indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Internationaler Fußball

Die Griechen füllten das Feld mit Knoten

Oliver Fritsch | Donnerstag, 8. Juli 2004 Kommentare deaktiviert für Die Griechen füllten das Feld mit Knoten

Ramon Besa (El País) schildert die Erfolgsstrategie Griechenlands: „Erstaunliches Griechenland, über das Turnier von Anfang bis Ende erhaben, überraschend bei der Eröffnung und mit aller Rechtmäßigkeit Sieger im Finale, so oft man es auch dreht und wendet. (…) Nichts tut einer selbstverliebten Mannschaft mehr weh als im Finale der Europameisterschaft in Lissabon und gegen Griechenland zu verlieren. Cool und motiviert martyrisierten die Griechen ein schwerfälliges Portugal in einem verhedderten und konfusen Zusammenstoß, wie er in Endspielen oft passiert. (…) Die Griechen lieben es, nach dem Gegner zu trachten, bis sie ihn in eine Sackgasse getrieben haben, damit er, umzingelt, den Ball freigibt, unter dem Druck der Panik, die jeder Hinterhalt auslöst. Sie setzen ihn unter Druck, und darüber hinaus kratzen sie an den Nerven und heben den Gegner in ihrer Art, das Spiel zu verstehen, aus den Angeln, völlig unkonventionell, als wäre ihr Fußball von einem anderen Stern oder aus der Mode. Rehhagel bringt es auf die Palme, dass er schlechte Kritiken dafür erhält, dass er Manndeckung anordnet, Defensiv- ebenso wie Offensivaktionen automatisiert und das Spiel tötet. Portugal war nicht weit entfernt von der Verzweiflung, die Griechenland in jedem Spiel hervorruft. Schon nach einer Viertelstunde musste man besorgt sein, weil Deco von Katsouranis unterworfen wurde; und Figo hatte bereits zwanzig Runden um den Strafraum gedreht, ohne die Eingangstür zu finden. Es gab keine Möglichkeit, vier Pässe in Folge zu spielen. (…) Physisch sehr stark, psychologisch noch härter und taktisch am besten, füllten die Griechen das Feld mit Knoten, die die Portugiesen zwangen, von Fuß zu Fuß zu spielen, immer unterlegen und erschrocken über die zehn Rivalen, die hinter dem Ball auf sie warteten. Portugal fand sich ins selbe Chaos verstrickt wie die Franzosen, die Spanier und die Tschechen. (…) Die Portugiesen fühlten sich immer lächerlicher, erschrocken über die Machtlosigkeit ihrer Mannschaft gegenüber den Dompteuren Rehhagels (…) Niemand, nicht einmal Portugal in zwei Versuchen, konnte mit dem Team von Rehhagel mithalten, der mit Vergnügen seine Rolle als Gegengift annahm in einem Turnier, in dem diejenigen ausschieden, die die Flagge des Spiels trugen. Ob aktiv oder passiv, wie man will – Griechenland ist Europameister. Unwiderrufbar Griechenland.“

Rumbakugelschießen

Santiago Segurola (El País) fügt hinzu: „Das Finale bot einen auf das Minimum an Ausdruck reduzierten Fußball; anders konnte es nicht kommen. Griechenland war Griechenland, eine zerstörerische Mannschaft, die sich frei von jeglichem Geltungsdrang fühlt. Sie ist Rivalen von enormem Ansehen gegenübergetreten und hat sie alle entstellt: Portugal wirkte nicht wie Portugal. Ebenso wenig war Frankreich Frankreich, und auch Spanien erinnerte nicht an Spanien. Alle waren am Ende vampirisiert von einer Mannschaft, die das Talent hat, das Nervensystem ihrer Gegner zu zerstören. Die Nerven Griechenlands liegen niemals blank. Die Mannschaft bewältigt die Begegnungen mit einer Gleichgültigkeit, die faszinierend wirkt. Nie hat man sie von den Spielen überwältigt gesehen, weder von der Anspannung noch von der offensichtlichen Realität ihrer großartigen Leistung. Sie spielten in der letzten Begegnung wie in der ersten. Mit derselben Folge: dem Sieg. Das Verdienst Griechenlands war, alle seine Qualitäten auszuspielen, ohne auch nur einer seiner Schwächen Raum zu gewähren. Davon müssen sie einige haben, aber sie waren nicht zu sehen. (…) Die berühmten modernen Strategen haben keine Möglichkeit gefunden, einen ziemlich simplen Plan zu deaktivieren: Manndeckung, massive Verteidigung und überhaupt kein Interesse für den Ballbesitz. Wenn alle Mannschaften so wären wie Griechenland, hätte man den kafkaesken Fall eines Fußballs ohne Angriff. (…) Portugal war das letzte Opfer. Es hatte nichts aus seiner Niederlage im ersten Spiel gelernt und spielte letztlich genauso ängstlich. Eine Mannschaft, die sich zu sehr verantwortlich fühlte für die Erwartungen, die sie geschaffen hatte. Ein Land war bereit, das Fest der Mannschaft von Scolari zu feiern. Es war ein Rumbakugelschießen auf die griechische Art. Seit dem berühmten Sieg Uruguays über Brasilien 1950 hatte man keine so formidable Überraschung erlebt. Weder Figo noch Cristiano Ronaldo noch Deco waren auf der Höhe ihres Ruhmes. Pauleta schon. Er spielte so schlecht wie eben schon immer. Der Verteidigung passierte etwas, was keine Neuartigkeit darstellte: Fast immer hat sie einen Fehler pro Spiel begangen. Gegen England – schlechter Pass von Costinha –, gegen Holland – Eigentor Andrades – , und gegen Griechenland: Sie alle erstarrten zu Statuen, als Charisteas aufs Tor schoss. Ein Kopfball, ein Tor, der Sieg, eben Rumbakugelschießen.“

