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Kollektiv der Fußballsachlichkeit

Oliver Fritsch | Mittwoch, 31. März 2004 Kommentare deaktiviert für Kollektiv der Fußballsachlichkeit

„die graue Maus unter den großen Fußballnationen Westeuropas gegen die graue Maus unter den kleinen“ (FAZ) – „wer soll bloß deutsche Tore schießen?“ (FAZ) – FR-Interview mit Jens Nowotny, Nationalspieler der Oberliga Nordrhein – Belgien, „Kollektiv der Fußballsachlichkeit“ (FAZ) – „Berti Vogts kann einfach nicht kommunizieren“ (The Scotsman) u.v.m.

Freundschaftsspiel-Verletzungssyndrom

Christian Eichler (FAZ 31.3.) ärgert sich über die vielen Absagen an die Nationalmannschaften, die zur Gewohnheit geworden sind: „Es ist die Zeit der Spontangenesungen. Diesen Mittwoch wird es vielen noch schlechtgehen. Doch schon am Donnerstag wird manche Beschwerde wie weggeblasen sein. Es ist ein Phänomen, für das sich Gesundheitspolitiker interessieren sollten. Die englische Zeitung „Guardian“ nennt es „Freundschaftsspiel-Verletzungssyndrom“. Vor der Heilung steht der Schmerz, und bevor der Fußball seine wunderbaren Kräfte entfalten kann, bedarf es einer sensiblen Diagnose, die im Saisongetriebe oft zu kurz kommt. Erst wenn ein „Freundschaftsspiel“ ansteht, schaffen es die besten Fußballprofis, in sich hineinzuhören – man sollte es „Gesundheitsspiel“ nennen. Meistens finden sie etwas. Und weil sie sich dann endlich die nötige Ruhe gönnen, ist es ruck, zuck wieder weg. Das führt zu teilweise seltsamen Länderspielaufstellungen. Zum Beispiel diesen Mittwoch bei einigen der EM-Favoriten; also nicht bei Deutschland gegen Belgien. Dieser Testspieltermin, mitten in der entscheidenden Saisonphase, zwischen den beiden Viertelfinalterminen der Champions League, wird von vielen Klubtrainern und Profis als überflüssig bis unsinnig eingeschätzt. (…) Die Oberschenkelbeschwerde von Ryan Giggs zum Beispiel „ist eine solch vertraute Erscheinung in Freundschaftsspielwochen“, daß der „Guardian“ sich gut vorstellen kann, „die Krankmeldung sei eine Kopie derjenigen, die Manchester United verwendet, seit Giggs ein Teenager war“.“

Quartett ohne Trumpfkarte

Roland Zorn (FAZ 31.3.) erklärt das Sturmproblem der Deutschen: „Sie sind auf die Minute genau im Bilde und warten stündlich auf das Ende des vorwurfsvollen Zahlenspiels: Der frühere Weltklassestürmer Rudi Völler hat für das Kölner Fußball-Länderspiel gegen Belgien an diesem Mittwoch abend Angreifer eingeladen, die ein gemeinsames Leid verbindet: Sie treffen schon lange das Tor nicht mehr. Der 32 Jahre alte Berliner Fredi Bobic ist in der Bundesliga seit 464 Minuten ohne Treffer geblieben; der 21 Jahre alte Stuttgarter Kevin Kuranyi sehnt sich seit 742 Minuten nach einem Tor; der 30 Jahre alte Leverkusener Oliver Neuville ist schon froh, wenn er mal eingewechselt wird, und versucht seit 349 Minuten vergeblich, seinem Trainer mit einem Treffer zu imponieren. Miroslav Klose, der Kaiserslauterer Angreifer, durchbrach zwar nach 563 Minuten seinen persönlichen Torbann am Sonntag bei der 2:3-Niederlage des FCK in Hamburg, verletzte sich dabei aber und kann dem Teamchef an diesem Mittwoch auch nicht weiterhelfen. Da Not erfinderisch macht, versucht sich Völler in Köln an einem Experiment: Neben Kuranyi, der beim grandiosen 4:4 der Stuttgarter gegen Werder Bremen einmal nur knapp am Ziel vorbeiköpfte, soll der 24 Jahre alte Bochumer Paul Freier als neue deutsche Spitze ausprobiert werden. Freier spielt trotz eines Mittelhandbruchs, den er sich beim 1:2 des VfL gegen Schalke 04 am Samstag zuzog. Die statistischen Saisonwerte des von seinem Klubtrainer Peter Neururer vorzugsweise auf der rechten Seite gebrauchten Freier stimmen jedoch ebenfalls bedenklich: Seine Torquote steht bei Null in zwanzig Bundesliga-Einsätzen. Aus nichts etwas zu machen, ist also die Aufgabe, der sich Völler und sein Quartett ohne Trumpfkarte stellen müssen. (…) Daß Angreifer ständig Gratwanderungen zwischen Egoismus und Mannschaftsdienlichkeit, zwischen Torjubel und Nulltorefrust bewältigen müssen, gehört zu ihrem genuinen Los.“

