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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ballschrank

International

Oliver Fritsch | Montag, 3. Mai 2004 Kommentare deaktiviert für International

„viel Masse und wenig Klasse“ (FAZ) in der Serie A; AC Milan, „Synthese von Ausgeglichenheit und Spektakel“ dank Carlo Ancelotti – Celta Vigo, spielstark und abstiegsgefährdet – Grazer AK im Aufschwung – Deco, ein Mann für Bayern München – Fernando Morientes, seine Zielstrebigkeit macht den AS Monaco so erfolgreich (Tsp) u.v.m.

Viel Masse und wenig Klasse

Anlässlich der Meisterschaft des AC Milan beschreibt Dirk Schümer (FAZ 4.5.) negative Tendenzen in der Serie A: „Die Wahrheit dieser merkwürdigen Meisterschaft sieht trüber aus als die Zahlen und als die Festlichkeiten, die gleich nach dem Sieg auf Mailands Domplatz begannen. Zum ersten war dieser „Scudetto“, das Meisterwappen, die dringend benötigte Kompensation nach dem peinlichen 0:4, mit dem sich die Mannschaft von Trainer Ancelotti in La Coruña aus der Champions League verabschiedet hatte. Zum anderen beleuchtet gerade die meisterliche Dominanz die Schwäche des gesamten italienischen Fußballs: Viel Masse und wenig Klasse. In England oder Spanien hätten die Klubs der unteren Tabellenhälfte es dem Meister nicht derart leicht gemacht, auch bei mauen Auftritten rund achtzig Punkte zu sammeln. Doch in Italien ist das Gefälle der Spitzenklubs zu den Vereinen, die gegen den Abstieg kämpfen, immer größer geworden, so daß man mit Fug und Recht von zwei unterschiedlichen Wettbewerben sprechen kann. Ein neuer Fernsehvertrag mit dem Anbieter Sky aus dem Haus des Medienmoguls Murdoch vergrößert gerade in dieser Woche den finanziellen Graben zwischen den Krösussen aus Mailand und Turin gegenüber dem Rest der Liga. Selbst renommierte Spitzenklubs wie der AS Rom, der sich als Tabellenzweiter für die Champions League qualifiziert hat, AC Parma oder Lazio Rom drohen nun im Abgrund zwischen Kosten und Einnahmen zu versinken. Da sich Juventus Turin nach zwei Titelgewinnen im Umbruch befindet, gab es zum AC Mailand weder sportlich noch ökonomisch eine Konkurrenz. Mag also Italiens Sportpresse noch so schwärmen – es war ein kühl geplanter und ebenso unterkühlt unter Dach und Fach gebrachter Triumph der Vorhersehbarkeit.“

