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Jürgen Schwier Oliver Fritsch – Fußball, Fans und das Internet

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Jürgen Schwier Oliver Fritsch – Fußball, Fans und das Internet

Medienöffentlichkeit von unten

Die Annahme, dass das World Wide Web des Internet längst zur Welt der Fußballfans gehört, bedarf wohl noch immer einer eingehenden Erläuterung. Jedenfalls zählt die kompetente Nutzung moderner Informationstechnologien kaum zu den allseits bekannten Elementen des öffentlichen Images obsessiv Fußballbegeisterter. Nicht zuletzt die erfindungsreichen Fangesänge und Sprechchöre in den Stadien, die gewalttätigen Auseinandersetzungen am Rande des Spiels sowie schillernde Kleidungs-, Feier- und Reiserituale bestimmen nach wie vor die Wahrnehmung der Fußballfankultur durch die Massenmedien und die Mehrzahl der Menschen in unserem Land. Die genannten Praktiken scheinen auf den ersten Blick jedenfalls weitaus spektakulärer und unterhaltsamer zu sein als die Gestaltung einer fußballbezogenen Fanpage, eines E-Fanzines, einer Webseite zum Thema Groundhopping oder einer Protestkampagne im World Wide Web des Internet. Im Rahmen des Kampfes um die im Medienzeitalter äußerst knappe Ressource Aufmerksamkeit spielen derartige Online-Aktivitäten jedoch eine besondere Rolle. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Popularisierung von Anliegen der Fußballfans als auch für deren kommunikative Selbstdarstellung und etwaige Solidarisierungseffekte. Das Internet erweitert dabei grundsätzlich die Handlungsspielräume des Fantums. Die eigene Leidenschaft für einen Verein und die Wahrnehmung bestimmter Ereignisse oder Prozesse im kommerzialisierten Fußballsport kann nun prinzipiell mit hoher Verbreitungs- und Veränderungsgeschwindigkeit mit einer weltweiten Gemeinschaft geteilt werden. Aus der Sicht der Autoren spricht ferner einiges dafür, dass sich die Nutzung der digitalen Medien und die „Vernetzung“ bestimmter Gruppen von Fußballanhängern zugleich als Symptom und als Motor für Wandlungstendenzen der Fankultur interpretieren lässt.

Einzelne Fraktionen der Fußballfanszene nutzen seit einigen Jahren die neue Technologie des Internet, um mittels eigener Websites, E-Zines oder über Newsgroups quasi eine Medienöffentlichkeit „von unten“ herzustellen, mit Gleichgesinnten in Kontakt zu kommen sowie für ihre Interessen und Vorstellungen zu werben. Am Beispiel der bundesweiten Medienpräsenz und Re­sonanz der Online-Faninitiative pro15:30 zeigte sich spätestens im Jahr 2001, dass das World Wide Web inzwischen auch im Feld des Sports zu einem wichtigen Medium der Protest-Kommuni­kation geworden ist. Mit derartigen digitalen Medienerzeugnissen oder Initiativen werden engagierte Sportkonsumenten zu (Text-) Produzenten, können kostengünstig viele Menschen erreichen sowie die Interaktions- und Mobilisierungsbereitschaft in der Fanszene fördern. Offensichtlich verbinden einige Fangemeinschaften mit ihren Online-Aktivitäten die Hoffnung, die im Zuge der globalen Durchkapitalisierung des Fußballsports aufgetretenen Entfremdungstendenzen zwischen Anhängern und Vereinen bzw. Spielern zu verringern oder sogar die aktuell gegebene Kräftekonstellation im professionellen Fußball herauszufordern und über den Aufbau einer eigenen „Pressure Group“ zumindest einen Teil des verlorengegangenen Einflusses der Fans zurückzugewinnen. In diese Richtung weisen unter anderem von deutschen und englischen Fußballanhängern verfolgte Projekte, für die Parolen wie „Kein Kick ohne Fans“, „Holt Euch das Spiel zurück“, „Dem Ball is´ egal wer ihn tritt“, „Football against Racism in Europe (FARE)“ oder „Stand up for Football“ charakteristisch sind.

