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Zu viele Fragen sind offen

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Zu viele Fragen sind offen

ein Fußballer stirbt; Sven Goldmann (Tsp) hat Fragen zum Tod Miklos Fehers (Benfica Lissabon) – Konflikt im Machtzentrum Manchester Uniteds – der Weg Atletico Madrids – Juventus hat erneut ein Talent übersehen: Tommaso Rocchi (Empoli), dreifacher Torschütze gegen Juventus u.a.

Zu viele Fragen sind offen

Am Sonntag ist Miklos Feher, ungarischer Stürmer Benfica Lissabons, auf dem Spielfeld des EM-Stadions in Guimãres gestorben. Sven Goldmann (Tsp 28.1.) fragt: „Wenn Miklos Feher wirklich an einem Herzleiden starb – warum war dieses dann nicht bei den obligatorischen Routineuntersuchungen aufgefallen, ja nicht einmal bei der anschließenden Obduktion? Wie konnte Fehers Herz versagen, wie konnte er sterben vor laufenden Fernsehkameras in einem Stadion, das in ein paar Monaten Schauplatz der Fußball-Europameisterschaft sein soll und daher allen erdenklichen Sicherheitsstandards genügen sollte? Wenn wirklich, wie bei der EM vorgeschrieben, ein Defibrillator vorhanden war, ein Gerät, mit dem Patienten bei Herzstillstand Stromstöße erhalten können – warum wurde er dann nicht eingesetzt? Wenn der Einsatz dieses Geräts bei Regen, wie von einem portugiesischen Arzt behauptet, dem Halten eines Föns in die Badewanne entsprochen hätte – warum wurde Feher nicht ein paar Meter weiter in einer Kabine behandelt? Zu viele Fragen sind offen. Es bleibt das ungute Gefühl, dass hier etwas vertuscht werden soll, damit kein Schatten auf die bevorstehende Europameisterschaft fällt.“

Christian Eichler (FAZ 28.1.) sieht hinter die Kulissen Manchester Uniteds – und in den Rennstall: „Manchester United hat ein Problem: Erfolgstrainer und Großaktionär waren so gut befreundet, daß der Aktionär dem Trainer ein halbes Pferd überließ. Nun sind sie spinnefeind, nachdem das Pferd mit sieben Siegen in Folge in Gruppe-I-Rennen zu einem Beckham unter den Galoppern wurde. Zu mehr sogar. Für Beckham erlöste United nur 25 Millionen Pfund. Für Rock of Gibraltar rechnen Experten mit einem Ertrag, wie ihn noch kein Kicker erbracht hat – vermutlich weil noch niemand die Idee hatte, Erbgut-Vermarktungsrechte in Fußballverträge aufzunehmen: 100 bis 200 Millionen Pfund an Deckprämien, steuerfrei. Davon will Alex Ferguson, Trainer des englischen Fußballmeisters, die Hälfte. Er zog vor Gericht, schlug einen Vergleich über sieben Millionen Pfund aus. John Magnier, der irische Milliardär, der mit seinem Partner J. P. McManus ein Viertel der Klubaktien hält und über seine Frau die andere Pferdehälfte, findet, Ferguson stehe neben fünf Prozent der Preisgelder nichts zu. Und nahm dessen Klage offenbar als Kriegserklärung. Es geht um viel Geld, mehr als der erfolgreichste Klubtrainer der Welt in 18 Jahren bei United verdient hat. Doch es geht auch um einen Kampf der Egos, die in ihren beiden Revieren – Englands Fußball, Irlands Turf- und Wettszene – noch jeden kleingekriegt haben. Nun haben sie sich ineinander verbissen wie Kampfhunde. Und der Klub jault auf (…) Sicher ist nur, daß niemand mehr sicher wäre in der Branche, wenn ein Ferguson fiele. Fußball als Ereigniskarte im großen Monopoly, passé die Regel, daß Erfolge zählen: Es zählt, aufs richtige Pferd zu setzen.“

