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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Vermischtes

Schlacht mit den Roastbeefs

Oliver Fritsch | Montag, 14. Juni 2004 Kommentare deaktiviert für Schlacht mit den Roastbeefs

Frankreich hat zwar gewonnen, doch die Engländer haben Fan-Kultur (The Guardian) – sehr lesenswert! Jürgen Kaube nimmt die Fußball-Feuilletonisten in Manndeckung – hängt der Appetit des Engländers am Frühstücksbüffet vom Ergebnis der Nationalmannschaft ab? (SZ) u.v.m.

Schlacht mit den Roastbeefs lässt Franzosen kalt

Wer hat die bessere Fan-Kultur? Jon Henley (The Guardian 12.6.) beschreibt den Vorsprung der Engländer gegenüber den Franzosen: „Wie Michel Platini schon einmal zu einem englischen Journalisten sagte: „Ihr habt Fans. Wir haben Anhänger.“ Eigentlich ist nicht einmal das wirklich wahr. Französische Anhänger wachsen nur dann über ihrer bloße Rolle als Zuschauer hinaus, wenn ihre Mannschaft a la francaise spielt und du beau jeu produziert, also mit Stil spielt, mit Talent und Imagination. „Die Franzosen sind zu kühl, die stehen nicht wirklich hinter ihrer Mannschaft,“ sagt Patrick Mignon, Akademiker und Autor des Buches „La Passion du Football“: „Sie sind mehr ironische Zuschauer als Anhänger. Wenn sie gut spielen, werden sie anfeuern. Wenn nicht, gibt es Verachtung und Spott, wenn du Glück hast – und wenn nicht, komplette Gleichgültigkeit.“ (…) „Wir sind einfach keine Fußball liebende Nation,“ sagt Frederique Deslandes, französischer Online-Journalist. „Nur zwei Mannschaften, Lens und Marseilles, haben überhaupt erst die Anfänge einer englischen Fankultur, in der die Menschen das Spiel leben und atmen und ihre Heimmannschaft bis zum Tod unterstützen. Zusätzlich sind wir schrecklich unbeständig in unserer Liebe“ Französische Fußballfans sprechen von ihrer National- sogar von ihrer Heimmannschaft – in der dritten Person Plural, nicht der ersten. Es heißt immer „Sie waren wunderbar“, oder „Sie waren lächerlich“, niemals „Wir“. (…) Ein Journalist sagte in einer französischen Sportzeitschrift: „Glauben die Engländer wirklich, dass es mehr ist als ein Fußballspiel, in dem die besten Spieler der englischen Liga, im blauen Trikot, die Spieler in weiß schlagen werden?“

Wenn dir das Standbein wegrutscht, gehen Tugend, Soziologie und Geschichtsphilosophie gemeinsam zum Teufel

Sehr lesenswert! Jürgen Kaube (FAZ/Feuilleton 15.6.), Aleatiker, schreibt den Fußball-Exegeten und Fußball-Feuilletonisten Zurückhaltung ins Stammbuch: „Für manchen akademischen Sportsfreund steht fest: Fußball ist nicht nur Fußball, sondern ein „Spiegel der Gesellschaft“, ein soziales „Paralleluniversum“, ein Schlüssel zur gegenwärtigen Kultur. Solche Zuschreibungen verlieren angesichts des befürchteten Zustandes der deutschen Nationalelf jede Harmlosigkeit. In einer Gesellschaft, die auch nur von fern der deutschen Innenverteidigung oder dem Spiel Bernd Schneiders gegen Ungarn ähnelte, möchte schließlich nicht jeder leben. Aber was hieße es überhaupt, in einer Gesellschaft zu leben, die „so wie“ der Fußball ist? Oder umgekehrt: Was wäre eine Mannschaft, die nicht nur, ihren Pässen nach, deutsch ist, sondern deutsche Pässe spielt? Und warum sollte man an einem Sport überhaupt Vergnügen finden, wenn er der Gesellschaft ähnelt? Das Spiel der Deutschen gegen die Holländer drängt solche Fragen auf. Denn was wird in diese Begegnung samt dem Unterschied zwischen deutschem und holländischem Fußball nicht alles an anspruchsvoller Thekensoziologie hineingelegt! Befragt, was er von kolportierten Äußerungen des holländischen Mittelstürmers Ruud van Nistelrooy halte, zum Match gegen Deutschland gehöre für Holländer auch das, „was vor sechzig Jahren war“, erinnerte der dadurch zu Recht etwas peinlich berührte Rudi Völler zwar daran, daß es um ein Fußballspiel gehe, um nicht mehr und nicht weniger. Doch damit wird er die Fußballintellektuellen nicht abschütteln. (…) Das Hin und Her des Balls läßt sich nicht sinnhaft und schon gar nicht moralisch oder soziologisch verrechnen. Die Strecken vom eigenen zum fremden Tor sind lang, viele Spieler stehen im Weg, die strategischen Möglichkeiten sind ungezählt, die Situation für den einzelnen Spieler ist zumeist viel unübersichtlicher als in anderen Ballspielen, und der Untergrund ist uneben. Vor allem aber: Die Füße sind nicht dazu gemacht, präzise Bewegungen auszuführen. Der katalanische Choreograph Cesc Gelabert hat das einmal auf die schöne Formel gebracht, im Fußball wie im Tanz liege die Schwierigkeit darin, die Beine wie Arme bewegen zu müssen. Man soll etwas auf eine Weise tun, das man unter normalen Umständen besser auf eine andere Weise täte. Also bricht sich die Übersetzung von moralischen und ideologischen Erwartungen der Zuschauer ständig an den Gleichgewichtsproblemen der Spieler. Also sollte man auch den Glauben fahrenlassen, im Fußball stünden sich die Repräsentanten höherer sozialer Mächte gegenüber. Da kannst du noch so ein liebenswert rationaler Holländer oder multikultureller Franzose sein oder ein noch so beflissener Deutscher – wenn dir das Standbein wegrutscht, gehen Tugend, Soziologie und Geschichtsphilosophie gemeinsam zum Teufel.“

