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Zwei Zuchtmeister auf dem Betzenberg, Portrait Peter Neururer

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Zwei Zuchtmeister auf dem Betzenberg, Portrait Peter Neururer

Drei Themen heute: 1. „Zwei Zuchtmeister auf dem Betzenberg“ titelt die FR über die Verpflichtung des „schweizerisch-belgischen Care-Pakets“ (FAZ) Eric Gerets und René C. Jäggi. Den beiden erfahrenen Führungskräften traut man den Kurswechsel in Kaiserslautern durchaus zu. 2. Angesichts des ersten EM-Qualifikationsspiels der DFB-Elf in Litauen fragt man sich, wer die Tore schießen soll, denn die Stürmer sind durchweg nicht in Höchstform. Allerdings hegte man diese Bedenken auch vor der Weltmeisterschaft in Fernost – zu Unrecht, wie sich herausstellte. 3. Portrait Peter Neururer.

Angesichts der vermeintlichen Stürmerkrise erinnert Ludger Schulze (SZ6.9.). „So grauenerregend jedenfalls ist die Verfassung der Torjäger deutscher Nation wie … wie neulich vor der WM. Damals wurden apokalyptische Szenarien wie von Hieronymus Bosch an die Wand gemalt, als stünde zu erwarten, dass diese Stürmer mit ihrer Unfähigkeit alle Hoffnungen in Schutt und Asche treten würden. Es war dann aber so, dass Neuville seine Gegenspieler reihenweise narrte und Klose mit fünf Treffern genauer als jeder andere Angreifer zielte, abgesehen von „il phenomeno“ Ronaldo.“

Zur Reaktivierung des Abwehrspielers Thomas Linke wirft Jörg Hanau (FR 6.9.) ein. „Wenn es darum geht, in der Stunde der Niederlage einen Schuldigen auszudeuten, fällt die Wahl nicht schwer. „Nehmt mich“, hat Thomas Linke einmal gesagt. Er ist der Mann, der ohnehin immer daran Schuld sein soll, wenn elf erwachsene Kicker auf grünem Rasen dem Ball hinterher jagen und am Ende als Verlierer von dannen schleichen. Hüftsteif sei er, langsam obendrein, ein Grobmotoriker, der mit dem Ball nicht wirklich etwas anzufangen wisse. Linke, heißt es, sei der geborene Rumpelfüßler, und er wurde nach der unsäglichen Europameisterschaft vor zwei Jahren auch hinlänglich als solcher tituliert (…) Dass er im Herbst seiner Karriere noch einmal in den Mittelpunkt rücken würde, das hatte Linke nicht einmal zu träumen gewagt. Natürlich habe er die EM-Scharte ausmerzen wollen, aber dass er in seinem fortgeschrittenen Alter noch als Entdeckung des WM-Turniers gefeiert werden würde, war ihm dann doch unheimlich. Genugtuung verspürt er deshalb aber nicht.“

Zu den Personalentscheidungen beim FCK meint Martin Hägele (SZ 5.9.). „Wenn man in ein paar Jahren davon reden wird, wie dieser Mann (Jäggi, of) den Traditionsklub renoviert hat, dann bedeutet das etwas anderes, als den FC Basel zu einer Adresse der Champions League gemacht zu haben. In Kaiserslautern kann er Geschichte schreiben (…) Bei seinem ersten Auftritt als FCKler hat sich Jäggi nicht festlegen lassen auf sportliche Ziele. Er hat begriffen, dass die Leute in dieser Region wieder stolz auf ihren „Betze” sein wollen. Dass hier die Opposition, die formell nur aus einer handgeschriebenen Liste unter dem Decknamen Unser FCK firmierte, die Funktionärsclique bis zur Handlungsunfähigkeit entlarven konnte, dient nun als Beispiel dafür, was in einem Verein passieren kann, wenn alle Kontrollmechanismen ausgeschaltet sind (…) Ähnlich reserviert wie der Heilsbringer aus der Schweiz präsentierte sich auch der sportliche Retter aus Belgien. Der83-malige Nationalspieler aber passt wie gemalt ins Anforderungsprofil für einen FCK-Lehrer. Er muss einer aus dem Volk sein, irgendwo auch Rebell, er muss Banden-Häuptling sein und darf vor nichts Angst haben.“

