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Medienfußball: Auf Medienwirkung zielen, bis Inhalte nebensächlich werden

Oliver Fritsch | Samstag, 3. Juli 2004 Kommentare deaktiviert für Medienfußball: Auf Medienwirkung zielen, bis Inhalte nebensächlich werden

Medienfußball: Auf Medienwirkung zielen, bis Inhalte nebensächlich werden (FAS) – Griechenland gewinnt, und Deutschland jubelt (NZZaS) u.v.m.

Als zeitgemäß gilt, was die Politik vormacht

Christian Eichler (FAS 4.7.) findet, dass die Steins und Effenbergs ausgestorben sind: „Wenn man derzeit die Frage diskutiert, ob Rehhagel als Bundestrainer tauge, hört man oft statt einer fachlichen Diskussion die Gegenfrage, ob Rehhagel „mit den Medien“ könne, ob ein solcher Mann „noch zeitgemäß“ sei. Als zeitgemäß gilt demnach, was die Politik vormacht: auf Medienwirkung zielen, bis Inhalte nebensächlich werden. Herberger war wie Adenauer: klare Sprache, sturer Kopf. Muß heute ein Bundestrainer wie Schröder sein? 1954 war Fußball, heute ist Medienfußball. 1954 waren in Deutschland 27952 Fernseher gemeldet, 2004 schauten bis zu 25 Millionen Menschen zu. 1954 brachte die ARD unter Teamleitung von Robert Lembke als Einstimmung aufs WM-Finale eine vierstündige Sendepause. 2004 übertrugen ARD und ZDF sogar die täglichen deutschen Pressekonferenzen. Deren Nachrichten- und Unterhaltungswert ähnelte dem einer ständigen Wiederholung von Lembkes Klassiker „Was bin ich?“ Wobei der Mann, dessen Beruf man erraten soll, immer ein Fußballer ist. Wir müßten wahnsinnig viel mehr über Fußball wissen als 1954. Tun wir das? (…) Spiele werden nicht mehr von Kommentatoren kommentiert, sondern von Talkmastern getalkt – Teil eines großen Gutelaunepakets, in dem niemand mehr auftaucht, der das Spiel wichtiger nimmt als das Medium; und kaum jemand, der noch in der Lage wäre, das Spiel, dessen Linien und Stimmungen, Facetten und Nuancen, Tiefen und Untiefen zu lesen. Oder gar vorzulesen. Nein, früher war nicht alles besser. Schon Herberger mußte sich von der Presse auffordern lassen, die Lauterer nach der Blamage in der Meisterschaft gegen Hannover aus dem Kader zu nehmen; er blieb stur. Und natürlich ist die Qualität und Frische der heutigen Ware Fußball in Bild und Wort ein Klasseangebot für den Endverbraucher. Und doch, es äußert sich in alledem eine gewisse Ratlosigkeit rund um jenes Ereignis, zu dem Fußball geworden ist: Medienfußball. Man hat in den fünfzig Jahren seit Bern eine großartige Oberfläche geschaffen, mit Dutzenden Kameras – und erfaßt doch nicht immer das Wesentliche des Spiels. Man hat um den Fußball herum eine Glamourwelt gebaut, die deren persönlich meist biedere Stars nicht mit echtem Leben erfüllen können. Man hat eine Nachfrage nach Klatsch hochgefüttert – um nun festzustellen, daß es die gewohnten Krawallgeschichten bei der EM nicht mehr gab; und wenn, dann haben Medien sie selber gemacht, wie die persönlichen Attacken gegen Advocaat oder Schiedsrichter Meier. Aus den Trainingslagern kam fast gar kein Stoff mehr für Boulevardthemen, die Steins und Effenbergs sind ausgestorben. Man erlebt eine Spielergeneration, die mit Medienschulung aufgewachsen ist; die öffentliche Kritik an Trainer oder Nebenmann zu meiden gelernt hat wie ein Tackling von hinten. So ist das Seltsame am neuen deutschen Fußball, daß er skandalfrei ist. Der einzige Skandal ist das Spiel. Doch für dessen Analyse fehlt denjenigen Medien, die Fußball immer mehr auf ein Bild- und O-Ton-Spektakel reduziert haben, etwas Entscheidendes: eigener Einblick, eigene Worte.“

