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Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Sonstiges

“Hand Gottes segnet Aachen” (FTD); „hat sich die Alemannia nach Berlin gebaggert?“ (FAZ) – Real Saragossa besiegt Real Madrid in „dramatischem, hochklassigem, in hohem Rhythmus absolvierten und schönstem Endspiel der Copa del Rey seit vielen Jahren“ (NZZ) – Fifa verbietet Brasilianern, das Trikot Katars zu tragen u.v.m.

Hat sich die Alemannia nach Berlin gebaggert?

Roland Zorn (FAZ 19.3.) berichtet den Aachener Sieg: „Vom Rasen des Tivoli-Stadions aus ließen die Profis um Karlheinz Pflipsen, Ivo Grlic und Erik Meijer die Welle durch eine altertümliche Arena rauschen, in der eine Seligkeit herrschte, wie sie nur selten an den High-Tech-Standorten der Bundesliga zu finden ist. Aachen und der mit 20 400 Zuschauern ausverkaufte Tivoli aber sind seit Jahr und Tag Synonyme für vergebliche Leidenschaft, also für Zweitklassigkeit mit Herz. Seit Mittwoch scheint in der Stadt an der Grenze zu den Niederlanden und Belgien alles anders. (…) Während sich in Aachen bis zum Morgengrauen Hochstimmung wie im Karneval verbreitete, reisten die Borussen mit einem schweren Kater ins sechzig Kilometer entfernte Mönchengladbach zurück. Da war zum einen der Ärger über zwei Aachener Handspiele kurz vor dem Ende der spielerisch schwachen Partie. Konnte man über Meijers Kontakt mit dem Ball noch diskutieren, packte Innenverteidiger George Mbwando derart beherzt zu, daß sich der Gladbacher Sportdirektor Christian kaum beruhigen mochte: Das ist Volleyball, was da gespielt wurde. Hat sich die Alemannia nach Berlin gebaggert? Holger Fach, der Mönchengladbacher Trainer, hielt sich bei seiner Ursachenforschung nicht allzulange an dem nicht geahndeten Aachener Blackout auf. Der Coach ging den Ursachen der auch in der Bundesliga schon wochenlangen Misere seines Teams lieber schonungslos auf den Grund: Man muß den Eindruck haben, daß wir nicht genug Kerle in der Mannschaft haben“.“

Darum kommen die Leute – und müssen nicht nur von Maradona reden

Bernd Müllender (FR 19.3.) ergänzt: „Aachens Simbabwer George Mbwando hatte den Ball deutlich sichtbar im Torraum mit weit ausgestreckter Hand weggeschlagen, als wäre er Heiner Brand zu seinen besten Zeiten. Fach wollte sich darüber nicht weiter beklagen, man habe selbst genügend Chancen vorher gehabt. Hochstätter kochte: Da geht es um Arbeitsplätze und Millionen. Da sehen 21 000 Menschen das Handspiel, nur einer nicht, der Schiedsrichter. Das ist eine Farce, ein Unding. Das war Volleyball, kein Fußball. Referee Edgar Steinborn hatte eine krude Logik: Ich habe das Handspiel gesehen, es aber als nicht absichtlich bewertet. Der Pokal, oft unterschätzt, ist ein wahrer Alleskönner. Die einen saniert er (Aachens Trainer Jörg Berger: Hier ist ein Wunder passiert), die anderen ruiniert er womöglich psychisch. Er macht Hände zu Füßen, egalisiert Hand- und Volleyball. Und er verhindert selbst bei Siegern großes Glück. Aachens Karlheinz Pflipsen hatte vor Monaten schon für Pfingsten seine Hochzeit terminiert, genau wie Kollege Dennis Brinkmann. Wer denkt schon an so was? sagte der Kapitän und bekannte sich zum Versäumnis, vor der Saison eine Uefa-Cup-Prämie auszuhandeln. Und George Mbwando, der Volleyhandballer? Irgendein Reflex, sagte er, habe ihn zum Ball tatschen lassen. Ehe ihn ein Spontaninfarkt über das Deppentum des Jahres hätte ereilen können, sagte er, habe ich schnell geguckt und gesehen: Das Spiel geht ja weiter. Und Mbwando wurde albern: So macht Fußball doch Spaß. Darum kommen die Leute. Und müssen nicht immer nur von Maradona reden. Eine Hand Gottes hat also auch der Diego vom Tivoli.“

