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Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Themen heute

Themen heute: Hannover 96 schlägt kurz vor Toreschluss auf dem Transfermarkt gewaltig zu, was die Presse skeptisch bewertet. Fredi Bobic ´ Karriereknick. Ronaldo landet in Madrid. Hansa Rostock, Tabellenzweiter der Bundesliga. Roy Keane als Vorbild?

Zu den hektischen Transferaktivitäten von Hannover 96 bemerkt Uwe Marx (FAZ 4.9.).„Wie nennt man das, wenn ein Verein kurz vor Ablauf der Transferperiode gleich fünf neue Spieler verpflichtet: entschlossenes Handeln? Entscheidungsfreude? Oder doch besser Panikkäufe? Gerade einmal fünf Monate ist es her, da schaffte Hannover 96 den Sprung von der Zweiten in die Erste Fußball-Bundesliga. Es war eine Saison der Superlative. Die meisten Punkte, die meisten Siege, die meisten Tore – kein Aufsteiger zuvor war derart zielstrebig. Dreizehn Jahre hatten die Hannoveraner darauf warten müssen. Nun haben 270 Minuten ausgereicht, all das in Frage zu stellen (…) Die niedersächsische Kauflust kommt einem doppelten Misstrauensvotum gleich: gegenüber jener Mannschaft, die den Aufstieg geschafft hat und zu Beginn der Spielzeit für stark genug befunden wurde, den Klassenverbleib – mancher erhoffte sich gar mehr – zu schaffen; aber auch gegenüber Trainer Ralf Rangnick, der für ebendiese Einschätzung steht.“

Wolfgang Hettfleisch (FR 4.9.) bedauert und spekuliert. „Selten ist ein Neuling härter in der Realität angekommen als Hannover 96, selten sind hoch fliegende Träume so schnell geplatzt. Nichts ist mehr zu sehen von einstiger Spielkultur, kaum noch etwas zu sehen von der Souveränität des Trainers Ralf Rangnick, der ein Verfechter des modernen, intelligenten Fußballs ist. Ja, im Grunde ist der Trainer, der einst als Professor daherkam, fast schon entmachtet an der Leine. Womöglich sind auch dessen Tage gezählt (…) Bleibt eigentlich nur noch ein Trainerwechsel, dann hätte Hannover das komplette Instrumentarium der Krisenbewältigung bereits ausgeschöpft.“

Javier Cáceres (SZ 4.9.) wirft ein. „Andererseits verwunderte die Operation doch. Denn sie ist ein Novum: Noch nie hat ein spanischer Spieler der Primera División sein Land verlassen, um bei einem Bundesligisten anzuheuern. Dass spanische Profis vermehrt Länder aufsuchen, die bislang tabu waren, liegt auch daran, dass der Markt in der Heimat wie paralysiert ist(…) Die Klubs haben ihre Budgets reduziert, auch in Spanien ist die Goldader Pay-TV versiegt. In den Jahren des Booms schrieb Deportivo in den Verträgen von Jaime, Fernando und José Manuel Ablösesummen fest, die zwar schon damals Fantasiegebilde waren – aber eben auch symptomatisch für die Marktsituation: 10 Milliarden Pesetas, 62 Millionen Euro. Käufer fanden sich nie, weil man nicht mit Monopolyscheinen, sondern nur in Devisen bezahlen durfte.“

Jörg Marwedel (SZ 3.9.) über den Karriereknick Fredi Bobics. „Es ist nicht allein die Rezession, die Bobic zum „Ladenhüter“ gemacht hatte, wie einige Zeitungen spotteten. Als der Profi vor drei Jahren Stuttgart verließ, eilte ihm der Ruf des markanten Torjägers voraus. Das war der Borussia zwölf Millionen Mark wert, und Manager Michael Meier erhoffte sich „einen Typ, der die Leute mitreißt“. Tatsächlich hatte Bobic Einiges vorzuweisen: 1996 gehörte er zum DFB-Team, das in England Europameister wurde. Er war Torschützenkönig der Bundesliga gewesen und beim VfB Stuttgart Bestandteil des gefeierten „Magischen Dreiecks“ mit Elber und Balakov. Er wurde so etwas wie der erste Popstar der Handy-Generation, produzierte mit den Kumpels Haber und Poschner unter dem ironischen Namen „Das tragische Dreieck“ eine Rap-CD und ließ sich die Haare zwei Millimeter kurz stutzen. Er eröffnete zwei American Sportsbars und ging als einer der ersten Profis ins Internet. Von Matthias Sammer, dem Helden der EM in England, holte er sich „Tipps, wie man eine Führungsfigur wird“. Doch als er in Stuttgart begann, Vereinspolitik zu betreiben, sich mit dem mächtigen Boss Gerhard Mayer-Vorfelder anlegte und vergeblich versuchte, seinen Spezi Hansi Müller als Manager durchzudrücken, haben ihm Kritiker Selbstüberschätzung vorgeworfen.“

