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Torlos in Bochum – glänzende Premiere eines Europameisters in Bremen

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Torlos in Bochum – glänzende Premiere eines Europameisters in Bremen

Torloses Remis in Bochum – Trainerdiskussion nach Berliner Heimniederlage – starke Bayern siegen im Derby – glänzende Premiere eines Europameisters in Bremen – gute Eintracht verliert

Morgen auf indirekter-freistoss: Reaktionen der deutschen Presse auf die zweite Hälfte des 4. Spieltags der Saison 02/03

VfL Bochum – Borussia Dortmund 0:0

Christoph Biermann (SZ 12.9.) fühlt sich an den Sommer erinnert. „Ein wenig schien es so, als wären Geist und Farbe des WM-Sommers aus Korea in den Frühherbst an der Ruhr hinüber geweht. In den Arenen von Seoul, Daejeon oder Daegu hatte die Mannschaft von Guus Hiddink in ihren roten Trikots vorgeführt, wie sehr man überlegene Gegner mit unbändiger Kraft, Geschick und grenzenloser Hingabe in Verlegenheit bringen kann. Die rote Welle auf den Rängen und den Straßen des Landes hatte das euphorisierte Team bis ins Halbfinale der WM gespült. In miniaturisierter Version erlebt der VfL Bochum in diesen Tagen ähnliches. Der Aufsteiger ist zu einem Underdog im Rausch geworden, der gegen Borussia Dortmund erneut erkennen durfte, dass seine Starterfolge keine Frage des Glücks sind (…) Gegen Gegner wie den VfL Bochum nicht zu gewinnen, löst bei besser besetzten Mannschaften automatisch eine Art Frustreflex aus. Auch das war eine Lehre der WM-Spiele des koreanischen Teams. Matthias Sammer hat daraus offenbar seine Schlüsse gezogen, denn der eher mäkelige Trainer wirkte mit dem 0:0 weniger unzufrieden als die Spieler.“

Bernd Müllender (FR 12.9.) resümiert. „Es war ein Spiel, dass Freunde hingebungsvoller Leidenschaft glücklich machte. Beiden war Offensivbemühen anzumerken. Individuelle Fehler gab es hüben wie drüben, aber immer genug andere, die sie sofort bereinigten mit teils grandiosen Abwehrtaten.“

Zu den Reaktionen des Dortmunder Trainers auf das Spiel lesen wir bei Michael Horeni (FAZ 12.9.). „Am überzeugendsten wirkt Matthias Sammer, wenn er sich ärgert. Nach dem 0:0 beim VfL Bochum wirkte Sammer sehr überzeugend. Erst hatten dem Dortmunder Trainer die untauglichen Versuche seiner ehemaligen Meisterspieler zugesetzt, den Ball ganz einfach ins Tor zu bringen. Und dann sah er sich direkt nach dem Abpfiff auch noch genötigt, den kleinen Nachbarn, der als Tabellenführer in der Bundesliga Karriere macht, zu verteidigen. Das hatte Sammer eigentlich nicht vor. Aber der Fragesteller vom Fernsehen tat auch nach dem verdienten 0:0 noch immer so, als wären die Bochumer nichts weiter als ein hilfloser Aufsteiger – soviel Ignoranz weckte in Sammer den leidenschaftlichen Verteidiger in Sachen Fußballwahrheit. Was folgte, war vor einem Millionenpublikum ein von Sammer im heiligen Ernst vorgetragenes Loblied auf die spielerischen Taten und großen Kräfte des VfL Bochum.“

Christoph Schurian (taz 12.9.) über den neuen Bochumer Stil. „Mit Neururer ist nämlich nicht nur der Erfolg nach Bochum gekommen – der studierte Statistikfreak hat für den VfL auch ein neues Spielsystem ersonnen. Die Viererabwehrkette, die in Bochum dereinst nur Toppmöller erfolgreich praktizieren ließ, wurde wiederbelebt. Zwei defensive Mittelfeldläufer stabilisieren den Abwehrblock um den Kameruner Kalla und Fahrenhorst; schon die Offensive bildet eine erste Abwehrkette. Wenn eines zum anderen passt, sieht die Neururersche Kettenverstärkung recht fesch aus. Symmetrie ist die Ästhetik der Beschränkten.“

