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Vermischtes

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Vermischtes

Kopfschütteln in Köln und über Köln – in Leipzig baut man für viel Geld ein „Besichtigungsobjekt für Leute, die sich für Stadionarchitektur interessieren“ (FTD) – adidas presents David Beckham u.v.m.

Komplett enteiert

if-Leser Rico Mielke kommentiert die Lage in Köln: „Beim 1.FC Köln ist das Prinzip, wonach man immer in der „besten aller möglichen Welten“ lebt, schon lange konsequent verinnerlicht. Es heißt hier nur ein bisschen anders: „Et hätt noch immer joot jejange“. Gut gegangen hat es aus FC-Perspektive, wenn nach Ablauf dieser Saison Fortuna Düsseldorf weiterhin viertklassig bleibt, Bayer Leverkusen wieder nix reißt und keinen internationalen Wettbewerb erreicht, vorzugsweise entscheidend verursacht durch eine Niederlage gegen den 1.FC Köln, und am besten Borussia Mönchengladbach gleich mit absteigt in die zweite Liga. Dann ist die Welt wieder in Ordnung, und alle können feiern, schunkeln und singen: „Isch bin ne kölsche Jung, wat soll isch maache“. Und nächstes Jahr wieder aufsteigen. Aber jetzt kommt die kölsche Lichtgestalt ins Spiel: Wolfgang Overath! „Un et weed widder joot…“ Dass indes die Rekrutierung von lokaler Prominenz aus der Fußballhistorie keineswegs ein Garant für eine erfolgreiche Gegenwart und Zukunft ist, hat man vor allem in Frankfurt mit 74er-Weltmeister Hölzenbein und beim HSV während der ziemlich kurzen Präsidentschaft Uwe Seelers schon hinreichend erfahren. Was also hätte Wolfgang Overath beim 1.FC Köln bewirken, wofür genau zuständig sein sollen? Ob der Hauptgrund für Overaths unerwarteten Rückzug wirklich die von ihm geltend gemachten Differenzen mit einem amtierenden Frühstückspräsidenten Caspers sind? Wie dem auch sei – die Entscheidung des derzeitigen Leitungspersonals, Overath nicht die von ihm geforderte „alleinige Führung des Vereins“ zu überlassen und sich damit selbst komplett zu enteiern, ist richtig. Wenn die vorliegenden Berichte stimmen, hätte das Angebot an Overath ihn zum quasi allmächtigen Vizepräsidenten gemacht. Das allein wäre schon ein hohes unternehmerisches Risiko gewesen. Mehr ist nicht zu vertreten. Und wenn der Verein 1.FC Köln weiter konsequent ist, dann bleibt er bei seiner soliden Linie und nimmt es in Kauf, vorübergehend zu einer „Fahrstuhl-Mannschaft“ zu werden. Wohin das Hantieren mit ungedeckten Wechseln auf die Zukunft führt, wird schließlich beinahe täglich in allen großen Geld-Ligen Europas vorgeführt, nicht nur im Ruhrgebiet. Man sollte sich also entscheiden: Entweder den finanziellen Irrsinn mitmachen und sich hoch verschulden (oder einem Sponsor aus der Öl-Wirtschaft ausliefern), in der Hoffnung mit teuren Neueinkäufen in absehbarer Zeit wieder Europacup spielen und viel Geld einnehmen zu können. Oder Geduld haben und abwarten, bis die ganzen aufgeblähten Fußballunternehmen der Reihe nach Pleite gegangen sind und Spielerpreise sowie Gehälter wieder ein halbwegs realistisches Niveau erreicht haben, so dass auch ein solide geführter Verein wieder mitbieten und -halten kann – auch wenn dies für den FC ein paar Spielzeiten in Liga Zwei beinhalten könnte. Letzteres ist natürlich völlig unrealistisch, weil Fans, Sponsoren, Lokalpresse, Umfeld, also quasi „der ganzen Region“, nicht zu vermitteln. Es ist aber mindestens genauso unrealistisch, von Wolfgang Overath die Erlösung von allem Bösen zu erwarten. Denn auch er hätte beim Blick in die Kasse feststellen müssen: „Drei mal null is null, is null“. Und das Ergebnis beim Blick auf die Klasse (der Spieler) wäre nicht viel anders ausgefallen. Aber immerhin, optisch würde das künftige Auf und Ab beim FC einen besseren Eindruck machen: Ein Weltmeister als Fahrstuhlführer.“

