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Ballschrank

Mourinhosches Diamantensystem

Oliver Fritsch | Freitag, 28. Mai 2004 Kommentare deaktiviert für Mourinhosches Diamantensystem

‘Im Kino würde José Mourinho den Killer spielen’ (SZ); ‚Die hochkarätigsten Steine des Mourinhoschen Diamantensystems werden bereits heftig von den Großclubs umworben’ (FR); ‚Stadt, Land, Fluß mit José Mourinho, das war ein Teil des rätselhaften Nachspiels vom Mittwoch’ (FAZ) u.v.m.

Armin Lehmann (Tsp 28.5.) freut sich über Portos Perfektion: „Die meisten neutralen Beobachter in Gelsenkirchen haben am Mittwoch beim Finale der Champions League lange Zeit gegähnt. Sie sehnten sich heimlich nach den ganz großen Klubs, nach Madrid, Manchester, Arsenal und, ja, auch nach den Bayern. Jetzt wollen es alle schon vorher gewusst haben, dass das kein schöner Fußball hätte werden können zwischen Porto und Monaco. Aber das war, verdammt noch mal, schöner Fußball! Ist das nichts, wenn ein Team wie der FC Porto so perfekt funktioniert, ohne dass die Einzelkönner wirklich herausragend sind? Was wollen wir denn mit all dem schönen Hackenzauber von Zinedine Zidane, wenn die Räume nach hinten offen bleiben? Was hilft denn der schönste Pass von David Beckham, wenn der Gegenspieler schneller kontert als der Galaktische Freistöße schießt? Hat denn am Mittwoch niemand diese wunderbare Linie gesehen, blau-weiß gestreift, bestehend aus vier Personen, die so akribisch Ordnung hielten vor dem eigenen Strafraum, die sich im Gleichschritt nach vorne bewegten, im blinden Verständnis, und Monacos Stürmer ins Abseits manövrierten? Wollte Monaco durch die Mitte, war die Einfahrt schnell zu, berannten die Franzosen das Tor über außen, waren die Flügeltüren versperrt. So eine Festung macht doch Eindruck, mit tollen Türmen und kantiger Eleganz.“

Ich würde Porto gern verlassen

Roland Zorn (FAZ 28.5.) wundert sich über die Ausverkaufsstimmung in Gelsenkirchen: „Operation Champions League geglückt – und ab zu neuen Ufern. Was nämlich anschließend beredet und verhandelt wurde, erinnerte eher an eine Verkaufsmesse mit zwei chromblitzenden Schlagern der Saison denn an eine ausgelassene Fußballparty. Markenartikel Mourinho, der zur Zeit begehrteste Trainer des Kontinents, zeigte umstandslos, daß er auf dem Sprung zu einem Mammon-Unternehmen, also zum FC Chelsea, ist; der ähnlich umworbene Ballkünstler Deco hielt sich, weil noch nicht so ausgebufft im Vermarkten der eigenen Person, erst einmal bedeckt. Ob er nun Deutsch lernen wolle und zum FC Bayern München gehe, wurde er gefragt. Da aber spielte Deco nicht mit, zumal auch noch andere Klubs mitbieten: „Ich möchte nicht über etwas sprechen, was im Moment gar nicht sicher ist. Ich weiß nicht, was geschehen wird.“ Weiß nicht, rede nicht, spekuliere nicht, das ist nicht die Rolle, in der sich Mourinho gefiele. Mit der Akkuratesse, in der er seine fehlerfreie Abwehr organisiert hat, mit der Raffinesse, zu der er Deco und seine Mittelfeldkumpane angeleitet hat, und mit der Kaltschnäuzigkeit, die er seinen Spitzen eingeschärft hat, spielte Meistermacher Mourinho sein Stück. „Ganz ehrlich“, sagte der Beau mit den ersten Silberstreifen im dunklen Haar, „ich würde Porto gern verlassen.“ Damit kündigte der Geschäftsmann Mourinho seinen Wechsel an, zumal er später noch nachlegte: „Ich werde mit Chelsea sprechen und weiß, daß mein Agent einige Dinge in seiner Tasche hat. Das Land, in dem ich gern arbeiten möchte, ist England.“ Stadt, Land, Fluß mit José Mourinho, das war ein Teil des rätselhaften Nachspiels vom Mittwoch, aus dem sich die Monegassen mangels vorzeigenswerter Leistungen vollends verabschiedet hatten.“