In dieser Perspektive deutet die vorliegende Studie die häufig auf Rückkopplung angelegten Online-Inszenierungen der Fußballanhänger im World Wide Web nicht zuletzt als ein ebenso ernsthafter wie spaßorientierter Versuch, mit der scheinbar unaufhaltsamen Internationalisierung des Fußballmarktes und der Digitalisierung des Mediensports noch einigermaßen Schritt zu halten. Damit gerät ferner das dialektische Verhältnis zwischen der (Definitions-) Macht des Sport- und Mediensystems und der semiotischen Macht der Akteure bzw. deren Protestpotenzial in den Blick.

Das Buch beschäftigt sich mit den eigenständigen Internetauftritten und -projekten von Fans sowie den damit verbundenen virtuellen Taktiken, Handlungsmotiven und Wertvorstellungen. Während vor allem das gewalttätige Verhalten von Fußballanhängern aus durchaus nachvollziehbaren Gründen den Fokus der sportwissenschaftlichen Fanforschung in Deutschland bildet, stehen hier also eine neuartige mediale Praxis und die durchaus kreativen Aneignungsprozesse der Fußballfankultur im Mittelpunkt des Interesses. Hinreichende Antworten auf die Frage, warum Menschen den professionellen Fußballsport zum zentralen Element ihrer Freizeitgestaltung machen, sind also genauso wenig zu erwarten, wie eine zufriedenstellende Erklärung des Hooliganismus. Demgegenüber versucht die Studie zu beschreiben, (a) welche auf den Fußballsport bezogenen Sichtweisen, Meinungen und Botschaften auf den Webseiten von Fans präsentiert werden sowie nachzuzeichnen, (b) welche Möglichkeiten des kulturellen Ausdrucks und des Vergnügens die internetgestützten Formen des Fantums bieten.

Vor diesem Hintergrund vollzieht sich die Annäherung an den Gegenstand der Untersuchung in mehreren Schritten. Die einführenden Ausführungen zu den kulturellen und ökonomischen Aspekten des modernen Fußballsports sowie zum Komplex des Mediensports bilden gewissermaßen eine Hintergrundfolie für die weitere Argumentation. Unter Berücksichtigung der neuen medialen Darstellungsformen und der interaktiven Option des „Cybersports“ diskutiert ein weiteres Kapitel ausgewählte wissenschaftliche Befunde zu den Inszenierungen des Sports im Internet und stellt die eigene methodische Vorgehensweise dar.

Mit Blickrichtung auf die Rolle von Medien für die Entwicklung von Subkulturen wird anschließend das relativ junge Phänomen der sogenannten „Post-Fans“ bzw. der kritischen Fußballfans skizziert. Das fünfte Kapitel ist dann der Ausbreitung, den Inhalten und Botschaften der (Print-)Fanzines der neunziger Jahre gewidmet, da diese selbst hergestellten Medienerzeugnisse einerseits das zuvor genannte neue Fantum repräsentieren und andererseits quasi als „Vorläufer“ der sich schnell verändernden digitalen Fußballfankultur anzusehen sind.

An die Ausführungen zur fußballorientierten Fanzine-Bewegung schließt im sechsten Kapitel die Beschreibung und Einordnung ausgewählter Online-Inszenierungen an, wobei aus Gründen einer notwendigen Begrenzung der digitalen Datenflut nur drei Typen von Webseiten berücksichtigt werden. Dabei handelt es sich um die Online-Versionen von Fußball-Fanzines sowie vereinsgebundene und vereinsübergreifende Faninitiativen. Abschließend erfolgen dann eine vergleichende Analyse dieser Objekte der Online-Fankultur sowie eine bilanzierende Interpretation der Ergebnisse.

Jürgen Schwier Oliver Fritsch (2003). Fußball, Fans und das Internet. Baltmannsweiler: Schneider (13 €). Bezug bei amazon.

Jürgen Schwier ist Professor für Sportsoziologie in Gießen und Leiter der if-Rubrik Nachschuss, Oliver Fritsch ist Gründer und Leiter des indirekten freistosses.

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