Ach, Gebauer, was soll das bloß!

Ralf Wiegand (SZ/Medien 15.6.) fügt genervt hinzu: „Der allseits geschätzte Philosoph und Sportsoziologe Gunter Gebauer hat in der EM-Beilage der Zeit erklärt, worum es wirklich geht im Fußball – um die Zuneigung unserer Frauen. Er schrieb: „Die Spieler auf dem Rasen tun stellvertretend das, was die Männer der Gruppe, deren weiblicher Teil sie sind, zu tun haben.“ Es ist also wahr – WIR spielen gegen Holland! Das Tor, mussten wir lernen, weil uns Kicker und Bild ja mal wieder nicht genug waren, das Tor sei also das Haus, das die Männer zu hüten hätten. „Ihre Aufgabe ist der Schutz des Ortes, an dem sich die weiblichen Mitglieder der Familie aufhalten.“ Dies gebe dem Wunsch der Frauen, sie mögen durch die Nationalspieler würdig vertreten werden, „einen tieferen Sinn“. Weiter: Wird der Torwart überwunden, dringt der Ball ins Haus ein, sei das ein Akt der Schande. Fußball, schließt Gebauer, „organisiert eine symbolische Befleckung“. Blass legen wir die Zeit beiseite. Wer könnte da noch Spaß haben an dieser EM? Wie könnten wir uns freuen über eine Niederlage der Holländer, wenn wir doch gleichzeitig damit deren Frauen befleckten, was wir weiß Gott nicht wollen? Was wiederum würden unsere Frauen, die ja alle kollektiv im Netz hinter Oliver Kahn zappeln (was zumindest dessen Konzentrationsschwächen erklären würde) – was würden unsere Frauen über uns Männer denken, wenn van Nistelrooy unserem Kahn den Ball durch die Beine schöbe? „Schande!“, werden sie aus der Küche rufen. Dann werden sie alles Bier (Muttermilch) aus dem Kühlschrank (Vorratshöhle) räumen und sich weigern, die Chips-Krümel vom Berberteppich (Rasen) abzusaugen, denn einem Mann (Kahn, Hinz und Kunz), der sie nicht vor dem Holländer (böser Wolf) beschützen kann, wollen sie nicht mehr dienen. Zwischen Goldener Hochzeit und Scheidung liegt also nur noch ein Tor. Zum Beispiel von van Nistelrooy. Ach, Gebauer, was soll das bloß!“

