indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ballschrank

Das „Double“ ist nur ein Trostpflaster

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Das „Double“ ist nur ein Trostpflaster

Vor zehn oder fünfzehn Jahren wäre das „Double“ ein außerordentlicher sportlicher Erfolg gewesen. Für den FC Bayern München des Jahrgangs 2002/03 ist der Gewinn von Meisterschaft und Pokal innerhalb einer Spielzeit nur ein „Trostpflaster“ (taz) für das frühe Ausscheiden auf internationaler Bühne. „Nie ist die Champions League für den Verein so präsent gewesen wie in diesem Jahr, als sie abwesend war“, fasst die Financial Times Deutschland (FTD) die Einsichten und Empfindungen der Münchner Wortführer zusammen. Wie nach der Entscheidung im Titelrennen Ende April sprach Manager Uli Hoeneß auch nach dem 3:1 im Pokalendspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern hauptsächlich über die Ambitionen seines Klubs in der europäischen Königsklasse und wie die diesjährigen Erfolge in Relation zur „Schande“ im vergangenen Herbst zu setzen sind. Bedenklich, welchen Wertverlust die nationalen Wettbewerbe hierzulande erfahren haben. Bedenklich auch – das führte das schnell entschiedene Finale noch einmal vor Augen –, wie dominant der deutsche Branchenführer geworden ist. Die „Riesen in einem Land der Zwerge“ (SZ) sind ihrer Konkurrenz aus Dortmund, Gelsenkirchen und Berlin derzeit weit voraus: sportlich, ökonomisch und politisch. Folglich vernachlässigen die Autoren der Tageszeitungen die Berichterstattung über das einförmige Geschehen auf dem grünen Rasen und gewinnen statt dessen ihre Erkenntnisse aus den Signalen nach dem Schlusspfiff.

So geht’s im Alles-besser-macher-Klub

Ralf Wiegand (SZ 2.6.) blickt in die Münchner Zukunft. „Seit Wochen taumeln die dem Rest der kleinen Bundesliga-Welt Entrückten von einer Festivität auf die andere, bewirtet von Sponsoren der Premium-Klasse. In der dunklen deutschen Wirschaftslandschaft steht die Bayern AG als Leuchtturm da. Eifrig sein, Visionen haben, positiv denken – so geht’s im Alles-besser-macher-Klub. Der Misserfolg vom vergangenen Herbst? Kompostiert und längst organisch abgebaut wie das Laub der Blätter aus dieser finsteren Zeit. Aber die nationale Konkurrenz inklusive des ehrfürchtigen Pokalfinalisten Kaiserslautern war nicht mehr als eine Glatze, auf der die Bayern ihre Kringel drehten. So wenig, wie man ermessen kann, wie die Saison hier zu Lande gelaufen wäre, hätten es die Bayern in der Champions League länger ausgehalten als eine jämmerliche Vorrunde, vermag man sich den Fortgang der Champions League vorzustellen, wären die Bayern noch dabei gewesen. Kann Robert Kovac van Nistelrooy in den Griff bekommen, wird Owen Hargreaves weniger Respekt vor Zidane haben, traut sich Claudio Pizarro, auch einem dieser italienischen Defensiv-Druiden den Ball durch die Beine zu spielen und in den Winkel zu lupfen wie einen Wattebausch? Und woher soll, nach einer nationalen Saison der Superlative, die Demut kommen, aus der Konzentration erwächst?“