Über Reals Neuverpflichtung heißt es bei Thomas Kilchenstein (FR 3.9.). „Es geht darum, Real Madrid als Weltmarke auf dem Globus zu etablieren. Es geht darum, dass diese fast absurde Weltauswahl jedes Stadion dieser Erde zu füllen in der Lage ist. Es geht um Vermarktung und Werberechte, um TV-Einnahmen, Sponsoren und Trikotverkauf, um all die schönen pekuniären Nebengeräusche, die im Fußball längst schon den Ton angeben. Schon jetzt tourt der Klub wie die Rolling Stones über die Kontinente, um neue Absatzmärkte zu erschließen und die Unterhaltungsmaschinerie am Laufen zu halten.“

Roland Zorn (FAZ 3.9.) meint dazu. „Da es inzwischen selbst den Nabobs der Fußballbranche erheblich schlechter als noch vor Jahresfrist geht und der neue Markt der durch viel zu viele Fernsehmillionen künstlich aufgeblasenen Szene fast überall kollabiert ist, müssen selbst die renommiertesten Klubs haushalten. Speziell in Italien, aber auch in Spanien, wo so mancher Gernegroß weit über seine Verhältnisse gelebt hat. Nur wer einen Ministerpräsidenten wie der AC Mailand mit Silvio Berlusconi im Rücken hat, darf weiter so tun, als könnte er in Saus und Braus leben. Berlusconi predigt zum Thema Profifußball im allgemeinen Wasser, meint aber in Sachen Milan Wein. Warum sonst hätte Inters Stadtrivale pünktlich zum vorläufigen Schluss der Transferaktivitäten doch noch den Innenverteidiger Alessandro Nesta für 30 Millionen Euro vom hochverschuldeten Konkurrenten Lazio Rom übernehmen können? Dass die alte Verschwendungssucht, allen defizitären Bilanzen trotzend, noch immer nicht aus den Köpfen so mancher latinischer Einkäufer ist, hat das zurückliegende Wochenende gezeigt.“

Martin Hägele (NZZ 3.9.) porträtiert den Tabellenzweiten der Bundesliga. „Die Fans schwärmen vom begeisternden Offensivspiel der Rostocker, die nach dem 4:0-Auswärtssieg gegen Energie Cottbus wieder die Mannschaft des Ostens darstellen, als welche sie bald nach der Wende für lange Zeit gegolten hatten. Der leicht spröde Veh taugt nicht unbedingt als Symbol für eine solche sportpolitische Akte. Man sollte den ehemaligen Bundesligaspieler von Borussia Mönchengladbach besser anhand seiner Einstellung zum Fußball einordnen. Der 41-Jährige gehört zu jener selten gewordenen Spezies Trainer, die sich ihre Mannschaften nach Typen zusammensuchen – und keine Angst davor haben, auch junge und billige Leute zu verpflichten. Sie müssen nur in sein offensives Konzept passen. Auf diese Weise hat Veh bisher immer Erfolg gehabt. Ob im FC Augsburg, mit Greuther Fürth oder dem SSV Reutlingen, wo er jeweils längerfristig arbeitete, baute er Teams, die für ihr taktisches Verständnis und kreatives Spiel bekannt wurden.“

Zur Affäre Roy Keane schreibt Philipp Selldorf (SZ 4.9.). „Trotzdem bleibt Roy Keane eine Figur von poetischer Faszination ähnlich dem Monomanen Rodion Romanowitsch Raskolnikow aus Dostojewskis „Schuld und Sühne“, der sich in den Wahn steigerte, dass er durch seinen überlegenen Intellekt über den Gesetzen stünde und sogar dazu berechtigt sei, zu töten. Wenn also Roy Keane eines Tages keine Lust mehr hat, mit Kung-Fu-Tritten die Gegner zu attackieren und Mitmenschen Verdammnis zu wünschen, dann ist sicher ein anderer guter Platz für ihn frei. Nicht in der Polizeizelle, in der er vor drei Jahren in seiner Heimatstadt Cork betrunken gelandet ist, sondern an der Seite seines früheren Profikollegen Vinnie Jones, eines Berufsungeheuers, das nun im Kino als Bösewicht fungiert.“

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