FR-Interview mit Jens Nowotny über dessen Rolle als Nationalspieler der Oberliga Nordrhein

FR: Ziemlich abgefahren: Für Bayer Leverkusen spielen Sie zurzeit in der Oberliga Nordrhein, in der Nationalmannschaft sind Sie gesetzt.
JN: Das ist wirklich kurios. Da bist du lange verletzt, kehrst als Kapitän einer Mannschaft zurück und bringst zunächst auch gute Leistungen. Wenn es dann aber in der ganzen Mannschaft nicht so läuft, bist du plötzlich draußen.
FR: Es soll Spieler geben, die Sie gemobbt haben. Stimmt das? Es war zu lesen, Sie seien in der Mannschaft nicht gelitten, beinahe isoliert.
JN: Das ist ganz weit hergeholt. Da wird etwas konstruiert. Wir haben in den letzten sechs bis acht Wochen kein Problem in der Mannschaft. Es lief halt nicht so. Und da wird natürlich nach Gründen gesucht. Innerhalb der Mannschaft hat sich überhaupt nichts geändert. Das einzige, was sich verändert hat, wir schießen plötzlich wieder Tore und haben Erfolg.
FR: Und Sie schauen Ihren Kollegen dabei zu. Das kann es ja nicht sein.
JN: Es bleibt mir nichts anderes übrig, als weiter zu trainieren, hart an mir zu arbeiten. Ich werde mich jetzt genauso wenig hängen lassen, wie während und nach meinen beiden Kreuzbandrissen. Ich zweifle nicht.
FR: Rudi Völler auch nicht. Der Teamchef hält ungeachtet Ihres verlustig gegangenen Stammplatzes im Verein an Ihnen fest. Warum?
JN: Er hat immer zu mir gehalten. Er hat mir gesagt, er wisse, dass er sich immer auf mich verlassen könne. Das ist einer dieser Wesenszüge von Völler. Wer ihm einmal geholfen hat, den lässt auch er nicht fallen. Da zeigt sich, auf wen man sich verlassen kann. Wer auch in schwierigen Phasen zu einem steht.
FR: Gibt es einen Leverkusen-Bonus? Davon ist immer wieder die Rede.
JN: Das ist richtig, aber ich kann mir das nicht vorstellen. Es geht hier schließlich nicht darum, Leverkusen einen Gefallen zu tun, sondern Deutschland zu vertreten. Und da können Völler und Michael Skibbe nur die Besten aufstellen.
FR: Würden Sie Ihre Beziehung zu Völler als freundschaftlich beschreiben?
JN: Sie ist auch freundschaftlich, aber letzten Endes muss die Leistung stimmen. Ohne die, geht nichts. Da nutzt dir auch das beste Verhältnis nichts. Ich stehe am Mittwoch unter Druck. Schließlich möchte ich das Vertrauen des Trainerstabs mit einer guten Leistung zurückzahlen. Es darf keine Einbahnstraße sein. Ich kann und darf nicht nur darauf bauen, dass Völler auf mich setzt.
FR: Dann können Sie sich ja mit einer guten Leistung in der Nationalmannschaft für Ihren Club empfehlen. Normalerweise läuft das andersrum.
JN: Die Situation in Leverkusen gibt das aber momentan nicht her. Bayer spielt erfolgreich, und der Trainer hat keinen Grund, die Mannschaft zu ändern. Da spielt es auch keine Rolle, wie du unter der Woche gespielt hast. Der Erfolg im Verein ist vorrangig. Klaus Augenthaler hat immer wieder betont, eine Siegermannschaft nicht auseinander reißen zu wollen.
FR: Werden Sie das Gespräch mit Augenthaler suchen?
Was soll er mir denn sagen?
FR: Wollen Sie denn nicht wissen, warum Sie nicht spielen? Oder wissen Sie selbst, woran es bei Ihnen derzeit mangelt?
JN: Ich bin da nicht so blauäugig. Ich habe sechs Jahre lange mit Christoph Daum gearbeitet und der sagte mir mal, wenn ich 18 Spieler habe und müsste sieben erklären, warum sie draußen sind, fehlen mir irgendwann die Worte. Es geht nur um die elf Spieler, die anfangen. Ich werde weder den Finger heben, noch in Selbstmitleid verfallen.
FR: Mal angenommen, Sie werden den Rest der Saison auf der Bank verbringen. Könnten Sie sich vorstellen, den Verein zu verlassen?
Nein.
FR: Weil Ihr Vertrag noch bis 2008 läuft?
JN: Richtig. Trotz allem muss man sich doch genau überlegen, wo man seine Ziele am besten verwirklichen kann. Da käme für mich der FC Bayern oder eben Bayer Leverkusen in Frage. Dann wird es schon eng. In Bremen könnte die Mannschaft auseinander fallen. In Dortmund ist das Gehaltsgefüge gesprengt. In Stuttgart muss man abwarten, wie die junge Truppe sich entwickelt. In Leverkusen weiß ich, was ich hatte, was ich habe und was ich in Zukunft haben werde.
FR: Und wie sieht es mit einem Wechsel ins Ausland aus?
JN: Da bin ich Realist genug, um zu wissen, dass man mit zwei Kreuzbandrissen nicht von der Bank weggekauft wird.
FR: Also müssen Sie eine gute Europameisterschaft spielen.
JN: Das wäre eine Möglichkeit.