Georg Bucher (NZZ 27.1.) schreibt über Atletico Madrid: „Blickt man auf den Saisonbeginn zurück, ist die Zwischenbilanz erstaunlich. Mit neuem Trainer und ständig wechselnden Aufstellungen war Atletico orientierungslos in die Runde gestartet, es drohte wieder eine Zittersaison, intern wurden schon die Messer gegen Manzano gewetzt. Der studierte Psychologe aus Andalusien hatte den Job aufgrund seiner erfolgreichen Arbeit in Valladolid und Mallorca bekommen, doch nun glauben Kritiker zu wissen, der Manzanares-Klub sei für ihn eine Nummer zu gross, Druck und Medienrummel vernebelten ihm die Gedanken. Besser ging es erst, als Nikolaidis neben Fernando Torres im Angriff aufgeboten wurde. Der ablösefrei von AEK zugezogene Grieche bindet mit generösem Einsatz die Abwehrspieler und schafft so Freiräume für Torres, dessen Rendement sich deutlich erhöhte: Fünf Spiele in Serie gewann Atletico. Auch Alvaro Novo und Kiki Musampa (ehemals Malaga) steigerten sich auf den Seiten und entlasteten Ibagaza, der unter Manzano schon die Fäden in Real Mallorca gezogen hatte. Offenbar hat Miguel Angel Gil Marin aus den Fehlern seines Vaters und Hauptaktionärs gelernt. Der nur noch im Hintergrund agierende, bei vielen Anhängern unbeliebte Populist Jesus Gil y Gil hätte nach einigen Zuckungen im Fanblock wohl den Schleudersitz betätigt und Manzano wie etliche Ausbildner zuvor in die Wüste geschickt. Freilich scheint der autoritäre Führungsstil nun passé zu sein. Wichtige Fragen diskutieren Enrique Cerezo, einst Vizepräsident unter Gil y Gil, der ihm auf juristischen Druck das Amt übergeben musste, der Generaldirektor Gil Marin, Manzano und der Sportchef Toni Muñoz, früher ein Linksverteidiger mit Offensivdrang, gemeinsam. Vier verlorene Jahre beklagen sie, das zweijährige Intermezzo im Unterhaus war der Tiefpunkt. Doch jetzt soll es wieder aufwärts gehen, sportlich, wirtschaftlich und sozial will Atletico den angestammten Platz in der spanischen Elite einnehmen und im Uefa-Ranking wieder unter den Top Ten figurieren.“

Italienische Talente könnensich im eigenen Land schwer durchsetzen

Peter Hartmann (NZZ 27.1.) beschreibt süße Rache: „Das Märchen von Tommaso Rocchi, eine „Rocky“-Geschichte mit Füssen statt Fäusten, begann vor einer Woche, als er Massimo Moratti, den milliardenschweren Präsidenten von Inter, mit seinem Tor in den letzten Spielsekunden in tiefste Depressionen stürzte. Doch der Name Rocchis ging im Theaterdonner um Morattis Rücktritt unter. Auch bei Juventus war die Warnung nicht angekommen. Die „Alte Dame“ des Calcio trat im toskanischen Provinzstädtchen Empoli (44 000 Einwohner, die Hälfte davon waren im Stadion) etwas verschlafen auf den Platz und rieb sich nach 90 Minuten verstört die Augen: Mit einer sagenhaften „Tripletta“ von Tommaso Rocchi rangen die Einheimischen der Meistermannschaft ein 3:3-Remis ab. Dreimal verneigte sich Nationaltorhüter Gigi Buffon vor „Rocky“, und der Juve-Generaldirektor Luciano Moggi, das „Trüffelschwein“ unter vielen blinden Marktbewegern, erinnerte sich untrüglich an diesen Rocchi: Entdeckt hatten ihn die eigenen Talentspäher. Tommaso Rocchi, Venezianer, unscheinbar, bescheiden, und die hohe Stirn lässt ihn älter aussehen als seine 26 Jahre. Einer aus der Masse der Statisten in diesem Namen-geblendeten Geschäft: Mit 15 Jahren kam er ins Nachwuchsinternat nach Turin – und wurde nach einer Saison Probezeit ausgemustert. Vom Zauberstab der „Vecchia Signora“ berührt und dann verstossen zu werden, bedeutet eine Art lebenslängliches Stigma wie ein schlechtes Abgangszeugnis. Für den Burschen begann eine Odyssee den ganzen Stiefel rauf und runter, bis er seine Koffer – und endlich sein Selbstvertrauen – in Empoli auspackte und letzte Saison immerhin sechs Tore erzielte. So viele sind es auch schon in dieser Meisterschaft. Das Spiel gegen Juventus entwickelte sich zu einem Mann-zu-Mann-Wettschiessen Rocchis gegen den französischen Goalgetter Trézéguet, der mit dem Personalchef Moggi gerade um eine Verdoppelung seiner Jahresgage auf drei Millionen Euro feilscht. Ein privater Pingpong-Abend: 1:0 durch Rocchi, Ausgleich Trézéguet; nach der Pause Juve-Führung durch Trézéguet, dann die Wende durch Rocchi innert sieben Minuten, eine Viertelstunde vor Schluss der Treffer des Franzosen, der eine Schmach für Juventus abwendete. Die „Rocky“-Fabel zeigt wieder einmal, wie schwer sich italienische Talente im eigenen Land durchsetzen können.“

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