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Bundesliga

Oliver Fritsch | Dienstag, 6. April 2004 Kommentare deaktiviert für Bundesliga

„Meister-Flatter bei Werder?“ (FR); „es ist uns egal, was die Bayern sagen und machen“; Klaus Allofs, „Schnäppchenjäger“ (FAS) – wen verkauft Dortmund noch? – Erik Gerets, „anständiger Mensch und glänzender Kommunikator“ (NZZ), auch ein guter Trainer? –ist die Bundesliga attraktiv? Analysten sagen „nein“, Zuschauer sagen „ja“; „die neuen Stadien sind die Stars der Liga“ (SZ) u.v.m.

Werder Bremen – SC Freiburg 1:1

Es ist uns egal, was die Bayern sagen und machen

Frank Heike (FAZ 6.4.) durchschaut Bremer Sprachregeln: „Als Valérien Ismael drei Stunden nach dem Abpfiff in der sonntäglichen Sportsendung des Norddeutschen Rundfunks saß, hatte er die richtigen Antworten schon parat. Der tadellose Elsässer ist vor neun Monaten ohne ein Wort Deutsch im Gepäck nach Bremen gekommen; inzwischen führt er seine Interviews dank einiger Überstunden bei der Privatlehrerin längst in der Sprache der neuen Heimat. Natürlich kennt er auch das Wort „Krise“. Ob Werder denn nun eine Krise drohe und Bayern München womöglich doch noch herankommen lasse, fragte der Moderator. Ismael antwortete: „Vielleicht kriegt Bayern ja noch die Krise. In Bremen gibt es keine.“ Niemand hatte den Bremer Verteidiger vergattert, so etwas zu sagen. Niemand hatte seinem stillen Kollegen Frank Baumann Stunden vorher eingeflüstert, selbstbewußt von einem Sieg in der nächsten Partie in Frankfurt zu sprechen. Gespannt hatte man in der Pressekonferenz auf die Worte von Thomas Schaaf und Klaus Allofs gewartet, um vielleicht doch ein paar Worte des Zweifels am Gewinn der Meisterschaft herauszuhören. Man lauschte vergebens. „Es war nicht zu erwarten, daß wir mit zwanzig Punkten Vorsprung Meister werden“, sagte Trainer Schaaf, noch bevor es eine Reaktion aus München auf den unerwarteten Bremer Punktverlust gegeben hatte. Was die Bayern später am Abend sagten, war dies: „Jetzt schlagen wir Bremen in München und verlieren kein Spiel mehr.“ So sprach Oliver Kahn. Mußte das den Bremern nicht doch angst machen? „Es ist uns egal, was die Bayern sagen und machen. Wenn wir unsere Hausaufgaben machen, haben sie keine Chance, den Rückstand aufzuholen“, sagte Sportdirektor Allofs. Die beiden und die Profis genauso mußten sich nicht einmal verstellen, schauspielern oder sich besonders bemühen, trotz dieses kleinen Rückschlags alle Anzeichen von meisterlicher Souveränität zu wahren: In Bremen ist man auch bei nur noch sieben Punkten Vorsprung vor den Bayern vom Titelgewinn überzeugt.“

