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Als würde von Spielergeneration zu Spielergeneration ein Gen weitergegeben

Oliver Fritsch | Samstag, 23. Oktober 2004 Kommentare deaktiviert für Als würde von Spielergeneration zu Spielergeneration ein Gen weitergegeben

Aachen, immer und immer wieder erfolgreicher Underdog, „als würde von Spielergeneration zu Spielergeneration ein Gen weitergegeben“ (SZ) / Willy Landgraf, „die Anstrengung in Person“ (Welt) – „Ersatzspieler Ailton protestiert durch lautes Schweigen“ (FAZ) – „in Beveren wird Toleranz im Stadion geschult“ (SZ)

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Alemannia Aachen-OSC Lille 1:0

Christoph Biermann (SZ 23.10.) applaudiert: „Gleich nach Abpfiff wirkte die Aachener Mannschaft wie ein verschworenes Hobbyteam. Vor der Südtribüne, wo sich im Kölner Exil die meisten Fans in Schwarz-Gelb versammelt hatten, führten die Alemannen die in Deutschland derzeit avancierteste Form des Jubelns vor. „Dat müsst ihr mal versuchen“, sagte der ewige Zweitligaspieler Willi Landgraf, „da haben wir uns am Anfang fast die Füße bei gebrochen.“ [of: Ob im Uefa-Cup oder in der Kreisliga – überall die selben Sprüche. Koordinationsübungen sind nicht die Sache der steifen Fußballer, manche sind mit Rückwärtslaufen überfordert.] Auf geheimnisvolle Art und Weise ist nämlich eine Aufwärmübung zur Verbesserung der Koordination, bei der alle Spieler synchron die Beine wechselseitig aus der Hüfte kreisen lassen, zum neuen Jubelritual in Aachen geworden. Doch so sympathisch ausgelassen und rotbäckig der Zweitligist seinen Erfolg auch feierte, steckte darin weniger ein Fußballwunder als gute Arbeit. (…) Es war ein Riesenspiel. Alemannia Aachen gewann völlig verdient nicht nur die Partie, sondern auch viele Herzen. Mit dem Sieg setzte der Klub die Serie der Favoritenstürze aus dem Vorjahr fort. „Solche Spiele sind wir gewohnt“, sagte Verteidiger Alexander Klitzpera, „da steigert man sich rein, das ist teilweise ein Selbstläufer.“ Dieter Hecking, der die Mannschaft erst im Sommer übernommen hat, sprach über diese Fähigkeit etwas ratlos. „Manchmal hat ein Verein so was“, sagte er, als würde da von Spielergeneration zu Spielergeneration ein Gen weitergegeben. “

Thomas Klemm (FAZ 23.10.) fügt hinzu: „Sorgenfrei und Spaß dabei – nach diesem Motto bewiesen die Aachener, daß sie sich auch spielerisch auf der europäischen Fußballbühne behaupten können. Anfangs wußte der eine oder andere das Leistungsvermögen nicht recht einzuschätzen, nachdem das Team vor der Saison gehörig umgekrempelt worden war. Doch die alte Mentalität, jedes Spiel wie einen bedeutenden Pokalfight anzugehen, zeigte auch die erneuerte Formation.“

Endlich mal ein Gastgeber, bei dem ein System zu erkennen ist!

Bernd Müllender (taz 23.10.) beschreibt Wirkung und Folge des Aachener Siegs: „Mit putzigem Stolz wusste der Verein mitzuteilen, dass das ZDF nach Köln das gleiche Reporterteam wie zum WM-Finale 2002 nach Yokohama geschickt hatte. Die Westzipfler medial ganz oben, und das auch quantitativ: Der Auftritt gegen Lille war das 13. Alemannia-Spiel in diesem Jahr, das live im Free-TV übertragen wurde, weit mehr als Bayern München zu bieten hat. Mindestens drei Spiele kommen bis Weihnachten noch dazu – ein Allzeitrekord für einen deutschen Zweitligisten. Und die Zuschauer dürfen es genießen: Hecking hat festgestellt, es gebe derzeit in Deutschland „zwei geile Teams, die den Spaß am Fußball verkörpern“. Das andere Team, das er meint, ist natürlich Erstligist Mainz 05. 20.000 Printenstädter waren in den „Ballfahrtsort Köln“ (Aachener Zeitung) gepilgert, inklusive des Transparents „Heimatlose Aachener“. Die Fans haben noch die Extrahoffnung, dass sie, wie es einer nannte, „den Kölnern das Stadion endgültig verhext haben“ – nach Alemannias erstem Uefa-Gastspiel hat der verhasste Ligakonkurrent 1. FC tatsächlich beide Male seine ersten Halbzeiten verloren, „jetzt waren wir das zweite Mal hier, und jetzt wirkt die Magie ganz.“ Der Kölner Express, sonst Zentralorgan des FC-Jubels, wurde gestern schon wehmütig: „Endlich mal ein Gastgeber, bei dem ein System zu erkennen ist!““