Wie einst bei der Tafelrunde von König Artus

Matti Lieske (taz 2.6.) seziert die Machtzirkel der Fußballnation. „Die Welt des FC Bayern München ist nach dem Gewinn des DFB-Pokals zwar nicht heil, jedoch immerhin halbwegs gekittet. Vor allem aber ist sie fein säuberlich geordnet. Alle, die wirklich wichtig sind für den Meister und Cupsieger, durften beim Saisonabschluss-Bankett am lang gestreckten Tisch 1 Platz nehmen. Wie einst bei der Tafelrunde von König Artus bildete das Monstrum den Mittelpunkt, um den sich alles andere gruppierte: die Spieler, die Wirtschaftspartner und die übrigen Gäste minderer Wertigkeit. Die ganz Minderen mussten draußen im Foyer der Berliner Zentrale von Sponsor Telekom verweilen. An Tisch 1 saßen also mit Begleitung die Herren Rummenigge, Hoeneß, Müller-Wohlfahrt, Scherer, Hopfner, Hitzfeld; es saßen dort Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber und Innenminister Otto Schily, einige herausragende Geldgeber, und selbst für Franz Beckenbauer hatte sich noch ein Plätzchen am Rand gefunden. Fehlte eigentlich nur Leo Kirch, dessen Beitrag zum viel zitierten Double in dieser Saison ja nicht unerheblich gewesen war. Auch der größte Tisch bietet jedoch nur eine begrenzte Anzahl von Plätzen, weshalb es zum Beispiel Justizministerin Brigitte Zypries nicht geschafft hatte ins Bayern-Elysium. Auch Gerhard Mayer-Vorfelder, der DFB-Präsident, war nicht wichtig genug und musste an Tisch 15, weitab vom Nabel der Macht. Ein Schicksal, das er mit Leverkusens Reiner Calmund teilte. Während im Foyer sonnenbebrillt Udo Lindenberg umherschlich, erhob sich drinnen Vizepräsident Karl-Heinz Rummenigge, um den kurzen offiziellen Teil mit einer kleinen Rede zu eröffnen. Bemerkenswert vor allem, dass er Schily vor Stoiber begrüßte – für die fußballerische Vertretung eines Freistaates eine erstaunliche Konzession an den Föderalismus – und in seinen umfangreichen Danksagungen den jüngst durch vorwitzige Äußerungen in Ungnade gefallenen Klub-Präsidenten Franz Beckenbauer wegließ. Das versuchte anschließend Telekom-Vorstand Josef Brauner auszubügeln, der zudem Frau Zypries an ihrem Katzentisch entdeckt hatte. Ansonst äußerte sich Rummenigge versöhnlich und erneuerte vorsichtig seine einstige These vom besten Bayern-Kader aller Zeiten. Kein Wort mehr von Schande und Blamage, dennoch wurde auch an diesem Abend deutlich, dass Meisterschaft und Pokal den Schmerz über das internationale Debakel lediglich gedämpft hatten. Weit häufiger als der Begriff Double tauchte nämlich das Wortpaar Champions League auf – jener Wettbewerb, in dem die Bayern diese Saison so gar keine Rolle gespielt hatten, höchstens die des Klassendeppen.“

Es gibt bessere Orte, die Glückwünsche des Landesvaters entgegenzunehmen

Sven Goldmann Michael Rosentritt (Tsp 2.6.) berichten von bayerischen Feierlichkeiten. „Wenn Karl-Heinz Rummenigge eine Rede hält, ist das ein bisschen wie früher bei den Parteitagen der SED. Bevor er zur Sache kommt, wird erst einmal eine ellenlange Liste der anwesenden Würdenträger verlesen. Nur betet Rummenigge, der Vorstandsvorsitzende der Bayern München AG, nicht die Mitglieder von Politbüro, Zentralkomitee und Bezirksleitung herunter, sondern Aufsichtsratsvorsitzende, Generaldirektoren und Prokuristen. Als bekennender CSU-Wähler ist Rummenigge ohnehin aller kommunistischen Umtriebe unverdächtig. Als ersten Ehrengast begrüßt er zwar den „sehr geehrten Herrn Innenminister Schily“ vor seinem Spezi Edmund Stoiber, aber der ist dann auch schon, eine Spur wärmer, der „liebe Herr Ministerpräsident“. So viel Sympathie muss schon sein beim mitternächtlichen Bankett. Stoiber und Rummenigge sind einander an diesem Abend schon einmal begegnet. Das war viertel nach zehn im Bauch des Olympiastadions, und Stoibers Leibwächter hatten darauf bestanden, dass die Tür zur Mannschaftskabine einen Spalt breit offen blieb. Stoiber huschte in dem Augenblick in das Separee seiner siegreichen Bayern, als Karl-Heinz Rummenigge zur Dusche spazierte, ein Handtuch um die bloßen Lenden geschwungen. Stoibers Gattin wirkte ein wenig irritiert, und Rummenigge wird sich wohl gedacht haben, dass es bessere Orte gibt, die Glückwünsche des Landesvaters entgegenzunehmen (…) Es ist dies einer der wenigen Momente an diesem Pokaltag, in dem die Spieler ein wenig überfordert wurden: wie sie da mit Pur-Bandleader Hartmut Engler den Text eines Liedes singen sollten, das der Allgemeinheit wohl doch nicht so geläufig ist, wie es die Herren von Pur gerne hätten. Sebastian Deisler verdreht viel sagend die Augen, Zé Roberto lässt sich erst nach gutem Zureden von Giovane Elber zum Mitmachen überreden, und Oliver Kahn hat sich schon in eine Berliner Diskothek abgesetzt, wo er später noch Ärger bekommt mit einem Türsteher und einem aufdringlichen Fotografen. Aber so etwas erwartet man von dem Bayern-Torhüter in diesen Tagen genauso wie die arrogante Dominanz seiner Kollegen auf dem Rasen.“