Griechenland hat bis zum Schluss überrascht

Alain Constant (Le Monde 6.7.) würdigt die Leistung Griechenlands: “Wenn der Fußball Massen auf der ganzen Welt begeistern kann, dann, weil er ermöglicht, solch unglaubliche Ereignisse zu erleben: Griechenland ist Europameister. Nicht, dass ihre Art und Weise Fußball zu spielen während der Euro besonders attraktiv gewesen ist. Allein die Tatsache, dass eine zu Beginn des Turniers derart gering eingestufte Mannschaft im Verlauf des Wettbewerbs auf so hohem Niveau alle bisherigen Machtverhältnisse und Prognosen stürzen kann, hat etwas faszinierendes. Griechenland ist also Europameister. Und wenn man alle sechs Begegnungen auf portugiesischem Boden näher betrachtet, ist dieser unerwartete Triumph verdient. Zwei Siege gegen Portugal, einer gegen Frankreich, ein weiterer gegen Tschechien, ein Unentschieden gegen Spanien, eine Niederlage ohne Folgen gegen Russland und lediglich vier Gegentore.“

Warum ist Dick Advocaat zurückgetreten? Henk Mees, if-Leser, sichtet die holländische Presse. War er die massiv ausgedehnte Kritik satt? Oder stand schon Monate vorher fest, dass Dick Advocaat nach der EM seine Karriere als holländischer ‘Bondscoach’ beenden würde? Am Dienstag kam die offizielle Bestätigung. „Es fehlte ihm die Basis. um weiter zu machen. Die Medien haben ihn abserviert”, erklärte Henk Kesler, Direktor des Fußballverbands KNVB. Dick Advocaat (56) schweigt. Er macht Urlaub in Spanien und überließ die kurze Erklärung dem Verband. Aber die in Fußballfragen immer gut informierte Zeitung De Telegraaf (7.7.) weiß, dass Advocaat seinen Entschluss schon Monate vorher getroffen hat, und dass er sich jetzt wieder auf eine Rückkehr im Clubfußball orientiert. Bei PSV Eindhoven und Glasgow Rangers stand er nie so scharf im Feuer der Kritik wie bei ‘Oranje’. Er leitete die Mannschaft, verteilte über zwei Perioden, in 55 Länderspielen. Aber mit seinen Ergebnissen waren die Holländer nie zufrieden. Nicht mit dem Viertelfinale bei der WM 1994 und der Eliminierung durch den späteren Weltmeister Brasilien; auch nicht mit dem Platz unter den letzten Vier bei der EM 2004. Da gab es ja, alles zusammen, nur einen Sieg – gegen Lettland. Die holländische Fußballwelt fordert immer mehr. Man glaubt fest daran, dass eine Mannschaft mit Spielern, die von Barcelona oder Chelsea nicht gewollt sind, stark genug ist für den Titel. Vor allem ist Advocaat gescheitert an dem Unvermögen, der Elf einen holländische Offensiv-Stil mitzugeben. „Advocaat hat immer an den alten Spielern festgehalten, die ganz Holland nicht mehr sehen wollte. Er kehrte sich damit gegen alle Kritik von Fans, Trainer-Kollegen, Medien und eben den Nationalspielern. Dass er das Halbfinale erreichte ohne Kredit dafür zu erhalten, hat ihn gestochen. Seine Reaktion war maßgebend für seinen ganze zweite Zeit als Bondscoach. Ihm fehlt Persönlichkeit und Charisma”, urteilt Valentijn Driessen in De Telegraaf. Laut De Telegraaf hat der KNVB schon bei Johan Cruijff um Rat gebeten. Im Algemeen Dagblad (7.7.) schreibt Chris van Nijnatten dass der Verband mehr Ratgeber braucht als nur Cruijff. „Lasst uns hoffen, dass er sich breiter beraten lässt, sonst wird es eine politische Frage, wobei die Gruppe um Crujjff einen unerwünscht großen Einfluss bekommt.” In der Zeitung Trouw (7.7.) bevorzugt Henk Hoijtink einen Ausländer als Nachfolger. „Am besten wäre ein unabhängiger Ausländer wie Morten Olsen. Es wäre gut, wenn Oranje mal mit frischen Augen geleitet wird nach einer Zeit, in zu viel auf feste Werte vertraut wurde.”

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

120 queries. 0,471 seconds.