Anstrengung in Person

Udo Muras (Welt 23.10.) klopft Willi Landgraf auf die Schulter: „Der Mann kann machen, was er will. Wenn er nur zum Einwurf anläuft, hört er seinen Vornamen aus Tausenden von Kehlen. Willi Landgraf, 36 Jahre alt und 166 Zentimeter kurz, ist Kult. Er ist beliebt, weil er als kleiner Mann große Dinge versucht. „Dem Willi ist nichts zu viel. Ich habe ihn auch noch nie griesgrämig gesehen. Er ist immer gut gelaunt“, sagt Horst Heinrichs, Präsident von Alemannia Aachen, Landgrafs Arbeitgeber. In der alten Kaiserstadt verehren sie nicht mehr Karl den Großen, sondern Willi den Kleinen. Busse mit seinem Konterfei fahren durch die Straßen, versehen mit dem Spruch „Willi Kampfgraf pflügt sie alle um“. Der Kämpfer Landgraf ist die Anstrengung in Person, kein Gegner, zu denen zuweilen der Ball gehört, ist vor ihm sicher. Und gerade, weil ihm nicht alles gelingt, haben ihn alle lieb.“

Schalke 04-FC Basel 1:1

Ailton protestierte durch lautes Schweigen

Gedämpfte Laune in Schalke spürt Richard Leipold (FAZ 23.10.): “Die Partie warf Fragen auf, die um so heikler klingen, je öfter sie gestellt werden: Wäre es mit Ailton günstiger gelaufen, hätte der Trainer ihn zeitiger einwechseln müssen oder vielleicht ganz draußen lassen sollen (um ihm wenigstens das Etikett „Joker“ zu ersparen)? Einen sensiblen Südamerikaner wie Ailton so spät auf den Fußballplatz zu schicken, dürfte auf Dauer die schlechteste Lösung sein. Als Kurzarbeiter fühlt sich einer wie er gedemütigt. Ausgesprochen hat Ailton das zwar nicht, aber es war ihm anzumerken. Am Donnerstag bewahrte er noch die Contenance, aber es schien ihm schwerzufallen. Ailton protestierte durch lautes Schweigen (…) Ob und wie lange Ailton spielen muß, mag für das Betriebsklima und eines Tages auch für die Effizienz des Angriffs von Bedeutung sein. Aktuell aber hat Schalke andere, mindestens genauso drückende Sorgen. Das Mittelfeldspiel geht viel zu sehr in die Breite, vor allem wenn die Mannschaft in Führung liegt. „Wir haben uns mit Querpässen zu Tode gespielt“, sagte Rangnick. „Nach dem zehnten Paß sind wir wieder dort angekommen, wo wir angefangen hatten.“ Diese Diagnose hatte, mit etwas anderen Worten, schon sein Vorgänger Jupp Heynckes des öfteren gestellt.“

