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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ballschrank

Champions League

Oliver Fritsch | Donnerstag, 8. April 2004 Kommentare deaktiviert für Champions League

„die Parvenüs proben den Aufstand“ (FAZ) – „AS Monaco , kein Nobody auf Europas Fussballbühne“ (NZZ) – in London werden aus Verlierern Sieger und aus Siegern Verlierer; Jens Lehmann fängt den Ball nicht, „was die deutsche Torwartdebatte angeht, wird es in Portugal wohl ähnlich ruhig sein wie im Highbury nach dem Schlusspfiff“ (SZ); „before you could say ‚Dummkopf’ the ball was in the back of the net“ (The Sun) – der FC Bayern siegt in der Champions League für Deutsche u.v.m.

Als Weltraumspektakel für Marsmännchen eignet sich dieser Sport nicht

„Siehste!“, ruft Roland Zorn (FAZ 8.4.) den Madrilenen zu: „Fußball ist ein irdisches Spiel. Das weiß seit Dienstag auch der letzte extraterrestrisch geblendete Fan von Real Madrid. Die Stars aus der spanischen Hauptstadt, in einem Teil der Medien zu galaktischen Wesen hochgejazzt, haben eine kapitale Bruchlandung hingelegt. Die rückhaltlose Bewunderung für ein Künstlerkollektiv ohne feste Bindung zur Basis jedes Kicks zerschellte in Monte Carlo an der schlichten Wirklichkeit des Fußballs. Die Profis von AS Monaco erstarrten anders als vor Wochen der FC Bayern nicht vor den großen Namen des Gegners (…) Florentino Perez, der Architekt und Baumeister des Real-Traumschlosses des frühen 21. Jahrhunderts, berauschte sich am Einkauf seiner Protagonisten wie ein kindlich begeisterter Feuerwerker: Solange es am Firmament brennt, staunen alle – wenn die Leuchtkaskaden verglühen, wird alles schwarz. Perez mag keine Abwehrarbeiter und gibt deshalb auch keinen Euro zuviel für diese manchmal grau anmutende Unterabteilung eines Fußball-Ensembles aus. Der dagegen auf seine „Paradiesvögel“ Zidane, Figo, Ronaldo oder Beckham lange stolze Spanier ließ folglich eine international anerkannte defensive Fachkraft wie Makelele gen Chelsea ziehen – von dort grüßt der Franzose als Halbfinalteilnehmer. Den daheim angesichts des großen Ronaldo übersehenen Morientes lieh Real an Monaco aus – „merci“, sagen sie dort. Bestraft wurde die Überheblichkeit der vermeintlich Allmächtigen, belohnt die Courage und Spielintelligenz der vermeintlich Chancenlosen. Der Fußball als einfaches, einfach faszinierendes Spiel, das nach ehernen Regeln funktioniert, hat dabei gewonnen. Als Weltraumspektakel für Marsmännchen aber eignet sich dieser Sport nicht.“

Spanische Pressestimmen FR

Before you could say ‘Dummkopf“’ the ball was in the back of the net

Jens Lehmann fängt den Ball nicht. The Sun, London, nimmt kein Blatt vor den Mund: „Germans gave the world Beethoven, Claudia Schiffer and Michael Schumacher. Arsenal, sadly, got Jens Lehmann. Perhaps Arsene Wenger got him muddled up with Oliver Kahn. Whatever happened, Lehmann proved conclusively last night there can be little future for him at Highbury after another inexplicable blunder cost Arsenal their place in the Champions League on a night of outstanding action and high emotion. (…) When the chips were down, they could always rely on the man known simply as Safe Hands. Now he has been replaced by Careless Hans. How Lehmann failed to cope with a speculative long-range shot from Claude Makelele is anybody’s guess. He would probably claim he was trying to punch away a ball he only saw at the last minute. Instead, he shovelled it straight into the path of Frank Lampard. Before you could say “Dummkopf“ the ball was in the back of the net. If it had been a one-off, you could excuse it. But it wasn’t. Lehmann has been doing this all season especially in Europe.”