Elf Mann ohne Führer

Auswechseln! Aus dem Spiel geht der Spieler mit der Nummer … für ihn kommt, die FAZ (Feuilleton 3.7.): „An einen eingewechselten Köhler oder gekündigten Schröder kann man sich gewöhnen. An der Staatsspitze herrscht sowieso pure systemische Gleichgültigkeit. Aber was ist mit der Fußballspitze und, damit eng zusammenhängend: mit der Theaterspitze? Dort ist der starke Mann unverzichtbar: Man mißtraut ihm zwar, liegt aber vor ihm auf den Knien. Und alles, was er ist, ist er durch Vertragsverlängerung. Sonst bricht das System zusammen. Und das ist es jetzt – auf breitester Front. Feuilletondeutschland empört sich denn auch: Rudi Völler weg; Ottmar Hitzfeld abseits; Frank Castorf bei den Ruhrfestspielen vom Platz gestellt; Volker Hesse bekommt seinen Vertrag beim Gorki-Theater nicht verlängert, Wilms den seinen als Chef des Deutschen Theaters womöglich auch nicht. Man denke nur: Lauter an sich unkündbare Radfahrer, denen von Gewerkschaftern, Kulturpolitikern, ausländischen Stürmern oder auch nur Mayer-Vorfeldern kurz und gemein Spazierstöcke in die Karriere-Speichen gehalten wurden. Was soll aus der Nationalmannschaft werden? Elf Mann ohne Führer! Was aus dem Deutschen Theater? Ein Haus ohne Brüter! Was aus dem Gorki-Theater? Ein Bühnenvolk ohne Volker! Was aus den Ruhrfestspielen? Ein Chaos ohne Chaot! Die wahre deutsche Krise: nicht verlängerte Verträge. Empörend. Was aber hülfe? Eine große Auswechslung. Castorf, der beste Blutgrätschen-Regisseur, könnte Bundestrainer werden. Im Gegenzug übernähme Hitzfeld, der Trainer der Ausgebranntheit, die abgebrannten Ruhrfestspiele, während Völler, der nie für irgendwas kann, glanzvoll dem Gorki-Theater vorstände, dieweil Volker („Ich mach‘ das alles alleine“) Hesse den DFB-Vorsitz einnähme, wenn Bernd („Ich liebe dieses Theater“) Wilms sich auf die Wahl zum nächsten, dann aber unkündbaren Bundespräsidenten vorbereitete. Nur so kommt Deutschland weiter.“

Die Dinge sind simpler

Peter B. Birrer (NZZaS 4.7.) hat die Nase voll von Medien-Kampagnen im Fußball: „In die EM-Sorgen reihen sich mediale Auswüchse ein, die alle Grenzen des Tolerierbaren überschreiten, bisweilen ausser Kontrolle geraten – und mit einem Spiel nichts zu tun haben. So fand in Holland gegen den Trainer Dick Advocaat trotz Halbfinalqualifikation eine öffentliche Inquisition statt, in deren Verlauf offenbar seine Familie bedroht wurde. Gleiches erfuhr der Schweizer Schiedsrichter Urs Meier, der von zur Perversion neigenden englischen Boulevardmedien – ohne Anhaltspunkt – als Sündenbock für Englands Ausscheiden den Kopf hinhalten muss. Die Kampagne endete damit, dass Meier für seine Familie Polizeischutz anfordern musste. In einem Turnier, in dem allzu oft nur Glück und/oder Pech entscheiden, werden noch öfters Erklärungen und Begründungen konstruiert. Aber die Dinge sind simpler. Hier gibt’s ein Tor, dort gibt’s nur einen Fehlschuss; hier trifft ein Stürmer den Pfosten oder den Goalie, dort macht einer durch zwölf Beine hindurch das 1:0; hier trifft Ricardo beim Penalty, dort verschiesst Beckham. Hätte etwa der Schwede Mattias Jonson in der 89. Minute gegen Dänemark nicht das 2:2 erzielt, wären die Italiener im Viertelfinal gewesen. Oft entscheiden Zentimeter über Erfolg oder Misserfolg – und nicht Superstars, Taktiken und Spielsysteme. Vielfach wirken sich Details aus – nicht mehr und nicht weniger. Und dennoch wird stets simplifiziert, werden Sieger hochgejubelt (sie haben alles richtig gemacht) und Verlierer mit Kritik eingedeckt (sie haben alles falsch gemacht), was sich an der Person des Trainers am extremsten zeigen lässt.“