Immer wieder unterschätztes und übersehenes Kollektiv der Fußballsachlichkeit

Christian Eichler (FAZ 31.3.) wirbt für Belgiens Fußball: „Belgiens Nationalteam schaffte sechsmal nacheinander die WM-Qualifikation, schlug 2002 die Tschechen in der Relegation und wurde im WM-Achtelfinale gegen Brasilien nur durch eine Fehlentscheidung (ein aberkanntes Tor von Wilmots) um die verdiente Sensation gebracht. Doch seitdem befindet sich dieses immer wieder unterschätzte und übersehene Kollektiv der Fußballsachlichkeit in einer Talsohle wie seit Jahrzehnten nicht. In der EM-Qualifikation war man (gegen Bulgarien und Kroatien) chancenlos wie nie. Seit dem Rücktritt von Kapitän Wilmots, der in die Politik ging, fehlt dem Team der offensive Antrieb. Gegen Deutschland setzt Trainer Anthuenis auf junge Spieler, darunter den 19 Jahre alten Mittelfelddebütanten Jonathan Blondel und den siebzehnjährigen Innenverteidiger Vincent Kompany, der in den Champions-League-Spielen des RSC Anderlecht gegen Bayern München Roy Makaay keine Torchance erlaubte. Doch es wird Jahre dauern, bis die Verjüngung zu stabiler Stärke führen kann. Anthuenis verlangt eine Rückbesinnung auf die belgischen Fußballtugenden, die so etwas wie der kleine Bruder der deutschen Fußballtugenden sind: „Ich erwarte keine Wunderdinge, aber vor allem will ich keine Wiederholung der traurigen Leistung beim 0:2 gegen Frankreich, als die Spieler nicht in die Zweikämpfe gingen und übertriebenen Respekt vor dem Gegner hatten.“ Dazu besteht diesmal wohl kein Anlaß. Belgien, der unbekannte Nachbar – der Fußball ist ein Spiegelbild für den Kenntnisstand gegenüber diesem seltsamen Land, das in der öffentlichen Wahrnehmung jenseits von Aachen beginnt, hinter beleuchteten Autobahnen am Ärmelkanal endet und irgendwo dazwischen, in einem virtuellen Ort namens Brüssel, die weltgrößte Produktionsstätte für politische Vorschriften betreibt. Wohl kein Nachbarland kennen die Deutschen so wenig wie Belgien, und den Fußball kaum eines Nachbarlandes nehmen sie so wenig wahr wie den belgischen. Zu unterschätzen sind die Fußballbelgier nie. Fast wirkt es, als habe die spielerisch notleidende deutsche Elf lange suchen müssen, um dann doch ganz in der Nähe einen solch komplementären Gegner zu finden: die graue Maus unter den großen Fußballnationen Westeuropas gegen die graue Maus unter den kleinen. Vielleicht wird es gerade deshalb ein bunter Abend.“

