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Gut gezischt, Schlange

Oliver Fritsch | Samstag, 26. Juni 2004 Kommentare deaktiviert für Gut gezischt, Schlange

„niemand beherrscht diese Rühr-mich-nicht-an-Haltung besser als Edgar Davids“ (Tsp) – „Luis Felipe Scolari weiß, was er tut, auch wenn ihm nicht alle unverzüglich zu folgen vermögen“ (NZZ) – Jon Dahl Tomasson ist vor allem wegen seiner Kaltblütigkeit so beliebt (FAZ) – die SZ vergleicht Zlatan Ibrahimovic mit Franz-Josef Strauß u.v.m.

Roland Zorn (FAZ 26.6.) ärgert sich mit Dick Advocaat über Hollands Medien: „Holland steht nun doch im Viertelfinale der Fußball-Europameisterschaft, ist deshalb alles wieder gut? Ganz so schnell kann Bondscoach Dick Advocaat vor seinem 54. Spiel als Trainer der holländischen Mannschaft nicht vergessen, was ihm in Portugal schlaflose Nächte bereitet hat. Und deshalb sagt der umstrittene Coach vor dem Duell mit den Schweden an diesem Samstag in Faro: „Das ging zu weit. Wenn ich hören muß, ich sollte am besten gesteinigt oder erhängt werden, dann finde ich so etwas nicht mehr normal. In den letzten paar Tagen sind in meinem Leben Werte zerstört worden, mit denen ich aufgewachsen bin.““

Nicht Leistung entscheidet, sondern der Status

Bei den Franzosen stimmt die Chemie nicht, Michael Wulzinger (Spiegel 21.6.): „An Thierry Henry wird das Problem besonders deutlich, das Frankreichs Team bei der EM bislang mit sich herumschleppt. Vor Turnierbeginn wurde der Hochglanzstürmer zum ultimativen Angreifer hochgejazzt: Henry, das Phantom. Henry, der Unerreichbare. Henry, die Tormaschine. Und nun sollte er erklären, warum er gegen Kroatien nicht mal an einem Kontrahenten wie Niko Kovac vorbeikam, der bei Hertha BSC zuletzt auf der Reservebank schmorte; warum seine Zuspiele, sonst selbst im Sprint von hoher Präzision, beim Gegner oder im Seitenaus landeten; warum er kaum zum Torschuss kam. Für die Franzosen ist die Europameisterschaft ja nicht nur ein Turnier, das alle vier Jahre stattfindet und zu dem sie hinfahren wie die frischen Dänen oder Schweden, die dort einfach nur gut spielen wollen und dann mal sehen, was dabei herauskommt. „Les Bleus“ (die Blauen) haben eine Mission: Sie wollen ihre eigene Geschichte aufarbeiten. Sie wollen der Welt beweisen, dass Südkorea nur ein Betriebsunfall war, diese verwünschte WM vor zwei Jahren, als die Equipe Tricolore dreimal kollektiv versagte und nach der Vorrunde erniedrigt zurückkehrte. Seither musste das mit Weltklassespielern gespickte Team eine Art öffentliche Psychotherapie über sich ergehen lassen. „Südkorea war wie ein Alptraum“, sagte Regisseur Zinedine Zidane kurz vor der Abreise im Schloss des Verbandes in Clairefontaine mit ernster Miene, „es ist unsere Pflicht, diesen Eindruck zu korrigieren“. (…) Marcel Desailly gilt als Egoman. Die nachrückende Generation der Nationalspieler, die sich um Henry und Trézéguet schart, wirft dem Kapitän intern vor, in den Krisentagen der WM 2002 nur an sich gedacht zu haben. Desailly, der sich damals bei der Niederlage gegen den Senegal zuweilen vorführen ließ, haftet der Ruf des Abzockers an. Seit mehr als einem Jahrzehnt steht er immer bei Vereinen unter Vertrag, die im Fußballbusiness Schrittmacher des Turbokapitalismus waren: erst bei Olympique Marseille unter dem Finanzjongleur Bernard Tapie, dann beim AC Mailand unter Medienmogul Silvio Berlusconi und schließlich beim FC Chelsea unter dem russischen Oligarchen Roman Abramowitsch. Ausgerechnet Desailly, der seit Ende April kein Spiel mehr über 90 Minuten gemacht hatte, wurde von Santini für das Kroatien-Spiel reaktiviert – und verschuldete das zweite Gegentor. Nun hat das ohnehin überspielt wirkende Ensemble eine famose Personaldebatte. Die Sicherheit ist dahin. Mittelfeldspieler Patrick Vieira, Badeschlappen am Fuß, einen apricotfarbenen Lolli zwischen den Zahnreihen, bellte am Tag nach dem Kroatien-Match den Kritikern entgegen, hier habe „kein Einzelner“ ein Problem, sondern – wenn überhaupt – „die Gruppe“. Das Comeback des betagten Kämpen Desailly, das stark an die unselige Rückkehr von Lothar Matthäus in die deutsche Mannschaft während der WM 1998 erinnert, signalisierte den jüngeren Spielern einen Rückfall in die Ära Lemerre: Nicht Leistung entscheidet, sondern der Status.“

