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„Samba, Coca und das runde Leder“ – drei stereotype lateinamerikanische Leidenschaften

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für „Samba, Coca und das runde Leder“ – drei stereotype lateinamerikanische Leidenschaften

Der britische Journalist Chris Taylor hat auf seinen „Streifzügen durch das Lateinamerika des Fußballs“, so der Untertitel des Werks, eine gelungene Mischung aus Fakten und Anekdoten zusammengetragen. Nach einer kurzen Einführung folgen einzelne Länderkapitel (Uruguay, Argentinien, Brasilien, Bolivien, Kolumbien, Nicaragua und Mexiko). Das Buch beruht auf Besuchen dieser Länder in den Jahren 1995-1997, in denen der Autor offensichtlich die Möglichkeit nutzte, sich mit vielen Zeitzeugen zu unterhalten. Zu jedem Land wird ein kurzer Einblick in die Geschichte des Fußballs, zur Entstehung von Vereinen und Ligen gegeben. Dabei wird Taylor niemals müde, die britischen Ursprünge des lateinamerikanischen Vereinsfußballs zu betonen. Ausgewählte Clubs und Rivalitäten (z.B. River/Boca in Argentinien oder Flamengo/Fluminense in Brasilien) werden gesondert vorgestellt. Er lässt große Erfolge der Nationalmannschaften Revue passieren (etwa Uruguays historischer Triumph über Brasilien in Maracanã im WM-Finale 1950), porträtiert bedeutende Trainer- und Spielerpersönlichkeiten (u.a. Carlos Billardo, Zico) und geht auf länderspezifische Eigenheiten ein. Sehr erfreulich ist dabei, dass sich sein Blick nicht ausschließlich auf den Fußball richtet, sondern dass auch Verbindungen zu Politik, Wirtschaft und Gesellschaft geschlagen werden. So beleuchtet Taylor beispielsweise die umstrittene WM von 1978, die in Argentinien zur Zeit der Militärdiktatur stattfand; er zeigt welche Folgen der Einfluss des Medienkonzerns Televisa auf den mexikanischen Fußball hat und deckt die Verquickungen der kolumbianischen Drogenkartelle mit dem Fußball auf. Weiterhin geht er der Frage nach, inwiefern die (geographische) Höhe Boliviens insbesondere den Fußball der Mannschaften beeinflusst, die nicht aus dem Hochland stammen, und erklärt, warum Lateinamerikas Volkssport Nummer Eins ausgerechnet in Nicaragua so gut wie bedeutungslos ist. Abschließend wirft er einen Blick auf den Verlauf der Qualifikationsrunde zur WM 1998 in Frankreich. Dies ist leider auch die einzige Gelegenheit, bei der wenigstens ansatzweise etwas über den Fußball in Chile, Peru oder Paraguay berichtet wird. Dennoch, ein gut recherchiertes und kompetentes Buch, erfrischend und unterhaltsam geschrieben, das ab und zu auch eine Portion Humor durchscheinen lässt („Argentinier haben im Rest Lateinamerikas ein kleines Imageproblem“).

Die britische Herkunft des Autors merkt man dem Inhalt des Werks an, wird doch des öfteren auf das lateinamerikanisch-englische Fußballverhältnis eingegangen. Diese Tatsache, die allerdings kaum stört, wird versucht in der deutschen Übersetzung durch nicht wirklich sinnvolle Fußnoten à la „Carlos Babington spielte einst bei Wattenscheid 09 in der 2. Bundesliga“ wettzumachen, was allerdings auch nur halbherzig und inkonsequent ausgeführt wird. Trotzdem, ein nettes Lesebuch, an dem nicht nur hartgesottene Fußballfans Gefallen finden dürften.

Jörn Fischer

Chris Taylor: Samba, Coca und das runde Leder. Streifzüge durch das Lateinamerika des Fußballs, Schmetterling Verlag, Stuttgart 1998, 224 Seiten, 9,80. Bezug

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