Hertha Berlin – Borussia Mönchengladbach 1:2

Javier Cácers (SZ 12.9.) über die Stimmung in Berlin nach der Heimniederlage. „Das 1:2 hätte es verdient, bald vergessen zu werden. In Berlin wird die Erinnerung wohl vorhalten. Denn entweder wird der Dienstag einen Wendepunkt markieren. Oder aber den Beginn einer langen – und vor allem: konfliktreichen Spielzeit. Die Symptome einer tief wurzelnden Krise sind unübersehbar. Um 20.45 Uhr, die erste Halbzeit neigte sich dem Ende zu, senkte der Souverän in den Blöcken R.1/S.1 den Daumen und forderte für Übungsleiter Stevens die Guillotine und die Wiedereinstellung von Falko Götz, dem Interims-Trainer der vergangenen Saison (…) Weil die Saison noch so jung ist, dass es angebracht ist, sich zu „hüten, jetzt schon etwas Schlüssiges zu sagen“ (Gästetrainer Meyer), trug die Rebellion auf den Rängen den perfiden Zug des inszenierten Mobbings. Das Hauptargument der Hertha-Ultras scheint aber Stevens’ Vergangenheit als Schalke-Trainer zu sein. Herthaner und Schalker sind sich seit Jahren in Abneigung verbunden.“

Der ortskundige Stefan Hermanns (Tsp 12.9.) kommentiert die negativen Berliner Zuschauerreaktionen. „Es waren keine zaghaften Unmutsäußerungen einzelner Zuschauer. Die gesamte Ostkurve feierte Götz und schmähte Stevens. Vielleicht ist auch das ein spezifisch berlinisches Phänomen. In anderen Stadien regt sich die Unzufriedenheit zuerst auf den Haupttribünen, unter den Zuschauern, die Fußball vornehmlich als Unterhaltungsshow verstehen und für ihr Geld etwas geboten bekommen wollen. Die Fans in der Kurve hingegen beziehen einen Teil ihres Selbstverständnisses aus der Tatsache, dass sie gerade in schlechten Zeiten hinter ihrer Mannschaft stehen. Bei Hertha aber stehen die Erfolgsfans auch in der Kurve. Das macht die Situation nicht einfacher. Gerade mal zwei Monate hat es gedauert, bis die schöne neue Euphorie bei Hertha schon wieder verflogen ist. Mit Huub Stevens, der als Trainer aus Schalke gekommen ist, verband sich die Hoffnung auf erfolgreicheren Fußball. Nach fünf Spielen fühlen sich die Fans bereits betrogen“

Zur Trainerdiskussion in Berlin heißt es bei Friedhard Teuffel (FAZ 12.9.). „Das Programm von Huub Stevens klingt eigentlich so, als habe er es sich eigens für Berlin ausgedacht. Ein wenig verkürzt lautet es: Organisation. Für die Hertha passt das deshalb so gut, weil sie genügend Spieler hat, die aus der Hochbegabtenförderung kommen. Daraus ließe sich bei guter Organisation einiges machen. Außerdem darf nicht vergessen werden: Organisation ist in Berlin eine althergebrachte Tugend. Die Berliner sind schließlich Preußen. Bei seinem Amtsantritt hätte Stevens den Fans also zurufen können: An der Organisation will ich mich messen lassen. Damit hätte sich der holländische Fußballtrainer bestimmt viele Sympathien erworben. Eine solche Geste hat sich Stevens zwar verkniffen, aber die Fans haben genau mitbekommen, was sie von dem Niederländer erwarten können (…) Die Mannschaft ging ins Spiel, als hätte ihr der Trainer vorher ein wirres Bild von Pfeilen und Kringeln an die Tafel gezeichnet. Es leuchtete nicht ein, wer für welche Aufgabe zuständig war. Beinlich zum Beispiel hing zwischen Abwehr und Mittelfeld herum (…) Taktisch diszipliniert zu spielen ist für die Berliner auch dadurch nicht leichter, dass einer von ihnen, vielleicht ihr bester, vor lauter Spielspaß überall auftaucht. Der Brasilianer Marcelinho fühlt sich für alles zuständig. Bei aller unangenehmen Überraschung für den Gegner überfordert er damit manchmal auch seine eigenen Kollegen. Gegen Gladbach taten es ihm einige gleich und liefen ebenfalls kreuz und quer über den Platz.“