Er ist der schmutzigste Spieler, gegen den ich je gespielt habe

Gerhard Fischer (SZ 26.6.) vergleicht Ibrahimovic mit Franz-Josef Strauß: „Zlatan Ibrahimovic, 22, ist ganz anders. Es gibt kaum einen Schweden, nicht mal einen Politiker, der so polarisiert wie der in Malmö geborene Sohn von Einwanderern aus dem ehemaligen Jugoslawien. Der Stürmer galt lange Zeit als genial, aber link; als Fußballer, der unfair die Ellbogen einsetzt und in Kauf nimmt, andere zu verletzen. „Er ist der schmutzigste Spieler, gegen den ich je gespielt habe“, sagte einmal Erik Hoftun, Verteidiger bei Rosenborg Trondheim. Darüber hinaus war er ein Maulheld. Über den norwegischen Stürmer John Carew soll er gesagt haben: „Was der mit dem Ball macht, mache ich mit einer Apfelsine.“ Eigentlich hat er auf dem Fußballfeld nur das getan, was er früher zuhause gemacht hat, im sozialen Brennpunkt Rosengard in Malmö: brüllen, damit die anderen eingeschüchtert werden, und zuschlagen, bevor man selber eine fängt. Seine Eltern Jurka und Sefik, eine Putzfrau und ein Hausmeister, hatten sich getrennt, als Zlatan noch sehr klein war. Er wuchs beim Vater auf, und die Erziehung war nicht leicht. Seine Schulleiterin Agneta Cederman hat über Zlatan Ibrahimovic gesagt: „Er war der Prototyp eines Jungen, mit dem es böse endet. Während meiner 33 Jahre in der Schule war er einer der fünf unruhigsten Schüler, die ich hatte – ein Krawallbruder.“ Fußball spielte der Junge zunächst beim FBK Balkan Malmö. Vater Sefik sagt heute, er habe das Talent des Sohnes schon früh erkannt: „Als er vier war, sah ich, dass er ein ganz Großer werden würde.“ Der Junge wuchs zum 1,92-Meter-Mannsbild heran, wechselte erst zu Malmö FF und dann, als 19-Jähriger, für die für schwedische Verhältnisse sagenhafte Ablösesumme von neun Millionen Euro zu Ajax Amsterdam. Vater Sefik fährt seither fast zu jedem Heimspiel von Malmö nach Amsterdam, mit dem Auto. „Er ist mein Held“, sagt der Sohn. Ibrahimovic schoss bei Ajax fast in jedem zweiten Pflichtspiel ein Tor, seine Technik reifte und sein Spielverständnis auch, aber die Entscheidungsträger in Schweden blieben reserviert. Die Trainer Lars Lagerbäck und Tommy Söderberg ließen ihn selten von Beginn an spielen, vielleicht auch deshalb, weil er bei den Kameraden nicht wohl gelitten war wegen seiner Egozentrik. Das ist besser geworden, aber noch nicht wirklich gut. Da gab es zum Beispiel die Sache mit dem Elfer im EM-Qualifikations-Spiel gegen San Marino. Es stand 4:0, und Kim Kallström, eines der hoffnungsvollsten Talente des schwedischen Fußballs, war als Elfmeterschütze vorgesehen. Doch Ibrahimovic schnappte sich den Ball, gab ihn auch auf Bitten nicht mehr her, verwandelte zum 5:0 – und wartete vergeblich auf die Glückwünsche der Kollegen.“

