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Deutschland im Achtelfinale

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Deutschland im Achtelfinale

Der Guardian (London) titelt: „Die Deutschen spielen ihre Karten richtig.“ Paul McInnes berichtet in seinem Artikel – für englische Verhältnisse weiterhin überraschend wohlgesonnen: „Rudi Völlers Deutsche kamen mit einer Leistung in die zweite Runde, die alle Tugenden des deutschen Fußballs aufzeigte, von der Kunst, mit allen erlaubten Tricks zu gewinnen sowie Robustheit. Aber trotz ihrer besten Leistung und dem fünften Tor von Miroslav Klose, stahl ihnen der Schiedsrichter Lopez Nieto die Show, nachdem dieser einen neuen WM-Rekord von 16 gelben Karten in 90 Minuten aufstellte. Lopez hatte schlicht vergessen, dass Fußball ein Spiel mit Körperkontakt ist.“

Die kroatische Zeitung Vecernji List urteilt. „Die Deutschen waren nur ein Schatten der Mannschaft, die gegen Saudi Arabien acht Treffer erzielte. Immerhin war es die deutsche Tugend Hartnäckigkeit, die der Elf einen weiteren Sieg einbrachte. In einem äußerst spannenden Match reihten die Kameruner die Chancen aneinander, der Schiedsrichter Nieto hingegen Verwarnungen. Die Deutschen müssen sicherlich mehr zeigen, wenn sie auf diesem Turnier eine glänzendere Spur hinterlassen wollen.“

Die Irish Times kommentiert den deutschen Sieg ähnlich unspektakulär, wie es das Spiel selbst war: „Ein sauberer Abschluss von Marco Bode und ein unausweichlicher Kopfball von Miroslav Klose ermöglichten Deutschland ein 2:0 über Kamerun, das den dreimaligen Weltmeister in die zweite Runde des World Cup bringt.“ Da das Match auf einem solch hitzigen Niveau stattfand, hatte sicherlich nichts mit den schlechten Platzverhältnissen zu tun.„Aber Deutschland hatte auch sehr gute Momente. Klose zeigte sich als Vorbereiter, als er einen punktgenauen Pass auf Bode spielte, der seit der Halbzeit für den schlechten Carsten Jancker spielte und dieser den Ball flach an Torwart Boukar Alioum ins lange Eck schob.“

Guerric Poncet (Le Monde) über die Schiedsrichterleistung. „Der Schiedsrichter Lopez Nieto hat eine sehr gute Leistung gezeigt. Es ist ihm gelungen, seine Autorität unter äußerst schweren Umständen zu wahren.“

Zur Leistung des Schiedsrichters des bis dato kartenreichsten WM-Spiel urteilt die senegalesische Tageszeitung Le soleil. „Der Schiedsrichter, der schneller verwarnt als sein Schatten.“

Das Ausscheiden Frankreichs bewegt die Gemüter der Italiener ungleich mehr als der Sieg Deutschlands über Kamerun, der angesichts der alles andere als klammheimlichen Freude über den Misserfolg der „Coq de France“ weit auf die hinteren Sportseiten der Tageszeitungen rückt. „Mit den Torbrüdern Ballack und Klose fliegt Deutschland ins Achtelfinale“ heißt es im Corriere della Sera und: „Klose und Ballack spielen zwar nicht im selben Verein, sie haben aber eine Eigenschaft, die sie miteinander verbindet und vom Rest der Mannschaft unterscheidet: Sie verfügen über Fußballbewusstsein und Intelligenz, die sie in den Dienst des Kollektivs stellen.“ Unter der Überschrift „Deutschland unerbittlich – vorwärts mit Bode und Klose“ heißt es in La Repubblica: „Es ist immer eine Frage des Kopfes. Entweder man hat einen oder man hat keinen. Miroslav Klose zum Beispiel hat einen, und er hat mit ihm fünf der Tore geschossen, die aus ihm den Torschützenkönig der WM machen. (…) Kamerun dagegen hat schnelle Beine, kräftige Körper und bewegliche Füße, aber keinen Kopf.“ Ein paar Absätze später präzisiert der Korrespondent: „Um die Wahrheit zu sagen, Klose benutzt den Kopf nicht nur als Hammer: der Beweis dafür sind zwei erstklassige Torvorlagen für Ballack und Bode.“ Ansonsten spiele Deutschland wieder sehr deutsch: „solide, tetragonal, weise. Nicht brillant.“

Argentinien scheidet aus

„Argentinien auf der Gefallenenliste“ titelt die Irish Times. „Die Schweden drängten den WM Favoriten Argentinien aus dem Turnier, nachdem die beiden in einem packenden Match in Miyagi Unentschieden spielten. Argentinien benötigte einen Sieg, um die Vorrunde zu überstehen und begann daher gut, obwohl die zwingenden Chancen fehlten. In der zweiten Halbzeit bestraften die Schweden ihre Gegner für die ausgelassenen Torchancen.“