Ralf Wiegand (SZ 12.9.) zum selben Thema. „Was noch nie funktioniert hat in diesem Geschäft, ist eine Reißbrettplanung wie beim Bauzeichner. Hier einen Manager von dort, dort einen Trainer von da, ein paar Brasilianer, neues Stadion, Imagekampagne – und fertig ist der Hauptstadtklub? Von wegen. Das Identitätsproblem mit den Fans haben auch andere Vereine, weil die Neigung der Zuschauer gestiegen ist, das Spiel als Ware zu betrachten und bei Nichtgefallen zu reklamieren – etwa, in dem man den Namen des jeweiligen Trainers mit Verwünschungen kombiniert. In Berlin ist die Lage spezieller (…) Die Berliner sind stolz auf ihre Einzigartigkeiten, zu denen zwar nach wie vor Bier mit Sirup gehört, nicht aber mehr die bis zur Unkenntlichkeit geliftete alte Dame Hertha. So ist der zu Repräsentationszwecken in einen Maßanzug geschlüpfte Arbeiter Stevens unfreiwillig zu einem Symbol für seinen neuen Klub geworden – alles Maskerade.“

Bayern München – 1860 München 3:1

Über das ungleich Duell schreibt Philipp Selldorf (SZ 12.9.). „War also das Derby eine Parabel für die auseinander driftend Sozialverhältnisse in der Bundesliga? Ein Vergleich der Erträge der Unternehmen und der Angestellten, von Geltung, Einfluss und Handlungsfähigkeit der Münchner Vereine gibt Wildmosers fatalistischem Ansatz recht. Jedes Kind auf jeder deutschen Straße kennt diesen Unterschied (…) Auch die Menschen kommen vermeintlich gleich auf die Welt, mit Augen, Ohren, Armen und Beinen – doch wächst der eine in einer Hütte und der andere in einem Palast heran. Chancengleichheit zwischen den Bayern und den Löwen existierte nur in der Vorstellung dessen, was hätte passieren können.“

Peter Heß (FAZ 12.9.) reagiert euphorisch auf das Spiel der Bayern. „Reicher als die „Sechziger“ sind die Bayern schon lange. Aber noch nie erhielten sie für ihr Geld so üppige Zinsen – rein spielerisch betrachtet. Mit der Verpflichtung der Leverkusener Zé Roberto und Michael Ballack hat sich der Bayern-Stil grundlegend gewandelt. Aus Meistern der Effektivität mit gelegentlichen spielerischen Anwandlungen ist eine Künstlerkolonie geworden. „Das weiße Ballett“ wird das Bayern-Modell „Spätsommer 2002“ nicht nur in der Vereinszeitung genannt. Nicht, dass Ballack und Zé Roberto nun die Schrittfolge vorgeben würden. Aber ihre Eleganz im Mittelfeld als Ersatz für die Nüchternheit eines Effenberg und Fink verändert die Mischung grundlegend und lässt Kollegen ihre künstlerischen Neigungen neu entdecken (…) Triumphierten? Nein. Das war vielleicht früher einmal so, als die Fans der „Blauen“ es noch tunlichst vermieden, ihre Weißwurst in der Nähe eines „Roten“ zu verspeisen, als sich die Spieler nach Derby-Niederlagen nicht auf die Straße trauten, als eine Stellungnahme zum Münchner Lokalfußball die Preisgabe einer Weltanschauung bedeutete. Im Jahr 2002, genau hundert Jahre nach dem ersten Aufeinandertreffen, sind die Rollen so klar verteilt, dass ein Bayern-Sieg mit zwei Toren Unterschied nur noch Normalität bedeutet.“

