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Themen: “Schieber” Beckenbauer – TV-Tipp: Finale 54 in bunt – die kritische Lage beim Traditionsklub VfB Leipzig – der deutsche Gegner vom Sonntag: Kanada

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Themen: “Schieber” Beckenbauer – TV-Tipp: Finale 54 in bunt – die kritische Lage beim Traditionsklub VfB Leipzig – der deutsche Gegner vom Sonntag: Kanada

Thomas Kistner (SZ 30.5.) kann es nicht fassen. „Geht es um Fußball, gar um die nationale Lichtgestalt, rutscht hier zu Lande manchem professionellen Betrachter (und auffallend vielen gesellschaftlichen Würdenträgern) der Verstand schnurstracks ins Kniegelenk. Das lässt sich dann leichter beugen vor dem Kaiser des Ballsports. So wird auch Beckenbauers jüngster Fauxpas lächelnd als Folklore abgetan. Einer, der jedem anderen größtes Ungemach eingetragen hätte. Der Bielefelder Torwart Hain wird ja nun vors DFL-Sportgericht gezerrt, weil er im Bundesliga-Endspurt letzte Woche einen Mauschelei-Verdacht geäußert hatte, der zwar gewagt, doch nicht völlig aus der Luft gegriffen war. Zugleich erzählte in jener Woche, die im Zeichen von Berichten über Schiebung im Abstiegskampf stand, der oberste deutsche Fußballrepräsentant locker, wie er mit seinen Bayern-Kollegen einstmals selbst a bisserl den sportlichen Wettbewerb verzerrt hatte; damals habe man dem Rivalen TSV 1860 nicht schon wieder bei der Meisterfeier zuschauen wollen. Nicht mehr zu klären und nicht so wichtig ist, was damals wirklich ablief. Peinlich ist diese Schenkel klopfende Mentalität, mit welcher der Sachverhalt weggesteckt wird. Der bizarre Generalfreispruch, Beckenbauer wisse oft selbst nicht, was er so sagt, darf nicht überstrapaziert werden.“

Eine neue Perspektive auf den Mythos

Bernd Dörries (SZ 30.5.) hat einen TV-Tipp. „Das Land war jung und hatte nichts, außer seiner Vergangenheit, die es vergessen wollte. Weil Nationen Mythen brauchen, um zu entstehen und sich zu festigen, wurde die gewonnene Weltmeisterschaft 1954 ein solcher Gründungsmythos. Und es passte irgendwie ins Bild, dass es von dem Endspiel, das für manche der eigentliche Gründungsakt der Republik war, bisher nur Schwarz-Weiß-Aufnahmen gab: Da kämpften sie im Wankdorfstadion zu Bern, Schwarz gegen Weiß, im Schlamm und im Regen, holten einen 0:2 Rückstand auf und siegten schließlich mit 3:2 Toren. Und die junge Republik fand in die Welt zurück und zu neuem Wohlstand. Überliefert wird der Mythos in Schwarz-Weiß- Bildern der Wochenschau. Natürlich treffen sie auch in Farbe: Rahn schießt. Der Ball fliegt ins Netz. Man kannte das entscheidende Tor, unterlegt mit der Stimme des Radio kommentators Herbert Zimmermann. Doch wer hatte dabei im Sinn, dass der Rasen des Wankdorfstadions grün, die Trikots der Ungarn rot und der Himmel über Bern grau-blau war? Alle bisher bekannten Filmaufnahmen des Finales sind eben in Schwarz-Weiß gedreht. Die Kölner Produktionsfirma AZ Media hat nun zwei farbige Minuten des WM-Endspiels ausfindig gemacht, die von der ARD am morgigen Samstag im Anschluss an das DFB-Pokalfinale in Berlin gezeigt werden. Zwei Minuten nur von neunzig, vier der fünf Endspieltore, gefilmt von einem unbekannten Schweizer Kameramann, der von der Eckfahne aus drehte. Aber in Farbe. Eine neue Perspektive auf den Mythos.“

Bitter, dass der Verein ausgerechnet im Jubiläumsjahr so schlecht dasteht

Zur kritischen Lage beim VfB Leipzig teilt Dominik Fehrmann (SZ 30.5.) mit. „Wenig ist überliefert vom ersten Endspiel um die deutsche Fußballmeisterschaft am 31. Mai 1903 in Hamburg- Altona. Ein paar Namen und Zahlen. Und eine Erklärung für den Ausgang des Spiels. Demnach verdankte der VfB Leipzig den Sieg an diesem Tag vor allem seiner Enthaltsamkeit. Denn während die Gegner vom DFC Prag am Vorabend den Reizen des Hamburger Nachtlebens erlagen, gingen die Leipziger früh zu Bett und besiegten die kraftlosen Männer von der Moldau tags darauf 7:2. Es war wohl dieser Geist, den Leipzigs Oberbürgermeister Tiefensee zuletzt beschwor, als er – kaum war die Stadt zum Olympia-Kandidaten gekürt – von den Leipziger Fußballvereinen „olympische Anstrengungen“ forderte, um ihre Sportstadt endlich wieder zu einer Fußballhochburg zu machen. Doch zumindest beim VfB Leipzig ist der Appell nicht richtig angekommen. Die Mannschaft verpasste wieder einmal den angestrebten Aufstieg in die Regionalliga, der erste deutsche Fußballmeister bleibt Oberligist. „Es ist schon bitter, dass der Verein ausgerechnet im Jubiläumsjahr so schlecht dasteht“, sagt Karl Drößler. Und der Vorsitzende des VfB-Ehrenrats meint nicht nur die sportliche Leistung. 100 Jahre nach dem Eintrag in die Geschichtsbücher des Sports macht der VfB Leipzig vor allem durch Finanzprobleme und Personalquerelen von sich reden. Dabei wäre die Gelegenheit zum Aufbruch in bessere Zeiten günstig wie lange nicht. Mehr als zehn Jahre nach der Wende schwappt eine zweite Welle von Zuversicht durch Leipzig. Gleich bei mehreren Großprojekten hat sich die Stadt gegen namhafte Konkurrenten durchsetzen können: Die Ansiedlung von BMW, die Austragung von Spielen der Fußball-WM 2006, schließlich die Olympia-Kandidatur für 2012 – und mit dem Selbstvertrauen wachsen neue Sportstätten: eine hochmoderne Großsporthalle, und gleich daneben, inmitten der Schüssel des alten Zentralstadions, entsteht eine elegante Fußballarena für 45.000 Zuschauer. Da wäre es doch gelacht, wenn hier nicht schon bald Champions-League- Fußball zu sehen wäre: Man könne das neue Stadion auch einer frostgeplagten Moskauer Mannschaft für ihre Heimspiele überlassen, hat Investor Michael Kölmel vorgeschlagen. Denn dass der VfB oder ein anderer Leipziger Verein in absehbarer Zeit die Arena füllt, glaubt kaum jemand.“