Frank Heike (FAZ 5.3.) meint, dass Ralf Rangnick in Hannover normal behandelt wird: „Eine Entlassung bei vier Niederlagen in sechs Spielen folgte nur den Gesetzen der Bundesliga. Gewönne Hannover, hätte Kind in der Tat ein Problem, das in einer Phase der Annäherung im System Kind/Rangnick käme: Denn ohne daß es die Öffentlichkeit groß gemerkt hätte, gab es zuletzt weitaus weniger Spannungen zwischen dem asketischen Erfolgsmenschen Kind und dem intelligenten, gern an seinen Fehlern festhaltenden Taktik-Freak Rangnick. Nach dem Streit zwischen Moar und Rangnick im Trainingslager im Januar hatte Kind ein Machtwort pro Rangnick gesprochen und ihm die volle Rückendeckung gegeben. Ich bin überzeugt, daß er ein wirklich guter Trainer ist, sagte Kind dieser Zeitung noch vor einiger Zeit, er leistet seine beste Arbeit bisher hier ab und ist absolut loyal. Kind beklagte seinerzeit, daß er in der Schublade stecke, Rangnick zu mobben und sich immer hinter dessen Rücken nach anderen Kandidaten umzusehen. Das sei längst vorbei. Daß er sich in dieser Woche zu keiner schnellen Entscheidung durchringen konnte, hat damit zu tun, daß Kind gern eine Trennung möchte, die Rangnick die Möglichkeit läßt, sein Gesicht zu wahren. Zum Beispiel einen ehrenvollen Rücktritt nach einem Sieg. Natürlich hängt das zögerliche Festhalten am Trainer auch damit zusammen, daß Kind zwar mit anderen Trainern gesprochen hat, aber entweder keine Zusage bekommen oder einen geeigneten Nachfolger noch nicht gefunden hat. Der Grund für die Lupe, die man derzeit über die Roten hält, ist denn auch ein anderer. Sie hat mit der Entwicklung in der Liga zu tun. Nach den unwürdigen Trainerentlassungen in Hamburg von Jara zu Toppmöller (Stichwort Lüge) und in Berlin von Stevens zu Meyer (Stichwort Ultimatum) schaut die Öffentlichkeit ganz genau auf das Krisenmanagement der Profiklubs, wenn es um den Trainertausch geht. Hier verhalten sich die Hannoveraner mit ihrem kleinen Stab von Verantwortlichen (ohne Pressesprecher) derzeit nicht chaotischer oder ungeschickter als Dutzende andere Vereine vor ihnen.“

In Leipzig erkennt René Martens (FTD 5.3.) eine geworfene Perle vor den Vielzitierten: „Von der Papierform her gehört das Spiel zwischen Sachsen Leipzig und den Amateuren von Borussia Dortmund nicht zu den Schlagern der Regionalliga Nord, und dennoch ist es ein historisches Match, das da am Sonntag in der sächsischen Metropole stattfindet. Mit dem Drittliga-Kick wird das neue Zentralstadion eröffnet, in dem 2006 fünf Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft stattfinden. Außerdem ist die 44 300 Menschen fassende Arena fest eingeplant für den umstrittenen Confederations Cup, der 2005 in Deutschland über die Bühne geht. Rund 90 Mio. Euro hat es gekostet, das ehemals größte Stadion Deutschlands – 100 000 Zuschauern bot es Platz – in eine hochmoderne Arena umzurüsten. Etwa zwei Drittel der Summe zahlten der Bund und die Stadt Leipzig, mit 27,4 Mio. Euro dabei ist die EMKA-Beteiligungsgesellschaft des Hasardeurs und Kinowelt-Pleitiers Michael Kölmel. Stolze Summen, wenn man bedenkt, dass die öffentlichen Kassen angeblich leer sind, und wenig Aussicht darauf besteht, dass in Leipzig bald Zweit- oder gar Erstligafußball gespielt wird. Der FC Sachsen kämpft um den Klassenerhalt in der Regionalliga, und der Rivale VfB steht bereits als automatischer Absteiger aus der Oberliga Nordost-Süd fest, nachdem er Anfang Februar schon zum zweiten Mal in seiner Vereinsgeschichte Insolvenz angemeldet hat. Wie es für den VfB weitergeht, wird auf einer Gläubigerkonferenz Mitte April entschieden werden. Als der VfB Leipzig 1994 wieder aus der ersten Bundesliga abstieg, war dies nur der Anfang vom Ende. Und nicht nur für den VfB, sondern auch für das alte Zentralstadion. Der Verein zog damals in das kleinere Bruno-Plache-Stadion um. Das große Zentralstadion wurde nun kaum noch genutzt. Dies soll sich durch den jetzt abgeschlossenen Umbau für die Weltmeisterschaft 2006 ändern. Nicht auszuschließen ist jedoch, dass der Bau nach 2006 hauptsächlich als Besichtigungsobjekt für Leute dienen wird, die sich für Stadionarchitektur interessieren – ähnlich wie manche Spielstätten der WM 2002 in Asien.“