Christian Frommert Jan Christian Müller (FR 2.6.) beklagen den Wertverlust nationaler Fußballwettbewerbe. “Um 19.45 Uhr konnten Käfers Köche schon mal damit beginnen, den geeisten Cappuccino mit einem Bouquet aus Früchten der Saison zu umlegen, den Rhabarber zu pochieren sowie Erdbeercrème und Vanilleeis in die Kühlkammer zu schieben . Double 2003 hieß die Komposition, die sich die rund 500 in die feudale Hauptstadtrepräsentanz der Deutschen Telekom zum Schlemmen geladenen Gäste kurz vor zwei Uhr morgens noch auf der Zunge zergehen lassen durften (…) Der FC Bayern hat den Pokal gewonnen. Ja! Na und? Zum 11. Mal! Der FC Bayern ist Deutscher Meister. Ja, ja! Na und? Zum 18. Mal! Schale und Pott, die eben nicht mehr die (Fußball-)Welt bedeuten und die schon bald kaum noch zu mehr taugen als zu Zwischenüberschriften über Menüfolgen. Der hausgemachte Eintopf in der Heimat muss da in Ermangelung internationaler Leckerbissen schon mal als Snack herhalten. Telekom-Vorstand Josef Brauner hat’s verstanden. Durch den FC Bayern haben auch wir wieder feiern gelernt, pries der Manager die Leistungen der kickenden Werbeträger, und weiß doch genau, dass das T-Team in Magenta ebenso nach internationalen Erfolgen lechzt wie das rot-weiße Bayern-Ensemble. Die Leiden der alten und neuen Monopolisten. So sehr sie sich auch mühten an diesem Abend im ehemaligen Telegrafenamt der Reichspost eine versöhnliche Botschaft zu senden, nämlich die, dass die Mannschaft doch Außergewöhnliches geleistet habe (Rummenigge) – so sehr dürstet es sie nach einer neuen Vision für die nächste Saison. Denn der FC Bayern hat sich verirrt. Gourmets im Schnellimbiss: mühelos Häppchen holen und verschlingen – Nährwert? Fast null.“

Verbannung

Katrin Weber-Klüver (FTD 2.6.) zieht eine Münchner Saisonbilanz. „Spieltag für Spieltag war deutlich, dass die Bundesliga eine einzige endlose, quälende Strafrunde für die Bayern war. Eine Saison, in der das Trauma, sieg- und chancenlos aus der Champions League geflogen zu sein, nicht abgearbeitet werden konnte. Die großen europäischen Mannschaften verglichen sich in der Champions League, Bayern bereitete sich auf Cottbus vor. Das Spektakel zwischen Madrid, Mailand, Manchester spitzte sich zu, Bayern wurde in der Wolfsburger Provinz Meister. Die Champions League erreichte ihr Finale, Bayern betrieb mühsam Spannungsaufbau vor dem Pokalendspiel. Alles nichts als Warten. Die Mannschaft hat in diesem Wartestand die Liga und auch den Appendix DFB-Pokal derart dominiert, sie hat so selten an ihre Leistungsgrenzen gehen müssen, dass sich durch Unterforderung womöglich ihr Niveau nach unten angepasst haben könnte. Sie kann es nicht wissen, sie hat seit Monaten keine Gegner mehr gehabt, um sich zu messen. Sie musste einfach nur warten, bis die Verbannung abgesessen war.“