Christoph Biermann (SZ 19.3.) ergänzt: „Was denkt ein Fußballspieler, wenn er im Halbfinale des DFB-Pokals nur wenige Momente vom Einzug ins Endspiel entfernt einen knappen Vorsprung verzweifelt verteidigt? Was geht ihm durch den Kopf, wenn ihn nur noch ein paar abgewehrte Bälle vom Höhepunkt seiner Karriere trennen? Wenn er dann sieht, dass ein Mitspieler im eigenen Strafraum den Ball mit der Hand spielt? Und nur der Schiedsrichter es nicht mitbekommt. Denkt er in solchen Momenten zugespitzter Dramatik überhaupt noch irgendetwas? „Soll ich mal sagen, was mir in den letzten beiden Minuten durch den Kopf gegangen ist, fragte Willi Landgraf, 35, der ewige Zweitligaspieler und tapfere Kämpfer in den schwarz-gelben Farben von Alemannia Aachen. „Also, das ist kein Witz, ich hab mich gefragt, wie ich die ganzen Karten fürs Finale zusammenbekommen soll und dass es deshalb mit meinen ganzen Kumpels nur Ärger geben wird. Landgraf musste lachen, dann schaute er verträumt in die beseelten Gesichter der Zuschauer auf den Rängen, die gar nicht nach Hause gehen wollten. Es war dort ein ungläubiges Jubeln wie schon gegen München 1860 und den FC Bayern. Die Vervollständigung des Tryptichons vom Aachener Fußballwunder.“

Stefan Hermanns (Tsp 19.3.) beschreibt den Geldsegen für Aachen: „In solchen Momenten kann man leicht vergessen, dass die Geschichte der vergangenen drei Jahre eine umfassende chronique scandaleuse gewesen ist. Eine, die von Lug und Betrug erzählt, von einem Schatzmeister, der wegen Steuerhinterziehung in Untersuchungshaft saß, einem Präsidenten, der nach 100 Tagen aus dem Amt geflüchtet ist, einem Spieler, der gedopt war, und von Fans, die den gegnerischen Trainer auf dem Tivoli mit Eisennägeln beschmissen haben. „Gestern noch Skandale“, stand auf einem Transparent, „heute dann das Halbfinale.“ Die Geschichte könnte damit enden, dass die Alemannia demnächst im Europacup spielt. Wenn der Finalgegner Werder Bremen sich für die Champions League qualifiziert, dürfen die Aachener in der nächsten Saison auf jeden Fall im Uefa-Cup antreten. Selbst ohne die Teilnahme am Europacup hat der Verein im Pokal inklusive Finale vier Millionen Euro eingenommen und damit seine bedrohliche Schuldenlast getilgt. Auf 3,9 Millionen Euro hatte sich der Fehlbetrag summiert, nachdem die Steuerfahndung die Buchführung eingehend geprüft hatte. Der Verein überlebte nur, weil die Finanzbehörde einer Stundung der Steuernachzahlungen zustimmte. Wiederum ein halbes Jahr zuvor haben die Spieler sogar mit Sammelbüchsen in der Aachener Fußgängerzone gestanden, um ihren Arbeitgeber zu retten.“

