Ballschrank
Gute alte Leverkusener Zeit
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| Donnerstag, 3. Juni 2004in Leverkusen bleibt wohl alles beim alten, Reiner Calmund macht und spricht – Mario Basler, neuer Trainer in Regensburg – Jürgen Rollmann, Koordinator der Bundesregierung für die WM 2006 – Karlheinz Feldkamp zum siebzigsten u.v.m.
In Leverkusen geht die alte Zeit weiter
Reiner Calmund bedient weiterhin an Leverkusens Schalthebeln, stellt Friedhard Teuffel (Tsp 3.6.) fest: „Als Calmund dieser Tage im Berliner Hotel Palace saß, wollte er schnell etwas beweisen: „Ich bin einer der beliebtesten Menschen.“ Also suchte er die Lobby nach bekannten Gesichtern ab. Hinter ihm entdeckte er den Chefkoch des Hotels, den zupfte er am Ärmel und fragte ihn: „Ich hab doch viel Herz, oder?“ Der Chefkoch sagte: „Na klar.“ Das genügte, Calmund konnte sich wieder in seinem Sessel zurücklehnen. Seltsam ist nur, dass einer der beliebtesten Menschen bald alleine gelassen wird auf der Führungsebene des Fußball-Bundesligaklubs Bayer Leverkusen. Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser wechselt zur DFL und Sportmanager Ilja Kaenzig zu Hannover 96. Dabei hatte Calmund Holzhäuser doch abgeworben vom DFB und Kaenzig schon als Nachfolger für sich bezeichnet. Hat Calmund, der Manager, die beiden etwa vertrieben? Ist er nicht fähig zur Gruppenarbeit? Oder verschließt er einfach sein großes Herz, sobald sein persönlicher Einfluss geschwächt werden könnte? Dass Holzhäuser geht un Kaenzig auch, passt jedenfalls nicht ins Geschichtsbild, das Calmund ausgerufen hat: „Die Zeit der Dinosaurier ist vorbei.“ Der 55 Jahre alte Calmund wollte glauben machen, dass jetzt eine neue Generation die Macht in der Bundesliga übernimmt, eine Generation von jungen Managern mit Masterabschlüssen von europäischen Elite-Universitäten. (…) In Leverkusen geht die alte Zeit weiter, und das liegt vor allem am Dinosaurier selbst. Calmund wirkt wie ein fröhliches Urlebewesen der Bundesliga, weil er noch immer nach seinen Methoden arbeitet. Auch er hat Betriebswirtschaft studiert, aber er will Entscheidungen mit seinem Charisma, seiner authentischen Art durchsetzen, er liebt die Plauderei, eine Antwort besteht für ihn aus mindestens fünf Sätzen. Calmund kann nicht loslassen von Bayer Leverkusen.“
Regensburg ist eine schöne Stadt und man kann gut essen
Mario Basler ist neuer Trainer in Regensburg; Elisabeth Schlammerl (FTD 3.6.) äußert skeptisch: „Auf dem Tisch steht eine Tasse Kaffee. Mario Basler nimmt einen Schluck und beobachtet amüsiert das hektische Treiben um sich herum. Die Angestellten von Jahn Regensburg hatten eiligst noch ein paar Stühle besorgt, sie waren in dem kleinen Presseraum neben der Stadiongaststätte nicht auf einen solchen Zulauf eingerichtet. „Hier war es noch nie so voll“, sagt der zweite Vorsitzende Wolfgang Gural stolz. So viel Medienrummel wie bei der gestrigen Vorstellung Mario Baslers als neuen Trainer wird zwar künftig nicht immer herrschen, höchstens, wenn er selbst noch einmal aufläuft, aber an ein wenig mehr Aufruhr werden sich die Oberpfälzer schon gewöhnen müssen, oder besser: dürfen. Denn neben der raschen Rückkehr in die zweite Liga erhoffen sich die Verantwortlichen von Jahn Regensburg von der prominenten Verpflichtung in erster Linie ein wenig mehr Glanz und Aufmerksamkeit für die beschauliche Fußball-Provinz im Osten Bayerns. „Mit ihm“, sagt Fußballchef Heinz Groenewold, „haben wir ganz andere Möglichkeiten“, als mit dem Vorgänger Günter Brandl. „Den Mario kennt man in ganz Europa, auf der ganzen Welt, den Günter nur hier in Regensburg.“ Und deshalb würden „Spieler eher bleiben und Spieler eher kommen“, hofft Groenewold (…) Basler versucht, sich seriös zu geben und flapsige Sprüche zu vermeiden, aber es fällt ihm schwer, es durchzuhalten. Basler weiß, was ihn in Regensburg erwartet – zumindest außerhalb des Fußballplatzes. Er kennt die Kleinstadt bestens aus seiner Zeit beim FC Bayern, hier endete einst ziemlich abrupt seine Karriere beim deutschen Rekordmeister. Basler war im Oktober 1999 während eines Reha-Aufenthalts spät nachts in einer Trattoria in einen Streit verwickelt und daraufhin suspendiert worden. „Regensburg ist eine schöne Stadt und man kann gut essen hier“, kommentierte er süffisant die Vorfälle vor beinahe fünf Jahren.“