Titel, Titel, Titel

Roland Zorn (FAZ 2.6.) porträtiert. „Der größte Sieger des Tages genoß seinen Tag wieder einmal leise: Ottmar Hitzfeld. Der badische Fußball-Lehrer des deutschen Rekordmeisters und Rekordpokalsiegers FC Bayern München ist mit 15 Titeln Deutschlands erfolgreichster Trainer und damit eigentlich unantastbar. Doch weil der 54 Jahre alte Mathematiklehrer von gestern so gut rechnen und kalkulieren kann, weiß er, wieviel selbst höchste Lobeshymnen auf Dauer wert sind. Nichts, wenn er nicht weiter in Serie produziert, was bei Hitzfeld eine Selbstverständlichkeit scheint: Titel, Titel, Titel (…) Nur international erfolgreiche und von Spiel zu Spiel geforderte Bayern können den zur Zeit flauen Binnenwettbewerb beflügeln. Schwächelt der Riese, werden die anderen, im Augenblick rezessionsgebeutelt, vielleicht wieder wagemutiger. Doch Vorsicht: Die Münchner haben den größten und besten Kader landesweit. Ihn auf Trab zu halten, versteht niemand besser als Hitzfeld, der als Meister des Tauschbefehls schon wieder das Wort Rotation die Runde machen läßt. Rotieren sollen dagegen immer die anderen, da Hitzfeld von Titeln und Siegen einfach nicht genug bekommen kann.“

Der imponierend teilnahmslose Kapitän Oliver Kahn

Ralf Wiegand (SZ 2.6.). „Die letzten Saisonbilder des FC Bayern haben nicht nur den 600 geladenen Gästen im alten Berliner Fernmeldeamt am Gendarmenmarkt eine Atmosphäre purpurfarbener Harmonie vermittelt. Mit dem schwerelos errungenen 3:1 hat sich jene Stresssituation endgültig in Wohlgefallen aufgelöst, die den Klub nach dem blamablen Europacup.-K.o. im Herbst beschäftigte wie ein bösartiges Geschwür. Samstag im Olympiastadion sah man die Profis in den edelweißen Hemden ausgelassen einen gewöhnlichen Münchner Titelgewinn feiern, wobei Giovane Elber in seiner beeindruckendsten Szene an diesem schwülen Hauptstadtabend den Manager Uli Hoeneß mit kühlem Weißbier übergoss. Hoeneß wurde später nochmals von Sammy Kuffour mit frischer Champagnerware gebraust, auch Vorstand Karl-Heinz Rummenigge sollte die Kabine in Ersatzkleidung verlassen. Allein an Ottmar Hitzfeld wagte sich kein Spaßvogel heran, der Coach hatte sich das verbeten, „ich habe die Spieler davor gewarnt“. Dass sie auf ihn gehört hatten, machte ihn ein wenig stolz. Er lächelte so befreit wie selten, als er das sagte. Nachdem alle Mann geduscht waren (wobei sich niemand am minutenlangen Kabinenaufenthalt der bayrischen First Lady Karin Stoiber störte) und der imponierend teilnahmslose Kapitän Oliver Kahn auf seiner Pritsche endlich das Stadionheft ausgelesen hatte, stand der Trainer auch beim gediegenen Empfang im Mittelpunkt der Danksagungen. Der Pokalsieg, da sind sich die Fachkräfte sicher, ist sein 16. Titel, kein deutscher Trainer hat mehr geholt als der nur seinen Prinzipien verpflichtete Mathematiklehrer aus Lörrach. Und niemand gewann zweimal das Double, wie ihm das nun gelungen ist. Im Herbst hatte Hitzfeld mit seiner Entlassung gerechnet, doch am Samstag erhoben Hoeneß wie Rummenigge den 54-Jährigen zum Gewinner der Saison.“