Aus dem Verlierer ist ein Sieger geworden. Und aus dem Sieger ein Verlierer

Die NZZ (8.4.) stellt die unterschiedlichen Wirkungen dar, die der Sieg Chelseas auslöst: „Arsenal, so hiess es im englischen Fussball während Jahrzehnten, sei nicht auf dieser Welt, um geliebt zu werden; Arsenal sei langweilig, Arsenal siege stets mit Glück. Wer noch immer glaubt, die Fussballgötter hätten eine Dépendance an der Avenell Road im Norden Londons, muss seine Meinung revidieren – spätestens seit Dienstagabend. Als der deutsche Schiedsrichter Merk kurz nach halb zehn (Lokalzeit) das Rückspiel des Champions-League-Viertelfinals zwischen Arsenal und Chelsea beendete, starrte die überwältigende Mehrheit der 38 500 Zuschauer fassungslos in die Nacht hinaus. Von Langeweile keine Spur, doch das war ein schwacher Trost. Mit dem Treffer zum 2:1 für die Blues hatte Wayne Bridge in der 87. Minute die Herzen der Heim-Supporter gebrochen und die Wartezeit des Traditionsklubs auf den erstmaligen Vorstoss in die Halbfinals der Champions League um mindestens ein weiteres Jahr verlängert. „Diese Niederlage ist meine grösste Enttäuschung als Arsenal-Trainer“, sagte Arsène Wenger nach dem Spiel, „gegen Monaco wären die Chancen auf die Finalqualifikation gross gewesen.“ Ob Wenger Recht hat, wird er allenfalls in zwei Wochen von seinem italienischen Branchenkollegen Claudio Ranieri erfahren. Der Chelsea-Trainer, bis vor wenigen Tagen von der englischen Presse aufgrund seiner schlechten beruflichen Perspektiven als „dead man walking“ (als wandelnder Toter) bezeichnet, ist der Mann der Stunde. Egal, ob der charmante Italiener seinen noch bis 2007 laufenden Vertrag erfüllen darf oder nicht, mit dem Sieg gegen Arsenal hat er den Kritikern jegliche Grundlage entzogen. Der Klubbesitzer Roman Abramowitsch (geschätztes Vermögen 12 bis 14 Milliarden Franken) könnte die angekündigte Entlassung des Trainers (Wochenlohn 120 000 Franken) zwar mühelos bezahlen, doch vor den Fans geriete der Russe in einen Argumentationsnotstand. „There’s only one Claudio Ranieri“, sangen die auch am Dienstag im Highbury. Aus dem Verlierer ist in dieser kalten Londoner Frühlingsnacht ein Sieger geworden. Und aus dem Sieger ein Verlierer. Das musste auch Wenger zugeben: „Chelsea ist auf dem aufsteigenden Ast, wir sind auf dem absteigenden. Unsere Wege haben sich gekreuzt.““

Ich habe den Ball genau an den Kiefer bekommen, das war nicht ideal

Raphael Honigstein (SZ 8.4.) ergänzt: „Claudio Ranieris Reaktion nach 90 wie ein Hochgeschwindigkeitszug vorbeigerauschten Minuten sagte ja schon alles: Jubelnd, mit den Armen in der Luft, lief er zu seinen Männern auf den Rasen, um danach gerührt mit den Tränen zu ringen. „30 Sekunden im Delirium“, habe er verlebt, berichtete der seit Monaten von den Chelsea-Bossen abgeschriebene Coach in der Stunde der größten Genugtuung, „ich war verrückt.“ Kaum anders kommt einem die unfeine Kritik vor, die Geschäftsführer Peter Kenyon in inoffiziellen Pressegesprächen geäußert hatte. Ranieri lasse zu defensiv spielen, habe mit dem vielen Geld die falschen Spieler gekauft, er wisse wohl selber nicht, welches seine beste Elf sei, lautete die Anklage. Ranieris Verabschiedung galt als so sicher, dass der Verein noch am Dienstag das Gerücht einer möglichen Vertragsverlängerung entschieden dementiert hatte. Wie „ein zu Tode Verdammter“ komme er sich vor, hat Ranieri neulich gebeichtet, doch der erste Sieg nach 17 erfolglosen Stadt-Derbys lasse ihn „weiter leben, weiter gehen“, es sei schwer, ihn umzubringen, freute sich der Römer. Die Rache des Zombies von der Stamford Bridge scheint doch kein Horrorfilm, sondern plötzlich eine romantische Komödie zu werden, mit exotischen Schauplätzen – nächster Stop: Monaco – und einem rührenden Happy End. Gewinnt Chelsea die Champions League, kann Ranieri nicht mehr gefeuert werden – die Anhänger der Blues würden sonst das 60 Millionen teure Stadtschloss von Abramowitsch abfackeln. (…) Wer wie die Gunners alles in Grund und Boden spielt, kann kurz vor dem Gipfel der Fußballkunst nur noch an Höhenangst scheitern; und Jens Lehmanns Patzer beim 1:1 („Ich habe den Ball genau an den Kiefer bekommen, das war nicht ideal“) ließ Arsenal prompt nach unten schauen. Lehmann, der gewarnt hatte, dass man noch in allen drei Wettbewerben scheitern könne, sah wegen der zu zwei Dritteln wahr gewordenen Prophezeiung innerlich zerstört aus. „Ich hatte gehofft, hier keinen rein zu kriegen“, sagte er, „leider habe ich meinen Teil dazu beigetragen, dass das nicht klappte. Jetzt bleibt nur noch die Meisterschaft, und die werden wir gewinnen.“ Das wäre immer noch ein großer Erfolg, aber sein Traum vom Europacup-Triumph war soeben zerplatzt. Wenger sucht schon nach einem neuen Keeper, hört man in Nord-London. Was die deutsche Torwartdebatte angeht, wird es in Portugal wohl ähnlich ruhig sein wie im Highbury nach dem Schlusspfiff.“