Synthese von Ausgeglichenheit und Spektakel

Peter Hartmann (NZZ 4.5.) bewundert Carlo Ancelotti, Kakà und den AC Milan: „Berlusconis Spielzeug ist eine perfekte Mannschaft, eine Synthese von Ausgeglichenheit und Spektakel, von Solidität und Phantasie. Und für diese Qualitäten steht ihr Alltagstrainer, der pragmatische Sachverständige Ancelotti mit seinem gutmütigen Gesicht einer Mortadella. Er hat sein Image des Verlierers (nach zwei zweiten Plätzen mit Juventus und nachfolgender Entlassung) bei Milan auf Anhieb mit dem Sieg (im Final gegen Juventus) in der Champions League widerlegt und ein Jahr danach mit dem 17. Scudetto. Der Trainerjob bei Milan ist so schwierig wie bei Real. In Mailand thront der absolutistische Eigentümer als Star über dem Trainer, in Madrid kümmert es die Stars wenig, wer unter ihnen den Trainer macht. Ancelotti kam vor zweieinhalb Jahren mitten in der Saison als Nothelfer zu Milan, nachdem Berlusconi gerade den aufgeplusterten „Imperator“ Fatih Terim zurück in die Türkei geschickt hatte, einen Selbstdarsteller mit ähnlichem Ego wie der Präsident. Er kannte das Milieu, denn er hatte selber noch unter Sacchi und Capello gespielt. Und er erfand die eigene Rolle des Ballverteilers im Mittelfeld neu für einen jungen Mann, dessen Karriere schon als gescheitert galt, für das Samtfüsschen Pirlo. Nicht fertig wurde er mit der Idee Berlusconis, den melancholischen Brasilianer Rivaldo in die Mannschaft einzubauen. Aber die Brasil-Abteilung Milans unter dem früheren Spieler Leonardo spähte dafür in São Paulo den 21-jährigen Kakà aus, und der Gelegenheitskauf wurde für bloss 7,5 Millionen Euro nach Mailand geholt. Kakà, ein Name wie vom Kinderspielplatz, und der grosse Markt-Manipulator Luciano Moggi von Juventus, dem er entging, rümpfte zunächst die Nase: „Einer, der so heisst, kommt bei uns nicht in Frage.“ Eigentlich heisst er Ricardo Izescson Dos Santos Leite und ist ein atypischer Exot in der ausgedehnten brasilianischen Paradiesvogel-Kolonie: weiss, aus bürgerlichem Haus, mit Matura und Brille, und er verdiente, in seinem ersten Europa-Jahr, lediglich 1,5 Millionen Euro. Ancelotti erkannte sofort seine Talente und verglich ihn mit Platini. Brasiliens früheren Nationalcoach Scolari erinnert er an van Basten. In die Augen springt bei Kakà seine Fähigkeit, das Spiel zu vertikalisieren und einfach geradeaus Richtung Tor zu spielen, die Leichtfüssigkeit, fast Unverwundbarkeit in den Duellen mit klammernden und tretenden Verteidiger-Kletten. Noch eine Parallele: Kakà erscheint wie ein moderner Wiedergänger von Johan Cruyff.“

Dieser Regen hier ist süß

Birgit Schönau (SZ 4.5.) fügt hinzu: „Carlo Ancelotti hat eine Träne verdrückt im warmen Mairegen des Meazzastadions, und dann hat er sich in die Luft werfen lassen von der Mannschaft, mit der er soeben seine erste Meisterschaft gewonnen hatte. Für den AC Mailand ist es der 17. Titel, Ancelotti aber hatte trotz des Vorjahressiegs in der Champions League als ewiger Zweiter gegolten in der Heimat. Weil er mit Juventus zweimal nur Vizemeister geworden war. „Ich weiß, wie der Fußball funktioniert“, sagte Ancelotti später, Regentropfen im ergrauenden Haar. „Der Tag wird kommen, an dem ich zur Diskussion gestellt werde. Man muss die glücklichen Momente genießen und die schwierigen ertragen. Ich lebe von Tag zu Tag.“ Ziemlich verhalten für einen, der gerade mit 79 Punkten am drittletzten Spieltag einen Rekordtitel eingefahren hat, aber der introvertierte Norditaliener Ancelotti ist kein Mann des lauten Triumphs. Und so dachte er in der Stunde des Siegs an seine größte Niederlage, vor vier Jahren in Perugia, als die Juventus im Regen den Titel verspielte. „Heute ist es der gleiche Regen“, sinnierte melancholisch Ancelotti, „aber in Perugia war er ätzend, dieser Regen hier ist süß.““