Katrin Weber-Klüver (FTD 2.6.). „Man kann seine Motivation daraus ziehen, ein Spiel oder einen Titel gewinnen zu wollen. Es kann aber auch ein Antrieb sein, nur nicht zu verlieren. Bei Ottmar Hitzfeld ist, folgt man seinen angelegentlichen Einlassungen zum Thema, Letzteres dominierend. „Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man nach einem Finale vom Platz geht und die andere Mannschaft jubelt“ , sagt der Trainer des FC Bayern München, „solche Momente will man sich ersparen“.“

Kein Platz für Sentimentalitäten welcher Art auch immer

Ralf Wiegand (SZ 2.6.) resümiert aus Perspektive der Verlierer. „Dann also war sie zu Ende, die seltsame Saison des 1.FC Kaiserslautern, und die Spieler sanken erschöpft ins dichte Grün des Olympiastadions. Hinter ihnen lag in diesem Moment, da aus den Lautsprechern die üblichen Champions-Arien für die anderen dröhnten, ein Ritt von der Hölle in den Himmel und zurück. Totgesagt, auferstanden und dann von den Bayern filetiert, als seien sie nur die Vorspeise gewesen zu deren opulentem Sieger- Menü später am Abend. Und hinter allem, was die Profis des FCK auf dem Rasen abliefern, steht auch noch René C. Jäggi mit dem Rechenschieber. Der Mann ähnelt manchmal doch sehr einem dieser seelenlosen Sanierer, die, wenn sie nicht gerade die Bilanz eines Fußballklubs reparieren würden, auch die Produktion von Fischstäbchen optimieren könnten – weniger Fisch, mehr Panade. „Betriebswirtschaftlich ist das heute gut gelaufen“, bilanzierte also FCK- Vorstand Jäggi nach der Pokalpleite, „denn wir müssen keine Prämie zahlen. “ Es war wohl als Scherz gemeint. Gelacht hat niemand. Schon zu lange schweben die Pfälzer zwischen zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein können. Hier die unerklärliche Macht des Fußballs, die den FCK nicht untergehen lassen wollte in dieser Saison und die ihren Trainer nach erfolgreicher Selbstentfesselung aus allen Abstiegsstricken daran glauben ließ, seine Spieler würden „sterben wollen“ für den Pokalsieg. Sie sind gestorben, aber anders als Gerets sich das vorgestellt hatte und auf seltsam lethargische Weise, herzlos, ohne einen Funken Glauben an sich selbst. Auf der anderen Seite steht die erdenschwere Finanzpolitik, die keinen Platz lässt für Sentimentalitäten welcher Art auch immer. Harry Koch: zu alt, zu teuer, keine Vertragsverlängerung. Sportlich scheint er noch wichtig zu sein, denn immerhin stand er im Endspiel in der ersten Elf, aber bilanztechnisch ist selbst für einen solchen Leib-und-Seele-Pfälzer mit einer Frisur aus der guten, alten Zeit kein Platz mehr.“

Friedhard Teuffel (FAZ 2.6.). „Bei all der Leichtigkeit, mit der die Spieler des FC Bayern München diesmal den DFB-Pokal gewannen, wäre beinahe eine Last in Vergessenheit geraten. Denn Michael Ballack schleppte bis zum Samstag noch ein schweres Stück Vergangenheit mit sich herum. Wenn die letzten Jahre über ihn und sein Fußballspiel etwas aussagen konnten, dann war es dies: daß er immer besser wird und immer weiter kommt, daß aber diese Entwicklung immer im Finale aufhört. Davon hat sich Ballack am Samstag beim DFB-Pokal-Endspiel im Berliner Olympiastadion befreit, ganz alleine mit zwei Toren und auch noch einer Torvorlage.“

(31.5.)