Die Mittelklasse stirbt aus

Ronald Reng (taz 19.3.) befasst sich mit der Lehre, die Real Madrid aus der Niederlage im Pokalfinale ziehen sollte: “Eine Elf, dafür geschaffen, alles zu gewinnen, ist in der Mittwochnacht in Barcelona menschlich geworden. Die 2:3-Niederlage nach Verlängerung gegen das bescheidene Saragossa in einem epischen Pokalfinale um die Copa del Rey beweist zunächst einmal nur, dass auch Galaktische, wie Reals Spieler gerne gerufen werden, schlechte Tage haben. Doch gleichzeitig taucht die Frage auf, ob die Idee von Reals Präsident Florentino Pérez wirklich funktionieren kann: eine Fußballelf zu kreieren, wie man sie noch nie gesehen hat. Der erfolgreichste Klub der Welt jedenfalls spielt in den kommenden Wochen in der spanischen Meisterschaft und Champions League nicht nur um die zwei verbliebenen Trophäen, sondern um die Behauptung des ganzen verwegenen Projekts. Im Ausland wird ja meist nur die eine, die glamouröse Seite von Pérez Unternehmen gesehen: all die hellsten Sterne des Fußballs in ein Team zu stecken, Zidane, Beckham, Figo, Ronaldo. Die zweite, risikoreiche Richtlinie, die der Präsident Trainer Carlos Queiroz vorgegeben hat, besagt, den Rest des Teams radikal mit Jungen aus Reals eigener Nachwuchsschule aufzufüllen. Vier kamen im Pokalfinale zum Einsatz, meist sind es fünf oder sechs. Es ist das Unternehmen eines gelernten Bauingenieurs, der glaubt, eine Fußballelf wie ein Haus konstruieren zu können – mit sturer Logik und Geradlinigkeit, und bislang konnte man nur staunen, wie erfolgreich das einmalige Konzept von Bauunternehmer Pérez in dieser Saison funktionierte: Mit seiner galaktischen Offensivreihe und Verteidigern wie Álvaro Mejía, der Schwierigkeiten hätte, bei Hansa Rostock in die erste Elf zu kommen, oder Raúl Bravo, der letzte Saison bei Leeds auf der Bank saß, führt Real die Liga mit vier Punkten Vorsprung an und steht im Champions-League-Viertelfinale. Dann wurde es Mittwoch – und es ist nicht opportunistisch zu sagen: Irgendwann musste es so kommen. (…) Beim AC Mailand sitzen Weltklassespieler wie Rui Costa auf der Auswechselbank, bei Arsenal London Denis Bergkamp; aber Queiroz, der angeblich das bestbesetzte Team der Welt hat, musste Javier Portillo einwechseln; den einzigen Ersatzangreifer, den er hat. Der 21-Jährige trat dann auch auf wie erwartet: überfordert. Die Mittelklasse stirbt aus bei uns, ich bin der Letzte im Team, sagt Santiago Solari, Queiroz einziger solider Ersatzmann, der deshalb quasi immer spielt, wenn sich eine Stammkraft verletzt, egal auf welcher Position. In der Tiefe der Nacht suchte Präsident Pérez jedoch erst einmal profanere Gründe für die Niederlage: Dieser Pokal mag uns einfach nicht. Schon seit elf Jahren entschlüpft die Copa del Rey dem neunmaligen Europacupsieger hartnäckig. Vielleicht war auch der Mittwoch nur ein Aussetzer in einem für Real verfluchten Wettbewerb. Vielleicht war es aber auch der Anfang vom Ende eines bewundernswerten Projekts.“

Georg Bucher (NZZ 19.3.) ist angetan: „Knapp eine Woche nach den Attentaten in Madrid hatten die Fiesta-geneigten Spanier den traurigsten Final der Cup-Historie erwartet. Doch nach 120 dramatischen, bisweilen hochklassigen und durchwegs in hohem Rhythmus absolvierten Minuten sprachen Kommentatoren vom schönsten Endspiel der Copa del Rey seit vielen Jahren. (…) Victor Muñoz hob indessen den Siegeswillen und die Qualität seiner Spieler hervor. Innert zwei Monaten hat der ehemalige Trainer von Villarreal und Spieler des FC Barcelona aus dem Abstiegskandidaten Saragossa ein homogenes, von Komplexen befreites Team geformt.“

Roland Zorn (FAZ 19.3.) begrüßt das Verbot der Fifa, Ailton und Co das Trikot der Nationalelf Katars zu tragen: „Die Fifa hat eine überfällige Entscheidung getroffen, die auch dazu dient, das unverwechselbare Gesicht ihrer Weltmeisterschaften zu schützen. Der Vielvölkerbasar zum Einkauf dringend gesuchter Nationalspieler ist geschlossen. Ailton sei Dank, denn ohne den Medienhype um den Scheich vom Deich wären die Nationalverteidiger aus Zürich kaum auf die Idee gekommen, den Expansionsdrang daheim übersehener, aber woanders womöglich blitzartig eingebürgerter Profis einzudämmen. Der Fußballverband Togos schaffte es zuvor immerhin noch ohne Einspruch, dreizehn Brasilianer mit Pässen auszurüsten. Togo do Brasil: So hoffen sie in diesem westafrikanischen Land, die Welt des Fußballs erobern zu können. Ailton und Dede, der Dortmunder, aber müssen sich ohne weitere grenzwertige Bonuszahlung damit bescheiden, exzellente Botschafter brasilianischer Fußballkunst in Deutschland zu bleiben. Auch das ist ein fürstlich honorierter Job, der, existentiell gesehen, keines Topzuschlags unter brennender Wüstensonne bedarf.“

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