Hans Joachim Leyenberg (FAZ 30.5.) meldet. „Begleitet von den besten Wünschen Franz Beckenbauers, ist Holger Obermann am Mittwoch nach Kabul geflogen. In einer konzertierten Aktion des Auswärtigen Amtes, des DFB und des Nationalen Olympischen Komitees wird eingelöst, was Bundeskanzler Schröder, vor einem Jahr flankiert von Beckenbauer, an Ort und Stelle in Kabul versprochen hatte: mit der Unterstützung des afghanischen Fußballs zugleich die Zivilgesellschaft des geschundenen Landes zu stärken. Sechs Monate lang wird Obermann, begleitet vom ehemaligen afghanischen Nationalspieler Ali Askar Lali, der sich 1981 zusammen mit Mannschaftskameraden über Iran nach Deutschland absetzte, Aufbauarbeit leisten, die nach Ende seiner Mission fortgesetzt werden soll. Hilfe zur Selbsthilfe. Die Rückkehr des Fußballs nach Afghanistan, der in der Zeit der Taliban-Herrschaft verboten war, bedeute zugleich ein bißchen Normalität, wie Lali betonte. Das Spiel mit dem Ball sei eine Möglichkeit, ethnische und Stammesgrenzen zu überwinden. Für den ehemaligen Fußballprofi und Fernsehjournalisten Obermann ist Afghanistan die 28. Station im 28. Jahr als Fußball-Entwicklungshelfer in Afrika und Asien. Nach Beobachtungen des Sechsundsechzigjährigen bei einer vorangegangenen Inspektionsreise durch das Land am Hindukusch helfe der Sport, zumal Fußball, die Folgen eines jahrzehntelangen Krieges für den einzelnen an seelischen und körperlichen Verletzungen zu verarbeiten. Er stärke das Selbstwertgefühl, kanalisiere den Bewegungsdrang der jungen Generation und gebe manchem, so pathetisch es sich anhören mag, einen Sinn fürs Leben.“

Über den sonntäglichen Gegner der DFB-Auswahl schreibt Gerd Braune (FR 30.5.). „Holger Osieck, Trainer der kanadischen Fußball-Nationalmannschaft, erwartet von seinen Spielern vor allem eines: Ich möchte, dass sie sich gut präsentieren und ein attraktives Spiel liefern. Für Kanadas Fußballer ist die Begegnung gegen das deutsche Nationalteam am 1. Juni in Wolfsburg ein Test für die kontinentale Meisterschaft von Nord- und Mittelamerika und der Karibik im Juli. Es ist das zweite Treffen der Teams: 1994 gewann Deutschland vor der WM in den USA ein Testspiel gegen Kanada 2:0. Osieck, seit Oktober 1998 Angestellter des kanadischen Fußballverbandes, hat seine Spieler seit Wochenbeginn im Trainingslager in Barsinghausen bei Hannover um sich versammelt. Dies ist eine Gelegenheit, einige Tage länger zusammen zu sein. Der Trainer hat nur wenig Möglichkeiten, seine Spieler direkt zu beobachten. Die meisten der nach Barsinghausen Eingeladenen spielen in europäischen Vereinen, darunter Paul Stalteri von Werder Bremen, Maycoll Canizalez, der Kanada-Salvadorianer, der Amateur bei Werder ist, und Julian de Guzman von Hannover 96, Daniel Imhof vom FC St. Gallen und Ante Jazic von Rapid Wien. Kanadas Nationalsport ist Eishockey. Aber der Fußballverband, die Canadian Soccer Association, ist die Sportorganisation mit den meisten registrierten Spielern: Rund 750.000 Aktive sind gemeldet. Zählt man den Schulsport dazu, gibt es nach Verbandsschätzungen zwei Millionen Fußballer. Der Hockeyverband meldet rund 500.000 registrierte Spieler, allerdings jagen einige Millionen Kanadier in der Freizeit ab und an dem Puck nach. Ungewöhnlich groß ist die Zahl der Fußball spielenden Frauen und Mädchen. Ihr Anteil an den aktiven Spielern liegt bei 38 Prozent.“

Gewinnspiel für Experten

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