Georg Bucher (NZZ 4.5.) sorgt sich um Celta Vigo: „Noch offener als das Titelrennen ist in Spanien die Frage, wer Real Murcia in die zweite Liga begleitet. Acht Klubs droht die Relegation, zwei von ihnen, Real Sociedad und Celta, hatten in der Champions League debütiert und immerhin den Achtelfinal erreicht. Während die Basken aus eigener Kraft das Ziel Klassenerhalt erreichen können, sieht es für die Galicier düster aus. Der Trainerwechsel von Lotina zu Antic hatte die prekäre Lage noch verschlimmert, und man schien sich in Vigo bereits mit dem Schicksal abgefunden zu haben. Nur so ist es zu erklären, dass nach Antics Rücktritt kein „Retter“ mit klangvollem Namen, sondern das Tandem Carnero/Sáez aus dem eigenen Trainerstab zum Zuge kam. Die Wirkung war verblüffend. Im April nach Barcelona das erfolgreichste Team, blieb Celta vier Spiele ohne Gegentor und näherte sich dem grünen Tabellenbereich bis auf einen Punkt. Freilich schlugen die „Himmelblauen“ am Samstag in Madrid das Angebot aus, eine weitere Länge in Richtung rettendes Ufer zu schwimmen. Obwohl sie nach fünf Minuten bereits 0:2 im Rückstand lagen, gab es Torchancen in Hülle und Fülle, die einen Kantersieg zu ihren Gunsten gerechtfertigt hätten. So apathisch und konzeptionslos präsentierte sich Atletico nach drei Niederlagen in Folge, liess den selbstbewussten Gegner gleichsam durch die eigene Abwehr spazieren. Dem Ersatzkeeper Juanma, der Torumrandung, Milosevics Blackouts im Abschluss und zwei nicht anerkannten Toren, die man auch hätte geben können, verdankte der Uefa-Cup-Aspirant schliesslich den 3:2-Erfolg. Als Trainer Carnero die Angriffslinie mit Edu und Pinilla verbreitert hatte, kam Atletico kaum mehr aus dem eigenen Strafraum. Selbst in Unterzahl – Berizzo sah nach einer Notbremse die rote Karte – schlug Milosevic 5 m vor dem Tor unbedrängt über den Ball. Gastfreundliche Kommentare von Madrilenen, denen unbegreiflich ist, wie ein so spielstarkes Team auf der Kippe steht, nützen Celta nichts.“

Werner Pietsch (NZZ 4.5.) freut sich für Trainer Walter Schachner und den Aufschwung des Grazer AK: „„Wir wollen, wir können, aber wir müssen nicht Meister werden“, liess Walter Schachner in den vergangenen Wochen die Medienvertreter wiederholt mit verschmitztem Lächeln wissen. Dem Trainer des Grazer AK gelang es mit diesem rhetorischen Kunstgriff, Austria Wien unter Druck zu setzen. Der von Frank Stronach grosszügig geförderte Wiener Traditionsklub war bis vor wenigen Tagen der logische Titelanwärter. Man gewann sogar den Eindruck, der Klub bereite sich im Geiste schon auf die Champions League vor. Der Trainerwechsel von Joachim Löw zu Günther Kronsteiner vor einigen Wochen war Ausdruck der hohen Erwartung. Die Entlassung Löws entsprach aber auch der üblichen Halbwertszeit von rund neun Monaten für gut bezahlte Austria-Trainer. Auch Schachner, der Vor-Vorgänger von Löw im Stronach-Klub, bekam den seltsamen Brauch zu spüren. Als klarer Leader und unmittelbar nach einem eindrücklichen internationalen Auftritt des Teams im Uefa-Cup musste er im Oktober 2002 überraschend Christoph Daum Platz machen. Sei ein Mann mit so grossem Renommee wie Daum auf dem Markt, müsse man zuschlagen, lautete damals die Erklärung der Austria- Führung. Schachner, der als Stronachs Wunschkandidat geholt worden war, traf’s menschlich schwer, wie er nach wenigen Monaten vor die Tür gesetzt wurde. Danach wollte der ehrgeizige und zielstrebige Coach, der die besten Jahre seiner Spielerkarriere bei Serie-A-Klubs (Cesena, Torino) verbracht hatte, sein Fachwissen über italienische Klubs auf einer Studienreise vertiefen. Der Zufall wollte es, dass der GAK-Präsident Rudi Roth gerade nach einem neuen Coach für den Letzten der Bundesliga suchte. Der gebürtige Steirer Schachner freute sich darüber, dass man ihn in Graz unbedingt wollte, und er sagte Roth zu, den Abstiegskandidaten zu übernehmen. Was folgte, ist längst Geschichte: Schachner krempelte die Equipe um und brachte ihr in endlosen Trainingseinheiten ein flexibles 4:4:2-System bei. Neben den berüchtigten Taktikübungen sind die optimale sportmedizinische Betreuung und regelmässige Massnahmen zur Teambildung als weitere Säulen des Erfolges auszumachen.“

