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Selbstzerstörerische Rebellion

Oliver Fritsch | Dienstag, 14. September 2004 Kommentare deaktiviert für Selbstzerstörerische Rebellion

Antonio Cassano, Rudi Völlers neuer Zögling: „seine Rebellion hat etwas Selbstzerstörerisches“ (NZZ) – Luis Fernandez, fußballverrückter Trainer des FC Metz

Seine Rebellion hat etwas Selbstzerstörerisches

Antonio Cassano hat in seinem ersten Spiel unter Rudi Völler nach einer Tätlichkeit die Rote Karte erhalten. Peter Hartmann (NZZ 14.9.) porträtiert ihn: „Die Pflegefälle Kahn, Lehmann, Deisler hat Völler im deutschen Herbst zurückgelassen. Sein heisses, neues Problem in Rom trägt den Namen Antonio Cassano, die Hoffnung und das Kreuz des Calcio, ein naturblonder Süditaliener, geboren am 12. Juli 1982, am Tag nach dem letzten WM-Titelgewinn Italiens, vaterlos aufgewachsen im muffigen Mauer-Labyrinth der Altstadt von Bari, mit dem Ball am Fuss und im Kopf. In der 45. Minute des Spiels AS Roma gegen Fiorentina machte der kleine Gladiator plötzlich den Zeitsprung zurück nach Bari, auf die Strasse, wo die Bengel die Dinge unter sich regeln und sich nie ein Schiedsrichter einmischt. (…) Cassano fuhr irgendwohin, so, wie er immer abhaute, wenn etwas schief lief. Ein halbes Dutzend Mal ist er aus dem Trainingslager der U-21-Mannschaft verschwunden, bis ihn Trainer Gentile nicht mehr aufbot. Das kümmerte Cassano kaum, denn er wollte ohnehin in die richtige Squadra Azzurra. Früher, bevor er volljährig war, war er auch ohne Führerschein ins Auto gestiegen. Heute fährt er Ferrari. Seine Jugendfreunde aus Bari Vecchia sind fast alle in der Kriminalität und in den Drogen gelandet, aber er besucht sie. Sein Vater machte sich während der Schwangerschaft von Mutter Giovanna aus dem Staub; ihn weist er heute zurück. Antonio begehrt auf, seit er spürt, dass er mit dem Ball Menschen verzaubern und beherrschen kann. Seine Aussetzer („Cassanata“ genannt) haben Kultstatus erreicht. Aber seine Rebellion hat etwas Selbstzerstörerisches.“

1:0 gegen Fiorentina – Guter Einstand für Völler, findet Birgit Schönau (SZ 14.9.): „Zu seinem Debüt in der Serie A präsentiert Rudi Völler sich in Hemdsärmeln, mit Krawatte in den Vereinsfarben gelb und rot. „Steht dir gut“, bekommt er im überfüllten Pressesaal zu hören. „Aber das war wohl auch das erste Mal.“ Völler grinst. „Krawatten sind wirklich nicht mein Fall, trotzdem werde ich jetzt immer eine tragen. Aus Aberglauben. In Portugal hatte ich mir keine umgebunden, und ihr wisst ja, wie’s ausgegangen ist.“ Schnell hat er sich freigeschwommen, auch mit der Presse, die den Trainer minutiös zu Details verhört, nachdem sie ihn mit Beifall empfangen hat. Völler hat nur ein leichtes Zittern in der Stimme, doch sein Italienisch mit römischer Färbung ist perfekt. Völler weiß nicht, dass sich zwei Journalisten schon fast geprügelt haben, um einen Platz in der ersten Reihe und den freien Blick auf ihn. Und dass er sich Respekt verschafft hat, weil er seinen Kapitän Francesco Totti zehn Minuten vor Schluss zur Auswechslung rief. Totti vom Feld zu nehmen, ist in Rom ein Sakrileg. Völlers Vorgänger Fabio Capello wurde von Fans und Presse gegrillt, wenn er es sich gelegentlich erlaubte.“

Bewegtes Curriculum Vitae

Der FC Metz ist gut in die Saison gestartet. Wie kommts, Jean-Marie Lanoë (NZZ 14.9.)? „Die Messins setzten auf Kontinuität, bauten Spieler aus dem eigenen Nachwuchs ein oder stöberten verkannte Trouvaillen auf. Als solche kristallisierten sich bisher der Kameruner Hervé Tum und, vor allem, der Mittelfeldspieler Franck Ribéry heraus. Der erst 21-Jährige, der noch vor drei Monaten in Brest in der dritthöchsten Liga des Hexagone gedümpelt hat, gilt als die Entdeckung der jungen Saison. Der im Centre de Formation von Lille gross gewordene Passeur schlug nicht nur in der Lorraine ein, sondern erzielte auch in der U-21-Auswahl gegen die Slowakei vor zehn Tagen den einzigen Treffer. Ribérys eindrückliche Auftritte erfreuen Jean Fernandez, den Trainer des FC Metz, natürlich besonders – zumal es Fernandez war, der im entscheidenden Augenblick zum Telefonhörer gegriffen und Ribéry nach Metz geholt hatte. Der 50-jährige Luis Fernandez kann auf ein bewegtes Curriculum Vitae zurückschauen. Geboren in Mostaganem in Algerien, verdingte er sich als Mittelfeld-Wasserträger in Marseille und Bordeaux. Als Trainer kann er für sich in Anspruch nehmen, einer der Förderer Zidanes gewesen zu sein, ehe er Assistenztrainer von Raymond Goethals in Marseille wurde, wobei an letzterer Wirkungsstätte die Berufsumschreibung „Chauffeur“ der Wahrheit näherkommt . . . Fernandez gilt als einer der Fussballverrücktesten der Branche, aber auch als einer, der aufgrund seiner Herkunft aus bescheidenen Verhältnissen sehr dankbar über das Erreichte ist und über den niemand ein schlechtes Wort verliert. Wer noch als 19-Jähriger jeden Morgen um 5 Uhr zum Fischfang aufs Meer hinausgefahren ist, weiss eben besser als andere, dass ein Leben ausserhalb des Profifussball-Mikrokosmos existiert.“

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