Christian Zaschke (SZ 3.6.) erinnert sich und hat eine Vision: „Das konnte er: Sich den Ball etwa drei Minuten lang zurechtlegen, dann den zurechtgelegten Ball noch ein wenig zurechtlegen, Torentfernung 34 Meter. Er nahm 30 Meter Anlauf, und jeder im Stadion sorgte sich, ob er es bei seiner Kondition überhaupt bis zum Ball schaffen würde, weil jeder wusste, dass Mario Basler eine Schachtel Zigaretten am Tag rauchte und auch zum Bier eine freundschaftliche Beziehung unterhielt. Schließlich absolvierte Basler die 30 Meter bis zum Ball tatsächlich im Sprint, und dann drosch er die Kugel auf eine Weise ins Tor, dass man geneigt war zu sagen: Kunst. Was er noch konnte: Sich mit dem damaligen Trainer von 1860 München, Werner Lorant, während des Münchner Derbys anlegen, also an Lorant herumrütteln, woraufhin dieser zurückrüttelte. So viel wurde aneinander herumgerüttelt, dass man geneigt war zu sagen: „Schluss jetzt!“, wie man es kleinen Jungen sagt. (…) Es gibt die Überlegung, dass der Trainer Basler auch als Spieler in der Regionalliga aufläuft. Dazu passt, dass sich gerade Werner Lorant wieder als Trainer ins Gespräch bringt, in Unterhaching. So kann es gehen: Dank 30 Freistoßtoren des Spielertrainers Basler steigt Regensburg auf in die zweite Liga, und dann, beim Spiel gegen Unterhaching, vergreift sich Lorant im Ton. Basler hört es, er legt den Weg zu Lorant tatsächlich im Sprint zurück, entschlossen, er streckt die Arme aus, als ob er wieder rütteln wolle, rütteln wie einst, und dann umarmt er ihn mit aller Weisheit der Wüste.“
Michael Reinsch (FAZ 3.6.) befasst sich mit Jürgen Rollmanns neuer Aufgabe, Koordinator der Bundesregierung für die WM 2006: „Es ist keine Überraschung, daß Rollmann in der Politik gelandet ist. Seine größte Leistung als Fußballprofi war, neben dem Gewinn des deutschen und des Europapokals der Pokalsieger mit Bremen und trotz des Aufstiegs mit Duisburg in die Bundesliga, daß er die Vereinigung der Fußballprofis als deren Präsident stabilisierte, etablierte und auf die Folgen des Bosman-Urteils vorbereitete. Er wußte, daß die Fußballprofis Deutschlands aus der Sklaverei der Ablösesummen befreit waren, als Verband und Vereine die Folgen des Urteils von 1995 noch nicht überblickten. Es ist die Ironie der Geschichte, daß genau diese Ablösesummen ihn mehr Einsätze im Profifußball und womöglich auch größere sportliche Erfolge gekostet hatten. Immer noch glaubt er, daß viel zu tun ist. „Ich verstehe nicht, warum nicht Verein, Liga und Verband Laufbahnberater beschäftigen wie die Olympiastützpunkte“, sagt er über das Unwesen von sogenannten Beratern. „Ich bin davon überzeugt, in den Heerscharen von Fußballern könnte man zwei oder drei finden, die das gut könnten. Die Vereine würden viel Geld sparen.