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Internationaler Fußball

Baku probte den Einzug des Fußballs als Popkultur

Oliver Fritsch | Freitag, 15. Oktober 2004 Kommentare deaktiviert für Baku probte den Einzug des Fußballs als Popkultur

Aserbaidschan findet man nun auf der Fußball-Landkarte – Ingo Petz (Handelsblatt 15.10.): “Vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen England ehrten die Offiziellen des Aserbaidschanischen Fußballverbandes ihren berühmtesten Fußballer. Vor dem „Republikanischen Stadion“ in der Hauptstadt Baku wurde ein bronzenes Denkmal Tofik Bachramows enthüllt. Nach ihm ist auch das Stadion benannt. Wenn man weiß, dass Bachramow eigentlich Schiedsrichter war, der in der Funktion des Linienrichters 1966 im WM-Finale das Wembley-Tor hinter der Linie gesehen hatte und damit weltberühmt geworden war, könnte man vermuten, die aserbaidschanische Fußballkultur sei fortschrittlicher als angenommen. Denn welcher westliche Schiedsrichter kommt zu solchen Ehren? Viel interessanter war aber, dass die Zeremonie im Beisein von Fifa-Chef Sepp Blatter geschah, und der hatte dazu noch Michel Platini und den Uefa-Vize Senes Ärzik mitgebracht. Es war also die große Fußballwelt in die Ölstadt gekommen, auch um ein von Uefa und Fifa gefördertes Fußballzentrum zu eröffnen. „Aserbaidschan ist auf die internationale Fußballbühne zurückgekehrt, und heute erwarten wir von Ihrem Land erfolgreichen Fußball“, hatte Blatter gesagt. So viel Fußballaufmerksamkeit wie in der vergangenen Woche hatte das seit 1991 unabhängige Land wohl noch nie bekommen. Zuerst die U 21 der Deutschen, dann die Nordiren, die U 21 der Engländer und schließlich Beckhams England. Der Kapitän war allerdings nach seiner absichtlich verschuldeten zweiten gelben Karte und wegen seiner beiden gebrochenen Rippen zu Hause geblieben. Dennoch: Baku probte den Einzug des Fußballs als Popkultur.“

Dieses Land kennt kein Mittelmass

7:1 gegen Russland – Georg Bucher (NZZ 15.10.) ordnet den Sieg Portugals in die Historie ein: „Mit der Schlagzeile „Dieses Land kennt kein Mittelmass“ fasste die Tageszeitung A Capital den Kantersieg Portugals gegen Russland (7:1) vier Tage nach dem Debakel in Liechtenstein (2:2) zusammen. Zwischen Vaduz und Lissabon liegen aus lusitanischer Sicht Welten, die eine historische Einordnung verlangten. Nur die 2:4-Niederlage im Oktober 1961 in Luxemburg überbiete das Liechtensteiner Desaster, während der Auftritt gegen die harmlosen Russen als bestes Länderspiel in die Verbandsgeschichte eingehen werde, meinten langjährige Beobachter. (…) Unter einem guten Stern steht die WM-Qualifikation für den „Azoren-Zyklon“ Pedro Pauleta. An der EM ein laues Lüftchen, hat der PSG-Stürmer wieder Selbstvertrauen gefunden, erstmals durfte er die Captainsbinde tragen. Mit dem Rotationsprinzip signalisiert Scolari eine neue Etappe, die Hierarchie ist nach den Rücktritten von Fernando Couto, Luis Figo und Rui Costa flacher geworden. Dass ausgerechnet an einem 13. Oktober Portugal und Russland gegeneinander spielten, suggeriert einen Seitenblick auf Fátima. Weniger Pilger als üblich versammelten sich bei schlechtem Wetter zum 87. Jahrestag der Erscheinungen vor dem Sanktuarium. Die drei Hirtenkindern (Pastorinhos) von der Jungfrau vermittelte Botschaft hatte in Kriegs- und Kulturkampfzeiten nicht nur sündige Menschen, sondern auch Russland zur Umkehr vom Irrweg des Bolschewismus aufgerufen. Diesen zweiten Teil setzte der Diktator Salazar ab den dreissiger Jahren als ideologisches Instrument ein, und bald verwandelte sich das unscheinbare Beira-Dorf in ein Zentrum internationaler Wallfahrt.“

Auch die Türken haben einen „Killer“ – Tobias Schächter (BLZ 15.10.) berichtet das 1:1 in Dänemark: „In Kopenhagen gewann Galatasaray als erste türkische Mannschaft den Uefa-Cup. Vier Jahre später waren an jenem historischen Ort die sehnsuchtvoll erwarteten Zeichen des Wandels im Spiel der besten Fußballer der Türkei nicht zu übersehen. Dank seiner Erfolge mit dem Klub Genclerbirligli innerhalb von zehn Jahren vom Nachwuchscoach in Denizli zum ersten Trainer des Landes aufgestiegen, darf sich Yanal bestätigt fühlen in seinem von Reformeifer geprägten Vorhaben, den türkischen Fußball wieder dorthin zu bringen, wo ihn die Fußballverrückten der Nation nach dem dritten Platz bei der WM 2002 ohnehin sehen: in die Weltspitze. Yanal hatte das Reformtempo verschärft in der letzten Woche und so etwas wie eine Revolution ausgerufen. Durch die Ausmusterung des Rekordtorschützen Hakan Sükür bewies er Mut und den Willen, seine Philosophie auch gegen Widerstände durchzusetzen. Der Aufschrei war groß und die öffentliche Debatte scharf. Aber Yanal, opulenten Kombinationsfußball verfechtend, sah in dem 33-jährigen Sükür nicht nur sportlich ein Problem für die Restaurierung seiner Auswahl. Der Torjäger galt als Polarisierer und Wortführer der rein türkischstämmigen Spieler, die mit der Lebensart der in Europa aufgewachsenen Kollegen wenig anfangen können. Yanal weiß: Seine Maßnahme bietet Angriffsfläche. Sükür besitzt eine starke Lobby in Verband und Medien.“

Etwas ganz Neues: Nervenkitzel

4:3 gegen Weißrussland, ein ungewöhnliches Ergebnis für Italien – Birgit Schönau (SZ 15.10.): „Die Unaufgeregtheit hätte Marcello Lippis Markenzeichen als Nationaltrainer werden können, dieses Phlegma, mit dem er Siege und Niederlagen äußerlich völlig unbewegt wegsteckt. Schon bei seinen alten Erfolgszeiten mit Juventus war das so: Resultat einpacken, Zigarre an, und dann alle nach Hause, auf das nächste Einszunull trainieren. Lippi galt als Inkarnation des calcio cinico. Punkte machen und bloß keine Aufregung. Jetzt hat er in vier Spielen aber schon zwei Niederlagen kassiert, und insgesamt 28 Kicker ausprobiert, ein Rekord. In Parma bot der bekennende Großvater Lippi auf einmal etwas ganz Neues: Nervenkitzel. Es wurde ein Match mit sieben Toren, dafür hätte seine Juve dazumal mindestens sieben Spieltage gebraucht. Drei Tore von einem Gegner, der bis auf den blondbezopften Riesen Maxim Romaschenkow keine Weltklasse-Spieler im Aufgebot hat – zu anderen Zeiten hätte das unweigerlich die Taktik-Debatte ausgelöst. Diesmal aber hatten alle ihren Spaß. Vielleicht sollte er in der Zukunft an der Abwehr noch etwas basteln, damit er nicht immer zittern muss bis zum Ende. Was aber weiter vorn abging, sah begeisternd aus.“

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