Ronald Reng (BLZ 26.6.) tippt auf Schweden: „Für den Rest der Welt mögen die Niederlande der hohe Favorit sein, doch die Schweden selbst haben aufgehört, sich als Außenseiter zu sehen. Sie haben sich eingebläut, dass sie diesmal mehr als die übliche ordentliche Rolle spielen können. Natürlich würden sie das nie öffentlich sagen. Die Politik „keine großen Worte, wir sind Schweden“ gilt noch immer. „Wir haben mit den Spielern vor Turnierbeginn sehr konkret über Ziele geredet“, sagt Lars Lagerbäck, der sich mit Tommy Söderberg den Trainerposten teilt. Was für Ziele? „Ziele“, sagt Lagerbäck. Etwa dass sie das Halbfinale erreichen können? „Sehr konkrete Ziele.“ Dies ist eine besondere schwedische Auswahl. Wenn er es nicht selber aussprechen muss, kann dem sogar Lagerbäck zustimmen. „Vielleicht muss ich Ihnen Recht geben. Wir haben viel mehr Tempo im Spiel, wir haben mehr Spieler, die durch ihre individuelle Klasse den Unterschied machen können.“ Mit Henrik Larsson und Zlatan Ibrahimovic haben die Schweden – ein Team, das traditionell von seiner Organisation, Wucht und Energie zehrte – seit man denken kann erstmals einen Angriff von feinster Qualität. Ihre Spielfreude infiziert. Defensive Mittelfeldleute wie Tobias Linderoth, ein Gigant in der Vorrundenpartie gegen Italien, oder sein Vertreter, der unwissentliche Scheckräuber Andersson, starten nun öfters ein Kurzpassspiel, um aus der eigenen Spielhälfte hinauszukommen, wo vor vier Jahren noch der lange Diagonalpass Routine war. Ein kleines Land wie Schweden wird wohl nie ein Team ganz ohne Schwachstellen haben, die Außenverteidiger machen Kummer, aber bislang hielten die zentralen Verteidiger Olof Mellberg und Andreas Jakobsson die Abwehr im Gleichgewicht. Es infiziert. Die Spieler haben zu Hause angerufen, „die Leute drehen durch“, hat sich Freddy Ljungberg, der Mittelfeldmann von Arsenal London, berichten lassen. Ein Gefühl ist entstanden und trägt das Land; Schweden lebt den Sommer 1994 noch einmal. Es war eine Zeit, von der Leute nachher sagen: die beste meines Lebens. Was immer man damals persönlich in Schweden erlebte, es wirkte so viel schöner – im Sommer 1994, als die Sonne auf Schweden schien, als ob es in Südeuropa liege, und die Nationalelf bei der WM in den USA Dritter wurde.“

Sag nie Katze, wenn du sie noch nicht im Sack hast

Birgit Schönau (SZ 26.6.) stellt Italiens Neuen vor: „Hinter der gepflegten Fassade gilt Marcello Lippi als eisenhart. Legendär ist sein Boxkampf mit Didier Deschamps in der Juve-Kabine. Roberto Baggio verbot er den Genuss von Chilischoten im Salat. Lippi fragt nicht, Lippi bellt: Diese Mannschaft braucht einen Tritt in den Hintern. Inter Mailand war das damals. Die Squadra Azzurra ist vorgewarnt. Was hatten sie zuletzt für Gestalten: Den unbeholfenen Patriarchen Cesare Maldini, das wortkarge Nationalmonument Dino Zoff, den herrlichen Metapherndribbler Trapattoni („Sag nie Katze, wenn du sie noch nicht im Sack hast‘), und jetzt Lippi. Von ihm geht die Sage, er habe vor dem Grab seines Vaters meditiert, bevor er den Ruf zur Juventus annahm: Denn Vater Lippi war Sozialist, und der Sohn arbeitete jetzt für die Agnellis, die Padroni. Beim Nationalteam erwartet ihn ein Neubeginn. Trapattoni wurde zu viel Nachgiebigkeit gegenüber Stars und deren Hofstaat (Frauen, Agenten, Fitnesstrainer) vorgeworfen. Mit Lippi wird es das nicht geben. Das Management soll komplett ausgetauscht werden, wie die Mannschaft. Strenge statt Folklore. Nie wird man Lippi, wie Trapattoni, auf der Trainerbank ein Fläschchen mit Weihwasser auspacken sehen.“