Mourinho widert Kumpanei und Nähe an

Klaus Hoeltzenbein (SZ 28.5.) unterstellt Mourinho Mord am Finale: „Im Kino würde José Mourinho, 41, den Killer spielen. Smart, bisweilen charmant, zugleich berechnend und schonungslos. Mit seinem dichten Haar mit Graustich, den ebenmäßigen Gesichtszügen und all dem Rätselhaften im reduzierten Mienenspiel wirkt er wie Portugals Antwort auf den Schauspieler George Timothy Clooney, 43. Als sein Werk gelungen war, schien Mourinho, wenn überhaupt, die Freude nur nach innen zu genießen, er zeigte fast keine öffentliche Regung. Tätschelte mechanisch seinem Stab die Schultern, aber eigentlich, so sah es aus, widert ihn Kumpanei und Nähe an. Er arbeitet allein. Auch küsste er den Pokal, doch routiniert und kalt wie beim letzten Hurra, wenn etwas unwiderruflich zu Ende geht. Das Urteil überlässt er dem Publikum, es hatte zu sehen bekommen, was es sehen sollte. Schließlich war Mourinho etwas bis dahin Unvorstellbares gelungen. Er hatte das Spiel getötet – und niemand hat ihn dafür zur Rechenschaft gezogen. Anfang bis Mitte der zweiten Halbzeit, sein FC Porto führte 1:0, herrschte nahezu Stillstand auf dem Rasen. Der Ball rollte, nichts ging voran. Da zeigte sich, was der FC Porto, Mourinhos FC Porto, für eine furchterregend gute Mannschaft ist. Welche diabolische Strategie diese Elf prägt. Wie sie dem Spiel des AS Monaco langsam den letzten Willen raubte, mit Disziplin und unendlicher Laufbereitschaft, ohne ihm größere Schmerzen zuzufügen. Sie quälte den Gegner, indem sie ihn in den Wahnsinn trieb. Wo immer es Morientes und die Monegassen auch versuchten, überall war Blau-Weiß schon in Überzahl. (…) Den FC Porto 2004 werden wenige als große Elf beweinen, aber er ist eine solche gewesen – mit der Fähigkeit zum perfekten Mord am Spiel. “

Flurin Clalüna (NZZ 28.5.) ist beeindruckt von Mourinhos Ehrlichkeit: „Mitten im niederprasselnden blauweissen Konfettiregen bewegte sich einer vorzeitig dem Stadionausgang entgegen. Mit leicht entrückten, beinahe traurigen Gesichtszügen wandte sich José Mourinho vom Freudentaumel ab; wahrscheinlich war alles ein bisschen zu viel für den smarten, weltgewandten Trainer des FC Porto. Der Portugiese riss nach dem Schlusspfiff die Arme in den Nachthimmel und wurde von den Gefühlen überwältigt, als er plötzlich seine Frau und seine Kinder hinter der Trainerbank sah. Gleichzeitig schoss ihm durch den Kopf, was er Minuten später an der Pressekonferenz sagen sollte. „Ich bin jetzt ganz ehrlich: Ich möchte den FC Porto trotz gültigem Vertrag verlassen. Ich habe gute Angebote und werde diese am Donnerstag im Detail anschauen.“ Und obwohl der 41-Jährige damit eigentlich nur ausgesprochen hat, was alle bereits wussten, frappierte diese entwaffnende Ehrlichkeit, sie machte Eindruck. (…) Jetzt steht die AS Monaco am Ende einer berauschenden Saison mit leeren Händen da. Weil die Equipe in der Meisterschaft eingebrochen ist und weil sie im Final zögerlich und ohne Mut zum Risiko aufgetreten war. Vielleicht auch weil sich Captain Guily früh verletzt und die taktischen Pläne seines Trainers damit durchkreuzt hat. Gewiss, das Spiel des FC Porto war in der zweiten Halbzeit perfekt, messerscharf und berechnend, gleichzeitig aber auch kalt und nüchtern, so dass sich niemand so richtig daran erwärmen konnte. Die bestechende Brillanz seiner Konter, die grössere Erfahrung der Equipe – und die Taktik des Trainers hatten den Ausschlag gegeben. Als Fernsehstationen die Parabolantennen bereits wieder einzogen hatten, verließ José Mourinho mit einem der Kinder auf dem Arm die „Arena auf Schalke“. „Wenn ich in zehn Jahren immer noch mit der gleichen Anzahl Titel dastehe wie heute, werde ich sehr traurig sein“, hatte er noch gesagt. Der Ehrgeiz dieses Mannes mit dem Hang zur Arroganz scheint grenzenlos.“