Den Hörster konnte ich noch nie leiden

Jan Christian Müller (FR 31.5.) recherchiert die gemeinsame Vergangenheit von Tim Wiese und Thomas Hörster. “Aufgewachsen in Dürscheid in der Nähe von Bergisch-Gladbach wurde der schon früh sehr große und kräftige Wiese bald von Bayer Leverkusen verpflichtet. Als Stürmer. Seine Mutter transportierte den Jungen zu jedem Training: 40 Kilometer hin, 40 zurück. Dann forderte das schnelle Wachstum seinen Tribut: Wegen anhaltender Probleme an den Achillessehnen hat mich der Trainer gefragt, ob ich nicht ins Tor gehen würde. Das kam mir entgegen. Ich hatte sowieso nie so viel Lust zum Laufen, habe ich auch heute nicht. Seit seinem achten Lebensjahr ist Tim Wiese also Torwart, und womöglich würde er jetzt den Kasten von Bayer Leverkusen hüten, hätte er sich nicht Ende der 90er mit dem just bei Bayer ins zweite Glied zurückversetzten Thomas Hörster angelegt. Wiese hat die Geschichte von seinem letzten Trainingstag unter Hörster der Sportbild erzählt. Hörster wollte, dass der Keeper sich ein T-Shirt unter die Jacke zieht, Wiese wollte es nicht, Hörster drohte: Dann kannst du heimgehen. Also ist der A-Jugendliche nach Hause gegangen und nie mehr zu Bayer zurückgekehrt. Seine Berater von der Agentur Rogon haben ihm geraten, solche Geschichten nicht der Presse zu erzählen, schließlich sehe man sich immer zweimal im Leben. Wiese aber bleibt standhaft: Den Hörster konnte ich noch nie leiden, warum soll ich das nicht sagen? Jetzt muss er nur hoffen, dass Thomas Hörster nicht irgendwann Bundestrainer wird. Aber das ist noch viel unwahrscheinlicher, als dass Tim Wiese beim Rasen erwischt wird.“

Portrait Tim Wiese (1. FC Kaiserslautern) BLZ

Elisabeth Schlammerl (FAZ 31.5.) beleuchtet den Imagewandel Oliver Kahns. „Es dürfte nicht mehr in seiner Macht stehen, sich dem Röntgenblick der Öffentlichkeit ganz zu entziehen. Kahn ist in jener Welt angekommen, in der es keine Privatsphäre mehr gibt. Und er hat einiges dazu beigetragen, daß er nun dazugehört zum Kreis der deutschen Skandal-Prominenz. Er steckt in einer Schublade mit Dieter Bohlen und anderen Superstars, gibt sein Manager Ludwig Karstens zu. Die Weichen dazu hat der 34 Jahre alte Welttorhüter im Sommer 2001 gestellt. Bis dahin hat er nicht zum Medienereignis getaugt, weil ein bißchen mehr dazugehört als nur glänzende Paraden. Er galt als zu brav, zu bieder, zu langweilig. Ein Mann ohne Skandalgeschichten, einer, der nur seinen Sport im Kopf hat. Aber gerade deshalb hat sich Uli Hoeneß gut vorstellen können, daß Kahn 2006 seine Nachfolge als Manager beim FC Bayern antritt. Irgendwann im Urlaub nach dem Champions-League-Sieg hat Kahn offenbar beschlossen, sein Image zu ändern. Jedenfalls behauptet er, daß es seine Idee war und nicht die eines Imageberaters. Es haben einfach nur menschliche, natürliche Entwicklungen bei mir stattgefunden. Er erschien mit Trendfrisur zum ersten Training, bald darauf mit flippigen Klamotten, und dann wurde er schon mal in Diskos gesichtet, was früher undenkbar gewesen war. Kahn, so schien es, hat nun endlich entdeckt, daß sich das Leben nicht nur auf einem 110 mal 55 Meter großen Rasenstück abspielt.“

