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Strafstoß #17 – Reine Nervensache 4 – Entscheidend is auffer Spielerfrau

Oliver Fritsch | Samstag, 3. Juli 2004 Kommentare deaktiviert für Strafstoß #17 – Reine Nervensache 4 – Entscheidend is auffer Spielerfrau

Reine Nervensache 4 – Entscheidend is auffer Spielerfrau

von Herrn Mertens und Herrn Bieber (der sich vom Untertitel distanzieren möchte)

Christoph Bieber: Wenn Sie eine Fußball-Weisheit wären, Herr Mertens, welche wären Sie?

Mathias Mertens: Jetzt muss ich doch glatt mal nachfragen. Was ist denn genau mit „Fußball-Weisheit“ gemeint? Doch wohl die Herbergerschen und sonstigen Sinnsprüche. Oder etwa die Stilblüten à la „Der FC Tirol hat eine Obduktion auf mich“ oder „Ich hoffe, dass dieses Spiel nicht mein einziges Debüt bleibt“? Das wird ja immer in einen gemeinsamen Bottich gerührt.

CB: Also Herr Mertens, ich muss doch bitten. Sie sollten doch wissen, dass ich als alter „Taxonomiker“ penibel darauf achte, dass nur zusammengerührt wird, was zusammen gehört. Zwischen den „Stilblüten“ und den „Weisheiten“ würde ich sogar noch die „Floskeln“ der Reporterzunft („Gutenabendallerseits“, „Ein Tor würde dem Spiel gut tun“) verorten. Allerdings – kann nicht auch eine Stilblüte etwas Weisheit in sich tragen? Oder sich eine Floskel zur Weisheit entwickeln? Helfen Sie mir!

MM: So, so, es wird nur zusammengerührt, was zusammen gehört. Womit wir schon mitten im Problem stecken. Dieser Spruch von Brandt war mal in dem ganz bestimmten Moment, in dem er gesagt wurde, als Metapher ganz sinnfällig; in seiner Schlagerhaftigkeit und unendlichen Adaptierbarkeit verkam er sehr schnell zur Floskel. So stelle ich mir ungefähr die Entstehung vom Tor, das gut tut, vor. Im Moment seiner ersten Verwendung sicherlich brillant und genial, schon bei seiner zweiten Verwendung aber nicht mehr treffend. Ausgenommen von diesem harten Urteil ist natürlich die Benutzung der Floskel durch Marcel Reif anlässlich des umgekippten Madrider Tores, denn das hatte erstens reflexiven Charakter und zweitens entstammte es einem ebensolchen Geistesblitz. Eine Weisheit dagegen, um jetzt zum eigentlichen Thema zu kommen, kann und wird zwar auch floskelhaft verwendet, sie unterscheidet sich aber dadurch, dass sie keine Situationsbeschreibung ist, sondern eine Grundaussage trifft, die tatsächlich immer gilt. Ob sie nun unfreiwilllig als Stilblüte geboren oder kalkuliert entworfen wurde, ist da eigentlich egal. Womit ich jetzt nicht sagen will, dass Pacults Obduktion-Versprecher darauf zielte, dass Spieler und Trainer heutzutage unter immer stärkerer öffentlicher Beobachtung stehen.

CB: Hm, „Grundaussagen, die tatsächlich immer stimmen“? Sind das nicht eher Axiome?

MM: Ja, ja, ich glaube unter Fußball-Weisheiten verstehe ich tatsächlich Axiome. „Der Ball ist rund“, „Das Spiel dauert 90 Minuten“, „Das nächste Spiel ist immer das schwerste“, das ist doch verdammt nah dran an A+B=B+A. Nicht zufällig gab es Fußballer namens Aristoteles. Und für den war ja ein Axiom ein Satz, der keinen Beweis braucht und die Grundlage eines Beweises bildet. Der Kaiser mit seinem „Wenn´s net geht, geht´s halt net“ ist also ein waschechter Aristoteliker. Wobei er mit seinem „Schaumer mal“ schon wieder in den Stoizismus zurückzufallen drohte. Aber das nur am Rande.

CB: Entschuldigung, aber ich muss schon wieder einhaken. Ich kenne nur einen (brasilianischen) Fußballer mit dem Namen Sokrates… oder ist mir in der aktuell erfolgreichen griechischen Auswahl ein Spieler namens Aristoteles entgangen?

MM: Nun ja, es gibt den brasilianischen Spitzencoach und -referee Aristoteles Matos Albuquerque, den man immerhin in eine Reihe mit Joao Havelange stellen konnte. Aber sie haben Recht, dass ich an Sokrates dachte, als ich Aristoteles sagte, wozu ich allerdings noch einen assoziativen Zwischenschritt über Plato habe nehmen müssen, der ja in Frankreich große Erfolge feierte. Jedenfalls war das eine Lehrer-Schüler-Genealogie, da kann sowas doch mal passieren. Sokrates hatte nun aber, philosophisch gedacht, überhaupt keine Ahnung von nichts, geschweige denn vom Fußball. Von dem hätten also bestenfalls Stilblüten kommen können.

CB: Ich glaube, Herr Mertens, inzwischen würde der Frage eine Antwort gut tun. Welche Fußball-Weisheit wollen Sie sein?

MM: Dann will ich mal schnörkellos erwidern, dass ich dem Adi Preissler selig sein „Entscheidend ist aufm Platz“ wollen sein will.

CB: Bemerke ich da eine gewisse Ähnlichkeit mit Ihrem Wunsch, ein Eckstoß zu sein? Damals spielten Sie auf die „heroischen Aspekte“ dieses Spielelements und die „historische Gestalt“ des Eckstoßenden an. Und jetzt dieser Rasenzentrismus… basteln Sie da gerade an Ihrer eigenen Legende?

MM: Ich könnte jetzt mit dem filmhistorischen Zitat „When the legend becomes fact, print the legend“ antworten, aber das wäre nur für Westernfreunde verständlich. Das Schöne an der Preisslerschen Wahrheit ist doch ihr Prä-Heroismus, will sagen, damit jemand überhaupt Held sein kann, muss er erst mal dahin gegangen sein, wo er Held sein kann. Natürlich kann er da auch Versager sein. Deswegen gehen ja die meisten nicht da hin, wo sie Versager sein könnten. Es geht mir also wieder darum, Etwas zu sein und nicht Nichts.

CB: Herr Mertens, Sie überzeugen mich. Dieses „Etwas sein wollen“ liegt im Bestreben der meisten Individuen, selbst wenn sie nicht wissen sollten, was das Etwas ist. Spontan fällt mir dazu ein Satz von Mehmet Scholl ein, von dem ich nicht weiß, ob er hier beiläufig seine Weisheit durchklingen lässt oder die verbale Variante des „tödlichen Passes“ spielt: „Im nächsten Leben werde ich Spielerfrau.“

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