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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

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Oliver Fritsch | Donnerstag, 15. April 2004 1 Kommentar

viele Ex-Profis verarmen (SpOn) – Prof. Bierhoffs „Golden Goal vom Katheder“ (FAZ) – Service im Stadion für blinde Fansu.v.m.

Sozialhilfe

Viele Fußball-Millionäre legen ihr Geld schlecht an; Jörg Schallenberg (SpOn) findet Ursachen und Schuldige: „Die Rostocker Vermögensberater Christian und Michael Daudert haben von 1997 bis 2004 die Entwicklung der Vermögensverhältnisse bei 150 Fußballprofis, darunter 110 Bundesligaspieler, analysiert – und sind zu Ergebnissen gekommen, die nicht nur die Branche selbst aufhorchen lassen: Lediglich neun Prozent aller Spieler sind nach dem Karriereende finanziell unabhängig, 26 Prozent dagegen haben mehr Schulden als Vermögenswerte, der Rest muss sich in jedem Fall über kurz oder lang einen neuen Job suchen. Die Vereinigung der Vertragsfußballer (VdV) fand heraus, dass die Hälfte des Bundesliga-Kaders von Eintracht Braunschweig aus dem Jahr 1985 inzwischen von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe lebt. (…) Gelegentlich, weiß Christian Daudert, werden Geschäfte in sechsstelliger Höhe mal eben in der Umkleidekabine nach dem Training abgewickelt oder völlig abstruse Begründungen geschluckt: So kaufte ein nigerianischer Bundesligastürmer eine Immobilie zum doppelten Marktwert, weil er glaubte, damit lebenslanges Wohnrecht in Deutschland zu erwerben. Für die Dauderts begann der Einstieg ins Fußballgeschäft, in dem auch andere Berater wie Norbert Pflippen oder etwa die Firma ROGON Sportmanagement aktiv sind, als sie zufällig ein Bundesligatrainer ansprach. Der Coach war in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten geraten. Nachdem die Rostocker Vermögensberater ihm vor Gericht einen Teil seines Geldes zurückerkämpft hatten, empfahl er sie gleich an einen Kollegen weiter, der ähnlich in der Bredouille steckte. Öffentlich äußern wollen sich aber weder Spieler noch Trainer, die in Geldschwierigkeiten geraten sind. Bekannt geworden sind die Fälle des Ex-Dortmunders Günter Breitzke, der von Sozialhilfe lebt, oder des einstigen koreanischen Weltklassestürmers Bum Kun-Cha, der bei Eintracht Frankfurt vom eigenen Vereinspräsidenten übers Ohr gehauen wurde und vor seinem Wechsel zu Bayer Leverkusen zur Bedingung machte, dass der neue Verein zwei verschuldete Immobilien übernahm.“

Was die Gesellschaft vom Sport lernen kann

Sehr schön! Klaus Ungerer (FAZ 15.4.) erlebt Oliver Bierhoffs „Golden Goal vom Katheder“: „Immer diese leidigen Freundschaftsspiele! Schon als der Gast das Spielfeld betritt, als Schlips und Zähne im Blitzlicht glitzern, Hände schäkern, spürt man: Das wird heute ein hartes Stück Arbeit – für die länderspielleidgeprüften Betrachter. Freizeitbetriebswirt Oliver Bierhoff ist bei den Wirtschaftswissenschaftlern der Humboldt-Uni angetreten, eine Vorlesung zu halten. Thema: „Was die Gesellschaft vom Sport lernen kann“. Mit dem Profisport und der Universität treffen zwei Kontrahenten aufeinander, die einander wenig einzuschätzen wissen. Bierhoff agiert aus einer sicheren Deckung heraus, doch wirkt sein Auftritt schematisch, kein gedanklicher Paß ergäbe einen unvorhergesehenen Sachzusammenhang. Die Begegnung droht in Langeweile zu ersticken, als plötzlich Stimmung von den Rängen in den Diskurs schwappt: Schwarzrote Flugblätter wirbeln auf, eine überraschende Drangperiode von seiten aufstrebender Studientalente beginnt: Protestschreie ertönen, unverständlich leider, auch fliegen bunte Bälle gegen Bierhoff, die der schön ordentlich neben sich aufs Rednerpult legt, ehe er wieder Ruhe ins Spiel bringt: Man solle ihn doch ausreden lassen, hinterher könnten ja Fragen gestellt werden. Ein Heißsporn aus dem Publikum wird noch des Feldes verwiesen, dann regiert wieder die Routine des Mannes, der in seiner Profikarriere genügend verbalen Attacken auszuweichen verstand, derweil die Materie ihn immer wieder unverhofft an Kopf und Knien traf. Ein Backen-Milchbart ergreift die Initiative, entlarvt in knappen Worten die ideologische Verbrämtheit und Konditioniertheit des Profisportlers, weist auf soziale Schieflagen hin und dringt mit dem Saalmikrophon am Mund einschußbereit in Bierhoffs Torraum ein: Ob der es denn für ethisch halte, seinen Fußball mit dem richtigen Leben gleichzusetzen? Was denn aus den vielen anderen Menschen werde, wenn es immer nur um Leistungsträger gehe? Da setzt der nimmermüd Freundliche den elegantesten Konter seiner Laufbahn: Habe der Fragesteller sich nicht durchs Fragen selbst zum Leistungsprinzip bekannt? Schließlich leiste er doch etwas, stelle er sich hin für seine Meinung, wo andere nur schwiegen. Lächelt Bierhoff. Der andere lamentiert. Das muß ein Golden Goal gewesen sein.“

