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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Der Durchfall vom Lerchenberg

Oliver Fritsch | Montag, 9. August 2004 Kommentare deaktiviert für Der Durchfall vom Lerchenberg

Die ARD sendet aus Bremen, und Roland Zorn (FAZ 9.8.) fühlt sich an seine Kindheit erinnert: „Die Dellingsche Leitung rief Erinnerungen an die sechziger Jahre wach, als deutsche Radioreporter versuchten, sich im stalinistischen Albanien verständlich zu machen.“

Christoph Keil (SZ/Medien 9.8.) greift sich an den Kopf: „An den legendären Fall Tono Hönigmann ist nun wieder erinnert worden, der eigentlich ein so genannter Durchfall war. Als das ZDF vor über zehn Jahren ein Spiel der deutschen Nationalelf in Amerika ausstrahlte, saß Tono Hönigmann, ein aufstrebender Österreicher, in einem kleinen Studio auf dem Lerchenberg in Mainz. Er saß dort, weil internationale Live-Sendungen gerne mal unterbrochen werden. Im Wesentlichen handelt es sich dann um Leitungsprobleme. Und irgendjemand muss den Menschen ja die Lage erklären und das Ersatzprogramm ankündigen. Nun saß also Tono Hönigmann als Retter in der Not vor einer Kamera, doch als die bewegten Bilder aus den USA tatsächlich nicht mehr bis Deutschland kamen, saß Tono Hönigmann auf der Toilette. Der gute Moderator hatte, so die Legende, im Wesentlichen ein Magenproblem, weshalb die Zuschauer auf einen Stuhl in einem verlassenen Studio glotzten. Der damalige Chefredakteur Klaus Bresser soll gebrüllt haben (s. Legende): er wolle keine Gründe, er wolle Namen. Tono Hönigmann kehrte wieder in seine Heimat und zum ORF zurück. Die ARD hat ein paar Freunde verloren. Der über einstündige Live-Blackout zum hat gezeigt, dass es in Deutschland erstens Stromausfälle gibt und die ARD zweitens nichts von Tono Hönigmann gelernt hat. Warum hat die ARD nicht wie Konkurrent Premiere von Anfang an übers Telefon vom Stand der Dinge berichtet? Warum dauerte es fast 50 Minuten, bis der Berliner Bürochef Thomas Roth auch im Ersten den wahren Kenntnisstand verbreitete. Warum gab es kein Krisenstudio (irgendwo) und keinen Krisenplan (reden, reden, reden)? Warum terrorisierte der gebührenfinanzierte Sender seine Kunden zum Zeitvertreib mit DJ Ötzi, Jürgen Marcus, Vicky Leandros?“

Wohl dem, der solche Fans hat, die geduldig auf bessere Zeiten hoffen!

Thomas Klemm (FAS/Politik 8.8.) gratuliert dem deutschen Fußball-Fan: „Der Tag ist gekommen, den deutschen Fußballfreund für seine unendliche Langmut, seine grenzenlose Begeisterungsfähigkeit und seine andauernd gute Laune zu rühmen und zu lobpreisen. Der Appetit der Fans auf den Sport, der hierzulande trotz allem als schönste Nebensache gilt, ist enorm, der Hunger schier ungestillt, obwohl die Kost oft wenig genießbar ist, wenn die Nationalmannschaft oder Bundesligaklubs ihre Rezepte auftischen. Am Freitag löffelten Fußballfeinschmecker selbst die Suppe schaler Unterhaltungskost aus, die ihnen die ARD vorsetzte. Wegen eines Stromausfalls im Bremer Weserstadion bot ihnen „das Erste“ eine Stunde lang unter anderem Schlagermusik – und drei Millionen Fernsehzuschauer sahen und hörten Vicky Leandros zu. Wohl dem, der solche Fans hat, die geduldig auf bessere Zeiten hoffen! Ob im Stadion oder auf dem Sofa – der hiesige Fußballfreund läuft selbst im Sitzen zu Höchstleistungen auf: Als sich der Saisonauftakt der Liga wegen des Blackouts verzögerte, feierten die Anhänger beider Vereine im Weserstadion nicht das Nichts, sondern sich selbst. Die Daheimgebliebenen zeigten vor den Fernsehgeräten eine Ausdauer, als hätten sie das qualvolle Konditionstraining des Münchner Trainers Magath mitgemacht.“

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