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EM-Vorbereitung

Oliver Fritsch | Samstag, 5. Juni 2004 Kommentare deaktiviert für EM-Vorbereitung

Lukas Podolski wäre nach Uwe Seeler und Olaf Thon der drittjüngste Nationalspieler in der Geschichte des DFB (BLZ) – Istanbul lockt Lothar Matthäus mit einer Millionen-Offerte (FAZ) – die EM soll Portugals Tourismus ankurbeln (Spiegel) u.v.m.

Das war doch das 3:2, mit dem Rahn, oder?

Michael Horeni (FAZ 5.6.) feiert Kindergeburtstag mit Podolski: „Am Wochenende gibt sich der deutsche Fußball staatstragend. Bundespräsident Johannes Rau wird zum Ende seiner Amtszeit dem 50. Feiertag des Wunders von Bern durch seine Aufwartung in Kaiserslautern noch mehr Gewicht verleihen, wenn zu diesem Anlaß Deutschland gegen Ungarn spielt. Wenige Stunden zuvor hat der Deutsche Fußball-Bund einen Festakt im Dom zu Speyer auf das Jubiläumsprogramm gesetzt. Fußball-Legende Rudi Völler wird am Sonntag zudem seinen 50. Einsatz als Teamchef hinter sich bringen, während Ungarn vom deutschen Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus trainiert wird. Das sogenannte Jubiläums-Länderspiel „50 Jahre WM-Finale Bern 1954″ wird also zum Tag der Berühmten und Mächtigen, und deswegen wurden am Freitag Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski, die beiden jüngsten Abkömmlinge des deutschen Fußballs, auf der Pressekonferenz im Windener Trainingslager gefragt, ob die Historie vielleicht auch auf sie beflügelnd wirken könnte. „Das war doch das 3:2, mit dem Rahn, oder?“ entgegnete der 19 Jahre alte Münchner Schweinsteiger erfrischend unverstellt. (…) Falls „Herr Völler“, wie Podolski den Teamchef bezeichnete, dem Kölner tatsächlich zum Debüt gegen Ungarn verhilft, würde dies auch eine kleine historische Marke im Jubiläumsspiel setzen. Podolski wäre nach Uwe Seeler und Olaf Thon der drittjüngste Nationalspieler in der über einhundert Jahre alten Geschichte des DFB; gemeinsam mit Karl-Heinz Schnellinger. Der war bei seiner Premiere genauso alt, wie Podolski am deutschen Fußball-Feiertag sein wird: 19 Jahre und zwei Tage. Bevor es also am Sonntag zum gediegenen Festakt mit wohlgesetzten Worten kommen wird, herrschte bei der aktuellen Nationalelf erst einmal unbekümmerte Stimmung wie auf einem Kindergeburtstag. Und das kann man fast wörtlich nehmen. Denn einen Tag nachdem der Teamchef aus den „U21″-Nationalspielern Podolski und Schweinsteiger EM-Teilnehmer gemacht hatte, feierte der Kölner in Winden seinen 19. Geburtstag. Auf der Bühne der Pressekonferenz bekam er, regional passend, eine Schwarzwälder Kirschtorte überreicht, und als er die Halle verließ, gab es von einem weiblichen Teenager-Fanchor dazu ein glockenhelles „Happy Birthday“.“

Mit dem FC Köln fahren wir leider nicht so weit

Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger haben es faustdick hinter den Ohren! Gregor Derichs (BLZ 5.6.): „Gut möglich, dass Podolski, der in 19 Bundesligaspielen zehn Tore erzielte, am Sonnabend in Kaiserslautern, im letzten EM-Testspiel gegen Ungarn, einen glücklichen Tag erlebt. Da DFB-Teamchef Rudi Völler im Sturm einige Probleme hat und Routinier Fredi Bobic über Schmerzen im Rücken klagt, könnte Podolski sein Debüt geben. Als drittjüngster Nationalspieler nach Uwe Seeler und Olaf Thon. „Vielleicht ist er als Geheimwaffe dabei – wenn es von Nöten wäre“, sagte Völler zum Abschluss des Trainingslagers im Schwarzwald. Völler hatte den aus der U 21-Auswahl nachnominierten Jungspund und dessen Münchner Kollegen Bastian Schweinsteiger Tags zuvor bei Kaffee und Kuchen begrüßt und ihnen ein paar Regeln erklärt: Respekt vor den Älteren, aber auch Selbstbewusstsein beim Training erbat er sich. Die beiden Neulinge zeigten bei ihrem ersten Medien-Auftritt, dass sie unbekümmerter sind als viele ihrer älteren Mitspieler. Podolski besitzt sogar das Format eines Entertainers. Er stehe vor seiner längsten Dienstreise als Fußballer, sagte der gebürtige Pole Podolski: „Mit dem FC Köln fahren wir leider nicht so weit.“ Völler schätzt diese Unbefangenheit. Denn Podolski ist auch grundsolide, eingebettet in seine Familie. Kollege Schweinsteiger ist beim FC Bayern dagegen schon durch Eskapaden aufgefallen. 15 000 Euro Strafe musste er wegen einer Disco-Nacht zwei Tage vor einem Spiel zahlen. Schlagzeilen machte sein heimlicher Besuch im Trainingscenter an der Säbener Straße, als er mit einer jungen Dame, die er als seine Cousine ausgab, den Whirlpool testen wollte.“