Ralf Wiegand (SZ 6.4.) empfiehlt den Bremern Gelassenheit: „Tatsächlich verhält es sich mit dem großen Vorsprung von Tabellenführer Werder Bremen auf den FC Bayern München wie mit den Eisbergen an den Erdpolen. Schmelzen die kalten Giganten auch nur um 0,1 Prozent, malen Klimaforscher sofort den Untergang der Welt an die Wand. Analog muss die Verringerung des Abstands zwischen Werder und Bayern von elf über neun auf nunmehr sieben Punkte in der Fußball-Meteorologie einen Klimawandel an der Weser bedeuten. Aus den selbstbewussten, ballverliebten Paradiesvögeln werden unter der Last der drohenden Meisterschaft überforderte Überflieger, die hypernervös zum unkontrollierten Sturzflug ansetzen. Nur noch sieben Punkte liegen sie vor den Bayern, also eigentlich vier, denn die Münchner werden das Heimspiel am drittletzten Spieltag selbstverständlich gewinnen, was auch das um sechs Tore bessere Torverhältnis nicht überleben wird. Und nun muss Werder zu Eintracht Frankfurt – nur gut, dass der Klassenerhalt gesichert ist. Gäbe es solche Krisen, wie das nach Spannung lechzende Expertenvolk den Bremern nun eine einsingen möchte, allerdings irgendwo zu kaufen, würde mancher Klubvorstand einen Kredit dafür aufnehmen. Keines der schlechten Spiele, ob gegen den 1. FC Kaiserslautern (1:0, Nachspielzeit), gegen den 1. FC Köln (3:2 nach 3:0) oder eben nun gegen den SC Freiburg, dem nach 19 Sekunden das schnellste Tor der bisher aufgearbeiteten Vereinsgeschichte gelungen war, hat Werder verloren. Dementsprechend bleiben die Verantwortungsträger in Bremen gelassen. „In der Winterpause hatten wir vier Punkte Vorsprung und waren überglücklich“, sagte Sportdirektor Klaus Allofs, „jetzt haben wir sieben – unser Gemütszustand ist also die Steigerung von überglücklich.“ Zu größerer Sorge besteht auch kein Anlass. Das Spiel gegen Freiburg bewies trotz minderwertiger spielerischer Qualität einmal mehr die Entschlossenheit, mit der Werder Bremen nach der vierten Meisterschaft strebt.“

Schaafismus

Markus Jox (taz 6.4.) notiert Gelassenheit: „Unter einem Schaafismus versteht man in Bremen eine dürre, vorderhand grantig-krude, bei genauerem Betrachten aber bestechend witzige Antwort des Fußball-Lehrers Thomas Schaaf auf eine saublöde Journalistenfrage. Diesmal lautete die Frage wie folgt: „Werder hat nun an zwei Spieltagen hintereinander jeweils zwei Punkte auf Bayern München verloren. Wie schätzen Sie die Situation ein, Herr Schaaf?“ Der darauf folgende Schaafismus: „So, wie sie ist.“ Schaaf, der es mithin begnadet versteht, mit bierernster Miene die sinnentleerten Phrasen des Fußballgeschäfts ad absurdum zu führen, gab dem Fragesteller noch einen hinterher: „Was haben Sie denn erwartet? Dass wir mit zwanzig Punkten Vorsprung deutscher Meister werden?“ Gewiss würden jetzt „wieder ein paar Rufe laut“, prophezeite der Werder-Trainer eine mediale Spekulationswelle über einen Einbruch seiner Mannschaft, „aber darauf sind wir eingestellt – wir jedenfalls können mit der Situation umgehen“. Den 45.000 Zuschauern im ausverkauften Weserstadion fiel dies weniger leicht. Die meisten hatten es sich noch gar nicht so recht gemütlich gemacht, da lag das Bremer Team bereits 0:1 zurück. Das schnellste Tor in der laufenden Bundesligasaison sei das gewesen, wurde von den Gralshütern der Statistik hernach aufgeregt kundgetan, und obendrein auch noch das schnellste Tor in der Vereinsgeschichte des SC Freiburg – „soweit diese bekannt ist“, ergänzte Coach Volker Finke, der sich einen knallroten Münte-Schaal um den Hals gelegt hatte und der auch ähnlich verkniffen strahlte wie der Sozen-Grande.“