Der Trainer vor allem eine Rolle zu erfüllen: er steckt bei Misserfolg die Schläge ein

Ronald Reng (taz 8.4.) analysiert das Erfolgsrezept des AS Monaco und die Versäumnisse Real Madrids: „Von Teams, die einmal ganz hell leuchten und nie wieder kommen, gibt es einige: Dynamo Kiew 1999 zum Beispiel oder Bayer Leverkusen, das 2002 sogar das Finale erreichte. Und jedes Mal, wenn solch ein Außenseiter dann wieder in der zweiten Reihe verschwindet, bricht Wehmut aus, die Champions League sei eine geschlossene Gesellschaft der Superreichen wie AC Mailand, ManU oder Real geworden. Doch Leverkusen lebt: Mal heißt es FC Porto, nun AS Monaco – der liebenswerte Underdog erschafft sich immer wieder neu. (…) Zirka 15-mal in zehn Minuten sagte Madrids Trainer Carlos Queiroz später, er müsse Monaco gratulieren, ehe er endete: „Das Wichtigste ist jetzt nicht zu reden, sondern Monaco zu gratulieren“, was die Achtung vor dem schnellen, schnörkellosen Passspiel erahnen ließ – was aber natürlich auch Queiroz Nervosität verdeutlichte. Als der exzellente Fernando Morientes das 2:1 für Monaco erzielte, erlebte das Konzept von Präsident Florentino Pérez, ausschließlich auf absolute Stars wie Zinedine Zidane sowie Spieler aus der Nachwuchsakademie des Vereins zu setzen, seinen Bankrott. „Es tat ein bisschen weh“, sagte Morientes über sein Tor. Denn er ist Madridista, sogar noch bei Real angestellt; ausgeliehen nur an Monaco, weil Pérez vor Saisonbeginn alle Ersatzspieler mit hohen Gehältern wegschickte. Sechs solide Profis mussten gehen, weil sie nicht in die Verpackung „galaktischer Star“ oder „Akademietalent“ passten. In Monaco war mehr denn je erkennbar, was das gebracht hat: Die Galaktischen sind ausgelaugt, weil sie immer spielen müssen, müssen aber immer weiter spielen, weil auf der Ersatzbank fast nur Kids sitzen. „Ich hoffe, dass man am Saisonende eine Analyse macht und dass dann meine Meinung gehört und respektiert wird“, sagte Queiroz. Deutlicher konnte er es nicht sagen: Er hat bereits oft versucht, dem Präsidenten dessen einzigartiges Konzept auszureden. Er wurde ignoriert. Dabei hat der Trainer seine Kompetenz bewiesen. Er löste viele schwierige Details beachtlich, sieben Spieler mit Hang zur Offensive brachte er in einer Elf unter, bastelte sich in der Not eine Innenverteidigung aus einem umstrittenen Außenverteidiger, Raúl Bravo, und einem B-Team-Kicker, Álvaro Mejía, und machte sogar Zidane zu einem der wichtigsten Kopfballspieler bei gegnerischen Eckbällen. Doch im Madrid von Präsident Pérez hat der Trainer vor allem eine Rolle zu erfüllen: „Er steckt bei Misserfolg die Schläge ein.“ Das sagte Queiroz selbst und lächelte. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass er es witzig findet.“

