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Auslandsfußball

Oliver Fritsch | Mittwoch, 14. April 2004 Kommentare deaktiviert für Auslandsfußball

Real Madrid , eine Mannschaft misstraut dem Konzept ihres Präsidenten und scheitert (FR) – Italiens Fußball-Machern fehlt Geduld (FAZ)

Chronik eines angekündigten Todes

Ronald Reng (FR 14.4.) erklärt die Not Real Madrids: “Fünf Wochen liegen hinter Real, in denen sich die in einer Traumfabrik konstruierte Elf in eine absolut ordinäre Mannschaft verwandelt hat. Sie verlor das spanische Pokalfinale gegen das gewöhnliche Saragossa, scheiterte im Champions-League-Viertelfinale am AS Monaco, und aus acht Punkten Vorsprung wurden in der Landesmeisterschaft zwei Punkte Rückstand auf den neuen Tabellenführer FC Valencia. Spätestens beim 0:3 gegen Osasuna, der ersten Heimniederlage nach elf Monaten und 27 Spielen, wurde überdeutlich, dass es dem Team, das Stars besitzt wie noch nie eines, nicht anders ergeht als vielen Abstiegskandidaten jedes Jahr: Es zeigt alle Symptome von posttraumatischen Stress; es findet keinen Ausweg aus der Dynamik des Niedergangs. „Fußball ist zu nah an der Hölle“, sagt Trainer Queiroz. Von all den irritierenden, faszinierenden Szenen der vergangenen Wochen hat sich eine besonders ins Gedächtnis gegraben. Es war Halbzeit in Monaco, Real marschierte beim Stand von 1:1 dem Halbfinale entgegen. Ludovic Guily, Monacos Kapitän, sagte im Gehen zu Zidane: „Lasst uns doch 2:1 gewinnen, dann bleibt uns die Ehre und euch der Gesamtsieg.“ Es war ein Scherz, einer dieser Sprüche, von denen Fußballer glauben, sie ständig machen zu müssen, selbst in der Pause eines wichtigen Matches. Zidane antwortete völlig ernst: „Aber hast du nicht bemerkt, dass wir am Ende sind?“ Diese Melancholie, die sich in Zidanes Reaktion offenbarte, hält Real Madrid gefangen. Zwar gibt es klare Schwachpunkte wie das Fehlen überragender Defensivspieler oder die desaströse Kopfballschwäche der Elf, mit denen sich der Einbruch erklären lässt. Bloß, diese Makel waren schon die ganze Saison vorhanden, und bis Anfang März spielte Real eine erschreckend erfolgreiche Runde. „Angriff war unsere beste Verteidigung“, sagt Queiroz. Doch seit sie das Pokalfinale verloren haben, befinden sich die als galaktisch gepriesenen Kreativen im schwarzen Loch – apathisch, überwältigt, in Trance. Beckham etwa, der die Saison so großartig begann, bekam nun vom Fachblatt Marca den Spitznamen Forrest Gump. Weil er wie der Kinoheld nur noch rennt und rennt – ohne dass dabei noch ein Sinn zu erkennen ist. „Es ist die Chronik eines angekündigten Todes“, sagt Torwart Iker Casillas. Dieser Fatalismus ist einerseits das Verblüffendste, anderseits führt er zum Kern der Krise: Sowohl Spieler als auch der Trainer hatten von Beginn an Zweifel, entgegen den Lehren des Fußballs mit einem Team Erfolg haben zu können, dass die unglaublichsten Offensivspieler, aber bestenfalls durchschnittliche Verteidiger vereint. Sie haben es sträubend hingekommen, weil Vereinspräsident Florentino Pérez die Zusammensetzung der Elf autoritär vorgab. „Bah, Verteidiger“, sagte Pérez, „Verteidiger sind Verteidiger, weil sie zu schlecht als Stürmer waren.“ Nur einmal sprach Queiroz aus, was in der Mannschaft viele dachten: „Du kannst nicht die Natur des Spiels ändern. Die Abwehr ist so wichtig wie der Angriff. Oder was hältst du von einem Piloten, der nur starten und nicht landen kann?“ Tief im Innern hatten die Spieler die Implosion ihrer Saison wohl immer befürchtet. Und Fußballer, die denken: Ich hab’s doch geahnt, dass es so kommen wird, sind schlecht geeignet, gegen den Verfall anzukämpfen.“

Teufelskreis der Langeweile

Dirk Schümer (FAZ 14.4.) hält den Mangel an Geduld für eine Ursache der Krise in Italiens Vereinsfußball: „Am Geld allein kann die Malaise nicht liegen. Zwar krankt der Calcio wegen überzogener Gehaltskosten und unsoliden Wirtschaftens vieler Vereinspräsidenten an einer gigantischen Finanzkrise. Gerade Spitzenklubs wie die beiden Mailänder Vereine oder Juventus Turin jedoch konnten dank schwerreicher Geldgeber wie Silvio Berlusconi ökonomisch mit den europäischen Marktführern mithalten. Juventus Turin, Italiens einzige Adresse mit international vorbildlichen Arbeits- und Geschäftsbedingungen, ist laut einer aktuellen Studie als einziger italienischer Großklub nicht hoffnungslos überschuldet. Aber auch Juventus, aktuell abgeschlagener Liga-Dritter, war diese Saison nicht konkurrenzfähig. Nimmt man hinzu, daß der aktuelle Tabellenzweite AS Rom ebenso mit immensen Geldproblemen kämpft wie die nahezu bankrotten Spitzenteams Parma und Lazio Rom, so ist auch in der kommenden Saison zu befürchten, daß Italiens Traditionsklubs mit den besten Mannschaften aus England und Spanien nicht Schritt halten können. Nachdem die beiden Spitzenstars des italienischen Fußballs – Ronaldo und Zidane – schon vor Jahren zu Real Madrid zogen, war es zuletzt Großbritannien, wohin etwa das marode Parma seine Stars ziehen lassen mußte. So ist die Serie A durch ihre früheren, jetzt für Chelsea spielenden Stars Mutu und Crespo immerhin noch als Erinnerung in der Champions League vertreten. Daß auch drei der vier Torhüter im Halbfinale aus Italien kommen und im Ausland reüssierten, zeugt vom Wahn mancher Präsidenten, statt eigenem Nachwuchs lieber teure Stars aus dem Ausland zu holen. Als Hauptmanko erweist sich immer mehr die Spaltung der höchsten Spielklasse in wenige reiche Klubs einerseits und das Gros schwächerer Mannschaften andererseits, die einzig gegen den Abstieg spielen. Weil Neulinge wie Ancona, derzeit mit 10 Punkten Schlußlicht, oder graue Mäuse wie Brescia, Reggio Calabria, Modena den Reichen am Wochenende kaum die volle Leistung abverlangen, können diese auch unter der Woche gegen die europäische Konkurrenz nicht mehr mithalten. So geht die eigentliche Grenze mitten durch die oberste Spielklasse, während die ewige Provinz auch noch in einer auf 24 Mannschaften aufgeblähten Serie B auf der Stelle tritt. Und wenn ein Außenseiter wie vor zwei Jahren Chievo Verona doch einmal in den Kreis der Erlauchten vordringt, wird kurzerhand mehr als die halbe Mannschaft aufgekauft, so daß sich das gewaltige Defizit noch vermehrt – ein Teufelskreis der Langeweile.“

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