Frank Hellmann (FR 6.4.) mahnt zur Ernsthaftigkeit: „Meister-Flatter bei Werder? Manager Klaus Allofs strahlt Gelassenheit aus. „Wenn wir spielen, was wir können, haben die Bayern keine Chance.“ Und sogleich verweist der Rheinländer auf die Tatsache, dass „wir noch drei Punkte mehr Vorsprung als vor der Winterpause haben.“ Allofs Schlussfolgerung: „Unsere Situation ist immer noch sensationell. Unser Zustand ist immer noch die Steigerung von überglücklich.“ Aber genau das ist auch das Problem der Bremer. Zuletzt hatten die prominentesten Angestellten der Werder Bremen GmbH & Co KGaA nicht mehr trainiert als nötig, manche Einheit vor kreischenden Kids erinnerte eher an ein fröhliches Schaulaufen denn an ernsthaften Übungsbetrieb. Gestern gab Trainer Thomas Schaaf nicht mehr (wie noch nach dem Stuttgart-Spiel) zwei Tage frei, sondern versammelte die Seinen bei norddeutschem Schmuddelwetter im Halbkreis um sich zur Klarstellung: Bis zur Meisterschaft sei es noch ein weiter Weg. Doch irgendwie will das in Bremen niemand hören.“

Frank Heike (FAS 4.4.) staunt über Klaus Allofs’ Geschick als „Schäppchenjäger“: „Ein verletzter Türke, ein maulfauler Mecklenburger, ein schwieriger Franzose. Und das sollten die Verstärkungen für die neue Saison sein? Ümit Davala war frisch an der Leiste operiert, als er nach Bremen kam, und der Stolz des in Mannheim geborenen Türken war auch verletzt – Inter Mailand hatte keinen Wert mehr auf die Dienste des Nationalverteidigers gelegt und ihn an Galatasaray Istanbul ausgeliehen. Andreas Reinke hatte der Bundesliga als verspotteter Tolpatsch entnervt den Rücken gekehrt und sein Glück im griechischen und spanischen Ausland versucht; die Bundesliga schien ihm so weit entfernt wie der Mars. Valerien Ismael hatte ein ernüchterndes Zwischenspiel in der englischen Premier League bei Crystal Palace abgebrochen; bei seinem Stammverein Racing Straßburg gab es Ärger mit dem Trainer. Ismael saß auf der Tribüne. Diese drei also landeten im Sommer 2003 in Bremen, und wohl selten sind Einkäufe eines Bundesligaklubs argwöhnischer beäugt worden als die des Klaus Allofs. Heute grinst der Bremer Sportdirektor längst nur noch verschmitzt, wenn man ihn nach Davala, Reinke und Ismael fragt: Nicht nur, daß sie wichtige Teile im sportlichen Erfolgspuzzle des souveränen Bundesliga-Tabellenführers geworden sind, sie haben sich auch neben dem Rasen zu Führungsspielern entwickelt. Das gilt vor allem für den 35 Jahre alten Reinke und für Ismael, 28 Jahre alt. Bremen also als Auffangstation für Schwierige und Aussortierte, für Routiniers im Spätherbst der Laufbahn? „Uns fehlte vor der Saison die Erfahrung im Kader“, sagt Allofs, „nur mit jungen Leuten geht es ja auch nicht. Diese drei Erfahrenen haben uns weitergebracht.“ Es spricht zudem für Allofs, daß er die drei Neuen ohne Ausleihgebühr holte und ihnen etatschonende, erfolgsabhängige Verträge gab. Es spricht auch für Allofs, wie sehr er sein Licht unter den Scheffel stellt: Reinke habe ohnehin zurück in die Heimat gewollt, Davala sei eben gerade auf dem Markt gewesen: Gut, bei Ismael hätten wohl seine guten Beziehungen nach Frankreich geholfen. Die Profis sehen das etwas anders.“