Die beiden wollen das ideale Betriebsklima – vertrauensvoll und verständnisvoll

Harmonie und Trennung des schwedischen Trainerduos überraschen Peter Heß (FAZ 26.6.): “Mit diesen europäischen Titelkämpfen wird ein schwedisches Fußball-Phänomen enden. Tommy Söderberg gibt seinen Arbeitsplatz als Coach der Nationalmannschaft auf und sprengt damit das einzige Trainerduo im internationalen Fußball. Sein Freund und Kollege Lars Lagerbäck macht weiter. Ihm wird der frühere Nationalverteidiger Roland Andersson als Assistent zur Seite gestellt. So begann auch Lagerbäck 1998, aber nach zwei Jahren machte ihm sein Studienfreund Söderberg das Angebot, zum gleichberechtigten Partner aufzusteigen. Seitdem qualifizierten sich die Schweden für jedes große Turnier, seitdem sind sie in ihrer Heimat als „Larstommy“ bekannt. Die beiden Fußball-Lehrer harmonieren schließlich so perfekt miteinander, vertreten so exakt die gleichen Ansichten, daß die schwedischen Zeitungen Aussagen eines der beiden als „Larstommy“-Zitat kenntlich machen. Denn genauso hätte es auch der andere stets sagen können. In sechs Jahren der Zusammenarbeit ist keine einzige Meinungsverschiedenheit zwischen ihnen bekanntgeworden, schon gar kein Streit. Daß er nun aus der vordersten Linie zurücktritt, begründet Söderberg allein mit Verschleißerscheinungen. „Das Team braucht frisches Blut.“ Die beiden Trainer sind gleich alt und haben auch die gleiche Ausstrahlung. Man könnte sie sich gut als Sozialarbeiter oder Erzieher vorstellen. Und so verstehen sie auch ihre Aufgabe. Die beiden wollen das ideale Betriebsklima – vertrauensvoll und verständnisvoll. Deshalb gehören Gespräche zum täglichen Programm. Sechs Spieler treffen sich bei großen Turnieren an jedem Abend mit den Trainern, damit Mißstände, Unzufriedenheiten sofort erkannt und ausgeräumt werden können. Söderberg übernimmt in der Regel mehr die Rolle des Kommunikators – gegenüber den Medien und den Spielern. Lagerbäck ist der Taktiker. Die Trainingsarbeit auf dem Fußballplatz teilen sich die beiden.“

Vor allem seine Kaltblütigkeit macht ihn so beliebt

Peter Heß (FAZ 26.6.) verfolgt Jon Dahl Tomassons Laufwege: “In Italien heißt Jon Dahl Tomasson „der Spion“. Tarnen, täuschen, tricksen – das ist seine Methode. Tore schießen – das ist sein Metier. Zur Meisterschaft des AC Mailand in dieser Saison hat der 27 Jahre alte Däne zwölf Tore beigetragen. Was nicht nach viel klingt, aber eine Menge darstellt, weil Tomasson nur von Anpfiff an dabei war, wenn seine Klubkollegen aus der Abteilung Sturm und Drang, Andrej Schewtschenko und Filippo Inzaghi, von Blessuren geplagt wurden. „In Italien ist es schwieriger, zehn oder fünfzehn Tore zu schießen, als in Holland oder England zwanzig. Hier wollen schon die Kinder Verteidiger werden“, sagt Tomasson. In Dänemark käme Trainer Morten Olsen nie auf den Gedanken, seinen Torjäger freiwillig auf die Bank zu setzen. Tomasson liefert zuverlässig Resultate: in jedem zweiten Länderspiel ein Tor. Seine Portugal-Quote ist sogar noch besser. Nach drei Europameisterschaftseinsätzen steht er bei drei Treffern, die Mannschaft hat insgesamt vier erzielt. Was Tomasson zusätzlich wertvoll macht: Er steht nicht einfach im Strafraum herum und wartet, bis ihm der Ball schußgerecht serviert wird. Der Stürmer pendelt zwischen Spitze und Mittelfeld, bildet oft den Verbindungspunkt im Aufbau eines Angriffs. Die italienischen Medien stellen diese Spielweise als Abtauchen dar, als Tarnmanöver des „Agenten“, der seine wahren Absichten verbirgt, bis er wieder eiskalt zuschlägt. Sein dänischer Trainer Olsen sagt dazu: „Jon Dahl ist ein kompletter Stürmer.“ Vor allem seine Kaltblütigkeit macht ihn so beliebt. Tomasson pflegt seine großen Torgelegenheiten zu nutzen, im Gegensatz zu vielen Sturmkollegen, denen trotz großer Ballfertigkeit im entscheidenden Moment die Nerven einen Streich spielen. Der Däne ist da anders. Je wichtiger die Begegnung, desto konzentrierter spielt er.“