AS Monaco, kein Nobody auf Europas Fussballbühne

Die NZZ (8.4.) gratuliert Didier Deschamps: „Von Sensation zu sprechen, ist wohl leicht übertrieben, schmälert dies doch die fussballerische Leistung, die schon vor zwei Wochen in Madrid notabene begonnen hatte. Die Überzeugung der Madrilenen, im Zweifelsfall jede noch so bedenkliche Abwehrleistung mit ein paar Törchen wettzumachen, stellte sich als kometenhafter Irrglaube heraus. Zum sechsten Mal schied Real damit trotz einem Zweitorevorsprung noch aus einem europäischen Wettbewerb aus. Die AS Monaco ist wenn schon kein Grosser, so doch kein Nobody auf Europas Fussballbühne. Bereits zweimal stand das Anhängsel des französischen Klubfussballs im Halbfinal der Champions League: 1993 und 1998, als der Gegner im Viertelfinal immerhin Manchester United geheissen hatte. Die Erinnerungen an das Highlight vor sechs Jahren sind trotz dem Ausscheiden in der Runde der letzten vier nicht nur schlecht: Beim Halbfinal-Gegner Juventus Turin hiess eine Antriebskraft Didier Deschamps (eine andere Zinedine Zidane . . .), und der ist heute Trainer der Monegassen. Mindestens so gut wie er seine Spieler auf den Hexenkessel Bernabeu vorbereitet hatte, kann Deschamps aber seiner Mannschaft auch den Respekt vor der Stamford Bridge in London nehmen: Bei Chelsea hatte der Franzose im Herbst seiner Spielerkarriere ein Gastspiel gegeben und mitgeholfen (u. a. mit der Viertelfinalqualifikation 1999), das Terrain für noch grössere Erfolge in der Champions League zu ebnen.“

NZZ-Bericht Deportivo La Coruña – AC Milan (4:0)

NZZ-Bericht Olympique Lyon – FC Porto (2:2)

Das Fußball-Schwergewicht aus Deutschland ist inzwischen leicht zufriedenzustellen

Champions League auf deutsch: Bayern München siegt; Michael Ashelm (FAZ 8.4.) berichtet: „Ehren über Ehren für den FC Bayern – ein Gefühl, das die Münchner lange vermißt haben. Doch im Schlaraffenland des Fußballs ist alles möglich, und so genossen die Männer vom deutschen Rekordmeister den selten schönen Moment. „Eine vollkommen gelungene Reise“, schwärmte der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge. Ein buntes Feuerwerk vor dem Al-Rayyan-Stadion draußen im kargen Wüstenland vor den Toren Dohas beschloß den gelobten Tag, kurz zuvor hatten Oliver Kahn und Roy Makaay den monströsen Siegerpokal in der blumengeschmückten Ehrenloge abgeholt und in die Höhe gehalten. Die wichtigen Herren des Landes in ihren traditionellen weißen Dish-Dash-Gewändern standen daneben, freuten sich mit den Kickern aus Deutschland, und Rummenigge konnte bestätigen: „Die Scheichs sind total zufrieden, haben sie mir gesagt.“ Während zur selben Zeit in Europa andere Teams ohne die Bayern das große Geschäft in der Champions League unter sich ausmachten, fühlte man sich auf seiten der Münchner mit dem Kurztrip nach Qatar wenigstens ein kleines bißchen für die verkorksten Auftritte auf internationaler Bühne entschädigt. Ein 2:2 nach neunzig Minuten gegen die „Stars of Qatar“, das Wiedersehen mit den ehemaligen Mitspielern Stefan Effenberg sowie Mario Basler, der Sieg im Elfmeterschießen und vor allem frisches Geld in der Kasse – schon sieht die Welt wieder anders aus. Das Fußball-Schwergewicht aus Deutschland ist inzwischen leicht zufriedenzustellen, und ein bißchen hoffen alle, daß die Reise die Mannschaft im Hinblick auf die plötzlich wieder spannender gewordene Meisterschaft enger zusammengeschweißt hat. „Das war eine gute Abwechslung für das Team und gibt uns die nötige Motivation für die restlichen Spiele“, sagte Kapitän Kahn. Dann folgte aus der Wüste die indirekte Ansage an den Ligarivalen von der Weser: „Wir versuchen eine Serie zu starten und wollen kein Spiel mehr verlieren. Schauen wir mal, was Bremen macht.“ An jedem noch so kleinen Glücksgefühl versuchen sich die Münchner derzeit hochzuziehen.“

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