Borussia Dortmund – VfL Bochum 4:1

Vielleicht ist Sammer seiner Zeit gedanklich voraus

Um Matthias Sammer auszulegen, findet Freddie Röckenhaus (SZ 6.4.) einige Analogien: „Sonst erinnert Matthias Sammer bekanntermaßen ein wenig an „Bernd, das Brot“, den notorisch querschädligen Nein-Sager aus dem Kinderkanal. So richtig wusste man deshalb nicht, ob Matthias Sammer in eigener Sache sprach, als er um besondere Aufmerksamkeit für einen seiner eigenen Sätze bat: „Unter den gegebenen Umständen steht meine Mannschaft sensationell, ich betone: sensationell da“, fand Borussia Dortmunds Cheftrainer. Vielleicht ist Sammer seiner Zeit auch gedanklich bereits voraus – denn nach und nach, scheibchenweise, wie es in Dortmund üblich ist, gibt der Verein zu, dass der BVB im kommenden Jahr personell weniger exklusiv besetzt sein muss. Kein Wunder, dass Sammers Pendant Peter Neururer seine Mannschaft ebenfalls sensationell fand. „Ich habe keine Vorwürfe zu machen. Wir werden in der Endabrechnung den Platz belegen, der uns zusteht“, befand der Trainer der zuletzt leicht abgerutschten Emporkömmlinge. Das launige, offensive Spiel hatte den 81 000 Zuschauern im nicht ganz ausverkauften Westfalenstadion Spaß gemacht. Aber so richtig kamen beide nicht gegen die Zweifel an, mit denen man bisweilen auch die Worte des berühmten Kastenbrots aus dem KiKa bedenkt. (…) Gegen den drohenden Ausverkauf wichtiger Leistungsträger will sich in Dortmund Matthias Sammer deshalb stemmen. „Wir können die Älteren verkaufen oder die ganz Jungen. Aber nicht die im besten Mittelalter“, sprach Sammer in Klauseln, die man irgendwie von der Rürup-Kommission zu kennen glaubt. Gemeint waren damit vor allem die BVB-Säulen Torsten Frings und Leonardo Dede.“

Allgemein

Anständiger Mensch und glänzender Kommunikator

Martin Hägele (NZZ 6.4.) warnt die Wolfsburger vor Erik Gerets: „Ähnlich konträr wie die wichtigsten Angestellten erledigten auch die zwei Chefs ihre Jobs. Der Manager Pander hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass der aus Berlin verpflichtete Röber, der in Wolfsburg wie bei Real Madrid spielen lassen wollte mit seinen argentinischen Artisten, nicht zu seinem Konzept passte. Denn Pander ist ein bodenständiger Funktionär, der als Liga-Obmann aus der Oberliga bald 20 Jahre lang gewachsen ist, mit der Entwicklung, welche der allmächtige Sponsor und dessen sportliches Aushängeschild in der Bundesliga genommen haben. Mit dem Hobby-Landwirt und ehemaligen Weltklasseverteidiger Gerets könnte Pander eher auf einer Welle liegen als mit dem im Laufe der Zeit für Beratungen immer resistenteren Röber. Allzu grosse Hoffnungen aber sollten in Niedersachsen dennoch nicht gehegt werden. Und man sollte sich auch von der positiven Atmosphäre, die der anständige Mensch und glänzende Kommunikator Gerets garantiert schaffen wird, nicht blenden lassen. Problematisch wird die Neuordnung des VfL-Teams nämlich schon, wenn Gerets nicht auf Anhieb die richtigen Spieler für sein 4:4:2-System findet. Auf diese taktische Grundausrichtung alter Benelux-Schule schwört der Fussball-Lehrer. Es kann sogar richtig schlimm werden, sobald das Management dem neuen Trainer erlaubt, dessen Wunschspieler zu kaufen. Die Folgen solcher katastrophalen Verpflichtungen sind derzeit in Kaiserslautern zu besichtigen. Genauer formuliert handelt es sich um den spielerischen Zerfall eines halbwegs ordentlichen Teams. Von einem taktischen Konzept ist auch nach siebzehn Monaten unter dem belgischen Übungsleiter und seinem Assistenten Stumpf nichts übrig geblieben. Die Personalpolitik aus dieser Ära gilt als Beleg dafür, wie man mit der Legionärs-Mentalität seiner Spieler an den Bedürfnissen einer ganzen Region vorbei wirtschaftet und die Basis vom Fritz-Walter-Klub entfremdet. Am 8. Mai, am drittletzten Spieltag, gibt Gerets dort mit dem VfL Wolfsburg sein Comeback. Es gibt viele, die werden sich auf das Wiedersehen mit dem sympathischen Belgier freuen. Der gehört nämlich zu jener seltenen Sorte Menschen, die in dieser Branche mehr nach ihrem Auftreten und weniger nach ihrer Arbeit gemessen werden.“