Hart schießen

Thomas Becker (FR 31.5.) verabschiedet Michael Tarnat vom FC Bayern (und aus der Bundesliga?). „Ein Berufsleben als Notnagel: Sechs Jahre lang hat er das mitgemacht beim FC Bayern. 122 Mal trug er in der Bundesliga das Trikot der Münchner – nicht viel für einen, der 19 Länderspiele aufweisen kann. Heute, im Pokalfinale gegen Kaiserslautern, wird er vielleicht seine letzten Minuten für den FCB spielen – falls Lizarazu sich verletzt oder dann, wenn nichts mehr schief gehen kann. Ansonsten wird er da sitzen, wo er meistens saß: auf der Bank. Und er wird nicht murren, wird eher bei der Abschlussfeier wieder einer der Letzten sein. Die zwei Gesichter des Michael Tarnat: Dr. Genügsam und Mr. Party. In der Winterpause hatte Manager Uli Hoeneß dem 33-Jährigen reinen Wein eingeschenkt: Sie brauchen ihn nicht mehr. Sie holen den Rau von Wolfsburg. Der ist 21 und soll mal ein Guter werden. Im vorigen Jahr wurde das Mittelfeld runderneuert, jetzt ist die Abwehr dran: Der 21-jährige Argentinier Demichelis, noch so ein Junger, soll Linke ablösen. Für mich brach die Welt zusammen, sagt Tarnat. Er hatte auf eine Vertragsverlängerung gehofft, hat gerade ein Haus gebaut, fühlt sich noch nicht reif fürs Altenteil: Zwei, drei Jahre will ich noch spielen. Erste Liga, vielleicht England. Markus Babbel hat immer von diesem Gänsehaut-Gefühl geschwärmt. Noch hat sich niemand gemeldet, obwohl der Linksfuß ablösefrei zu haben ist. Die Eigenwerbung hält sich in Tarnatschen Grenzen: Wer mich kauft, weiß, was er an mir hat, weiß, was ich kann und was ich nicht kann. Was Tarnat kann? Hart schießen zum Beispiel.“

BLZ-Portrait Ottmar Hitzfeld

Tsp-Interviewmit Mario Basler

(30.5.)

Daniel Pontzen (Tsp 30.5.) widmet sich dem Karriereanfang Ottmar Hitzfelds. „Es hätte ja nun auch Werner Hofstetter sein können am anderen Ende der Leitung. Damals, in der unruhigen Zeit. Ottmar Hitzfeld saß in seinem Wohnzimmer und hatte Angst, jedes Mal, als das Telefon klingelte in jenem Winter. Der Präsident war unberechenbar. Einmal hatte er ihn nach einem Spiel gewürgt, dann hatte er ohne Hitzfelds Wissen drei Spieler verpflichtet. Ottmar Hitzfeld fürchtete die Launen des Mannes, der dem Schweizer Fußballklub SC Zug vorstand. Damals, vor zwei Jahrzehnten, als Hitzfeld zum ersten Mal Trainer war. „Man kann nie wissen“, sagt Hitzfeld, „wenn so ein Präsident durchdreht, dann fliegst du als junger Trainer, und alle nehmen das wahr.“ Beinahe, glaubt Hitzfeld, wäre damals seine Trainerkarriere vernichtet worden, ehe sie richtig begonnen hatte – damals, im Winter 1983/84, beim SC Zug, zweite schweizerische Liga. Zum Glück hatte Hofstetter, ein Bauunternehmer mit 18-Stunden-Tag, Wichtigeres zu tun, als Hitzfeld zu entlassen. Also blieb er Trainer. Und ab Sonnabend könnte er der erfolgreichste Trainer sein, den Deutschland je hervorgebracht hat. Wenn sein FC Bayern München das DFB-Pokalfinale gegen Kaiserslautern (19.30 Uhr/live in der ARD) gewinnt, wäre es Hitzfelds 16. Titel – einer mehr, als Udo Lattek gewonnen hat, der rotköpfige Pensionär, der mal den FC Barcelona trainierte und der ihm schon den Rücktritt nahe gelegt hatte. Im Herbst 2002 war das, der FC Bayern hatte gerade den sportlichen Totalschaden erlitten, das Aus in der ersten Runde der Champions League, und Hitzfeld war schnell als Teilschuldiger ausgemacht. Er sah damals blass aus, ausgemergelt, die Furchen hatten sich noch tiefer in sein Gesicht gegraben. Es war seine schwierigste Zeit, seit er vor knapp zwölf Jahren in Dortmund in der Bundesliga begonnen hatte. Viele glaubten, er würde an dem Druck zerbrechen. Ein halbes Jahr später sitzt Ottmar Hitzfeld, 54, in einem Speisezimmer am Münchner Vereinsgelände vor Schweinebraten und Kartoffelknödel. Aus dem Fenster kann er auf die riesigen Trainingsplätze schauen. Er hat den obersten Knopf seines Hemdes geöffnet und nippt geduldig an seinem Mineralwasser. Im Vergleich zum Herbst wirkt er, als hätte er wochenlang an einem Aufladekabel gehangen.“

