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Oliver Fritsch | Donnerstag, 22. April 2004 Kommentare deaktiviert für Champions League

Englische Journalisten halten Gericht über Chelseas Trainer Claudio Ranieri , „seine Karriere ist ruiniert“ (Daily Mail) – „iberisches Nullsummenspiel“ (NZZ) zwischen Porto und La Coruña

Seine Karriere ist ruiniert

Englische Journalisten halten Gericht über Chelseas Trainer Ranieri, beweist Raphael Honigstein (SZ 22.4.): „„To tinker“ heißt soviel wie planlos basteln oder rumschrauben, und bisher trug Ranieri, der launische Großmeister der Rotation, das Medien-Etikett mit Wonne, wie einen Ehrentitel. Immer wieder hat er im Laufe der Saison Personal und Taktik ohne große Not, aber mit viel Verve durcheinander gewirbelt, doch in Monaco endete das Vabanquespiel mit dem Bankrott. Ranieri übernahm nach den „schlechtesten 45 Minuten meiner Amtszeit“ die Verantwortung: „Nach 30 Jahren im Fußball weiß ich, dass der Manager immer der Schuldige ist.“ Das sollte ein wenig ironisch klingen, doch widersprechen will ihm nach seinen bizarren, kaum mehr nachvollziehbaren Auswechslungen niemand. Chelsea hatte das Geschehen mit der dem Team eigenen Kombination aus Kampfkraft und Effektivität lange bestimmt, das 1:1 zur Pause hätte eine hervorragende Ausgangsposition zur Folge gehabt. Dann brachte Ranieri zum Wiederanpfiff den augenscheinlich nicht ganz fitten Juan Sebastián Véron für den Dänen Gronkjaer, und das Unheil nahm seinen Lauf. Die Blauen verloren Faden und Initiative, und Ranieri verlor nach der Roten Karte für Zikos komplett die Nerven – anstatt den numerischen Vorteil ruhig auszuspielen, warf er mit Stürmer Jimmy Floyd Hasselbaink einen dritten Stürmer für Verteidiger Melchiot und sechs Minuten darauf den jungen Stopper Robert Huth als rechten Verteidiger für den zwischenzeitlich auf Melchiots Position zurückversetzten Mittelfeldmann Scott Parker auf den Platz. Anstatt der erhofften Auswärtstore, mit denen eine gute Ausgangsposition für die Londoner verbunden gewesen wäre, fielen zwei Kontertreffer für Monaco. „Ranieri hat im Schatten des Casinos alles auf Blau gesetzt, es kam aber Rot“, berichtete der schockierte Mirror. Sein „selbstmörderisches Rumwerkeln“ habe das Team um die Chance auf den Pokal gebracht, beschwerte sich die Times. Vom leutseligen Italiener, der immer für eine humorige Metapher gut ist, wollte auch die Daily Mail nichts mehr wissen. „Stinkerman“, titelte das Blatt indigniert. Ranieri habe zwar seine Würde bewahrt, aber auf dem „Spielplatz der Millionäre komplett die Orientierung verloren“ – „seine Karriere ist ruiniert“.“

In der FAZ (22.4.) lesen wir: „In der Stadt der Reichen und Schönen hat der Fußball am Dienstag wie schon vor zwei Wochen seine ganze Pracht entfaltet. Und wieder war es der AS Monaco, der das Establishment und die Größen des europäischen Fußballs in Erstaunen versetzte. (…) Nachdem Deschamps seine Mannschaft zu mehr Tatendrang aufgefordert und einige Umstellungen vorgenommen hatte und der schweizerische Schiedsrichter Urs Meier eine Tätlichkeit des Londoner Franzosen Marcel Desailly nicht gesehen hatte – gegen den Weltmeister ermittelt die Europäische Fußball-Union –, statt dessen aber das nicht gerade platzverweisreife Foul von Zikos an Makelele mit der Roten Karte geahndet hatte, blühte das Spiel des AS Monaco auf. Das hatte Chelseas Trainer Claudio Ranieri nicht mehr für möglich gehalten. Er glaubte, auf Sieg gesetzt zu haben, als er anstelle von Verteidiger Melchiot dessen stürmischen niederländischen Landsmann Jimmy Floyd Hasselbaink eingewechselt hatte. Eine Fehlspekulation, die mit dazu beitrug, daß die Aktionen von Monaco nicht mehr nur besonders ansehnlich, sondern auch auffällig zielstrebig wurden. Einen Tag, nachdem Ranieri dem russischen Klubeigner Roman Abramowitsch in einem Interview Ahnungslosigkeit in Sachen Fußball unterstellt hatte, verzockte sich der Italiener selbst. Folglich nahm er alle Schuld auf sich: „Es war ein Fehler, einen dritten Stürmer zu bringen.“ Und so höhnte die englische Zeitung „Independent“: „Monte Carlo hat viele Zocker ruiniert, und Claudio Ranieri scheint keine Ausnahme zu sein.“ Auf zwanzig Prozent beziffert der desillusionierte und von der Kündigung bedrohte Trainer die Aussichten seines Teams auf eine Wende im Rückspiel.“

Die Maschen der taktischen Netze

Georg Bucher (NZZ 22.4.) berichtet das 0:0 zwischen dem FC Porto und Depotivo La Coruña: „295 Kilometer liegen zwischen Porto und La Coruña, den Polen der luso-galicischen Euroregion. Atlantisches Klima, keltische Ursprünge und wirtschaftliche Verflechtungen inspirierten darüber hinaus eine entspannte Atmosphäre auf Champions-League-Niveau. Wie schon zu Ostern, als 90 Prozent der grossen Hotels in der Douro-Metropole von Spaniern belegt waren, setzte wieder ein Ansturm aus Norden ein. Die als Kind nach Galicien emigrierte Portuenser Sängerin Maria do Ceo, in Fado, galicischer Volksmusik, Jazz und kastilischen Klängen gleichermassen bewandert, bemühte sich in der populären TV-Sendung „Freudenplatz“, mentale Unterschiede zu verwischen und die Zuschauer auf ein regionales Derby einzustimmen. Anspielend auf die gemeinsamen Klubfarben präsentierte RTP unter dem Titel „Alles blau“ eine aufwendige Match-Vorschau. Wer im ausverkauften Drachen-Stadion sein blaues Wunder erleben würde, konnte man sich fragen; oder sollten die Trainer Recht behalten? Mourinho und Irureta hatten einen knappen Ausgang prognostiziert. Offenbar war der Respekt derart gross, dass Initiativen schon im Keim erstickt und die Goalies vor der Pause nicht einmal ernsthaft geprüft wurden. (…) Mehr schmerzverzerrte Gesichter am Boden als gefühlvolle Pässe und gelungene Dribblings verdunkelten das Spektakel und erschwerten dem deutschen Schiedsrichter Markus Merk vor allem im ersten Durchgang die Arbeit. Der nicht immer souveräne Referee mag sich manchmal vorgekommen sein wie zu Karrierebeginn bei einem Lokalderby seiner pfälzischen Heimat. Nach dem Seitenwechsel wurden die Sicherheitsmaximen etwas gelockert, was sich auf Dynamik und spielerische Qualität positiv auswirkte. Allerdings vermochten die Spielmacher Deco und Valeron ihre herausragende Technik weder in Standardsituationen noch mit öffnenden Pässen in die Spitze entscheidend zur Geltung zu bringen. Zu eng geknüpft waren die Maschen der taktischen Netze. Das Nullsummenspiel schien programmiert.“

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