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Löwe im Käfig

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Löwe im Käfig

Karl-Heinz Wildmoser verhaftet; „Löwe im Käfig“ (FTD); „im Sport ist Deutschland kein unbelasteter Standort mehr“ (SZ) – „Dauer-Retter Lienen“ (FTD) u.v.m.

Thomas Kistner Wolfgang Görl (SZ 10.3.) beschreiben die Geldgier der Wildmosers: „Zu viele haben sich doch schon abgewandt in der bald 14 Jahre währenden Wildmoser-Ära, darunter viele, die sich als Klub ehrenamtliche im Kräftemessen mit dem wuchtigen Oberlöwen blutige Nasen geholt haben. Wildmoser – das war nur vordergründig ein Synonym für bayerische Hemdsärmeligkeit, in Wirklichkeit hat der Amtsführung des Allmächtigen oft der Ruch des Geschäftsfilzes angehaftet. Diskrete Deals, die in der Familie blieben, waren erstmals im Herbst 1994 aufgeflogen. Damals hatte ein so genannter Freundeskreis des TSV 1860 dem Klub Darlehen über insgesamt 1,6 Millionen Mark gewährt, zum saftigen Zinssatz von neun Prozent. Als Empfänger quittierte Wildmoser senior, als Darlehensgeber für den Freundeskreis Wildmoser junior – und überdies hatte jener Darlehensvertrag die gutverzinste Gönnerschaft unverblümt an den Verbleib Wildmosers im Präsidentenamt geknüpft. Als der Handel publik wurde, rümpfte selbst der DFB die Nase, vereinsintern aber wurde erstmals das praktiziert, was von Kritikern auch in späteren Jahren als Säuberungsaktion bezeichnet wurde. Zug um Zug wurde nun bei Vereins- und Delegiertenversammlungen in rauer Biertischmanier das System Wildmoser etabliert; Fragesteller, die sich allzu engagiert für Transfer- oder Bilanzdetails interessierten, wurden öfter niedergebrüllt oder, wie so mancher geschasste Vereinsangestellte beklagte, flott weggemobbt. Wildmoser regierte, das Fußballvolk parierte. Treue Bündnisgenossen im Vorstand ebneten die Dienstwege: „Wildmoser muss sagen, wo es langgeht, und wo es langgeht, werde ich auch folgen“, sagte zum Beispiel Paul Wonhas im Herbst 1997 – da war der Pensionär just zum Vizepräsidenten neben Kurt Sieber berufen worden, einem Münchner Großmetzger. Externe Mitstreiter indes fühlten sich häufig ausgenutzt und schieden im Zwist. (…) Gegen den erbitterten Widerstand der Fan-Basis boxte Wildmoser sogar den Umzug ins ungeliebte Olympiastadion durch, womit er ein Kernstück der Vereinstradition preisgab. Die Identität ging verloren. Gleichzeitig führte Wildmosers Kurs – entgegen dem Modernisierungsprozess in der Ballbranche – den Klub Schritt für Schritt in die Vergangenheit zurück. Heute ist der TSV 1860 der letzte Bundesligist, der wie ein Familienunternehmen geführt wird. Emotion statt Information, nach dieser Devise regierte der Patriarch. Tauchten Probleme auf, griff Wildmoser auf bewährte Schauspielkunst zurück: Mal wurde der Bauch rausgedrückt („Es passt ois“) und durchmarschiert, war aber der Ärger zu groß, badete er öffentlich in Tränen des Selbstmitleids. Kaum eine Saison verging, in der Wildmoser nicht mit angeblicher Amtsmüdigkeit kokettierte: „Ich bin nur noch ein Wrack.“ Richtig verlassen konnten sich seine Widersacher darauf aber nie. Was dazu führte, dass der Großgastronom zu einem der prominentesten Männer der Stadt aufstieg. Dass er, der Franz Beckenbauer so sehr bewundert, nun auch das Image der Bayern beschädigt, ist eine der pikantesten Facetten des Münchner Fußballskandals.“