Zwanzig Minuten brauche es noch, um seine Haare zu richten

adidas presents David Beckham. Gerd Schneider (FAZ 5.3.) ist dabei gewesen: „Es ist ein skurriles Szenario an diesem Abend in der sogenannten Konzept-Halle. Hainer, ein früherer Bayernliga-Kicker, hält eine Rede auf englisch, obwohl fast ausschließlich deutschsprachige Journalisten da sind – es geht ja um Weltfußball. Daß Beckham, leicht verspätet, erst um neun statt um sechs Uhr erscheint, soll an technischen Problemen seines Flugzeugs liegen, das eine Rückkehr nach Madrid erforderlich gemacht habe. Dann verbreitet sich in Windeseile die Kunde, daß er um 19.36 Uhr auf dem Flughafen von Nürnberg gelandet sei. Wenig später verkündet eine Stimme aus dem Lautsprecher, Beckham sei inzwischen eingetroffen und beeile sich, auf die Bühne zu kommen. Zwanzig Minuten brauche es aber noch, um seine Haare zu richten. Dann erscheint er, gleich dem Deus ex machina in einem antiken Drama, wie aus dem Nichts auf der Bühne. Der Engländer mit dem ausgeprägten Londoner Slang hat allerdings nichts Tragisches an sich. Er wirkt ungeheuer entspannt, was den Schluß nahelegt, daß er nicht zu den Fußballprofis gehört, die unter Flugangst leiden. Er wird wie ein seltenes Tier begafft, aber das ist ja überall so, wo er auftritt, ob in Sambia, Yokohama oder Herzogenaurach. Die Fotografen sind in sicherer Entfernung. Überhaupt kommt ihm niemand nahe außer Hainer und der englischen Fernsehmoderatorin Lisa Rogers, die auf Beckhams Wunsch hin eingeflogen wurde: nicht die Klatschreporterin von der Münchner tz, die von ihrem Chef den Auftrag erhalten hat, sich gemeinsam mit Beckham ablichten zu lassen; und auch nicht die vier deutschen Nationalspielerinnen, die auf ihren Trainingsjacken für Katzenfutter werben und ganz aufgeregt miteinander tuscheln. David Beckham ist ein lebender Beweis dafür, daß sich Popularität und Höflichkeit nicht ausschließen müssen.”

Wie der Admiral der Kriegsmarine

Philipp Selldorf (SZ 5.3.) auch: „Das sogenannte Global Headquarter der Firma adidas in Herzogenaurach ist nicht gerade das, was man sich unter der Kommandozentrale eines weltweit tätigen Erfolgskonzerns vorstellt. Der Bau steht irgendwo zwischen Feldern und Wäldern und strahlt den Charme einer Bundeswehrkaserne aus, und als hier am Mittwoch Abend der berühmte Besucher aus Madrid zunächst im Kunstnebel vor einer Hand voll Gäste und wenig später auf der Bühne vor der adidas-Belegschaftsversammlung Einzug hielt, ähnelte das in der Tat dem Truppenbesuch durch eine Königliche Hoheit. Hat nicht David Beckham, der berühmteste Fußballer der Erde, die Stellung eines Monarchs ohne Grenzen eingenommen? ¸¸Die Leute bei adidas arbeiten so hart, sagte er und stattete seinen Dank ab an die Mitarbeiter des Ausrüsters und Geschäftspartners. Beckham kam drei Stunden später als angekündigt zum PR-Termin, wegen eines Malheurs seines Privatjets aus Madrid, aber er sah natürlich trotzdem fabelhaft aus, im dunkelmelierten Anzug, schwarzes Hemd, braune Schuhe, Pferdeschwanz und dieses sanfte, fotogene Lächeln im Gesicht, das eben nicht nur Mädchen, Frauen und alte Damen begeistert. Vor zehn Tagen nach dem Spiel in München hatte sich auch Uli Hoeneß spontan in ihn verliebt (¸¸Mensch, ist der nett), während andere Offizielle des FC Bayern überlegten, ob sie ein Dankschreiben an Real schicken sollten – weil Beckham sich so großartig verhalten habe. Auch in Herzogenaurach bestätigte sich der Eindruck natürlicher Liebenswürdigkeit. (…) Ein von Zweifeln geplagter Star wie Oliver Kahn könnte glatt neidisch werden auf David Beckham, dessen Sicht auf das Leben so ansteckend positiv ist, obwohl ihm im Laufe seiner Karriere viel Ablehnung, Häme und auch Hass begegnet ist, besonders von seinen Landsleuten, die sich einst Diego Maradonas irrigem Urteil angeschlossen hatten (¸¸er ist zu schön, um aufs Feld zu laufen). Beckhams biographische Bilanz in Büchern, Aufsätzen und Interviews ist immer dieselbe: ¸¸How lucky I am – was für ein Glück ich habe (und hatte). Aufgewachsen ist er in einer kleinbürgerlichen Reihenhaussiedlung, sein Vater montierte Einbauküchen, die Mutter war Friseurin, und inzwischen ist er nicht nur Multimillionär (auf 50 Millionen Pfund taxierte ihn kürzlich die Sunday Times), sondern am Ziel seiner Träume: als Spieler von Real Madrid und – vor allem – als Kapitän der englischen Nationalelf, ein Ehrentitel erster Güte ¸¸in einem Land, in dem diese Funktion so viel gilt wie der Admiral der Kriegsmarine – mindestens.“

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