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Internationaler Fußball

Götterdämmerung im Starsystem

Oliver Fritsch | Dienstag, 5. Oktober 2004 Kommentare deaktiviert für Götterdämmerung im Starsystem

„Die iberische Invasion in Englands Fussball“ (NZZ) – „Luigi Delneri will aus den Römern das machen, was der Deutsche vor ihm nicht geschafft hat: eine disziplinierte Truppe“ (SZ) / „Götterdämmerung im Starsystem des Calcio“ (NZZ) trifft del Piero, Vieri und Cassano – schwere Saison für Deportivo La Coruña? (NZZ) – Ruud Gullit will mit Feyenoord Rotterdam hoch hinaus (NZZ)

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Blick geweitet über den Ärmelkanal und über das Mittelmeer und die grossen Ozeane

„Die iberische Invasion in Englands Fussball“ beschreibt Martin Pütter (NZZ 5.10.): „Lange Jahre ist es her, dass höchstens ab und zu Spieler aus den skandinavischen Ländern von englischen Klubs verpflichtet wurden. Die Vereinsmanager engagierten sie vor allem deswegen, weil sie überzeugt waren, dass Norweger, Schweden und Dänen über eine ähnliche Spielauffassung wie die Engländer verfügten. Danach blickten die Klubs zunehmend anstatt quer über die Nordsee immer mehr über den Ärmelkanal und manchmal sogar über das Mittelmeer und die grossen Ozeane hinaus. (…) Spieler mit spanischer oder portugiesischer Muttersprache blieben lange eine Seltenheit, mit Ausnahme von Fussballern vom südamerikanischen Kontinent. Inzwischen hat sich das geändert. Ivan Campo, einst im Team von Real Madrid, ist nach zwei Jahren mit den Bolton Wanderers dienstältester Spanier in der Premier League. Nach seiner verunglückten Zeit mit Lazio Rom (und leihweise einer Saison in Barcelona) organisiert Valencias ehemaliger Spielmacher Mendieta seit einem Jahr bei Middlesbrough das Spiel. Reyes‘ Début bei Arsenal zu Beginn dieses Jahres verlief dagegen ruhig. Erst diese Saison ist er zu grosser Form aufgelaufen. Ohne Zweifel boten die beiden Manager Mourinho und Benitez einen Anreiz für die iberischen Spieler, nach England zu wechseln. Ein weiterer Grund sind die Löhne, welche die englischen Klubs zu zahlen bereit sind – nicht alle spanischen Vereine können da mithalten.“

Den Augiasstall durchlüften

3:3 gegen Inter, das Debüt des Völler-Nachfolgers geht nicht schief – Birgit Schönau (SZ 5.10.): „¸Ich bin Luigi Delneri.“ Und nicht etwa Gigi Del Neri, der Wundertrainer von Chievo Verona, nach drei Freundschaftsspielen geteert, gefedert und fristlos gekündigt beim FC Porto und nun Nachfolger des vorzeitig gescheiterten Rudi Völler. Delneri will aus den Römern das machen, was der Deutsche vor ihm nicht geschafft hat: eine disziplinierte Truppe. Den Augiasstall durchlüften also, mit frischem Wind aus dem Norden. Nebenberuflich ist der knarzige Übungsleiter der laxen Römer nämlich Kolumnist der Tageszeitung La Padania, Herausgeber Umberto Bossi. Das ist das Blatt, bei dem die Wetteraussichten für Rom immer unter „Ausland“ stehen, weil La Padania sich unermüdlich für ein unabhängiges Norditalien einsetzt. Delneri aber nicht, hat er in Rom schon versichert. Da kommt das ja auch nicht so gut, wenn man etwa als Fußballtrainer die Hauptstadtfrage aufwirft. (…) Francesco Totti hat sein 100. Erstliga-Tor erzielt, mit einem kraftvollen Freistoß, und ausführlich dafür bejubelt wurde, dass er „die ganze Elf auf seinen Schultern trug“, wie die südlich von Padanien angesiedelte Presse am Montag einhellig betonte. Totti wurde also 100, Cassano musste sich anhören „Geh’ arbeiten!“, Montella traf schon wieder, und der junge De Rossi mit seinen 21 Jahren präsentierte Roma che lavora, das arbeitende Rom. Fragt sich, wieso das mit Völler nicht geklappt hat.“