Er hat den bedeutungslosen Verein zu einem der besten in Europa gemacht

Ulrich Hartmann (SZ 28.5.) spürt eine Mischung aus Überwältigung und Wehmut: „Gleich nach dem Abpfiff bekam der Fußballtrainer José Mourinho zwei Leibwächter zur Seite gestellt. Sie nahmen ihre Sache sehr ernst und klammerten sich so heftig an den Portugiesen, dass die Gratulanten auch ihnen den Kopf tätschelten. Mourinho hatte mit dem FC Porto gerade die Champions League gewonnen durch ein finales 3:0 gegen den AS Monaco, da schlenderte er mit seinen beiden kleinen Kindern zwischen tanzenden Fußballern und hüpfenden Funktionären über den Rasen der Schalker Arena. Ein paar Minuten später, als die Spieler den gewaltigen Pokal überreicht bekamen, floh Mourinho vom Rasen. Er riss sich fast mürrisch die Medaille vom Hals und kämpfte sich durch die Meute der Fotografen. Der Trainer eilte in die Kabine zu Frau und Kindern. „Ich möchte meine Gefühle für jene Menschen behalten, die mir nahe stehen“, sagte er später. Einigen Menschen in Porto steht Mourinho nicht mehr sehr nahe. Niemand kann wissen, was am Mittwoch in Gelsenkirchen-Buer in dem Menschen Mourinho vorgegangen ist, aber man muss davon ausgehen, dass es eine Mischung aus Überwältigung und Wehmut war. Der 41-Jährige hatte eine Sensation geschafft. Er hat Porto nach 17 Jahren wieder zum Gewinn des mit 6,5 Millionen Euro dotierten, wichtigsten Europapokals geführt und damit binnen zwei Jahren schon zum fünften Titel. Er hat den bedeutungslosen Verein zu einem der besten in Europa gemacht anhand eines von Disziplin und Taktik geprägten Defensivsystems, das Experten und Ästheten vor Respekt und Abscheu gleichermaßen erschauern lässt. Mourinho gilt als genialer Stratege, eloquenter Motivator und begehrtester Fußballtrainer der hiesigen Hemisphäre. Deshalb droht sein Abschied aus Porto.“

Mourinho will vorankommen

Andreas Hunzinger (FR 28.5.) hört den FC Porto auseinander bröckeln: „In der Stunde des Triumphes wirkte José Mourinho bei seinen öffentlichen Auftritten wenig souverän. Der smarte Trainer des neuen Champions-League-Siegers FC Porto hat bei Fragen nach seiner persönlichen Zukunft einen nicht annähernd so geordneten Eindruck hinterlassen, wie zuvor die von ihm betreute Mannschaft. (…) In der Stunde des Triumphes irrte der Verfechter von Systematik und Ordnung wie ein vorgeführter Abwehrspieler über das Medienparkett, weil die emotionale Wucht des Moments mit seiner rationalen Sicht der Zukunft des FC Porto nicht kompatibel war. Denn Mourinho will vorankommen. Der Mann, der schon als 17-Jähriger im Auftrag seine Vaters, damals Trainer des portugiesischen Erstligisten Vitoria Setubal, Spiele beobachtete, ist ein von großem Ehrgeiz getriebener Mensch. „Ich will als Trainer wachsen“, sagt er. Der neue Stern am europäischen Trainerfirmament weiß nur zu genau, dass für der Vorzeigeclub aus dem Land des EM-Gastgebers die Grenzen erreicht sind und internationale Erfolge wie die der vergangenen zwölf Monate – Gewinn des Uefa-Pokals 2003 und nun der Triumph in der Königsklasse – kurzfristig nicht zu wiederholen sind. Der Mann, dessen Mannschaft mit einer nahezu perfekten Mischung aus überlegener Strategie, Robustheit, Erfahrung, Effizienz und spielerischer Klasse den galaktischen und gewöhnlichen Star-Ensembles auf dem Kontinent eine Lektion erteilt hatte, will sich als Titelsammler verdingen. Das auf Dauer nur, wenn Geld keine Rolle spielt. Und das besitzt nun mal der europäische Fußball-Adel aus Madrid, Mailand, London, Manchester oder München. Der wiederum wird sich nicht noch einmal widerstandslos von einem Team der vermeintlich Namenlosen eine lange Nase drehen lassen und alles daran setzen, die auf den Kopf gestellte Hierarchie wieder zurechtzurücken. Deswegen werden die hochkarätigsten Steine des Mourinhoschen „Diamantensystems“ (so die Definition des Trainers für seine rautenförmig angelegte 4-4-2-Formation) bereits heftig von den Großclubs umworben. Mourinho selbst ist sich mit dem englischen Champions-League-Halbfinalisten Chelsea London angeblich schon einig, zudem will Roman Abramowitsch, russischer Öl-Magnat und Herrscher bei Chelsea, dem Meistersstrategen noch dessen Erfüllungsgehilfen Ricardo Carvalho, Paulo Ferreira und Deco an die Seite stellen.