“ Rollmann hielt nie mit seiner Meinung hinterm Berg. Und er blickte immer über den Tellerrand des Fußballs hinaus. Wo er spielte, schrieb er für die Zeitung: in Offenbach und Frankfurt, in Bremen und Duisburg. Er begann verschiedene Studien. Er engagierte sich gegen Atomkraft. Er reagierte auf die Wahl der rechtsextremen Deutschen Volksunion in die Bürgerschaft von Bremen mit dem Eintritt in die SPD. Doch auf dem Platz kam er an Oliver Reck, dem Torwart Nummer eins in Bremen, nicht vorbei. (…) Nach zwei Jahren als angestellter Sprecher der SPD in Bayern und einer erfolglosen Kandidatur für den Bayerischen Landtag – in Dachau – ließ sich Rollmann vor vier Monaten von Bundesinnenminister Otto Schily, der seinen Wahlkreis in Bayern hat, als Koordinator der Bundesregierung für die WM 2006 verpflichten. Nun ist er der Mann zwischen Kanzler und Kaiser, zwischen Regierungschef Schröder und dem Kopf des Organisationskomitees, Beckenbauer. Das Aufgabenfeld wirkt übersichtlich. Die Mannschaften betreut das Organisationskomitee. Es bereitet die Spiele vor, verkauft die Eintrittskarten, vertritt die Sponsoren. Rollmann und sein Stab, der seinen Sitz im Bundesinnenministerium direkt an der Spree hat, ist dafür zuständig, daß die Regierung ihre Garantien einlöst, daß die Infrastruktur optimiert, das Kunst- und Kulturprogramm betreut sowie die Aufgaben der verschiedenen Regierungsressorts koordiniert werden, von den Visa beim Auswärtigen Amt über das Münzprogramm des Finanzministeriums bis zu den Sicherheitsstäben der Länder.“
Habitus
Richard Leipold (FAZ 3.6.) beschreibt Italiens Halbstarke: “Der Betreiber einer Pizzeria in Bochum war so stolz gewesen. Für Mittwoch abend erwartete er besonders wichtige Gäste; die italienische Nationalmannschaft „Unter 21″ hatte ihren Besuch angekündigt. Voller Freude informierte der Gastronom eine örtliche Journalistin über das gesellschaftliche Ereignis, das vermeintlich bevorstand. Wenig später mußte er seine Ankündigung kleinlaut zurücknehmen. Die italienische Equipe hatte kurzfristig abgesagt. Dem Favoriten der Fußball-EM gefällt es, mit dem Habitus berühmter Profis aufzutreten. Sie halten Geheimtraining ab, lassen schon mal eine Pressekonferenz ausfallen und geben dem Hotelpersonal kein Chance, sich über Arbeitsmangel zu beklagen. Die Italiener sind die Stars dieses Juniorenturniers; vor allem benehmen sie sich so. Neben der deutschen Auswahl zieht die „Squadra Azzura“ die meiste Aufmerksamkeit auf sich. Alle Spiele des viermaligen U-21-Europameisters werden original im italienischen Fernsehen übertragen. Viel zu sehen bekamen die Fans von ihrer Mannschaft allerdings noch nicht. Der hohe Favorit wußte in keinem seiner drei Vorrundenspiele zu überzeugen.“
Bälle flüstern ihre Geschichte
Holger Gertz (SZ 3.6.) erzählt Eindrücke eines Museumsbesuchs: „Wenn man sich, als zu spät Geborener, Filmsequenzen von jenem großen Fußballspiel aus dem Jahr 1954 ansieht, stellt der Turm der großen Uhr im Berner Wankdorfstadion den griffigsten Bezug zur Reklamerepublik der Gegenwart her. Am Turm hängen Werbesignets, für Longines, Toblerone und Cinzano. Firmen, die es noch immer gibt und die das Design ihres Schriftzugs kaum verändert haben. Alles andere bleibt abstrakt für jemanden, der noch nicht auf der Welt war, als die Helden von Bern das Wunder vollbrachten. Die hageren Nachkriegskicker wirken, grobkörnig schwarz-weiß über den Schirm huschend, wie Schattenwesen. Die knarzende Stimme des Reporters Zimmermann scheint aus einer fremden Zeit zu sprechen. Die Art, in der Kapitän Fritz Walter den Pokal entgegennimmt – mit hängenden Schultern und gesenktem Blick – hat nichts von den pubertären Jubelgesten heutiger Fußballstars. Das Spiel ist ein Spiel von gestern. Aber es ist auch der Gründungsmythos der Nation, und damit dieser auch von den Jüngeren begriffen werden kann, gibt es jetzt diese Ausstellung im Historischen Museum der Pfalz in Speyer. Gezeigt wird das Trikot von Ottmar Walter, Größe 6, aus Baumwolle, vorn geschnürt, hinten mit der aufgenähten 15. Dazu Hose und Stutzen, noch richtig aus schwarzer Wolle gestrickt. Beim Spiel hatten ihm die Klamotten am Leib geklebt, nass und schwer vom Dauerregen. Und jetzt sind sie hier, hinter Glas, das Trikot von Kamerad Horst Eckel hängt ein paar Meter weiter. Zur Eröffnung sind beide Fußballer gekommen, Ottmar