Lothar ist ein korrekter Mann

Lernt Lothar Matthäus bald Türkisch? Roland Zorn (FAZ 5.6.): „Während die Ungarn, wollen sie von ihren großen Zeiten reden, die fünfziger Jahre bemühen müssen, grämt Matthäus die Gegenwart. Der 43 Jahre alte Franke weiß, daß eine Reihe von Klubs nicht daran interessiert war, ihre besten Spieler nach Saisonschluß noch einmal zur Nationalmannschaft reisen zu lassen. „In Ungarn“, kritisierte Matthäus die Verhältnisse, „muß die Kooperation zwischen Vereinen und Verband verbessert werden. Das vermisse ich seit meinem Amtsantritt.“ Weil sich Matthäus dort oft genug alleingelassen fühlt und Besiktas Istanbul mit einer Offerte winkt, die ihm angeblich 1,5 Millionen Euro netto im Jahr einbringen soll, unterdrückt Matthäus das Thema Seitenwechsel zumindest nicht nachhaltig. In Bad Dürkheim wollte er darüber allerdings nicht öffentlich sprechen: „Hier geht es nur um das Länderspiel Deutschland gegen Ungarn.“ Kenner erwarten aber, daß Matthäus schwach wird, sollte Besiktas-Präsident Yildirim Demirören sein Angebot aufrechterhalten und nicht jemand anderen als erste Wahl entdecken. Solange es keinen offiziellen türkisch-ungarischen Dialog über einen deutschen Trainer gibt, sagt Ungarns Fußball-Verbandspräsident Imre Bozoky nur: „Lothar ist ein korrekter Mann. Er steht bei uns bis Ende 2005 unter Vertrag. Ich glaube, daß er bleibt.“ Wenn er doch gehen sollte, kostete das Besiktas eine Stange Geld, die der im Erdgasgeschäft groß gewordene Demirören vermutlich aufbringen könnte. Doch nach einem halben Jahr Ungarn wieder zu verlassen wäre für die weitere Trainerkarriere des Lothar Matthäus auch keine überragende Empfehlung. „Wenn er seine Mentalität auf die Spieler und die Klubs übertragen kann“, prophezeit Bozoky im Glauben an den vertragstreuen Matthäus, „haben wir eine große Chance, vorwärtszukommen.“ Zur Zeit sind die Ungarn international drittklassig. Ganz anders die Deutschen. Zumindest der Ehrenspielführer Lothar Matthäus hält immer noch große Stücke auf die inzwischen von seinem Weltmeisterkumpel Rudi Völler trainierte erste Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes, aus der er sich im Jahr 2000 bei der vergangenen Europameisterschaft nach seinem 150. Spiel ruhmlos verabschiedet hat: „Ich gehe davon aus, daß für die Deutschen bei der EM das Halbfinale drin ist. Und wer im Halbfinale steht, kann auch Europameister werden.“ Für Sonntag rechnet Matthäus lieber mit dem noch Unwahrscheinlicheren: „Das ist wie in der Formel 1 zwischen einem Ferrari und einem McLaren-Mercedes. Normalerweise gewinnt immer der Ferrari. Aber an einem guten Tag kann auch mal der Mercedes gegen den Ferrari gewinnen.““

