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Behäbiger Spielaufbau, schematisches Offensivspiel

Oliver Fritsch | Freitag, 25. Juni 2004 Kommentare deaktiviert für Behäbiger Spielaufbau, schematisches Offensivspiel

Deutschland-Tschechien 1:2

„Selbstkritik gehört nicht zu den herausragenden Eigenschaften der gescheiterten Nationalspieler“, klagt Michael Horeni (FAZ 25.6.): „Versäumnisse in eigener Sache? „Nein“, sagt Torsten Frings. Bernd Schneider ist traurig. Der Leverkusener, der vor zwei Jahren überragende Leistungen bei der Weltmeisterschaft gezeigt hatte und im Finale der beste Spieler seines Teams gewesen war, vergab in der zweiten Halbzeit zwei erstklassige Torchancen. Er leidet darunter, das sieht man ihm an. Aber er redet anders. „Der Mannschaft kann man nichts vorwerfen“, sagt Schneider. Gekämpft, gerackert, Chancen rausgespielt, was soll man machen? Der Ball wollte einfach nicht ins Tor rein, also sind die Deutschen raus. So einfach ist das – zumindest machen es sich die meisten aus der deutschen Mannschaft so einfach. In Portugal, wo sich nahezu alle Teams in einer ausgezeichneten körperlichen Verfassung befinden, scheiterte die Auswahl Völlers vor allem an ihrem mangelhaften spielerischen Repertoire, dessen Defizite bei einem behäbigen Spielaufbau begannen und sich in einem allzu schematischen, ideenlosen Offensivspiel fortsetzten – die erschreckende Stürmerkrise konnte diese seit Jahren diagnostizierten Schwächen dann auch im Ergebnis nicht mehr tarnen. Kein Wort davon, keine Andeutung.“

Die FAZ stellt den deutschen Kader für die WM 2006 vor

Thomas Klemm (FAZ 25.6.) findet, dass Marek Heinz seine Chance genutzt hat: „Bis zum Mittwoch um Viertel vor neun verlief die Profikarriere von Marek Heinz konstant wechselhaft. Eingewechselt oder ausgewechselt, ausgewechselt oder eingewechselt, diese Kurzmitteilungen tauchten auf den meisten Spielberichtsbögen hinter dem Namen des tschechischen Angreifers auf. Ob dreieinhalb Jahre beim Hamburger SV, ein halbes Jahr bei Arminia Bielefeld oder seit drei Jahren in der A-Nationalmannschaft, der lange Blonde mit dem starken linken Fuß kam über die Warteliste selten hinaus. Dann folgte das für die tschechische Fußball-Nationalmannschaft bedeutungslose Europameisterschafts-Gruppenspiel gegen Deutschland, und Nationaltrainer Karel Brückner gönnte seinen Stars eine Verschnaufpause vor dem Viertelfinalspiel gegen Dänemark am Sonntag. Heinz rückte auf in die Startelf und benötigte bei seinem ersten Länderspiel über die volle Distanz gerade einmal dreißig Minuten Anlauf, um seine herausragende Leistung mit einem famosen Tor zu krönen. Weil in Pavel Nedved, Tomas Rosicky und Karel Poborsky alle etatmäßigen Kunstschützen auf der Bank saßen, legte sich Heinz den Ball zum Freistoß zurecht, zirkelte ihn anschließend zum 1:1 in den Torwinkel. (…) Bei Austria Wien hatte man kurz vor der EM erwogen, den Tschechen zu verpflichten, ihn aber für zu leicht befunden für die österreichische Liga. In nur 152 Spielminuten bei dieser EM sorgte Marek Heinz für gemischte Gefühle: armes Austria, verblüffte Bundesliga, glückliches Tschechien.“