Matti Lieske (taz 28.5.) beäugt Mourinhos Gehabe kritisch: „Es gibt Fußballtrainer, bei denen sieht man es nicht so gern, wenn sie gewinnen. Zum Beispiel José Mourinho. Ein bisschen zu aufdringlich versteht es der Coach des FC Porto, sich und seine Verdienste ins rechte Licht zu rücken. Auch nach dem Champions-League-Finale gegen den AS Monaco in der Arena AufSchalke ließ er keinen Zweifel daran, wer der universelle Mastermind hinter dem 3:0-Sieg seiner Mannschaft war. Mochte der neben ihm sitzende Deco zum „Man of the Match“ gewählt worden sein, der wahre Mann der Partie trug einen dunklen Anzug und hieß Mourinho. Und es gab sogar gute Gründe für diese Sichtweise. In erster Linie ist der FC Porto ein taktisches Organigramm, das hervorragend funktioniert und dem ebenfalls hervorragend funktionierenden Trainerhirn des José Mourinho entsprungen ist. Wenn jemand behauptet, dass seine Mannschaft Erfolg hat, weil sie als Team auftritt, dann verheißt das meist nichts Gutes. Es bedeutet nämlich, dass diese Mannschaft gnadenlos defensiv ausgerichtet ist. Andere hätten vielleicht acht, neun Weltstars, aber die würden eben nur für sich spielen. Bei Porto und dem AS Monaco des Didier Deschamps sei das gänzlich anders. (…) Dafür zugunsten von José Mourinho der kaum müde wurde, über sich und seine Zukunft zu reden, obwohl er ständig betonte, er wolle heute nicht darüber reden. „Vor vier Jahren war ich noch in Leíria, jetzt bin ich Europacupsieger“, sagte der portugiesische Shooting-Star am Trainerfirmament stolz, ohne jedoch die gewohnte Leichenbittermiene eines überführten Trickbetrügers abzulegen. Ein Lächeln kommt für den überzeugten Ehrgeizling nicht in Frage, es könnte ja als Zufriedenheit mit dem Erreichten ausgelegt werden. „Wenn ich mir die großen Trainer ansehe: viele arbeiten seit zwanzig Jahren und haben noch nie so etwas gewonnen.“ Mourinho hat zuletzt alles gewonnen, sieht man einmal vom kleinen Schönheitsfehler des kürzlich verlorenen Pokalfinales gegen Benfica ab. Zweimal Meister, einmal Pokalsieger, Uefa-Cup, Champions League. Dass ihm das nicht reicht, daran ließ er keinen Zweifel. Der FC Porto war sein Sprungbrett in die große Fußballwelt, jetzt hat der FC Porto seine Schuldigkeit getan. „Ich habe dem Klub alles gegeben, aber nun möchte ich Porto verlassen“, verkündete Mourinho theatralisch, mochte aber eigentlich gar nicht darüber reden, um seinen Spielern nicht die Laune zu verhageln. Wie könnten die Profis auch nicht todunglücklich sein, wenn er sie verlässt.“

Internationale Pressestimmen BLZ

Die Euro bietet der goldenen Generation die letzte Chance auf einen Titel

Andreas Lesch (BLZ 28.5.) mag Portugals destruktive Art: „Von den Portugiesen im Team, und das sind die meisten, werden daheim bald weitere Großtaten erwartet. In zwei Wochen beginnt die Europameisterschaft, im eigenen Land. Viele werden fragen: Geht da was? Diese Frage hat den Portugiesen schon viele Schmerzen zugefügt. So oft haben sie gehofft, dass die Begabtesten ihr Talent einmal nutzen würden bei einem wichtigen Turnier. Fernando Couto, der wuchtige Verteidiger; Rui Costa, der zentrale Stratege; Luis Figo, der offensive Geist. Sie trugen diesen wunderbaren Namen: die goldene Generation. Doch sie sind, wenn es ernst wurde, stets zu weich gewesen, zu kraftlos, zu mutlos. Nun ist ihre Zeit fast vorbei. Die Euro bietet der goldenen Generation die letzte Chance auf einen Titel, und manches spricht dafür, dass diese Chance nicht die kleinste ist – denn die letzten Mitglieder dieser Künstlergeneration erhalten Unterstützung. Das Korsett des neuen portugiesischen Teams stammt aus Porto. Es besteht aus Spielern, die es zur Kunst erhoben haben, zäh zu sein. Sie pflegen einen Defensivstil, der jeden Gegner zermürbt. Mancher Feinschmecker mag sich abwenden von dieser destruktiven Art, doch sie bringt Erfolg. José Mourinho, Portos Trainer, hat seinen Spielern Disziplin eingepaukt als obersten Wert. Davon wird auch das Nationalteam profitieren. Der FC Porto bringt all das zur EM, was die goldene Generation stets vermissen ließ. Wenn es gut läuft, ergänzt sich beides optimal: Härte und Eleganz.“

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