Walter direkt aus dem Krankenhaus – die alte Kniegeschichte. Als er neben der Vitrine steht, sagt er, eigentlich könnte ihm das Trikot noch passen, wenn es nicht etwas eingelaufen wäre. „Am Ball der Zeit – Deutschland und die Fußball-Weltmeisterschaften seit 1954″ heißt die Ausstellung (bis 17. Oktober), und was die Devotionalien angeht, hat man auf so etwas Schönes lange warten müssen. Tausend Exponate, eine Million Euro Produktionskosten, aber dafür ist auch alles da, was die Alten wiedersehen wollten. Und was den Jungen eine Ahnung davon vermittelt, dass alles, was sie aus zweiter Hand kennen, aus Erzählungen und Filmen: dass all das wirklich stattgefunden hat. Bälle, denen man ein Stethoskop ans Ventil halten kann – dann flüstern sie ihre Geschichte. (…) Sehen und spüren ist das eine, fragen und zweifeln etwas anderes. Wer sich – wie neulich ein Reporterteam der ARD – dem Wunder von Bern ohne Rührung nähert, sich mit verseuchten Spritzen und zerdrückten Lebensentwürfen bei einigen Helden auseinander setzt, muss sich danach fast vorkommen wie ein Vaterlandsverräter, derart heftig beschimpfen ihn die Leserbriefschreiber in der Bild-Zeitung und manche Experten im Fernsehen. So gelungen die Fußballschau ist, wenn sie Erinnerungsstücke in den Zeitrahmen einpasst, so sehr fehlt auch ihr – was das Wunder angeht – Mut zur anderen Sicht. Als bei der Eröffnungspressekonferenz ein, dem Stimmklang nach, ungarischer Gast wissen will, ob auch die politische Bedeutung der Niederlage für die Ungarn thematisiert werde, als erster Anstoß für den späteren Aufstand, wird er von den Organisatoren enttäuscht.“
Aus einer Rezension einer Biografie Marcel Reich-Ranickis – Jürgen Busche (FAZ 2.6.) plaudert: „Irreführend ist der knappe Hinweis, Reich-Ranicki sei „von der Redaktion nicht eben freundlich empfangen“ worden. Im Zuge der Etablierung von Reich-Ranicki gab es Verabschiedungen anderer, die nicht allen leichtfielen. Hier wurden Loyalitäten spürbar, die man kaum als Unfreundlichkeit gegenüber dem Neuen bezeichnen kann. Wie es da zuging, mag eine kleine Geschichte veranschaulichen. Vor Beginn einer Feuilleton-Konferenz – man wartete noch auf den Herausgeber – hatte sich ein lebhaftes Gespräch über die Frankfurter Eintracht (den Fußballverein) entwickelt. Immer wieder fiel der Name Hölzenbein. Reich-Ranicki, rasch verstimmt, weil er zu dem Gespräch nichts beitragen konnte, polterte schließlich los: „Hölzenbein! Wer ist Hölzenbein? Ich kenne diesen Mann nicht!“ Darauf antwortete der Filmkritiker Michael Schwarze: „Der kennt Sie auch nicht.“ Großes Gelächter. Unfreundlich?“
Der große Bruder seiner Spieler
Peter Heß (FAZ 2.6.) gratuliert Karlheinz Feldkamp zum 70. Geburtstag: „Der Oberhausener fühlt sich in seiner Rolle als Pensionär sichtlich wohl. Das hätten nur wenige vermutet, die den virilen Trainer im Fußballgeschäft kennengelernt haben. Feldkamp war einer, der Fußball lebte, genoß, sich in die Aufgaben hineinkniete: ein Arbeiter aus kleinen Verhältnissen, für die ganz großen Klubs einfach nicht geschaffen – obwohl er mit all seinen Mannschaften Erfolge feierte. Mit Wattenscheid und Bielefeld stieg er in die Bundesliga auf, mit Frankfurt, Uerdingen und Kaiserslautern holte er den DFB-Pokal. Selbst mit Dortmund stand er auf einem UEFA-Cup-Platz, als er entlassen wurde. Seinen größten Triumph feierte er 1991, mit dem 1. FC Kaiserslautern holte er die Meisterschaft. Der gelernte Maler und Anstreicher entwickelte sich während seiner Karriere weiter. Seine Feldwebelmentalität gab er nach einiger Zeit auf, er wurde so etwas wie der große Bruder seiner Spieler. Ohne die Sentimentalitäten eines väterlichen Freundes, aber doch mit einem gewissen Wohlwollen verfolgte er die Bemühungen seiner Profis; schützte sie, solange vor dem Scheitern redliches Bemühen stand.“