Wachsendes Unbehagen

Roland Zorn (FAZ 10.3.) kommentiert die Verhaftung Karl-Heinz Wildmosers: „Money, money, money: Daß es beim Profisport auch um Geld, um sehr viel Geld geht, ist eine seiner längst allgemein akzeptierten Geschäftsgrundlagen. Befremdlich muten dagegen Versuche an, mit hehren Absichtserklärungen die eigene Raffgier zu verschleiern. Auf gar kein Verständnis darf derjenige rechnen, der etwa in den Grauzonen der Busineß-Klasse des großen Fußballs persönlichen Gewinn abschöpfte. Ob Karl-Heinz Wildmoser, der Patron des Münchner Bundesliga-Zweitklubs 1860, und sein Sohn, der Geschäftsführer der Löwen und der Stadion-GmbH, unter Bereicherungsgesichtspunkten bei der Vergabe von Bauaufträgen für die neue Allianz-Arena strafbar gehandelt haben oder nicht, wird sich erst noch zeigen müssen. Das Publikum aber, in Fragen des rechten Umgangs mit dem teuren Gut Geld seit je auf Distanz zu den Verschwendern und Nutznießern des Profitsports, wird sich sein Vorurteil rascher bilden als die Staatsanwälte und Richter ihre gerichtsfesten Erkenntnisse. Der Wunsch, daß es auch in der professionellen Welt des ge- und verkauften Athletentums wieder honoriger zugehe, ist jedenfalls dieser Tage deutlich spürbar. Mögen auch die Fälle – Mißwirtschaft bei Borussia Dortmund, Nationalitätenwechsel geldgieriger Fußballprofis, möglicherweise unlautere Praktiken beim Bau des neuen Münchner Stadions – nicht miteinander vergleichbar sein, so herrscht doch ein Gefühl des wachsenden Unbehagens beim Konsumenten vor. In Geldfragen sensibler zu werden möchte man allen empfehlen, die seit Jahr und Tag am großen Rad des Sports drehen und dabei die Versuchung besiegen müssen, sich nicht blenden zu lassen vom eigenen Ehrgeiz, vom merkantilen Erwerbstrieb oder von der Aussicht auf en passant gezahlte Provisionen. Zum Glück greifen auf der Seite derjenigen, die das Geschäftsgebaren im Sport oder auf sportaffinen Schauplätzen kontrollieren, die Gesetzmäßigkeiten des Marktes, gegebenenfalls der Justiz.“

Thomas Kistner (SZ 10.3.) sorgt sich um die WM 2006: „Um ein bayerisches Folklorestück handelt es sich diesmal nicht – die Erschütterungen reichen weit über die Achse Giesing-Fröttmanning hinaus. Der deutsche Profifußball, angeknockt durch immer mehr fragwürdige Finanzpraktiken von Kaiserslautern bis Dortmund, erfährt den bislang heftigsten Tiefschlag. Die Frage, wie es (auf beängstigend breiter Ebene) bestellt ist um die Geschäftsmoral in diesem Unterhaltungsgewerbe, findet just dort eine Antwort, wo man sie am wenigsten gesucht hätte: Im reichen Süden, sogar im unmittelbaren Zuständigkeitsbereich des Rekordmeisters FC Bayern. Ohne eigenes Verschulden gerät ja auch der Renommierklub in die Ausläufer eines offenbar handfesten Kriminalstücks – und in Mitleidenschaft wird auch die deutsche WM-Organisation gezogen. Dass die Münchner Allianz-Arena, Schauplatz der feierlichen WM-Eröffnung 2006, fortan mit dem Makel einer Bestechungaffäre belastet ist, lässt sich leider so wenig beiseite schieben wie die Frage, ob noch einiges mehr kommen könnte. In großem Stil gebaut und subventioniert wird ja auch noch andernorts in dieser Fußball-Bananenrepublik – also auch getrickst, gedealt, getäuscht?“

Robert Ide (Tsp 10.3.) ergänzt: „Das Sportereignis des Jahres, ein gigantisches Kulturfest, ein Signal des Aufschwungs – das sollte die Fußball-WM 2006 werden. Nun droht schon zwei Jahre vor dem Anpfiff die quälende Aufarbeitung interner Finanzströme und öffentlicher Bauaufträge. Das tut der Vorfreude sicher nicht gut. Doch Aufklärung ist dringend geboten. Nur so kann das Land seinen Ruf als ordentlicher Organisator dieses wichtigen Ereignisses wahren. Sport und Politik bilden nicht immer eine gute Allianz. Schon die Leipziger Bewerbung für Olympia 2012 wäre fast an fragwürdigen Provisionsgeschäften der Beteiligten gescheitert. Nun erscheint ein Ereignis, das bislang unbeschadet aussah und mit dem Kanzler Gerhard Schröder gerne warb, in einem schlechten Licht. Für die Organisatoren bedeutet das: Sie müssen ihre Geschäfte überprüfen lassen und öffentlich machen. Nur so lässt sich der Verdacht ausräumen, dass Kriminelle an der Fußball-WM verdienen.“