Niemand beherrscht diese Rühr-mich-nicht-an-Haltung besser

Edgar Davids ist ein sehr eigenartiger Typ. Stefan Hermanns (Tsp 26.6.): „Edgar Davids verfügt über eine seltene Gabe. Es ist die Gabe, sein Umfeld in jeder Situation außergewöhnlich unterwürfig erscheinen zu lassen. Vor kurzem war der Mittelfeldspieler der holländischen Nationalmannschaft mit drei Kollegen zur Pressekonferenz einbestellt worden, und nach einigen Fragen an seine Nebenleute wamdte sich ein Reporter des holländischen Fernsehens an Davids. „Edgar, kann ich dich auch etwas fragen?“, begann er vorsichtig, woraufhin sich der Pressesprecher des niederländischen Fußballverbandes erst einmal genötigt sah, eine Erklärung abzugeben, welchem Zweck die ganze Veranstaltung überhaupt diene. (…) Seit mehr als einem Jahrzehnt bewegt sich Davids auf der großen internationalen Fußballbühne, doch noch immer ist er nach Ansicht des Fachblatts „Johan“ nicht weniger als „der große Unbekannte des niederländischen Fußballs“. Er sitzt an der Algarve vor der internationalen Presse und hält sich die gefalteten Hände vor den Mund. Niemand beherrscht diese Rühr-mich-nicht- an-Haltung besser. „Edgar Davids ist ein Monster“, hat Zinedine Zidane einmal über ihn gesagt. (…) Davids, der Mann mit der getönten Brille, geboren in Surinam, fußballerisch sozialisiert auf den Straßen von Amsterdam, war der egozentrischste von allen. Gerade dadurch ist er zur Symbolfigur der so genannten Net-niet-Generatie geworden, der Knapp-vorbei-Generation. 1995 gehörte Davids zu jener blutjungen und elegischen Ajax-Mannschaft, die die Champions League gewonnen und damit zu den schönsten Hoffnungen für den holländischen Fußball Anlass gegeben hat. Diese Erwartungen sind bis heute nie erfüllt worden.“

Gut gezischt, Schlange

Für Birgit Schönau (SZ 26.6.) ist Jon Dahl Tomasson die Überraschung der EM: „Die Kobra. Ungewöhnlicher Spitzname für einen Dänen. Noch dazu, wenn er so blond, so blauäugig, so normal nordisch aussieht wie Jon Dahl Tomasson. Mit diesem alterslosen Lausbubengesicht. Kobra aus Roskilde. Kann man sich etwas Idyllerisches, Kühleres, vom Seewind Verwehteres vorstellen als Roskilde? Eine Kirche wie eine Festung, früher mal Schauplatz einer jugendfreien, dänischen Unterart von Woodstock. Klare Farben, Weiß und Blau und Grün. Und Wind eben, viel Wind. Aber es soll sich niemand täuschen. In Portugal hat die Kobra schon drei Mal zugebissen, sich schlangengleich in den Strafraum gestoßen, wie es ihre Art ist. Und: Schnapp. Zwei Tore im Nord-Derby gegen Schweden, nachher sagte Tomasson, die Schweden hätten es nicht verdient, ins Viertelfinale einzuziehen. „Die besten Mannschaften in der Gruppe waren Dänemark und Italien.“ Gut gezischt, Schlange. Denn Tomasson kickt seit zwei Jahren beim AC Mailand, und seine tröstenden Worte wurden nach dem Ausscheiden der Azzurri in Italien befriedigt registriert. (…)Tomasson wurde erst zur Kobra, weil er sich immer wieder neu durchschlängeln musste. 1997, da war er noch nicht 20, wechselte er vom SC Herrenveen (viel Wind) zu Newcastle United. Ein Jahr später ging er, weil er mit dem ruppigen englischen Spiel nicht klar kam, zu Feyenoord Rotterdam. Mit Feyenoord holte er 2002 den Uefa-Cup, im Endspiel gegen Dortmund machte Tomasson das entscheidende Tor. „In Holland ist das Spiel ohne Ball fundamental. Die Mannschaft nach vorn bringen, kurze Pässe spielen, mich schnell herauslösen – das haben sie mir dort beigebracht.“ Mit dem AC Mailand wurde er 2003 Champions-League-Sieger. „In Italien bin ich gereift: technisch, taktisch, mental.“ Jetzt ist er 27 Jahre alt und könnte die große Überraschung dieser Europameisterschaft werden. Als eine Art gesamteuropäischer Fußballer.“

