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Die Kometen am Fußballhimmel verglühen heute schneller, weil die Reibungsfläche größer ist

Oliver Fritsch | Samstag, 14. August 2004 Kommentare deaktiviert für Die Kometen am Fußballhimmel verglühen heute schneller, weil die Reibungsfläche größer ist

Zinedine Zidane wird nicht mehr für Frankreich spielen, „das algerische Einwandererkind aus Marseille vernetzte zehn Jahre lang das Spiel der Franzosen“ (FAZ) / „Zidane tut Gutes und redet kaum darüber“ (SZ)

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 14.8.) trägt Zinedine Zidane in das Geschichtsbuch ein: „In den Textarchiven ist Zidanes alphabetischer Platz gleich neben Zico, auch einem Zauberer am Ball. Aber der Brasilianer war ein Individualist, verglichen mit dem Teamspieler Zidane. Bixente Lizarazu schwärmt: „Unter allen, denen ich begegnet bin, hat er mich am besten aussehen lassen. Welch ein Mannschaftsspieler! Ich danke ihm für all seine Pässe, durch die meine Läufe produktiv geworden sind.“ Das algerische Einwandererkind aus Marseille vernetzte zehn Jahre lang das Spiel der Franzosen. Jean Varraud, Zidanes Entdecker, hatte, als er Zidane erstmals auf dem Platz sah, den Eindruck, daß dessen „Füße mit dem Ball sprachen“. Seine Anwesenheit allein löse schon viele Probleme, empfand Aimé Jacquet, als dieser noch auf der Trainerbank der Franzosen saß. „Das Spiel beruhigt sich, wenn er in der Nähe ist. Alle fühlen sich sicher, freier, fähiger.“ Aber auch Zidane ist in die Jahre gekommen, und mit der Zeit ist ihm mit der Frische auch einiges von seiner Magie verlorengegangen. Zuletzt hat er seiner Mannschaft bei der Europameisterschaft gegen England ein verloren geglaubtes Spiel gerettet, dem Turnier mit seinen Toren einen Augenblick für die Ewigkeit geschenkt. Aber nicht erst bei dieser EM sah Zidane sehr müde aus und unter der Bräune bleich. Er lächelte auch dann noch, wenn ihm nicht danach war. Er lächelte meist dann, wenn er unsicher war. Das Gros der Kommentare wird Verständnis für Zidanes Entscheidung signalisieren. Die Kometen am Fußballhimmel verglühen heute schneller, weil die Reibungsfläche größer ist als in der Epoche der Zicos und Pelés. Die Gagen sind höher, aber auch die Gegenleistungen der Stars.“

Symbol für ein offenes Frankreich, in dem alle ihren Platz haben

Hagiograph Gerd Kröncke (SZ 14.8.) fügt erbaulich hinzu: „Warum er so eine moralische Größe ist, lässt sich eher erfühlen als erklären. Andere mögen flamboyant sein, vielleicht gar sexy. Zidane ist ein Familienmensch, doch treten Frau und Kinder nie in den Vordergrund. „Dass Eltern immer zusammen bleiben, das ist das wichtigste“, hat er gesagt. Trotz, vielleicht wegen seiner Simplizität ist Zidane ein reicher Mann. Ein Joghurt-Konzern hat gerade seinen Kontrakt um elf Jahre verlängert. Weit über seine Karriere hinaus, die er bei Real Madrid fortsetzt. Man sprach von einer Million Euro im Jahr. Zidane tut Gutes und redet kaum darüber. Wenn er einen kleinen, offenbar kranken Jungen glücklich macht, ihn an der Hand ins Stadion führt, dann dient das seiner guten Sache. Zidane unterstützt mit seinem guten Namen den Kampf gegen die Krankheit namens Leukodystrophie. Ohne ihn würden die Franzosen gar nicht wissen, dass es diese Krankheit überhaupt gibt. Seinen Ruhm begründete er 1998 und 2000, als die Franzosen Welt- und Europameister wurden. Nach seinen beiden Toren im WM-Finale gegen Brasilien hätten seine Landsleute ihn auch zum Präsidenten gewählt, sein Porträt mit dem Slogan „Zidane, Président“ wurde in jener Nacht auf den Triumphbogen projiziert. Und es folgte eine Periode, da die Franzosen ihren Frieden mit sich selbst fanden. Black-blanc-beur, schwarz, weiß und maghrebinisch war die Mannschaft, so wie die Gesellschaft. Ins Leere liefen, wenigstens für eine Weile, die Parolen des rechtsextremen Jean-Marie Le Pen, für den Zidane ein „in Frankreich geborener Algerier“ blieb. Inzwischen wird das Zusammenleben der Franzosen wieder überschattet von Konflikten, das Land ist nicht frei von Rassismus. Doch bleibt Zidane „Symbol für ein offenes Frankreich, in dem alle ihren Platz haben“, wie die Kommunistin Marie-George Buffet, die vormalige Sportministerin, seinen Abschied kommentierte. Auf der Rechten artikulierte Finanzminister Nicolas Sarkozy seine „grande tristesse“.“

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