Die Reaktionen der Löwenspieler nach der Niederlage fasst Gerald Kleffmann (SZ 12.9.) zusammen. „Jeder der Spieler, der von den Reportern befragt wurde, verfiel in eine Lobesarie über die Bayern, die man früher als Vereinsverrat mit sofortigem Waldlauf abgestraft hätte. Es sei der Wahnsinn, wie die Gas geben, meinte Harald Cerny; deren Geschwindigkeit sei unglaublich, urteilte Vidar Riseth, der sich nach einer unglücklichen Landung den Rücken verstauchte und ausgetauscht werden musste; am kompaktesten fasste Remo Meyer die Gefühlslage zusammen, er sagte: „Gut, dass wir nicht jede Woche gegen die spielen müssen.“ Wie wahr aus Löwensicht (…) Bei allen Hymnen für die Sieger vergaßen die Löwen nicht, sich selbst zu bewerten. Obwohl klar unterlegen, fiel dieses Urteil milde aus. Pacult war „absolut zufrieden“ mit seinem Team, über die Desorganisation seiner Verteidigung ging er galant hinweg, und auch Max, der kurz vor Ende aus sechs Metern vorbeischoss, hörte keinen Vorwurf. Dahinter steckte wohl weniger sensible Gnade als vielmehr die Erkenntnis, dass die Kluft zwischen Bayern und Sechzigern seit den Löwensiegen von 1999 und 2000 wieder deutlich größer geworden ist, nicht nur finanziell.“

Werder Bremen – 1. FC Nürnberg 4:1

Jörg Marwedel (SZ 12.9.) über das Spiel der Werderaner. „Es waren Kontraste, größer als es das Resultat von 4:1 ahnen lässt. Sie waren etwa so groß wie zwischen Liebe und Hass. Oderwie zwischen Lust und Unlust. Doch zunächst zur Romantik. Fast war man versucht, diesem ersten Rendezvous zwischen dem Franzosen Micoud und seiner neuen Fußballheimat den Zauber einer jungen Liebe zuzuschreiben – und das nicht nur, weil Micoud in nur einer Woche bei der Wahl zum erotischsten Werder-Profi schon auf Rang fünf geklettert ist. Wie der Mann vom AC Parma, der in der französischen Nationalelf im Schatten des Großmeisters Zinedine Zidane steht, Spielkultur in das zuvor so verunsicherte Bremer Ensemble brachte, war „eine Augenweide“ (Bremens Sportdirektor Allofs) und hatte beinahe etwas Magisches.“

1. FC Köln – Eintracht Frankfurt 3:2

Thomas Kilchenstein (FR 12.9.) sah eine starke Eintracht Frankfurt – trotz der 2:3-Auswärtsniederlage beim 1. FC Köln. „es war eine Niederlage, die, wenn man so will, Mut gemacht haben dürfte für die Zukunft. Denn Eintracht Frankfurt war vor ausverkauftem Hause nun wirklich nicht die schlechtere Mannschaft. Selbst der Kölner Trainer, Friedhelm Funkel, hatte von einer „sehr starken Frankfurter Mannschaft” gesprochen, und das hat er sicherlich nicht nur allein deswegen getan, um die eigene Leistung noch ein bisschen aufzuwerten. Tatsächlich war es so, dass die Hessen, ohne den im Kongo wegen eines Pilotenstreiks festsitzenden Rolf-Christel Guie-Mien, das reifere Spiel zeigten, homogener wirkten, ja selbst abgebrühter waren. Sie spielten immerhin bei einem Bundesliga-Absteiger, der im Kern seinen Kader hatte beisammen halten können, und sie machten sehr selbstbewusst das Spiel.“

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