Es geht nicht aufwärts, er ist nicht im Fluss, er rennt gegen Widerstände an

Ulrich Hartmann (SZ 23.10.) stellt einen Schnappschuss dar: „Ailton stürzte aus der Kabine, dann stürzte er auf die Rolltreppe, aber dort stellten sich gleich zwei Journalisten neben ihn und schauten ihn fragend an, deshalb ließ er die beiden einfach stehen und stürzte die aufwärts fahrende Rolltreppe wieder hinab. Das dauerte ein bisschen, weil er ja gegen die Aufwärtsbewegung absteigen musste, Stufe um Stufe, das ist mühsam. Es war dies das schönste und symbolträchtigste Bild, das sich im Kabinentrakt der Arena AufSchalke bot: Der brasilianische Fußballstürmer Ailton Gonçalves da Silva, Torschützenkönig der vergangenen Saison, steigt in Gelsenkirchen Rolltreppen gegen die Laufrichtung hinab. Es geht nicht aufwärts, er ist nicht im Fluss, er rennt gegen Widerstände an, er ist sauer.“

KSK Beveren-VfB Stuttgart 1:5

Zehn Spieler von der Elfenbeinküste – die FAZ (23.10.) berichtet über den Hintergrund: „Hinter der ungewöhnlichen Mannschaftsaufstellung verbirgt sich eine außergewöhnliche Geschichte: Als sich der Koninklijke Sportkring Beveren im Frühjahr 2001 in einer existenzbedrohenden sportlichen und finanziellen Krise befand, beschloß die Vereinsführung, den ehemaligen französischen Nationalspieler Jean-Marc Guillou als Retter zu akzeptieren. Der WM-Teilnehmer von 1978 suchte einen Klub, „der sportlich und wirtschaftlich auf meine Hilfe angewiesen ist“, um dort Spieler unterzubringen, die bei ihm unter Vertrag stehen. Guillou hatte einige Jahre zuvor an der Elfenbeinküste eine Fußballschule gegründet, aber für den ständig sprudelnden Quell an Nachwuchsspielern nie genügend Abnehmer gefunden. Der Klub ohne Geld und Spieler und der Manager mit Spielern ohne Klub bildeten die perfekte Konstellation für einen Interessenausgleich. Entgegen kam ihnen, daß es in Belgien im Gegensatz zur Bundesliga keine Beschränkung für den Einsatz von Ausländern aus Staaten außerhalb der EU gibt. So stammen im aktuellen Profikader 13 von 18 Kickern aus Guillous Fußballschule. Beide Seiten sind gut gefahren mit ihrer Allianz. Der KSK Beveren konnte zwar nicht mehr an die ganz erfolgreichen Zeiten anknüpfen, als unter anderem mit Jean-Marie Pfaff im Tor zwischen 1979 und 1984 zwei nationale Meisterschaften gewonnen wurden. Aber aus dem designierten Absteiger wurde ein Team, das es bis in den Uefa-Cup schaffte.“

In Beveren wird Toleranz im Stadion geschult

Klaus Hoeltzenbein (SZ 23.10.) gibt zu bedenken: „Die Skurrilitäten im globalen Fußball-Dorf sind derzeit am anschaulichsten in einer Kleinstadt in Belgien zu bestaunen. Als im 45 000 Einwohner zählenden Beveren im Mai 2003 gewählt wurde, lag der Vlaams Block, der flämische Block, mit 25,3 Prozent der Stimmen vorne. Der niederländisch-sprechende Teil Belgiens betreibt die Spaltung von den Wallonen, fürchtet eine multikulturelle Diktatur und fordert einen sofortigen Zuwanderungsstopp. In diesem Milieu ist der KSK Beveren zu Hause, der auf der Internet-Seite des Europäischen Verbandes als „kuriosester Verein“ der Uefa-Pokal-Gruppenphase angekündigt wird. Vlaams Block wünscht sich elf Belgier in der lokalen Mannschaft, was den KSK wenig interessiert. Im Gegenteil, in Beveren wird Toleranz im Stadion geschult: Gegen den VfB Stuttgart standen zehn Spieler von der Elfenbeinküste in der Startformation, in der Liga waren es auch schon mal elf, insgesamt stammen dreizehn Profis des Kaders von der Westküste Afrikas. Abseits von seinem pädagogischen Effekt für den Vlaams Block ist dieser Feldversuch allerdings fragwürdig. Zielt er doch vorrangig darauf ab, hohe Renditen mit Fußballer-Importen zu erzielen. Junge Talente sollen in der Beveren-Akademie an die Herausforderungen des europäischen Fußballs herangeführt und diejenigen, die sich behaupten, meistbietend weiter transferiert werden.“

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