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Trend aus dem Osten, „Bolzen“, „der tödliche Paß“

Oliver Fritsch | Donnerstag, 5. August 2004 Kommentare deaktiviert für Trend aus dem Osten, „Bolzen“, „der tödliche Paß“

Vier Zweitligisten aus dem Osten, ein neuer Trend? (FAZ) – Fußballzeit gleich Fernsehzeit (FAZ) – „Bolzen“, ein neues Magazin / „der tödliche Paß“, ein bewährtes Fanzine

Vier Zweitligisten aus dem Osten – ist das ein Trend, Sven Recker (FAZ 5.8.)? „Fünfzehn Jahre nach dem Fall der Mauer schwankt der Fußball im Osten zwischen Depression und Aufbruchstimmung. Sowohl für das eine als auch für das andere finden sich schnell die altbekannten Gründe. Trieben einerseits dubiose Präsidenten, Mißwirtschaft und der damit einhergehende Ausverkauf der Spieler viele Traditionsvereine in den Ruin, sind es auf der anderen Seite, wie die Beispiele Aue und Erfurt zeigen, bedachte Geschäftsleute aus der Region, die für den Aufschwung verantwortlich zeichnen. Jenseits dieser bekannten Konstellation gibt es noch eine andere Komponente, die zur Erklärung der Entwicklung des Ostfußballs seit 1989 wichtig ist: die Rolle dieser Sportart innerhalb des totalitären Systems DDR. Kicker aus dem Osten, so wurde stets kolportiert, seien beidfüßig, beherrschten das Kopfballspiel dank permanenten Drills am Pendel perfekt und seien allgemein technisch versierter als ihre westdeutschen Kollegen. Eine These, die mit den Namen von Ausnahmespielern wie Matthias Sammer und, später, Michael Ballack belegt wurde. Tatsächlich behaupten auch heute noch viele Kenner mit guten Argumenten, daß die Grundausbildung der Fußballjunioren in der DDR umfassender und methodischer als in der alten Bundesrepublik gewesen sei. (…) Stasi-Chef Mielke war nicht der einzige Parteibonze, der sich einen Fußballklub hielt. Auch in der DDR-Provinz regierten die Statthalter der SED den Fußball. „Früher gab es in Deutschland Kleinstaaterei, und jeder kleine Fürst hielt sich sein Ballett. Heute halten sie sich Fußballmannschaften“, zitiert Hanns Leske den in der DDR allmächtigen Sportfunktionär Manfred Ewald, der vergeblich versuchte, gegen diese Strukturen anzukämpfen. Es waren westdeutsche Geschäftsmänner wie der Bauunternehmer Rolf Jürgen Otto, die nach der Wende die Plätze der SED-Funktionäre einnahmen. Abgesehen von deren Unfähigkeit, einen Verein zu führen, konnten sie weder die in vierzig Jahren Sozialismus entstandenen Strukturen verstehen, noch konnten sie das von den Parteigenossen hinterlassene Machtvakuum füllen. Und so verschwand Oberliga-Verein auf Oberliga-Verein in den Niederungen des Amateurfußballs.“

Event-Charakter

Jörg Hahn (FAZ 5.8.) hat das TV-Programm studiert und neue Batterien für die Fernbedienung besorgt: „Den Fußballfans am Bildschirm wird in der 42. Bundesligasaison Bewährtes vorgesetzt. Gottlob ist der „Hype“ um die wiedergekehrte „Sportschau“ Geschichte. Aus Sendersicht ist nichts verkehrt gemacht worden; die aggressive Werbung stützte den Markterfolg. Mit durchschnittlich sechs Millionen Zuschauern übertraf die neue „Sportschau“ sogar die Vorgaben. Von 18.10 bis 19.45 Uhr sind „im Ersten“ nach wie vor Ausschnitte von den sieben Samstagsspielen zu sehen. Das ZDF hat gerade wieder Zweitrechte für das „Sportstudio“ erworben, muß jedoch mit dem Nachteil fertig werden, daß die unter Quotenschwund leidende traditionelle Sendung keine feste Anfangszeit mehr hat. Im DSF laufen die beiden Sonntagsspiele. Der Spartenkanal hat die Sendezeit am Sonntag abend noch ausgebaut, macht damit der ARD-“Tagesschau“ ein bißchen Konkurrenz und kommt, alle Sendungen und Formate zu erster und zweiter Liga zusammengerechnet, künftig auf rund 25 Stunden Fußball pro Woche. Das ist Rekord für das frei empfangbare Fernsehen. Premiere, das wie bisher alle 306 Bundesligabegegnungen live im Abonnement bietet, fällt aus dieser Wertung. Daß vor wenigen Monaten noch aus finanziellen Erwägungen darüber diskutiert wurde, Sonntagsspiele zur Mittagszeit auszutragen, ist in Vergessenheit geraten. Den Fans darf, das hatte schon die Kontroverse um die „ran“-Sendung bei Sat.1 am Samstag nach 20 Uhr belegt, nicht zuviel zugemutet werden. Die Sehgewohnheiten sind eingefahren. Das DSF will zwar auch in Zukunft nicht als „Deutsches Fußball-Fernsehen“ angesehen werden, sondern sieht sich weiter dem Sport allgemein verpflichtet. Doch die tägliche Dosis Fußball, live oder in Magazin- und Diskussionssendungen wie dem schon zum Sonntags-Kult avancierten „Doppelpaß“, trifft auf wachsendes Zuschauerinteresse – und hebt damit Marktanteile und Reichweiten des DSF insgesamt. Dabei profitiert das DSF wie alle Sender von dem Phänomen, daß die fußballbegeisterte Klientel sich nicht abwendet, wenn die Leistungen der Liga oder der eigenen Mannschaft – wie zum Beispiel bei der Europameisterschaft in Portugal – nicht den Erwartungen entsprechen. Im Gegenteil wird Fußball eindeutig unter Event-Charakter gesehen; man muß einfach als Zuschauer dabeibleiben. Für die DFL zahlt sich letztlich die Trennung von der Schweizer Agentur Infront doch noch aus. Die Eigenvermarktung der Fernsehrechte war ein Wagnis, bringt die 36 Profivereine jedoch an ihr Erlösziel von gut 300 Millionen Euro. Von Infront waren zuletzt 272,5 Millionen Euro geflossen.“