Holland-Lettland 3:0

Wir haben nicht gefeiert, dass die Deutschen ausgeschieden sind

Die Holländer haben lange gezittert! Christoph Biermann (SZ 25.6.): „Immer größer wurde die nervöse Vorfreude und sie wurde zugleich von Ungläubigkeit gezügelt. Sollte es wirklich stimmen, dass die deutsche Mannschaft auf dem Weg war, die Partie gegen das tschechische B-Team zu verlieren? Oder würde Völlers Mannschaft in den letzten Momenten nicht doch wieder entscheidend zuschlagen, wie man das in der Vergangenheit bei deutschen Elf so oft erlebt hatte. Die Fans in Orange hielten den Atem an, und die Spieler mochten es auch kaum glauben. „Wir haben eine Viertelstunde vor Schluss das Ergebnis aus Lissabon gehört, aber daran gedacht, dass Deutschland eine Mannschaft hat, die immer noch zurückkommen kann“, sagte Giovanni van Bronckhorst, und so fühlten es alle auf dem Rasen und auf den Tribünen. Daher schauten die Spieler nach dem Abpfiff von Schiedsrichter Kim Milton Nielsen zur Bank herüber. Der eigene 3:0-Sieg war längst vergessen, Finger wurden hochgehalten und signalisierten ein 2:1, während Ersatztorwart Sander Westerveld sein Handy fest umklammert hielt und darauf wartete, dass die Niederlage der Deutschen endlich bestätigt würde. Doch so ausgelassen die Spieler anschließend über den Rasen hüpften und so begeistert die Fans sangen, „Schade Deutschland, alles ist vorbei“, so vergleichsweise zurückhaltend waren die Reaktionen, als Team und Trainer aus den Kabinen kamen. „Wir haben darauf gehofft, es aber nicht erwartet“, sagte van Bronckhorst. Die Holländer wussten um ihr Glück und stimmten kein Triumphgeheul an. Mittelfeldspieler Phillip Cocu bestritt auch, dass das Ausscheiden des deutschen Erzrivalen den eigenen Erfolg noch zusätzlich verschönen würde. „Wir haben nicht gefeiert, dass die Deutschen ausgeschieden sind, sondern dass wir ins Viertelfinale gekommen sind“, sagte er. Etwaigem Übermut standen sowieso die Erfahrungen der vorangegangenen Tage entgegen, Tage, die nicht nur wegen der Abhängigkeit vom Ausgang des anderen Spiels schwierig gewesen waren.“

Ruud van Nistelrooy wirkt wie eine Abrissbirne

Peter Heß (FAZ 25.6.) klatscht Beifall für die Oranjes: “Lettlands Trainer Starkovs lobte die Niederländer für ihren Sturmwirbel. „Wir hatten im Gegensatz zum Spiel gegen Deutschland keine echte Chance, uns zu wehren.“ Die Deutschen mußten versuchen, mit ihrem an Hammer und Meißel erinnernden fußballerischen Rüstzeug die lettische Mauer einzureißen. Den Niederländern stehen da technische Hilfsmittel wie elektrischer Schlagbohrer oder Preßlufthammer zur Verfügung. Und wenn alles nicht hilft, wirkt Ruud van Nistelrooy wie eine Abrißbirne.“

Yellow Submarine – seit jeher die Matrix für Schmähgesänge aller Art

Gesangsunterricht mit Axel Kintzinger (FTD 25. 6.): „Manche Wunden wollen nicht verheilen – die im deutsch-niederländischen Fußballverhältnis ist so eine. Nachdem das direkte Aufeinandertreffen beider Mannschaften für keine Seite befriedigend ausgefallen war, wurde jetzt ein Fernduell ausgetragen. Während die „Elftal“ in Braga demonstrierte, dass man gegen Lettland sehr wohl Tore schießen kann, waren ihre zahlreichen Fans mit den Gedanken weit weg im 360 Kilometer entfernten Lissabon, von wo sie über ihre Mobiltelefone auf dem Laufenden gehalten wurden und schon den Ausgleich der Tschechen mit einem Liedchen zu kommentieren wussten. „Schade, Deutschland, alles ist vorbei“, sangen sie nach der Melodie von „Yellow Submarine“ – seit jeher die Matrix für Schmähgesänge aller Art. Eine andere Wunde rührt her vom Verhältnis zwischen Bondscoach Dick Advocaat mit Fans, Medien und Nationalspielern. Advocaat nimmt übel, dass man seine Taktik und Personalauswahl kritisiert. So ließ er sich nach dem souveränen 3:0 nur kurz beglückwünschen und verschwand im Stadionbauch. Die Spieler fraternisierten mit den Fans, die Advocaat vor Spielbeginn mit einem Pfeifkonzert begrüßt hatten. Marc Overmars gab den Zeremonienmeister, baute sich vor der in Oranje gekleideten Masse auf, hob die Hände über den Kopf und klatschte im Rhythmus des Schlachtrufes, den die Anhänger anstimmten. Er lautete: „Tschechien, Tschechien!““

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