Zinedine Zidane schießt, die Welt aus den Angeln hebend, einen Freistoß ins Tor und einen Elfmeter, und dem Streiflicht (SZ 15.6.) kommt die Ironie abhanden: „Joachim Ringelnatz hat jenes berühmte Liebesgedicht geschrieben, worin vom Ginster die Rede ist, der an den Hängen der Eisenbahn so gut leuchtet, ferner von einer Ofenkachel, die man der Liebsten ohne Bedenken schenken würde. Schließlich endet die erste Strophe mit einer schlanken Beobachtung: „Ich reise. / Alles, was lange währt, / ist leise.“ Tatsächlich fällt einem dieses Gedicht ein, während man in Lissabon in einem Fußballstadion sitzt, das „Stadion des Lichts“ heißt und in dem zwar kein Ginster leuchtet, dafür aber der Rasen, und zwar ordentlich. Nicht weit davon entfernt kann man auch eine Eisenbahn vorbeisausen hören, genauer gesagt die Lissabonner U-Bahn, und irgendwo in den Hochhaussiedlungen nebenan wird sicher soeben ein frisch entflammter Junggeselle voller Leidenschaft eine Kachel aus dem Ofen stemmen, um sie seiner Verlobten zu Füßen zu legen. Aber das ist es nicht, das ist es alles nicht. Das Gedicht fällt einem ein, weil ein Mann mit der Nummer zehn in diesem Stadion mit dem Ball spielt, ein wunderbarer Mann, dessen Herrschaft als bester Fußballer der Welt schon lange währt. Und der als Mensch leise ist, sehr leise. Zinedine Zidane, Frankreichs Regisseur, hat gegen England zwei Tore in der Nachspielzeit geschossen, einen Freistoß und einen Elfmeter. Er hat seiner Mannschaft ein verloren geglaubtes Spiel gerettet, er hat dem Turnier einen Augenblick für die Ewigkeit geschenkt. Aber das ist es nicht, das ist es alles nicht. Zinedine Zidane wirkt nicht durch seine Tore allein, durch seine Beidfüßigkeit, durch die Art, in der er den Ball zum Mitspieler schickt, über vierzig, fünfzig Meter, ohne hinzusehen. Er wirkt durch seinen Jubel: wenn sein Mund zu einem „O“ wird vor purem Glück, wenn er die Arme ausbreitet wie ein kleiner Junge auf dem Bolzplatz. Zinedine Zidane, der Weltstar und Multimillionär, Weltmeister und Europameister, hat sich in diesem überdrehten Geschäft seine fast naive Freude am Spiel erhalten, seine Ruhe, seine Bescheidenheit.“

Sehr anschaulich! Holger Gertz (SZ 15.6.) schaut dem englischen Volk auf den Frühstücksteller: „Wenn also das Hotel eine kleine Welt ist, dann ist der Frühstückssaal der Marktplatz dieser Welt, wo sich alles mischt, auch die Stimmung, und wo gestern noch die Stühle fröhlich knarzten unter dem Gewicht rühreigesättigter, zuversichtlicher ENGLAND!-Fans, da war heute eine Atmosphäre, als wären sämtliche Corgie-Hunde der Queen von einem gewaltigen Stein erschlagen worden. Verloren, und wie. Wenn eine Niederlage einem auf den Magen schlagen kann, dann eine wie diese. Einige der Engländer waren auf ihren Zimmern geblieben, die anderen schleppten sich an die Tafel, zerbröselten gedankenverloren das Brot, kippten gedankenverloren den Orangensaft neben das Glas, stocherten gedankenverloren im Rührei und wünschten sich richtige, harte Eier. EIER, hatte doch der deutsche Keeper Kahn gesagt, wir brauchen EIER, aber die englische Elf hatte gegen Frankreich am Ende keine EIER gehabt, und die englischen Fans wollten am Morgen danach auch keine mehr haben. Ihre müden Gesichter spiegelten sich in der polierten Oberfläche des Rührei-Warmhalte-Behälters, der diese müden Gesichter als schmerzhaft verzerrte Fratzen wiedergab. Sich von einem Rührei-Warmhalte-Behälter verspotten lassen zu müssen, wäre schlimm genug gewesen, aber irgendwann kam ein Franzose in den Frühstückssaal, es war in Wahrheit der Belgier, aber der Unterschied ist an Tagen wie diesen nicht relevant. Er sah ein bisschen aus wie Johan Micoud, tänzelte nach vorn zum Buffet, inhalierte spitznasig das feine Aroma des Rühreis, lud sich großzügig auf und genoss in einer stillen Ecke. Die Engländer schauten und warteten auf ein Wort von ihm, aber der Belgier sagte nichts. Er sah aus wie ein Franzose, wie ein kluger Franzose, der genau weiß, wann es Zeit ist, die Klappe zu halten.“

Kein Gerede über Frühstückseier und Speck

Michael Walker (The Guardian 12.6) berichtet über französische Legionäre in England: „Mit bis zu sieben Spielern aus der Premiership ist eine Theorie geboren: Frankreichs Erfolge bei der WM 1998 und der WM 2000 seien „made in England“ (…) Patrick Viera wurde gefragt, ob er irgendwelche englischen Charaktereigenschaften in seinen acht Jahren in England angenommen habe. Er antwortete, dass er an jedem freien Sonntag Morgen ein komplettes englisches Frühstück isst und die Zeitung liest. „Ich esse alles – wie ihr,“ sagt er. „Jeden Sonntag fühle ich mich wie ein Engländer.“

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