Ralf Wiegand (SZ 5.9.) sieht das ähnlich. „Die Empfehlung eines Fair-Play-Preises, die Eric Gerets mit an den Betzenberg zum 1. FC Kaiserslautern bringt, und der Ruf eines Sanierers, der René C. Jäggi vorauseilt, sind für diesen Verein nicht die schlechtesten Qualifikationen. Denn der Gedanke, ein Spiel mit Anstand und Ehre zu spielen, ist in der Pfalz verkümmert wie eine vom Mehltau befallene Weinrebe. Die Roten Teufel schmoren seit einiger Zeit in ihrer eigenen Hölle, das Feuer schürten sie selbst mit Intrigen auf allen Vereinsebenen (…) Der FCK ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie schwer sich viele Vereine damit tun, gedanklich aus dem Sportheim in eine Firmenzentrale umzuziehen. Die neue Zeit mit hauptamtlichen Vorständen, kontrollierenden Aufsichtsräten, mit allen Mechanismen eines mittelständischen Wirtschaftsunternehmens, und solche sind die Klubs ja längst, ist nicht in allen alten Köpfen angekommen.“

Michael Ashelm (FAZ 5.9.) über Gerets. „Der Mann aus Belgien gilt in der Szene nicht gerade als zarte Seele, schon zu seinen Zeiten als Fußballprofi fürchteten viele Gegner die beinharten Attacken des Abwehrspielers. Heute ist Gerets 48 Jahre alt, und vielleicht hat ihm gerade der Ruf als kompromissloser Arbeiter den Auftrag eingebracht, nun als Trainer den Bundesligaklub 1. FC Kaiserslautern erst einmal die nächsten zwei Jahre aus einer der schwersten Krisen der Vereinsgeschichte zu führen (…) In welche Richtung seine Arbeit gehen wird, deutete der 86malige belgische Nationalspieler, der 1988 mit dem PSV Eindhoven als Spieler Europapokalsieger der Landesmeister wurde, schon einmal mit ernster Miene an: „Ich gebe gerne, aber bekomme gerne auch etwas zurück. Wir haben als Fußballer so ein schönes Leben, dass es normal ist, dass jeder das Beste geben muss.“ Mögliche Reibereien mit einem lebenslustigen Schlendrian wie Mario Basler sind da schon vorherzusehen.“

Jörg Kramer (Spiegel 2.9.) porträtiert den Trainer des aktuellen Tabellenführers. „Der oft belächelte Trainer Peter Neururer ist der Mann der Stunde im Bundesliga-Betrieb. Mit dem VfL Bochum schaffte er den Sprung aus der Zweitklassigkeit an die Tabellenspitze. Nutzt der Coach mit dem Leumund des Maulhelden seine wohl letzte Chance, ernst genommen zu werden? (…) Um seine Aufmachung schert er sich nicht. In den Perioden der Arbeitslosigkeit, die sich in seiner Karriere auf 66 Monate summieren, trug er manchmal tagelang einen blauen Bademantel. Mit seinen Goldkettchen, dem Schnauzbart und der bisweilen etwas gestrigen Langhaarfrisur passt Neururer in jeden Manta. Zugleich passt er, wenn er etwa bei der Aufstiegsfeier mit entblößter Brust über den Rasen stapft, jedoch auch auf jeden Stehplatz. Dank seiner natürlichen Kumpelhaftigkeit ist er in der Bundesliga so etwas wie der letzte bezahlte Pfleger der Proletenkultur. In einem Fußballfilm („Gib mich die Kirsche“) mimte Neururer den Wirt einer Dortmunder Fankneipe (…) Es ist wohl sein Glück und auch sein Pech, dass Neururer mit Beginn des Unterhaltungszeitalters im Fußball die Bühne betreten hat. Wo zunehmend der Entertainer im Trainer gefragt und gefördert wird, traut man Vielrednern wie ihm gleichzeitige fachliche Qualitäten nicht zu. Zumindest fallen sie nicht auf. Eher spröde Kollegen wie den Wolfsburger Wolfgang Wolf halten Nichteingeweihte automatisch für kompetent.“

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