in einer profanen Grätsche finden und am Samstag nach dem wichtigsten 0:0 der Vereinsgeschichte einem Mann huldigten, der acht Jahre lang ein stiller, unaufgeregter und selbstloser Fußballprofi im Teufels-Trikot war. Als sich Robin (6) und sein kleiner Bruder Luis (3) aus dem Publikum lösten, um in ihren viel zu großen roten Trikots mit der Nummer 24 auf dem Rücken quer über den Platz zu ihrem Vater zu laufen, da mischte sich in die ausufernde kollektive Freude über den soeben erreichten, in der Winterpause für schier unmöglich gehaltenen Klassenerhalt ein kalter Hauch von Wehmut. Harry Koch, die Kultfigur mit der Kultfrisur, hatte noch einmal fast eine halbe Stunde lang spielen dürfen, aber er wird künftig nicht mehr gebraucht im modernen Spielsystem von Erik Gerets. Jetzt lief der Vorstopper, den die Lauterer vom seinerzeitigen Regionalligisten TSV Vestenbergsgreuth geholt hatten, ein letztes Mal über den vertrauten Rasen, den kleinen Luis auf dem Arm, Robin an der Hand. Koch trug ein T-Shirt, das er selbst beschriftet hatte: Danke, ich werde Euch nie vergessen. Da erhoben sich die Menschen von ihren Sitzen und klatschten ergriffen, denn sie fühlten, wie schwer es dem Mann dort unten fiel, Abschied zu nehmen aus der Pfalz, die zu seiner zweiten Heimat wurde. Doch das Profigeschäft, von dem Koch – entsprechend großzügig finanziell bedacht – die auf viele Jahre hinaus beste Zeit erlebt hat, wird nicht von Gefühlen bestimmt. Vorstandschef René Jäggi versteht sich als Sanierer eines schwer kranken Unternehmens. Er kann es sich nicht leisten, Almosen zu verteilen. Also muss Koch gehen. Auch wenn es ihm weh tut. Sehr weh.“

Auf Jugend und regionale Talente ausgerichteter Sparsamkeits-Kurs

Martin Hägele (SZ 19.5.) verzeichnet Vernunft und Emotion. „Vom großen Tag des Sanierers René C. Jäggi und vom noch größeren Tag des Retters Erik Gerets wird man in der Pfalz noch lange reden. Vor allem vor den Gefühlsbeschreibungen des Schweizer Vorstandsvorsitzenden und des Trainers aus Belgien: „Das ist wie nach einem schweren Verkehrsunfall, den man überlebt. Noch nie war ein 0:0 auf dem Betzenberg so wichtig wie heute“, sagte Jäggi. Dessen Partner war nach einem dreiviertel Jahr sportlichen und wirtschaftlichen Überlebenskampfes im deutschen Südwesten dermaßen geschafft, dass „ich diese Gefühle gar nicht öffentlich erklären möchte“. Nur so viel aus dem Innenleben des Erik Gerets, der einst der härteste und abgezockteste Verteidiger von allen Benelux-Profis und später ein erfolgreicher Fußball-Lehrer in jener Region war: „Heute habe ich zum ersten Mal Champagner getrunken, obwohl ich nichts gewonnen habe.“ Viele Menschen aus der kleinsten Bundesliga-Stadt werden ihren Freunden aber auch von anderen Szenen erzählen, die sie an diesem Nachmittag erlebt haben – die mehr als viele Worte das Finale einer verrückten Bundesligarunde beim Fritz-Walter-Klub beschreiben. Wie Harry Koch, die Kultfigur des Vereins, sein Adieu ins Stadion-Mikrofon geschluchzt hat und den Fans dankte: „Acht Jahre für euch zu spielen, das war das Schönste für meine Familie und mich.“ Wie Torwart Georg Koch anständig mitgespielt hat bei seinem unfreiwilligen Abschied mit Winke-Winke ins Publikum, während Mario Basler, der nun als Bundesliga-Faktotum zu den Scheichen von Katar abgeschoben wird, Laudatio und Ehrenrunde kaugummikauend absolvierte. In der kommenden Saison wird es im Kader des FCK keinen Platz mehr geben für Profis vom alten Schlag wie der Verteidiger Harry mit der Zottelfrisur einer war; auch Alleinunterhalter und überbezahlte Alt-Stars passen nicht mehr zu einem auf Jugend und regionale Talente ausgerichteten Sparsamkeits-Kurs, zu dem sich die neue Klubführung klar bekennt, nachdem sie mit dem Verkauf der WM-Arena aus den gröbsten Existenznöten heraus ist. In diesem Zusammenhang müsste man erwähnen, dass sich Jäggi deshalb nicht nur bei der Stadt Kaiserslautern und dem Ministerpräsidenten Kurt Beck, sondern auch bei allen Banken öffentlich bedankt hat. Vielleicht muss man dazu im Land der Kreditinstitute aufgewachsen sein wie der Unternehmer Jäggi aus Basel.“

Gewinnspiel für Experten

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

111 queries. 0,615 seconds.