I say, it’s finished

Frank Hellmann (FR 5.6.) heftet Lothar Matthäus einige Etiketten an: „„Kein Dutzend Zuschauer ist da. Selten hat sich Matthäus auf deutschem Boden so unbemerkt bewegt. In dieser Region von Rheinland-Pfalz, zwischen Mutterstadt und Schifferstadt, sind Gewichtheber wichtig, Fußballer zu vernachlässigende Leichtgewichte; da bildet das Training des deutschen Gegners keine Ausnahme. Matthäus ist vor dem morgigen Spiel ein bisschen bange. „Wir können nur lernen“, sagt er, „Deutschland gehört zu den Besten der Welt.“ Das Halbfinale sei drin, „dann kann man auch Europameister werden.“ Nach dem EM-Desaster vor vier Jahren endete seine Nationalmannschaftskarriere. Danach ist es Jahr für Jahr um den Egomanen ruhiger geworden die meiste Aufregung produzierte ein lächerlicher Streit mit dem FC Bayern um seinen Anteil aus dem Abschiedsspiel. Der Rekordnationalspieler und Raumausstatter, Vielredner und Frauenversteher, in kurzer Abfolge Teamchef in Wien und Belgrad, seit Jahresbeginn ungarischer Dienstleister, sucht noch nach seinem rechten Platz in dieser Fußball-Welt. Ungarn ist das eigentlich nicht. Warum, beschreibt deren Verbandspräsident Imre Bozoky: „Vor fünf Jahrzehnten haben wir der Welt gezeigt, wie Fußball geht. Heute brauchen wir Hilfe“. Deshalb haben sie Matthäus geholt, vertraglich gebunden bis 31. Dezember 2005. Doch einen wie ihn, den Ehrgeizling wie Sonderling, Erfolgs- und Machtmensch, dürstet es wieder nach mehr Popularität und Professionalität. Das alles könnte Besiktas Istanbul nebst 1,5 Millionen Euro Jahresgage bieten. Kontakt ist da, Interesse auch. Matthäus: „Dass ich mir das anhöre, gehört zum Tagesgeschäft.“ Argumente für einen vorzeitigen Ausstieg zählt er schon auf: „Die Kooperation zwischen Vereinen und Verbänden vermisse ich seit Amtsantritt.“ Zudem ist er zur Erkenntnis gelangt: „Als Vereinstrainer hast du mehr Einfluss auf die Spieler.“ Also ab nach Istanbul? Der drohende Abgang ihres deutschen Mentors besorgt die Magyaren. „Wenn er geht“, sagt Janos Hrutka, einst Profi in der Pfalz, „dann bricht im ungarischen Fußball wieder alles zusammen.“ Hätte es Felix Magath bei Eintracht Frankfurt nicht gegeben, „würde ich immer noch in der Bundesliga spielen.“ Heute nennt er sich Manager des Nationalteams, aber wenn Matthäus ruft, schießt Hrutka die Bälle persönlich auf die andere Spielfeldseite. Als nach Trainingsende der begabte Jungstar Zoltan Gera noch aufs Tor bolzen will, verfügt Matthäus streng: „I say, it’s finished.“ Gera gehorcht. Der Bus wirft den Motor an, Matthäus hetzt die Meute hinein. Einig sind sich alle: Der Mann hat nicht nur Sponsoren und Medien herangeschafft, sondern auch Struktur und Disziplin in den Dunstkreis der nationalen Auswahl gebracht.““

Georg Bucher (NZZ 5.6.) über Portugals Fußball-Idole: „„Ein zehntägiges EM-Vorbereitungslager in Praia d‘El Rey, wo bald die Schweizer Fussball-Delegation Quartier bezieht, scheint Wunder gewirkt zu haben. Wie Könige zogen die portugiesischen Internationalen von 3000 Fans bejubelt unter einem Himmel rotgrüner Luftballons und den Klängen der Nationalhymne in Obidos ein. In sieben Kutschen wurden die Hoffnungsträger der Nation zum Empfang vor das Pranger-Haus der alten Königsstadt gefahren. Das beste Gefährt war den Führungsspielern Figo und Rui Costa sowie dem nach einem Dopingvorfall amnestierten Verteidiger Rui Jorge vorbehalten. Nach den Tischreden zu urteilen, hat sich ein Teamgeist gebildet, den Scolari während eineinhalb Jahren vergeblich zu beschwören versuchte. Nicht mehr auf Distanz bedacht und misstrauisch gibt sich der Brasilianer, seinem Spitznamen «Sargent» Ehre machend, sondern entspannt. Die Bevölkerung liess er am Training teilhaben und sich sogar zu einem Tänzchen hinreissen. Daraus zieht das «Jornal de Noticias» den Schluss, Obidos habe Scolari menschlicher gemacht.““