Man kann Fußballspiele auch mit gebührendem Ernst betrachten

Rudolf Neumaier (SZ/Medien 5.8.) blättert wieder mal im „tödlichen Paß“, dem Magazin zur näheren Betrachtung des Fußballspiels: „Man kann Fußballspiele, etwa die der deutschen Nationalmannschaft, analysieren wie Schmitz und Pasulke vorm Fernseher: Dasgibsdochgarnich, Mannomannomann. Oder: Wasndasfürnscheiß. Womit alles gesagt wäre über die Qualität eines Kicks. Man kann Fußballspiele aber auch mit dem gebührenden Ernst betrachten. Zwangsläufig wird es dann abstrakt, beim Beispiel Nationalelf müssen Studien in Begriffe wie „Fluch und Fatum“ münden. Oder bei der Frage: „Wären die Hoffnungen, die 1982 viele Menschen in die Kanzlerschaft von Kohl setzten, nicht frühzeitig zu relativieren gewesen, hätte man der Aussagekraft des Alibifußballs der Nationalelf unter Derwall geglaubt?“ So muss es sein, mutmaßt das Magazin Der tödliche Paß und stellt im Rückblick auf die EM fest, Deutschland sei leidenschaftslos geworden und habe verlernt, sich zu schämen. Von Der tödliche Paß lernen heißt, vom Fußball fürs Leben lernen – „osmotische Selbsterkenntnis“ nennen das die Blattmacher Stefan Erhardt, Claus Melchior und Johannes John. Die drei Münchner Akademiker, zwischen 45 und 50 Jahre alt, haben es sich im Sommer 1995, als Sat 1 in seiner Bundesligashow ran die schlimmsten Spiele zu hemmungslosen Ballorgien hochjubelte, zur ehrenamtlichen Aufgabe gemacht, den Fußball mit reiner Vernunft zu kritisieren. In Tagebuchform erläutern sie die von nun an wieder allsamstäglich aufscheinenden Phänomene Glück, Pech und Begabung, Unvermögen.“

Bernhard Gaul (SZ/Medien 5.8.) stellt „Bolzen“ vor, das neue Magazin für Freizeitfußball: „Die Klubs heißen Torpedo Karlsruhe, Benfica Bismarcao, Finsterlinge Bielefeld, Party Sahne Kassel, Lokomotive Glücksbier oder Diese Drombuschs. Die Spieler nennen sich schon mal „Dirkinho“ oder „Gugeroni“ – echte Bolzer eben, die in ihrer Freizeit den Fußball 110 Meter in die Länge und 70 Meter in die Breite spielen. „Ich denke der deutsche Fußball braucht genaue jene Kreativität, die es beim Bolzen auf der Wiese gibt“, sagt Thorsten Schaar und schwärmt: „Da sieht man oft mehr Tricks und gewitzte Spielzüge auf dem Platz als in 90 Minuten Bundesliga.“ Der eingefleischte Fan des Viertligisten Fortuna Düsseldorf und begeisterte Hobby-Kicker kann an besonderer Stelle die neue Kreativität im Fußball fördern: Schaar ist Chefredakteur der Zeitung Bolzen, des selbst ernannten „Zentralorgans für Freizeitfußball“, das an diesem Montag mit einer Druck-Auflage von 250 000 Stück startet. Vier Mal im Jahr soll es der Bolzer-Gemeinde geistigen Halt geben; vertrieben wird das 32-Seiten-Blatt über Sportgeschäfte, das Internet und die „Puma-Stores“ des Mit-Finanziers aus Herzogenaurach: Die Puma AG will im Land des dreimaligen Weltmeisters, das so gern als Gastgeber die WM 2006 gewinnen will, auf originelle Weise Verkaufsförderung betreiben.“

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