Scolari weiß, was er tut. Auch wenn ihm nicht alle unverzüglich zu folgen vermögen

Felix Reidhaar (NZZ 26.6.) hält viel von Portugals Coach: „Luis Felipe Scolari hat vor zwei Jahren in Ostasien das Riesenland Brasilien polarisiert. Jetzt lässt er Portugal nicht kalt. Die Mutternation, wohin der Weltmeistertrainer vor 17 Monaten mit unbescheidenen Hintergedanken gelotst worden ist, schwankt seit Monaten zwischen Sympathie und Kritik für einen Mann, der mit Gefühlen spielt, häufig den Humoristen mimt und sich gelegentlich in Understatement übt. Am Donnerstagabend, im Drama des „Stadions des Lichts“, schlüpfte er auch noch in die Rolle des (Schau-) Spielers, der im weiss umrandeten Trainer-Viereck herumtigerte, als stehe die Fütterung unmittelbar bevor – und sich mit aufbrausender Impulsivität und Gestik zum Maestro aufschwang, der vom Dirigentenpult auf sein Fussballer-Orchester direkten Einfluss auf das Spielgeschehen nehmen wollte. Der Zappelphilipp war weder zu beruhigen, noch liessen sich gleich die Motive erkennen, weswegen er beispielsweise den (Figo) und nicht einen anderen (etwa Nuno Gomes) vom Felde holte. Scolari jedoch weiss, was er tut. Auch wenn ihm nicht alle unverzüglich zu folgen vermögen. (…) “Meine Arbeit ist noch nicht beendet“, hatte Scolari nach dem Prestigesieg im iberischen Duell gegenüber den Medien gesagt, von denen und ihrer Kompetenz er generell noch nie viel hielt. Er brauche den Support des portugiesischen Volkes, um sein Versprechen diesem gegenüber einzulösen: den Vorstoss unter die letzten vier des Turniers. Jetzt steht er mit seinem Team dort, nachdem er Lehren gezogen und umgedacht, nicht aber eine gewisse Prinzipienreiterei aufgegeben hat. Wohin er seine „Figuren“ im Schachspiel mit Bauern- wie Star-Opfern wohl noch führt? Jedenfalls lag jener Astrologe in einem einheimischen Sportblatt nicht falsch, der vor dem England- Match die Portugiesen deshalb favorisierte, weil von Luis Felipe Scolari als seiner Meinung nach spiritueller Typus gegenüber dem terrestrischen, mehr erdverbundenen Spezialist Sven-Göran Eriksson mehr Energie ausgehen würde. Der Sterndeuter lag richtig.“

Sven Goldmann (Tsp 26.6.) legt nach: „Rot-grüne Tücher verhüllen das Dunkel der Nacht, und der größte Sieger hält neben der portugiesischen eine brasilianische Fahne in die Kameras. Es ist Luiz Felipe Scolari. Der brasilianische Trainer der Selecao hat nicht nur England besiegt, er hat auch den Machtkampf mit dem portugiesischen Volkshelden Luis Figo gewonnen. Scolari ist ein Mann, der es einem nicht immer leicht macht, ihn zu mögen. Wenn man den Brasilianer nach dem Sinn taktischer Maßnahmen fragt, verweist er auf die Titel, die er gewonnen hat, „es sind sechzehn, wissen Sie, sechzehn“. Vor zwei Jahren hat er Brasilien zum WM-Titel geführt, sich dann mit dem Verband angelegt und den Job in Portugal angenommen. Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Einbürgerung seines Landsmannes Deco, was ihm die Gegnerschaft des patriotisch gesinnten Figo einbrachte. Figos Wort zählt in Portugal. Dem Mittelfeldspieler von Real Madrid bringen sie eine Verehrung entgegen wie nur noch einem Fußballer: Eusebio. Vom Torjäger der Sechzigerjahre, der aus Mosambik zu Benfica Lissabon kam, haben sie im Estadio da Luz eine Statue in Lebensgröße aufgestellt.

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