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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

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Zum Tode von Fritz Walter, Portrait Frank Baumann, Portrait Sebastian Kehl

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Zum Tode von Fritz Walter, Portrait Frank Baumann, Portrait Sebastian Kehl

Pressestimmen zum Spiel Brasilien-Belgien (2:0)

Spiele, die ich nie vergesse

Die NZZ meint zum Turnierauftritt der USA: „Die britische Schule ist in Asien plötzlich wieder en vogue.“ Dass ausgerechnet diese traditionsschwache Nation nun um den Einzug in ein WM-Halbfinale kämpft, könnte Kulturpessimisten auf den Plan rufen. Die FAZ fragt im Hinblick auf die Globalisierungstendenzen kritisch: „Wo ist in diesen Tagen noch eine Fußball-Philosophie zu erkennen, die ihre eigenen Wege geht, die unverwechselbar ist und stilprägend zugleich?“ Eins bleibt gewiss: Wenn das Ausland sich deutsche Spiele anschauen muss, sieht es meist „Panzer“ am Werk.

Zur Vereinheitlichung des internationalen Fußballstils meint Michael Horeni (FAZ 17.6.). „Die sportliche Unverwechselbarkeit beschränkt sich mittlerweile vornehmlich auf die Spielkleidung. Aber das sind nur noch grundverschiedene Verpackungen für ein Produkt, das sich auf dem Platz von Jahr zu Jahr ähnlicher wurde (…) Die ermüdend gebrauchten Erklärungen der internationalen Trainergilde für die zahlreichen Überraschungsergebnisse bei der WM wiederholen immer nur, dass es auf der Fußball-Welt keine kleinen Nationen mehr gibt. Dass Länder wie Senegal, die Vereinigten Staaten, Südkorea oder Japan eine nachholende Entwicklung vollzogen haben. Das klingt nach Fortschritt, nach Modernität. Das stimmt selbstredend, wer wollte etwas anderes behaupten? Es ist aber nur die halbe, die erfreulichere Wahrheit. Die andere Seite der Fußball-Globalisierung, die nun statt wie einst einem halben Dutzend nun einem Dutzend Mannschaften den WM-Titel als reale Möglichkeit anzeigt, begrenzt jedoch die Kreativität und ungezügelte Spielfreude von Teams und Individuen bis zur Ununterscheidbarkeit (…) Das heißt nicht, dass der Fußball, der bei der WM zu sehen ist, schlecht und die Spiele langweilig wären. Im Gegenteil, der weltweite Einheitsfußball produziert laufend packende Partien“

Zur Wahrnehmung des deutschen Fußballs im Ausland bemerkt Philipp Selldorf (SZ 17.6.). „Die Juroren aus Spanien, England oder Italien waren sich nach dem Sieg der deutschen Nationalmannschaft gegen Paraguay in ihrem Urteil einig: Deutschland ist wieder Deutschland – zynisch, hässlich, plump und billig. Die liebsten Bösewichter des Weltfußballs besetzen wieder ihre Paraderolle als sture „Panzer aus Germany“. Aber die bewährte Metapher liegt fern einer Würdigung deutscher Wertarbeit. In der reflexartigen Wahrnehmung der Berufskritiker brüllen die schwarz-weißen Panzer nicht mit der Kraft von 10.000 Pferdestärken: ächzend kommen sie ins Ziel – als ob Rudi Völlers Nationalelf Rudi Scharpings malader Bundeswehr Referenz erweisen wollte. Bei der WM haben alle ihren Platz. Hier sind die Nationen der Künstler und Könner: die eleganten Franzosen, Argentinier,Brasilianer; die beherzten Engländer, Schweden und Dänen; die pathetischen Spanier; die liebenswert verspielten Afrikaner; die lustigen, heroischen Iren . . . So ließe sich die Liste fortsetzen und am Ende bliebe außer ein paar Außenseitern und Enttäuschungen nur noch Deutschland übrig, das Team aus der Schattenwelt des Fußballs. Dieses stereotype Verdikt aus britischen Boulevardblättern und südländischen Sportzeitungen findet in Deutschland in der Stildebatte Ausdruck, wie sie aus Jupp Derwalls Zeiten überliefert ist. Auch die ist nach dem faden Paraguay-Spiel zurückgekehrt; immer orientiert am glanzvollen Beispiel der Anderen.“

Zum Tod von Fritz Walter schreibt Ex-TV-Moderator Rudi Michel (FAZ 17.6.). „Es wäre sicher falsch zu glauben, nur Glanz und Gloria einer Weltmeisterschaft seien Garanten für Fritz Walters Popularität, die in jedem einzelnen Fall unterschiedliche Ursachen hat, andere Quellen, verschiedene Komponenten haben kann. Sie lässt sich nicht erzwingen, auch nicht von Medien machen oder steuern, vielmehr wird sie mitbestimmt vom Gefühl und Gespür der Massen für eine Ausnahmeerscheinung und deren Ausstrahlung (…) Die Ernennung zum Ehrenbürger seiner Heimatstadt im November 1985 wurde nicht nur damit begründet, dass er die Stadt mit dem WM-Titelgewinn weltweit bekannt gemacht hat. Seine sportlichen Verdienste lagen zeitlich noch weiter zurück, als er mit der Walter-Elf unmittelbar nach der Kriegskatastrophe in einer Zeit der Not ohne Brot den Leuten in einer zerstörten Stadt mit den Spielen sonntags für neunzig Minuten Kino, Kaffeehaus und Konzertsaal ersetzte. Zehntausende strömten auf den Berg, ob sie Fußball mochten oder nicht, ob sie vom Spiel etwas verstanden oder nicht. Der Fritz und seine Freunde spielten auf, das musste man gesehen haben. Tagesthema abseits von den Sorgen um die Existenz. Zeitzeugen von damals zögerten nicht, von Kunst zu sprechen, denn ein Teilaspekt der Kunst besteht darin, Menschen mehr zu geben, als sie selbst vermögen – auf welchem Gebiet auch immer. Zu jener Zeit war Fußball die Kunst der Ablenkung.“

Portrait Sebastian Kehl SZ

Portrait Frank Baumann FR

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