Wir tragen Trainingsanzüge, er auch

Thomas Plünnecke (FTD 30.5.) porträtiert dessen Gegenüber. “Binnen kürzester Zeit avancierte er zum Liebling der Massen. Seit Karlheinz Feldkamp wurde auf dem Betzenberg kein Übungsleiter so gefeiert. Gerets genießt die Sympathie und gibt die Komplimente artig zurück. „Es ist für mich eine Ehre, in Kaiserslautern Trainer zu sein. Wir haben hier den Himmel auf Erden. Der Klub hat es nicht verdient, so weit unten zu stehen.“ Gerets und der 1. FCK – da haben sich zwei gefunden. Dabei war der Anlauf auf dem Rasen ziemlich holprig. Über die Hälfte der ersten 16 Pflichtspiele wurden vergeigt. Gerets war der Verzweiflung nahe: „Ich war es nicht gewohnt, so oft zu verlieren.“ Vorstandsboss René C. Jäggi blieb der Frust nicht verborgen: „Er hat damals an sich gezweifelt. Es hat richtig an ihm genagt.“ Jäggi erstickte die vom Aufsichtsrat angezettelte Palastrevolution und verband das eigene Schicksal mit dem des Trainers. „Da ist etwas entstanden, das erst beruflich war und jetzt privat weitergeht“, sagt Gerets. „Freundschaft.“ Mario Basler würde den Belgier am liebsten in die Wüste schicken – damit er auch bei seinem künftigen Brötchengeber in Katar unter ihm die Stollenschuhe schnüren kann. „Wir sind Brüder im Geiste“, witzelt Basler und ergänzt: „Gerets gibt allen das Gefühl, dass er mit der Mannschaft auf einer Stufe steht. Er ist einer von uns. Wir tragen Trainingsanzüge, er auch.“ Der Fußballlehrer ist kein Zampano. „Ich habe sehr gerne ein gutes Verhältnis zu meinen Spielern“, sagt er. „Ich liebe es, wenn sie sich wohl fühlen und viel lachen.“ Den Schlüssel dazu sieht er im Dialog.“

Gewaltige Kulisse für Machtdemonstrationen des Nationalsozialismus

Stefanie Kneer (FR 30.5.) berichtet den Stand der Umbauarbeiten im Berliner Olympiastadion. „Sport, Sport, Sport – dafür wurde das Olympiastadion gebaut! Während dieser Satz ertönt, flimmern bunte Bilder über die Leinwand im Haus des Deutschen Sports. Hertha BSC gewinnt ständig gegen Anorthosis Famagusta; Paul Breitner trifft fortwährend im Weltmeisterschaftsspiel gegen Chile; und Jesse Owens holt laufend vier Goldmedaillen. Die Ausstellung zur Modernisierung des Berliner Olympiastadions zeigt die große Vergangenheit; die Zukunft lauert in Form von Computeranimationen gleich nebenan; und die Gegenwart ist nur zehn Minuten zu Fuß entfernt. Die Baustelle Olympiastadion, am Samstag Spielort für das DFB-Pokal-Finale, verbindet Gestern mit Morgen. Würden nicht sieben Kräne wie eiserne Antennen in den Berliner Himmel ragen, würde draußen keiner merken, dass im Olympiastadion etwas vor sich geht. Denn von außen präsentiert sich die Arena immer noch als monumentales Bauwerk wie 1936, als sich 3956 Athleten zu den elften Olympischen Sommerspielen in Berlin versammelten. Dafür war das Stadion damals in 27 Monaten auf dem Gelände des Reichssportfeldes erbaut worden, als gewaltige Kulisse für Machtdemonstrationen des Nationalsozialismus. Noch heute wirkt das Stadion erdrückend, einschüchternd.“

Gewinnspiel für Experten

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

119 queries. 1,030 seconds.