indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Internationaler Fußball

Die Macht geschäftstüchtiger Spieler steht mannschaftlichem Erfolg im Weg

Oliver Fritsch | Samstag, 11. September 2004 Kommentare deaktiviert für Die Macht geschäftstüchtiger Spieler steht mannschaftlichem Erfolg im Weg

„Italiens Stärke sollte der Nachwuchs sein – doch gerade für Talente erweist sich die Serie A als wahrer Dschungel“, bemerkt Dirk Schümer (FAZ 11.9.) vor dem Saisonstart der Serie A: „Der zuletzt komplett aus dem Tritt geratene Stürmerstar Alessandro del Piero hat die Kraft alter Seilschaften in Italiens Fußball deutlich gemacht. Obwohl nur ein Schatten seiner besten Jahre, gibt er immer noch bei Juve den Ton an und ist ohne erkennbare Leistung sogar in der Nationalmannschaft präsent – als würde bei Bayern München Mehmet Scholl das Kommando führen. Die Macht geschäftstüchtiger Spieler – bei Inter Mailand vergiftete zuletzt die Diva Cristian Vieri nachhaltig das Klima – steht mannschaftlichem Erfolg dauerhaft im Weg. Aber offenbar werden die italienischen Klubs von eitlen Präsidenten, Beratern und Sponsoren so eisig geführt, daß etwa die beiden besten Nachwuchsstürmer Miccoli und Gilardino nur beim Aufsteiger Florenz und beim maroden AC Parma landeten. Ihr talentierter Mittelfeldkollege Daniele De Rossi verblieb bei Rudi Völlers neuem Klub AS Rom, dem man nach personellem Abspecken gleichfalls nur einen Platz im Mittelfeld zutraut. So konzentriert sich die Neugier der Fans in diesem Jahr auf den Aufgalopp zweier Mannschaften aus dem fußballverrückten Sizilien. Die arme Insel war jahrelang überhaupt nicht in der Serie A vertreten und stellt nun mit Palermo und Messina ehrgeizige Aufsteiger. Nimmt man noch Reggio Calabria von der südlichen Stiefelspitze und die wackeren Apulier aus Lecce hinzu, so hat der ökonomisch zurückgebliebene Mezzogiorno im Fußball mächtig aufgeholt. Das kann am Rückgang der Fernsehgelder liegen, was eine solide regionale Verankerung und treu zahlende Fans im Etat wieder wichtiger werden läßt. In den Titelkampf werden die Sizilianer aber ebensowenig eingreifen wie das Gros der finanziell total gespaltenen Liga.“

Hai des Transfermarktes

Oliver Meiler (BLZ 11.9.) stellt einen typischen Mitarbeiter der Serie A vor: Luciano Moggi, Generaldirektor Juventus Turnins: „Sie nennen ihn Padrone oder auch Lucky Luciano. Das klingt ein bisschen nach Halbwelt, und so ranken sich seit jeher halbseidene Geschichten um Luciano Moggi, den starken Mann bei Juventus Turin. Er war in Wettskandale verwickelt, man warf ihm Vetternwirtschaft vor oder dubiose Freundschaften mit Schiedsrichtern. Der frühere Bahnhofsangestellte aus der Toscana, heute 67 Jahre alt, saß einst in der Chefetage des AS Rom, dann bei Lazio Rom, später beim AC Turin, und dann brachte er noch Diego Maradona nach Neapel, bevor er vor zehn Jahren zu Juve stieß. Seine Fama aber lebt noch immer vom Transfer Maradonas. Moggi, das anerkennen selbst seine zahlreichen Gegner, ist ein ausgefuchster Händler, ein Hai des Transfermarktes, einen Strippenzieher. Seinen letzten Coup landete Moggi in der Nachspielzeit, am 31. August, Stunden nur vor Ladenschluss: Er holte Zlatan Ibrahimovic, Schwede mit bosnischen Wurzeln, 23 erst, ein Gewächs aus dem Talenttreibhaus Ajax Amsterdam und einer der großen zeitgenössischen Stürmer Europas. Andere Vereine hätten ihn gerne gehabt, Moggi hat ihn gekriegt, für 17 Millionen Euro und einen feudalen Jahreslohn. Und so ist Juve neben Titelverteidiger AC Mailand wieder einmal der Hauptanwärter auf den Scudetto.“

Moggi machte aus seinem Fussballgedächtnis einen Beruf

Peter Hartmann (NZZ 11.9.): „Die Spürnase hat wieder einmal alle überrascht. Der Eisenbahner Luciano Moggi graste in seiner Freizeit mit einer schwarzen Ledermappe unter dem Arm die Fussballplätze der Provinz nach Talenten ab. Seine Entdeckungen meldete er nach Turin, weil er wusste: Dort sitzt die Macht, bei den Agnellis und ihrem Klub Juventus. Schliesslich wechselte er die Geleise und machte aus seinem Fussballgedächtnis einen Beruf. Die Agnelli-Brüder holten ihn als Strategen, der den unaufhaltsamen Aufstieg von Silvio Berlusconi und seiner AC Milan stoppen sollte. Jetzt hat Moggi seine Gegner auf dem falschen Bein erwischt. Juventus schreibt, nach sechs Gewinnjahren, erstmals rote Zahlen. Der Calcio steht nach einer Periode beispielloser Verschwendung knirschend auf der Sparbremse. Aber Luciano Moggi handelt antizyklisch. Er legte Trainer Marcello Lippi, mit dem er in zehn Jahren fünf Titel gewonnen hatte, den Rücktritt nahe, und als Nachfolger kam nur einer in Frage: Fabio („Das Kinn“) Capello, der Erfolgsgarant, der mit Milan viermal Meister geworden war, 1997 in Spanien mit Real reüssiert und 2001 mit der AS Roma die Vorherrschaft des Nordens durchbrochen hatte, wie ein Jahr zuvor schon Lazio Rom. Die Römer Klubs ruinierten sich dabei. (…) Moggis Capello-Coup markiert nicht nur einen Trainerwechsel, sondern einen Schnitt, einen radikalen Umbruch. Dieses revolutionäre Denken, das vor keinem Star Halt macht, ist der Schlüssel seiner Züge. Moggi hatte einst, als er zu Juventus kam, Baggio, Vialli und Vieri entlassen und Recht behalten. Als er vor drei Jahren völlig überraschend den Superstar Zidane an Real verkaufte und mit dem Haufen Spielgeld Buffon, einen Torhüter, Thuram, einen Verteidiger, und den Dauerläufer Nedved engagierte, blieb der Branche die Logik verborgen, aber nicht sehr lange.“

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

111 queries. 0,425 seconds.