Champions League

Deco setzt die Tradition bedeutender Brasilianer beim FC Porto fort

Thomas Klemm (FAZ 4.5.) hält Deco für einen sehr guten Fußballer und für einen Mann für Bayern München: „Überall in Europa mögen Fußballprofis vom Gewinn der Champions League träumen – Anderson Luís de Souza gehört nicht zu ihnen. Zwar kann der Regisseur des FC Porto mit dem Ballkünstlernamen Deco nach dem 0:0 im Hinspiel beim Wiedersehen bei Deportivo La Coruña noch auf den Einzug ins diesjährige Finale von Gelsenkirchen hoffen; doch der eingebürgerte Portugiese, der mit dem Ball tanzen kann, ist längst kein Traumtänzer. Verantwortlich dafür ist der Herr Papa, der damals im brasilianischen Bernardo do Campo auf Bodenständigkeit gepocht hatte, bevor der Filius in die weite Fußballwelt zog: „Mein Vater hat mich gelehrt, nachts zu träumen und tagsüber zu arbeiten“, sagt der 27 Jahre alte Deco. Ein Schönwetterspieler ist er nicht, der technisch beschlagene Fußballprofi, der im Spiel stets kämpferisch auftritt und sich im Training engagiert. Und wer dem FC Porto so guttut, der kann nicht schlecht für den FC Bayern München sein. Seit einigen Wochen haben die Bayern-Verantwortlichen ein Auge auf den Portuenser Regisseur geworfen, der als der beste portugiesische Fußballprofi gilt, der noch in der einheimischen SuperLiga sein Geld verdient. (…) Beim FC Porto setzt der 1997 nach Portugal gekommene Deco die Tradition bedeutender Brasilianer fort. Was in den sechziger und siebziger Jahren mit Lucio und Celso begann, setzte Juary 1987 fort, als er den entscheidenden Treffer zum 2:1-Sieg über den FC Bayern im Endspiel des europäischen Landesmeister-Wettbewerbs markierte. Ende der neunziger Jahre avancierte Mario Jardel in Porto zum erfolgreichsten Torschützen Europas, ehe Deco selbst zur bestimmenden Figur wurde.“

Oh Gott, der Mann macht jetzt sein Tor!

AS Monaco im Halbfinale der Champions League; Wolfram Eilenberger (Tsp 4.5.) schreibt Fernando Morientes einen großen Anteil zu: „Es gibt viele Kriterien, die einen wahren Champion erkennen lassen: die Anzahl seiner Tore, die Sammlung der Titel, die Achtung der Konkurrenten oder die Höhe des Gehalts. Noch bevor der spanische Nationalstürmer zu einem Wechsel nach Monaco genötigt wurde, konnte er in all diesen Kategorien außerordentliche Werte vorweisen. Doch erst in dieser Saison vollbrachte er eine Leistung, die vor allem deswegen uneingeschränkte Anerkennung verdient, weil sie sich der Logik der Zahlen entzieht. Morientes hat in Monaco sich und damit sein vergangenes Selbst besiegt. Die Resignation der Madrider Bankjahre führte ihn zur erfolgreichen Revolte, die unverdiente Zurückweisung durch den Herzensklub zu einem Leistungssprung im Exil. Diese Diagnose trifft weniger auf seine fußballerischen Qualitäten zu, als vielmehr auf die Art, wie der spielstarke Strafraumstürmer seine Stärken heute zum Einsatz bringt. So lag etwas Neues in der Art, wie Morientes das matchwendende 2:1 im Hinspiel gegen Chelsea erzielte; eine souveräne Bestimmtheit, die ihn jeden einzelnen seiner 25 Meter bis zum Abschluss begleitete, ein Zug der Unbedingtheit, der sämtliche Zuschauer, vor allem aber seine Gegenspieler vor dem wuchtigen Abschluss wissen ließ: Oh Gott, der Mann macht jetzt sein Tor! Verfügt ein Stürmer über solch eine Aura zweifelsfreier Bestimmung, so ist sie wirkungsvoller als die Tore selbst, denn sie strahlt auf die gesamte Mannschaft aus und verleiht ihr damit ein Gewicht, das große Titel ermöglicht. Diese seltene Attitüde des Champions hat dem AS Monaco über Jahrzehnte gefehlt. Spätestens mit dem Finaleinzug gäbe das grandios defizitäre Fürstenteam dann den idealen Übernahmekandidaten für einen jener russischen Milliardäre ab, die auf den Yachten ihrer steuerfreien Wahlheimat seit Jahren gelangweilt hin und her schaukeln. Ob Champion Morientes dann bereits für Chelsea aufläuft?“

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