Berti Vogts kann einfach nicht kommunizieren

Katharina Strobel (Tsp 31.3.) beleuchtet Berti Vogts’ Werdegang in Schottland: „Schottische Journalisten können ganz schön gemein sein. Schon vor einem Jahr, nach dem 0:2 gegen Irland, rieten die Kollegen vom Glasgower Boulevard ihrem Fußball-Nationaltrainer zu einem beruflichen Neuanfang. In fingerhohen Buchstaben druckten sie die Telefonnummer des Berliner Arbeitsamtes ab. Vielleicht wünscht sich Berti Vogts heute im Stillen, er hätte den Rat damals befolgt. Es wäre ihm manche Kränkung erspart geblieben. Nach dem jüngsten Fiasko – dem 0:4-Debakel der schottischen Nationalmannschaft in Wales – lastet der Erfolgsdruck mehr denn je auf Vogts. Heute treffen die Schotten in Glasgow auf Rumänien, und wenn es diesmal kein Erfolgserlebnis gibt, wird Vogts nur noch schwer zu halten sein. Zwei Jahre nach seinem Start als erster ausländischer Trainer lässt die öffentliche Unterstützung bedenklich nach. Der schottische Fußballverband (SFA) stellt sich zwar hinter den Deutschen, aber zu einer Wertung der bisherigen Amtszeit ihres Spitzenmannes ist er nicht bereit. Celtic Glasgows ehemaliger Nationalspieler Charlie Nicholas glaubt nicht mehr daran, dass es für die schottische Elf unter Vogts noch Hoffnung gibt. „In den zwei Jahren haben wir gesehen, dass er nicht in der Lage ist, ein Team zusammenzustellen“, sagt der 42-Jährige, der in seiner Heimat ein gefragter Kolumnist ist. Stephen Halliday, Sportjournalist bei der Tageszeitung „The Scotsman“, meint, die Ursache des Problems erkannt zu haben: „Berti Vogts kann einfach nicht kommunizieren. Weder mit den Spielern noch mit der Presse.“ Es liege nicht an der fremden Sprache, sondern an einem Defizit an klaren Konzepten. Halliday glaubt auch, dass der Deutsche die Mentalität der Spieler nicht erfasst: „Schottische Fußballer brauchen Ermutigung und Einfühlungsvermögen, Vogts ist zu pragmatisch.“ Schließlich gehe es bei dem Job darum, einer Fußball begeisterten Nation den Erfolg in einem Sport zurückzugeben, den sie nach eigener Auffassung selbst erfunden hat. Die Stimmung ist so schlecht, dass Vogts auch seine bis dato als positiv anerkannte Eigenschaft – den Mut, junge und unerfahrene Spieler zu testen – nachteilig ausgelegt wird. „Vogts verbraucht die jungen Talente“, kritisiert Journalist Halliday.“

Kostas Th. Kalfopoulos (NZZ 31.3.) beschreibt Otto Rehhagels Anerkennung in Griechenland: „Seit August 2001 haben die Griechen einen König. Die Hellenen verehren ihren für das Fussballnationalteam verantwortlichen „Otto den Zweiten“ und schwelgen immer noch im Rausch der Qualifikation für das EM-Turnier in Portugal. Zu Otto Rehhagels wichtigsten Verdiensten gehört ohne Zweifel, dass es ihm mit deutscher Gründlichkeit und Leistung gelungen ist, die Gunst der griechischen Fans für die Fussballnationalmannschaft zurückzugewinnen – zulasten der in den achtziger und neunziger Jahren erfolgreichen Basketballer. Seit Rehhagel in Griechenland tätig ist, hat er sowohl in spielerischer als auch organisatorischer Hinsicht eine ganze Reihe an Initiativen ergriffen. Er lehnte das herkömmliche „typisch hellenische Modell“ ab, das hauptsächlich Spieler aus den drei grossen Athener Mannschaften bevorzugte, und verliess sich eher auf die europäische Erfahrung der sogenannten Legionäre. Im Weiteren bestand er auf eine Umstrukturierung, die ein perfekt ausgestattetes Trainingszentrum und neue Marketingstrategien mit wichtigen Sponsoren voraussetzte. Als Nationaltrainer förderte er unter den Spielern ein neues Selbstbewusstsein. Die Resultate aus der Qualifikationsrunde und den Vorbereitungsspielen bestätigten sein Durchsetzungsvermögen. Die Mannschaft wirkt selbstsicher, die Taktik sieht eine solide Abwehr und ein starkes Mittelfeld vor, das die Konterattacken der Angreifer systematisch vorbeireiten soll.“

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