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Letzte Reise auf Erden

Oliver Fritsch | Donnerstag, 16. September 2004 Kommentare deaktiviert für Letzte Reise auf Erden

Der argentinische Nationaltrainer Marcelo Bielsa tritt zurück – „Terek Grosnyj ist ein politisches Projekt im russischen Fußball“ (FAZ) – Diego Maradona pocht auf die „Diese Reise, die auf Erden womöglich seine letzte ist“ (SZ)

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Ich ziehe das Scheitern der Lüge vor

Javier Cáceres (SZ 16.9.) schildert den Rücktritt des argentinischen Nationaltrainers Bielsa: „Kaum eine Episode dürfte den Charakter von Marcelo Bielsa prägnanter umschreiben als jene von seiner Demission als Coach von Espanyol Barcelona. Der Vereinsvorstand bot ihm damals an, die Trennung als „einvernehmlich“ zu verbrämen, doch Bielsa lehnte ab: „Ich bin entlassen worden. Ich ziehe das Scheitern der Lüge vor.“ Am Dienstag gab Bielsa, 49, in Buenos Aires seinen Rücktritt als Trainer Argentiniens bekannt: Ziemlich genau sechs Jahre nach seinem Amtsantritt, 17 Tage nach dem Gewinn der Olympischen Goldmedaille in Athen (dem größten Erfolg Argentiniens seit dem Sieg bei der WM 1986), vor allem aber: knapp zwei Jahre vor Beginn der WM 2006. In Deutschland wollte Bielsa die nie vergessene, wohl auch nie verwundene Enttäuschung der WM 2002 verarbeiten; damals schied Argentinien in der ersten Runde aus, auch unter der Last der Erwartungen eines Landes, das verschuldet, gedemütigt, mit offenen Adern darniederlag. Eigentlich. „Mir fehlt die Energie, weiterzumachen“, sagte Bielsa, den sie el Loco nennen, den Verrückten. „Der Rücktritt entspricht seiner Logik“, sagte Rafael Bielsa, Argentiniens Außenminister, Marcelos Bruder und Vertrauter, als er gefragt wurde, ob er ebenso überrascht sei wie der Rest der geschockten Nation. So überrascht wie etwa César Luis Menotti, der Weltmeistertrainer von 1978, der „tiefe Traurigkeit“ kundtat und ebenso tiefe Verwunderung: „Wo er doch gerade den Fußball gefunden hatte, der ihn und die Menschen zusammenführt.““

„Terek Grosnyj ist ein politisches Projekt im russischen Fußball“, schreibt Markus Wehner (FAZ 16.9.): „Achmed Kadyrow, der Präsident Tschetscheniens, war bei einem Terroranschlag getötet worden, im Stadion in Grosnyj, wo eine Bombe unter seinem Sitz explodierte. Sein 28 Jahre alter Sohn, der neue Vereinspräsident von Terek und stellvertretender Regierungschef in Tschetschenien, ist auch Anführer einer anderen Mannschaft, einer schlagkräftigen Truppe von 5000 Kämpfern, den „Kadyrowzy“. Die mag man in Tschetschenien nicht. Doch wenn Terek gewinnt, freuen sich die Tschetschenen. In Grosnyj wurde der Sieg eine Stunde lang mit Salutschüssen gefeiert. (…) Auf mehr als vierzig Jahre Vereinsgeschichte kann Terek Grosnyj zurückblicken. 1958 wurde der Verein gegründet. Da waren die Tschetschenen nach dreizehn Jahren Verbannung in Kasachstan gerade in ihre Heimat zurückgekehrt. Der Klub erreichte nie große Erfolge, stieg auf und ab, aber war, wie überhaupt der Fußball in Tschetschenien, dennoch populär. Einst spielte sogar der meistgesuchte Terrorist Schamil Bassajew, der auch das Blutbad in Beslan verantwortet haben soll, im Sturm von Terek.“