Götterdämmerung im Starsystem des Calcio

Schwere Zeiten für drei italienische Stars in Turin, Mailand und Rom – Peter Hartmann (NZZ 5.10.): „ Fabio Capello hat dem angeschlagenen Star Del Piero, der nur noch wie ein ungeschickter Del-Piero-Imitator auftrat und, seit ihn der grosse Platini als Versager hinstellte, der öffentlichen Vernichtung preisgegeben war, eine Auszeit von drei Wochen für den konditionellen Wiederaufbau verordnet. (…) Inter ist zwar noch ungeschlagen, hat aber schon zehn Tore kassiert und einen Punkt weniger auf dem Konto als vor einem Jahr. Nun ist alles neu, und Trainer Roberto Mancini hat eine kreative Revolution versprochen. Auf der Verpackung steht „Internazionale“, und in der Startformation stand neben zehn Ausländern ein einziger Italiener, der Torhüter Toldo. Auch deshalb, weil der Padrone seinen Lieblingstrainer Mancini, den zwölften innert neun Jahre, von einer Tonnenlast befreit hatte: Moratti bewertete Vieri, der das Tor nicht mehr traf, als „nicht präsentabel“. Götterdämmerung im Starsystem des Calcio. Vieri und Del Piero fehlen auch im Aufgebot des Commissario tecnico Marcello Lippi. (…) Gigi Del Neri ging mit dem gleichen Pragmatismus vor wie früher in Chievo. Er nahm den ermatteten Zauberkünstler Cassano eine halbe Stunde vor Schluss vom Platz. Cassano lieferte seine übliche Zugabe ab, die Protestnummer gegen den Trainer, aber mit ungeahnten Folgen: Das Publikum pfiff ihn erstmals gnadenlos aus.“

Georg Bucher (NZZ 5.10.) befasst sich mit der Lage bei Deportivo La Coruña: „Trotz Aprilwetter waren die Hotels und Pensionen der nordgalicischen Hafenstadt La Coruña im August zu 90 Prozent ausgelastet. Eine andere gute Nachricht verbreitete Deportivos Präsident Augusto César Lendoiro: 17 Prozent der Aktionäre hätten sich an der Kapitalerhöhung der Sociedad Anonima Deportiva beteiligt und innert zweier Monate Anteile im Wert von 2,4 Millionen Euro gezeichnet. Ziel sei es, den Betrag bis 2009 auf 60 Millionen Euro zu erhöhen. Dass Deportivo Geld benötigt, war in der Transferphase offensichtlich geworden. Im Gegensatz zu anderen Champions-League-Teilnehmern, die ihre Kader mit einer Reihe internationaler Topspieler erneuerten, ist – abgesehen von Naybets Abgang nach Tottenham – alles beim Alten geblieben. Der im sechsten Jahr engagierte Trainer Javier Irureta forderte zwei bis drei Zuzüge, doch die Direktion liess ihn abblitzen mit der Begründung, vergangene Saison habe die Mannschaft den dritten Platz im Campeonato, den Champions-League-Halbfinal und den Achtelfinal der Copa del Rey erreicht, sich also bewährt. Notfalls könne man im Winter an Transfers denken. Nach sechs Runden verzeichnet Deportivo fünf Punkte, die Heimbilanz ist verheerend: ein Remis, zwei Niederlagen, 3:9 Tore.“

Kreativer Fussball als nationaler Kulturschatz

Ruud Gullit hat in Rotterdam großes vor, meint Bertram Job (NZZ 5.10.): “Kaum ein TV-Spot hat in den Niederlanden zuletzt so viel Aufsehen erregt wie das witzige Werbe-Dramolett, das der Hauptsponsor des Renommierklubs mit dessen neuem Hoffnungsträger produzieren liess. Viel besser liessen sich die Gefühle, die mit seinem Auftritt in der Hafenstadt verbunden sind, kaum evozieren. Der allzeit lockere Ruud, der hier als 16-Jähriger in der Profimannschaft debütierte und danach mit Oranje und in der AC Milan Glanzpunkte setzte – dieser Weltstar ist im Sommer zurückgekehrt, um Hollands populärsten Grossverein als Trainer wieder ganz nach oben zu führen. Solide und gut organisiert hatte die Mannschaft auch während der vier Jahre unter Gullits Vorgänger Bert van Marwijk gespielt. Doch irgendwie fehlten, wenn es darauf ankam, die spielerischen Highlights. Es war langweilig geworden, sagen Beobachter, der Mannschaft zuzusehen – fast schon ein Todesurteil in dem kleinen Land, das kreativen Fussball als nationalen Kulturschatz reklamiert. Auch blieben, bis auf den überraschenden Triumph im Uefa-Cup 2002 gegen Borussia Dortmund, Meisterschalen und sonstige Pokale aus. Deshalb verpflichteten die Verantwortlichen schon im Winter, als er noch Coach des U-23-Teams Young Oranje war, den ehemaligen Weltklassestürmer. Der sieht in dem 32 000 Mitglieder starken Volksklub „einen schlafenden Riesen“, den er mit neuen Methoden wecken will. (…) Die in tristem Grau gehaltenen Spielerräume wurden auf sein Geheiss in den knalligeren Vereinsfarben Rot und Weiss gestrichen. Nicht nur deshalb äussern Gullits Profis beinahe unablässig ihre Zustimmung zu einem neuen Geist rund um „De Kuip“. Fans wie Experten registrieren Ansätze für ein kreativeres, überraschendes Kombinationsspiel.“

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