Der Guardian titelt gar: „Arrogante Argentinier fliegen raus“. „Argentinien ist der zweite große Gefallene der Weltmeisterschaft, da die WM-Favoriten den amtierenden Champion Frankreich auf dem frühen Heimflug aus Fernost begleiten können. Für den Trainer Marcelo Bielsa war es ein erneutes frustrierendes Match, nachdem er und seine Mannschaft nun sich fragen müssen, wie sie nur aus der Vorrunde ausscheiden konnten. Obwohl sie die Schweden vollkommen unter Kontrolle hatten und 65% Ballbesitz in der ersten Halbzeit hatten, schafften sie es nicht ihre Überlegenheit in Tore umzumünzen, bis es zu spät war.“

Das Ausscheiden Frankreichs ist den Italienern Schlagzeilen auf den Seite 1 wert: „Frankreich unter Schock, die WM verliert die Sieger“ schreibt La Repubblica. Vittorio Zucconis Kommentar, ebenfalls auf Seite 1, beginnt so: „Da man als Christ Mitleid auch für die eigenen Peiniger empfinden soll, neigen wir heute das Haupt vor dem Golgatha derer, die uns selbst so viele davon zugefügt haben, jenen Coq de France, die sich jetzt in einer für sie grausamen WM in Fußballkapaune verwandelt haben.“ Im Sportteil der Repubblica wird „Das Ende der französischen Herrschaft“ ausgerufen. Der Sportteil des Corriere della Sera macht auf mit einem herzlichen „Adieu“ in neun Zentimeter hohen Lettern, daneben steht ein Erinnerungsfoto von der WM 1998 mit dem rituellen Kuss Blancs auf die Glatze von Barthez.

Die französische Tageszeitung Liberation titelt: „Deutschland kommt gestärkt weiter“. „Deutschland ist unversehrt aus seinem entscheidenden Spiel hervorgegangen. Obwohl die deutsche Mannschaft während des Spiels dominiert wurde, konnte sie durch ihr physisches Spiel, das sich oftmals über dem Erlaubten bewegte, den Sieg davontragen. Die Taktik der Deutschen, den Ball in den eigenen Reihen zu halten, schlug schnell fehl. Sie hatten es letztlich der Einzelleistung Kloses zu verdanken, der vier (!)Verteidiger binden konnte und Bode entscheidend in Szene setzte. Der junge deutsche Stürmer war einmal mehr die tödliche Waffe seiner Mannschaft.“

Zum Weiterkommen ihrer die Mannschaft schreibt die senegalesische Tageszeitung Le soleil. „Es war hart, aber es hat gereicht! Die Feier geht weiter! Schlussendlich hat der Senegal die zweite Runde erreicht. Das ist historisch für die erste Teilnahme bei einer WM! Insbesondere in einer Gruppe A, die keinesfalls leicht gewesen ist!

Der senegalesische Staatschef Abdoulaye Wade beglückwünscht die Löwen. „Afrika ist stolz auf diese Löwen und kann nicht aufhören, es zu betonen. Ich hätte mich gefreut, wenn Frankreich den Senegal in das Achtelfinale begleitet hätte, aber so ist das Spiel. Frankreich kann stolz darauf sein, in seiner Liga auf die senegalesischen Fähigkeiten gesetzt zu haben und somit vielen Spielern des Senegal in ihrer Ausbildung geholfen zu haben. Von nun an, spielen wir für den Senegal, für Afrika und für Frankreich.“

Gérard Davet (Le Monde) sucht nach Gründen für das Ausscheiden Frankreichs. „Die Blauen, amtierender Europameister und Weltmeister, sind nicht in der Lage gewesen, die erste Runde der Weltmeisterschaft 2002 zu überstehen. Das ist ein wirklicher Misserfolg. Es ist allerdings davor zu warnen, diese hochgelobte Mannschaft einfach zu vergessen, die uns zum Träumen veranlasst hat und deren Scheitern nicht gänzlich unvorhersehbar gewesen ist. Es hat einerseits an Spielerpersönlichkeiten, wie Blanc und Deschamps, gefehlt. Keiner der Akteure konnte seinen Mitspielern den Weg zum Erfolg weisen. Jeder hat seinen Part gespielt, und der Mythos der eingeschworenen Truppe ist zusammengebrochen. Freundschaft war nicht mehr der Motor dieser französischen Mannschaft. Sicher gab es Solidarität, aber nicht mehr die Bereitschaft sich für seinen Mitspieler zu zerreißen. Wie kann man nun das persönliche Versagen des Kapitäns Marcel Desailly deuten? Der Verteidiger vermochte es nicht diese Mannschaft zu leiten, da er zu sehr mit seinen persönlichen Schwierigkeiten und Problemen als sein eigener Geschäftsmann beschäftigt war.“

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