Das müsste doch soziokulturell ganz gut passen

Uefa-Cup – René Martens (FTD 13.9.) hat für Schalke spioniert: „Wer jemals die Spielstätte der Metalurgs gesehen hat, wird sich fragen, wie das lettische Team mit der Lautstärke in der Arena auf Schalke klar kommen wird, denn das Stadion Daugava ist diesbezüglich das radikalste Gegenmodell zur Gelsenkirchener Megahütte unter den Spielstätten der diesjährigen Uefa-Cup-Teilnehmer. Das Stadion ist nur durch eine Baumreihe vom Ostseestrand getrennt, was ambientemäßig natürlich ein Pluspunkt ist. Andererseits erschweren nicht nur die Meeresbrise, sondern auch die Bauweise das Entstehen einer annähernd fußballwürdigen Geräuschkulisse: Kurven gibt es nicht, und das Stadion ist an keiner Stelle überdacht. Ob es die sportliche Qualität oder die Architektur sind, die die Fans abhalten? Jedenfalls waren einmal nur knapp über 1 000 Zuschauer im Stadion und bei der anderen Partie sogar noch weniger. Der Fanblock wirkte kleiner als der beim VfR Neumünster und zudem sehr schüchtern. War mir aber egal, denn wenn man in den Sommerferien gelegentlich Entzugserscheinungen verspürt, ist man in Lettland immer richtig: Dort wird von April bis November gespielt. Falls es Schalker Fans gibt, die trotz der derzeitigen Malaise noch einen Trip nach Liepaja buchen möchten: Am besten mit der Fähre ab Rostock fahren, damit sind viele Lkw-Fahrer unterwegs, die den ganzen Tag Bier trinken, und das müsste doch soziokulturell ganz gut passen.“

Diese Reise, die auf Erden womöglich seine letzte ist

Peter Burghardt (SZ 16.9.) erzählt die Leiden Diego Maradonas: „Ach, Kuba. Diego Armando Maradona wäre schon wieder im Land seiner Träume, hätte er sich daheim in Buenos Aires jetzt nicht auch noch bis spät in die Nacht mit dem Spielzeug vergnügt, das ihm immer noch am meisten Freude macht. Am Freitag spielte der traurige Kindskopf trotz Übergewichts und Herzbeschwerden Fußball – bis 2 Uhr 30 am Morgen, bei fünf Grad im argentinischen Spätwinter auf dem Anwesen des Vizepräsidenten seines Lieblingsklubs Boca Juniors. Man mag sich vorstellen, wie der Weltmeister dick, verschwitzt und zumindest in diesem Moment auch ein bisschen glücklich über den Rasen lief und den Rest seines Genies vorführte. Zwei Tage später landete Maradona erneut im Krankenhaus, diesmal mit Lungenentzündung, 39 Fieber und Puls 160. Er sei unter Kontrolle, kein Grund zur Aufregung, beruhigte der Kardiologe. Doch so verschob sich fürs erste diese Reise, die auf Erden womöglich seine letzte ist. (…) Zweimal wurde der Gewohnheitskokser seither auf die Intensivstation gebracht, nachdem er eine Überdosis erwischt hatte. Zweimal stand zu befürchten, er würde es nicht überleben, sieben Tage lag er im Koma und wurde künstlich beatmet. Sein Herz ist schwer geschädigt, auf Fotos sieht er aufgeschwemmt und abgekämpft aus. Bei nächster Gelegenheit traf sich der Patient trotzdem wieder zu Gelagen, spielte Fußball und Golf oder trat im Fernsehen auf. Die Ärzte schlossen daraus, seine Urteilskraft sei eingeschränkt, er erkenne seine Krankheit nicht an, müsse also dringend unter Aufsicht gestellt werden. Zwischenzeitlich wurde er vom Richter in eine geschlossene Anstalt eingewiesen. „Alle sind verrückt“, berichtete Maradona von dort, „es gibt einen, der sagt, er sei Napoleon, und niemand glaubt ihm. Ein anderer sagt, er ist Gardel (die Tangolegende), und niemand glaubt ihm. Ich sage, ich bin Maradona, und sie glauben mir nicht.““

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