Der nächste bitte, Peter Heß (FAZ 3.7.): „Wenn es kein Ausländer sein darf, was inzwischen nicht mehr so sicher scheint, wird es schwer, Alternativen zu Rehhagel zu finden: Daum, Heynckes, Toppmöller, Augenthaler – die Liste wirkt nicht allzu eindrucksvoll. Nur einen gäbe es noch, der alle Anforderungen erfüllt. Er versteht etwas vom Fußball, kommt mit den Medien zurecht, ist ein Liebling der Massen und hat Zeit – Harald Schmidt.“

In Portugal sind 250 Jahre währende deutsch-griechische Träume wahr geworden

Griechenland gewinnt, und Deutschland jubelt. Die NZZaS (4.7.) kennt die deutsche Sehnsucht nach edler Einfalt und stiller Größe: „Wo andernorts die Mittel bedauert wurden, mit denen der Erfolg möglich wurde, schwelgen ARD und ZDF wie nur noch die Griechen selbst in der Freude über die grosse Überraschung der EM. Zunächst könnte man meinen, das liege vor allem an Otto Rehhagel, dem Trainer der Griechen und einer der markantesten Figuren im deutschen Fussballgeschäft – gleichermassen erfolgreich wie mit seinem Auftreten polarisierend. Doch schon die Bezeichnung als „König Otto“, die nach der Viertelfinalqualifikation rasch zu Hand war, deutet an, das hier mehr im Spiel ist als bloss die Freude über einen erfolgreichen Landsmann in fremden Diensten. Denn sie erinnert an die Epoche nach dem siegreichen Befreiungskampf der Griechen gegen die Türken, als zwischen 1832 und 1862 der Wittelsbacher Otto I. seine absolutistische „Bayernherrschaft“ in Griechenland ausübte – freilich mit deutlich weniger Sympathien seitens der Untertanen als sein später Nachfolger. Zuvor schon hatte Winckelmann die Sehnsucht nach den Schönheiten des antiken Griechenland geweckt, und Hölderlin hatte im „Hyperion“ eine Erlösung aus der deutschen Misere durch griechische Inspiration erhofft. Heerscharen von Archäologen schafften im 19. Jahrhundert Bruchstücke antiker Kunst in deutsche Museen, und in München und Berlin wurden die hellenischen Träume architektonische Realität. Kulturelle und damit immer auch politische Identität ist in Deutschland lange aus einem imaginären Griechenland importiert werden. „Das Land der Griechen mit der Seele suchen“, so lautete die Devise aus Goethes „Iphigenie“, und dass es lange nur im eigenen Innern und auf deutschem Boden gefunden werden konnte, lag wohl an dem Diktum des gleichen Autors aus „Faust II“: „Das Griechenvolk, es taugte nie recht viel!“ Den untüchtigen Bewohnern des arkadischen Landstrichs ist erst Rehhagel beigekommen. Mit seiner taktischen Disziplin ist die deutsche Seele in Griechenland angekommen. In Portugal sind 250 Jahre währende deutsch-griechische Träume wahr geworden.“

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