Die neuen Stadien sind die Stars der Liga

So viele Zuschauer kamen noch nie – Christoph Biermann (SZ 6.4.) reibt sich die Augen: „Allmählich muss man sich fragen, was die Zuschauer eigentlich noch vom Besuch in Bundesligastadien abhalten könnte. Offensichtlich bremst nichts mehr den Drang, auf den Tribünen live dabei zu sein. Dass in der Bundesliga kaum Weltstars zu sehen sind, egal! Dass die deutschen Klubs international nicht mithalten, auch egal! Selbst auf Einzelschicksale wird keine Rücksicht mehr genommen. Oder bremst es den Elan der Fans, wenn ihr Klub rettungslos abgeschlagen am Tabellenende steht? Auf keinen Fall, der 1.FC Köln hatte noch nie so viele Zuschauer. Stören atemberaubende Geschäfte und Millionenschulden? Nö, Borussia Dortmund ist auf dem Weg zum besten Zuschauerschnitt der Bundesligageschichte. Lähmt Herumgurken im Niemandsland der Tabelle das Interesse? Ach was, nie sahen so viele Fans die Spiele des Hamburger SV. So könnte man problemlos weitermachen, denn bis auf zwei Klubs haben alle Bundesligisten ihre Zuschauerzahlen im Vergleich zum Vorjahr gesteigert. Hertha BSC hat sich mit einer schaurigen Heimbilanz alle Mühe gegeben, die Zuschauer aus dem Olympiastadion zu vergraulen. Trotzdem sind im Schnitt nur ein paar Hundert Fans weniger gekommen. Und in Hannover erklärt sich der Rückgang der Zuschauerzahlen schlicht dadurch, dass durch den Umbau nicht mehr Platz ist. Womit wir auch schon bei der Erklärung für den rätselhaften Boom wären. Die neuen Stadien sind die Stars der Liga. Am deutlichsten ist das in Köln zu sehen. War das alte Müngersdorfer Stadion so wenig komfortabel, dass man nicht einmal das Spiel richtig sehen konnte, ist die neue Arena eine aufregende Schlucht. Da ist was los.“

Esprit und echte Typen fehlen der Bundesliga

Michael Ashelm (FAS 4.4.): „Während Klubs aus England, Spanien, Italien oder auch Frankreich die europäischen Wettbewerbe unter sich ausmachen, müssen deutsche Vereine ausnahmslos mit ihrem kleinen, provinziellen Beritt vorliebnehmen. So steht diese Fußballsaison nicht nur für den spektakulären Alleingang von Werder Bremen, sondern auch für etwas anderes: das klägliche Scheitern des großen Kapitals mit seinen hochtrabenden Plänen. „Sicher können wir in dieser Saison mit dem Abschneiden der deutschen Mannschaften auf europäischem Parkett nicht zufrieden sein“, sagt Franz Beckenbauer. Aber einen langfristigen Schaden der Bundesliga sehe er deshalb nicht. Anders beurteilt es der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, Gerhard Mayer-Vorfelder, der für die Situation eher Spott übrig hat. „Es ist gut, wenn man mit dem Stadion wieder anfängt. Das andere kommt vielleicht bald wieder“, meinte er zuletzt zur Situation der Bundesligaklubs in der Champions League, deren diesjähriges Finale in Gelsenkirchen stattfindet – also wenigstens ein kleiner Trost. Währenddessen ist das Trauerspiel überall zu besichtigen: Der deutsche Branchenprimus FC Bayern hat es trotz großspuriger Ansage nach seinem Champions-League-Gewinn 2001 nicht in den erlesenen Fußball-Zirkel mit Real Madrid, Arsenal London oder dem AC Mailand geschafft. Borussia Dortmund hat sich maßlos verkalkuliert und steht vor der Grundsanierung. Der großzügig mit Sponsorengeldern bedachte Hauptstadtklub Hertha BSC Berlin bangt nach verfehlten Personalentscheidungen derzeit um den Klassenverbleib, und Schalke 04 muß sich inzwischen mit dem kleinen Ruhrrivalen VfL Bochum auf eine Stufe stellen lassen. Kurzum: Managementfehler haben ihre Spuren hinterlassen. Da kommt auch Straub nicht umhin, Defizite einzuräumen: „Wir müssen sicher beklagen, daß unsere Edelmarken international zurückgefallen sind. Zur Propagierung und für das Ansehen der Bundesliga ist das nicht wünschenswert.“ In Zeiten, in denen jeder Euro mehr in der Tasche zählt und der geschäftliche Blick der europäischen Ligen neuerdings auf den großen asiatischen Fußballmarkt gerichtet ist, bedeutet das im Gerangel mit der Konkurrenz einfach nur – Rückschritt. (…) Schon in der Vergangenheit hatten Werbefachleute immer wieder festgestellt, daß den besten deutschen Klubs etwas Wichtiges fehlt: Esprit und echte Typen. So sagt zum Beispiel Stephan Schröder vom Kölner Institut Sport und Markt: „Auch die Bayern müssen schauen, daß sie nicht nur Kahn und Ballack als deutsche Aushängeschilder haben, sondern auch andere Spieler populärer machen. Da müssen die Bayern noch stärker dran arbeiten.“ Aber wie in München kann auch in Dortmund, Berlin oder Schalke nur der sportliche Erfolg etwas am drögen Erscheinungsbild ändern – das ist das eine. Auf der anderen Seite zeigen die deutschen Großklubs gefährliche Instabilitäten, wie man jetzt gerade an Hertha sieht. Aber auch Bayer Leverkusen mußte in der vergangenen Saison fast in die Zweitklassigkeit.“