Jan Freitag (FAZ 16.4.) beschreibt einen Service für blinde Fans: „“Freistoß!“ Riko Zellmer hebt flehend die Hände. „Das war ein Foul!“ In der Tat, eins gegen einen Spieler des HSV, das war für 41 000 Besucher der AOL-Arena zu sehen. Riko Zellmer hat es nur gehört und ist sich dennoch sicher. Blinzelnd fixiert er das Spielfeld, wo der 1. FC Kaiserslautern um den Ausgleich kämpft. Erkennen kann er es nicht – der Klavierstimmer ist seit seiner Geburt vor 39 Jahren blind und fast ebenso lang Fan der Hamburger. Daß er trotzdem seit neuestem jeden Paß, jede Flanke, jedes Tor verfolgt, liegt an zwei Kopfhörern, dem Redefluß des Mannes eine Reihe tiefer und an Bayer Leverkusen. Ende 1999 fand dort die erste Stadionreportage für Sehbehinderte statt. Ein Import aus England. Manchester United funkt blinden Anhängern den Ton des eigenen Radiosenders seit langem ins Ohr. Seit Bayer-Sportleiter Klaus Vossen die Idee in Old Trafford aufgriff, haben mit Schalke, HSV, Wolfsburg, Köln und St. Pauli fünf weitere Klubs einen Service übernommen, den sonst Freunde oder Verwandte leisten. Nun ist er ausdauernder, professioneller. „Das haben die Lauterer sehr schön rausgespielt, aber auch sehr einfach.“ So sehr unterscheidet sich Steffen Engelkes Kommentar gar nicht von dem „echter“ Reporter. Dabei studiert der 26 Jahre alte Engelke Sport und will sein Wissen später in der Therapie, nicht im Äther nutzen. Er ist etwas nervös, kurz nach Wiederanpfiff. Nicht unbedingt wegen seiner Zuhörer – die sind diesmal nur zu dritt. Eher schon, weil es erst sein zweiter Einsatz an der Infrarotanlage ist. Besonders aber wegen Broder-Jürgen Trede. Der Dozent schüttelt den Kopf, als sein Student „er semmelt das Ding drüber“ ins Mikrofon spricht. „Das geht nicht“, sagt Trede. Die Reportage ist Teil eines Seminars am Institut für Sportjournalistik der Universität Hamburg. 25 Teilnehmer, darunter acht Frauen, erproben seit zwei Semestern abwechselnd das Wesen des Live-Kommentars im Stadion. „Oberste Pflicht ist, auf Ballhöhe zu sein“, erklärt Trede. Es gelte klar zu trennen zwischen Reportage – der Simultanübersetzung des Spielgeschehens – und Kommentar. „Der Kür“, wie er Analyse und Randinfos beschreibt. „Ding“ oder „semmeln“ – solche Ausdrücke nennt er zu flapsig.“

Erik Eggers (FTD 16.4.) liest: „Der Mythos 10 wird im Finale um die Fußball-Weltmeisterschaft 1958 in Stockholm geboren. Gastgeber Schweden und Brasilien stehen sich gegenüber. Bei den Südamerikaner spielt ein gewisser Edson Arantes do Nascimento. Dieser „Pelé“, so der Rufname des 17-Jährigen vom FC Santos, schießt ein Tor beim 5:2-Sieg seines Teams, „das ihn nach den Maßstäben der Fußballfreunde unsterblich machte: Er stoppte eine Flanke mit der Brust, hob den Ball über einen heranbrechenden Verteidiger und schoss ihn aus der Luft ins linke untere Toreck. Bei diesem wundervollen Treffer schien seine weiße 10 auf dem Rücken des blauen Trikots zu leuchten.“ Ein Zufall, trug Pelé doch eigentlich die falsche Rückennummer: „Er begann auf einer Position, die nach traditionellem Verständnis von der 9 ausgefüllt wird“ – als Mittelstürmer. So erzählen es Rüdiger Barth und Guiseppe Di Grazia in ihrer Hommage „Die 10. Magier des Fußballs“, von denen sie viele besuchten. Die beiden Sportredakteure des „Stern“ gehören zu jener sentimentalen Spezies, die bei dieser Zahl ins Schwärmen geraten, weil sie wie keine andere von Schönheit und Eleganz im Fußball kündet, von Kunstfertigkeit und Spielverständnis. Hinreißend für alle Kenner und Laien ist dieses Buch, weil es nicht nur die Figuren überhöht, die der 10 ihre Strahlkraft verliehen, sondern auch klug reflektiert und einordnet. Das Experiment, eine Kulturgeschichte einer Fußballzahl zu schreiben, ist als geglückt zu betrachten.“
Besprochenes Buch:
Rüdiger Barth, Giuseppe DiGrazia: Die 10 – Magier des Fußballs. Malik, 208 S., 16,90 €.

Kommentare

1 Kommentar zu “Sonstiges”

  1. Mit dem Geißbock auf Entschleunigungstour | Leopedia
    Dienstag, 31. Juli 2012 um 13:04

    […] oder als Radkappen-Trainer (Pierre Littbarski). Und Eintrachts Spieler? Die Hälfte des Kaders, so die Vereinigung der Vertragsfußballer, entspannte nach Karriereende vollkommen entschleunigt in der sozialen Hängematte – der […]

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