In den vergangenen Jahren gab es nichts als Rückschläge und Stillstand

„Eine Milliarde Euro wurde für die EM verbaut. Sie soll vor allem dem darbenden Norden einen Tourismusboom bescheren“, schreibt Helene Zuber (Spiegel 29.5.): „Der Fußball soll dafür sorgen, dass man über das sonst weithin unbeachtete Land am äußersten Südwestzipfel Europas spricht – natürlich Gutes. Dazu sind nicht nur für etwa 600 Millionen Euro sieben neue Stadien gebaut, einige so spektakulär wie das Estádio do Dragão, und drei Austragungsstätten renoviert worden. Die Verantwortlichen haben weitere 424 Millionen Euro in bessere Zufahrten, öffentliche Verkehrsmittel sowie die Erweiterung von Bahnhöfen, Flughäfen und Krankenhäusern gesteckt. Landesweit wurden an die 9000 Hotelbetten mehr geschaffen. Verstärkt wird damit der Trend, der den Fremdenverkehr schon zum entscheidenden Wirtschaftszweig Portugals hat anwachsen lassen – bis zum Jahre 2020, so die Prognose, werden die 92 000 Quadratkilometer zwischen Atlantik und Spanien auf dem weltweiten Urlaubermarkt von Platz 16 auf Platz 10 klettern. Ein süßer Traum, dem sich die fußballbegeisterten Lusitanier da verschrieben haben. Denn in den vergangenen Jahren gab es nichts als Rückschläge und Stillstand. Die verschwenderisch mit den Staatsgeldern wuchernde sozialistische Regierung steuerte das Land 2001 über die EU-Defizitgrenze. Die bis zur Nelkenrevolution vor 30 Jahren in einer rückständigen Diktatur gefangen gehaltene Bevölkerung hatte sich vor der Währungsunion und bei niedrigen Zinsen wie nie zuvor das Leben auf Pump angewöhnt. Das hohe Wirtschaftswachstum der neunziger Jahre war vor allem von Konsum und ausufernder staatlicher wie privater Bautätigkeit getragen. Als Regierungschef José Manuel Durão Barroso bei Amtsantritt vor zwei Jahren die Sanktionsdrohungen aus Brüssel mit harscher Sparpolitik beantwortete, kauften seine Bürger wie auf Kommando nur noch das Nötigste. Die Rezession war da. Ohnehin neigen die Portugiesen zum Schwarzsehen. Eine Europa-Studie enthüllte, dass sich nur 13 Prozent in ihrer Lebenssituation sehr wohl fühlen, in den restlichen 19 erforschten Ländern tun dies mehr als doppelt so viele. Und nur ein Zehntel der Befragten glaubt an neuen Aufschwung. Zusätzlich zur flauen wirtschaftlichen Situation, in der die Arbeitslosenquote in den letzten zwei Jahren von 4,4 auf 6,9 Prozent anstieg, kamen die verheerenden Waldbrände im vergangenen Sommer. Die Portugiesen, die heute Fußballer so gläubig verehren wie zu Zeiten der Diktatur die Heiligen in den zahllosen Kirchen und Wallfahrtsorten, setzen nun all ihre Heilserwartungen für die Zukunft in die Magnetwirkung der Europameisterschaft. Nicht ganz ohne Grund, denn das letzte Großereignis im Land, die Expo 98, für die Lissabon in einen neuen Stadtteil am Wasser mit Renommierbauten prominenter Architekten investiert hatte, zahlte sich aus. „Tourismus wird unsere Hauptindustrie im 21. Jahrhundert sein“, erklärt Arlindo Cunha, frisch ernannter Umweltminister, der bis vor kurzem in Porto Strategien zur Entwicklung der Nord-Region erdachte. Engländer, Deutsche und Spanier, die stärksten Kunden, würden zwar Lissabon und die Algarve kennen, doch nun sei es an der Zeit,
das Image vergessener Gegenden im Norden zu korrigieren. (…) Vier Stadien mit einer Kapazität von zusammen 142 000 Plätzen sind in der Problemregion hergerichtet worden, drei davon ganz neu gebaut: in Porto neben dem Estádio do Dragão noch das Bessa-Stadion von Boavista und im kirchenreichen Braga eine spektakuläre Arena in einem Steinbruch. Die Marke Portugal, sagt der regionale Tourismusmanager Henrique Moura, habe mit Hilfe des Fußballs jetzt die einmalige Gelegenheit, sich in den globalen Markt zu schieben. Da dürfe man keine Pfennigfuchserei betreiben.“

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