Als Popstar ist Kahn, der Titan, nun allein im Bundesligahaus

Richard Leipold (FAS 4.4.) fürchtet, dass er Amoroso vermissen wird: “Gibt es wirklich nur Gewinner bei dieser Scheidung? Ist Fußball nicht längst Teil der Unterhaltungsindustrie, die nach Darstellern verlangt, die mehr zum Gelingen der Show beitragen als den gepflegten Spannstoß? Die Bundesliga ist ein Amüsierbetrieb, dessen Handlungsstränge längst nicht mehr allein auf dem Rasen zusammenlaufen. Und Amoroso war eine der letzten Fußballfiguren, die eine Aura umgibt; die sich mit tauglichen wie untauglichen Mitteln unterscheiden vom Einheitsprofi der Ligakollektive. Solche Spieler mögen keine guten Vorbilder sein, aber sie verkörpern das Unberechenbare, Unnachahmliche, das zum Leben wie zum Sport dazugehört, ob man will oder nicht. Mit Amoroso verläßt wieder ein kickender Querkopf die deutsche Durchschnittsliga. Matthäus, Effenberg, Basler, Möller – alle weg. Auch wenn wir es nicht gerne zugeben: Manchmal fehlen sie uns mit ihren Extravaganzen und mitsamt ihrem Gefolge aus schönen Frauen, falschen Freunden und raffgierigen Beratern. Amoroso etwa wirkte wie ferngesteuert von einem Literaturwissenschaftler namens Nivaldo Baldo, der sich als Leibarzt, als Guru des Torjägers gerierte. Ob Geschäftsführer, Mediziner oder Trainer: Baldo versuchte sie alle derart dreist und lächerlich in Mißkredit zu bringen, daß er auf fast komische Art den Blick für die absurden Seiten des Geschäfts geschärft hat. Die aktuellen Stars sind kalte Vollstrecker wie Makaay, schweigende Künstler wie Micoud oder einfach nur nette Jungen wie der ständig nach seinem sportlichen Ich suchende Ballack. Sie konzentrieren sich so stark auf das Wesentliche, daß sie überfordert sind, wenn das Publikum sich nach Menschen mit Fehl und Tadel sehnt, die andere mitreißen. Als Popstar ist Kahn, der Titan, nun allein im Bundesligahaus.“

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