Korruption in Deutschland ist eine gesellschaftliche Veranstaltung

Heribert Prantl (SZ 10.3.), verantwortlich für SZ-Innenpolitik, sorgt sich um Deutschland: „Der Ort und der Gegenstand der Korruption ist 258 Meter lang, 227 Meter breit und fasst 66 000 Menschen: Es handelt sich um das neue Münchner Fußballstadion, in dem im Jahr 2006 Eröffnungsfeier und Eröffnungsspiel der Fußballweltmeisterschaft stattfinden sollen. In Wahrheit ist aber der Ort der Korruption noch gewaltiger: Er ist 990 Kilometer lang, 720 Kilometer breit und fasst 82,5 Millionen Menschen. Es sind dies die Daten der Bundesrepublik Deutschland. Der Bestechungsskandal, der soeben zur Verhaftung des Präsidenten des Fußballvereins 1860 München geführt hat, ist nämlich nur die Schnurrbartspitze des kriminellen Phänomens, das von der polizeilichen Kriminalstatistik derzeit praktisch überhaupt nicht erfasst wird; die registriert alljährlich nur 3000 Korruptionsfälle. (…) Korruption in Deutschland ist keine Tat von ein paar Einzelgängern, sondern eine gesellschaftliche Veranstaltung. Der Fall in München ist, auch wenn er wegen des Objekts und der Subjekte der Tat ein besonders spektakulärer Fall ist, letztlich nur ein weiterer Fall zur Aufhellung eines großen Dunkelfeldes. Es gilt der Satz: Wer suchet, der findet. In Deutschland wird zu wenig gesucht.“

In der SZ liest man: „All dem vorangegangen war eine jahrelange Diskussion um das Olympiastadion, seit vielen Jahren gemeinsame Spielstätte der beiden Bundesligisten. Der Tenor: Das „Oly“ ist kein Fußballstadion, nicht mehr zeitgemäß, man sitzt oder steht viel zu weit weg vom Spielfeld, es kommt keine Stimmung auf, und überhaupt gehören hier nur Leichtathleten oder Rockstars rein.Hitzkopf Beckenbauer hoffte gar „dass sich irgendein Terrorist finden lässt, der das Ding in die Luft sprengt“.“

Hannover 96 engagiert Ewald Lienen. Frank Hellmann (FR 10.3.) ist skeptisch: „Ungeachtet aller spielerischen Highlights, die die Spaßfußballer zeitweise unter Ralf Rangnick vortrugen, ist der Club bis heute in weiten Zügen ein Amateurverein geblieben. Zuschauer sitzen auf der Großbaustelle AWD-Arena hinter riesigen Stahlgerüsten – und doch hat der Verein gleich im zweiten Bundesliga-Jahr die Eintrittspreise kräftig erhöht. Das ist genauso unvernünftig wie die Maßnahme, nun dem eher sinnfrei zusammengekauften Söldner-Ensemble, das Stärken allenfalls in der Offensivbewegung entfaltet, den akribischen Arbeiter und Defensivspezialisten Ewald Lienen als Heilsbringer zu verordnen. Doch in der sportlichen Not blieb kaum eine andere Wahl: Wunschkandidat Erik Gerets wollte nicht, Huub Stevens sollte nicht, Friedhelm Funkel durfte nicht. Für den Trainertausch in prekärer Lage haben Gesellschafter und Großsponsoren nochmal einen siebenstelligen Betrag bewilligt. Längst wandelt Hannover 96 auch finanziell am Abgrund. Kind räumt auf FR-Anfrage ein, dass die Stadiongesellschaft im Fall des Abstiegs Zins und Tilgung nicht aufbringen kann. Die Refinanzierung der WM-Arena gelingt nur im Oberhaus. Auch solche Planungen sind kühn, geradezu tollkühn. Hier Lienens Zettelwirtschaft, dort Kinds Misswirtschaft – unter dem Strich könnte bei dieser unheilvollen Konstellation stehen, dass der Traditionsverein dauerhaft dorthin abstürzt, wo er 13 lange Jahre war: in die wenig beachteten Ligen zwei oder drei.“

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