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Internationaler Fußball

Teams von verschiedenen Planeten

Oliver Fritsch | Montag, 22. November 2004 Kommentare deaktiviert für Teams von verschiedenen Planeten

Die NZZ (22.11.) rezensiert das 3:0 des FC Barcelona gegen Real Madrid: „In einem Konzertsaal entstünde wohl eine ziemliche Katzenmusik, wenn die Streicher ein Divertimento con brio hinlegten, während die Bläser sich selber ein Wiegenlied, wenn nicht gar ein Requiem spielten. Im Camp Nou dagegen war das Publikum über die unterschiedlichen Tempi der beiden Mannschaften keineswegs unglücklich, zumal es der FC Barcelona war, der mit seinem flinken und direkten Fussball Real Madrid alt aussehen liess. Wenn die Partie nicht ganz das fabelhafte Niveau von Barças Champions-League-Begegnungen mit Milan erreichte, so lag es an seinem Gegner. Real Madrid wirkte zwar annähernd ebenbürtig, bis es in der 28. Minute auf fast lächerliche Weise in Rückstand geriet. Doch gerade dieses Tor war symptomatisch für das Naturell der beiden Mannschaften: Während der bequem gewordene Roberto Carlos seinen Lauf in der Annahme abbremste, Casillas werde die lange Vorlage Ronaldinhos an der Strafraumgrenze erlaufen, preschte Eto‘o dazwischen, umdribbelte den Torhüter und schob den Ball ins leere Gehäuse. Hierauf schien es, als bewegten sich zwei Teams von verschiedenen Planeten auf dem Feld.“

Generationen-Unterschied wie zwischen Tischfußball und Playstation

Javier Cáceres (SZ 22.11.) ergänzt: „Auch die Real Madrid zugeneigten Blätter wie Marca sahen „den endgültigen Beweis erbracht, dass Spaniens Fußball in eine neue Epoche eingetreten ist.“ Die Epoche einer wundervoll spielenden Mannschaft in burgundrot-blau. Sí, senor. Fünf Kandidaten auf den Titel Europas Fußballer des Jahres spielen bei Barca (Ronaldinho, Deco, Eto’o, Giuly, Larsson), ebenso viele bei Real Madrid (Ronaldo, Zidane, Beckham, Figo, Morientes), doch zwischen beiden Teams besteht ein Generationen-Unterschied wie zwischen Claudia Schiffer und Adriana Lima, wie zwischen Tischfußball und Playstation. „Sie haben uns den Ball nicht mal berühren lassen“, sagte Florentino Pérez.“

Erdung der zwischen Himmel und Hölle

Was unterscheidet die zwei Vereine zurzeit, Christian Eichler (FAZ 22.11.)? „Und David Beckham? Ja, auch der Marketing-Star hat mitgespielt. Mancher der 98 000 wird das erst bemerkt haben, als er in der 54. Minute ausgewechselt wurde. Dabei hat erst Beckham die Barça-Renaissance ermöglicht. Im Frühling 2003 versprach Präsidentschaftskandidat Juan Laporta den Barça-Mitgliedern, er werde den Engländer holen. So gewann Laporta die Wahl. Er bekam Beckham natürlich nicht. Der wollte nur nach Madrid. Aber das war ein doppelter Gewinn für Barça. Es bekam Laporta, der aufräumte; und Ronaldinho, der aufblühte. Tatsächlich galt Ronaldinho gegenüber Beckham damals nur als Trostpreis. Ein schöner Witz. Real wollte den Brasilianer auch, aber noch ein Jahr warten; so ging der lieber gleich nach Barcelona. Und Real bekam Beckham, der nur noch beim Trikotverkauf ein Renner ist. Laporta, dank der Beckham-Lüge gewählt, löste die verfilzte Riege um Vorgänger Gaspart ab, der nach dem Verlust von Figo mit panischer Transferpolitik den Rückstand zu Real aufholen wollte. Der wurde immer größer, obwohl man mit Geld um sich warf: rund 200 Millionen Euro für 16 oft wahllos zusammengekaufte Spieler. Kataloniens Variante des BVB-Syndroms: nur nicht Zweiter sein, lieber finanziell am Ende. Rund 150 Millionen Euro betrug der Schuldenberg, als Laporta Präsident wurde. Der smarte Anwalt startete ein Sparprogramm, träge Luxusspieler wie Kluivert wurden abserviert, Strukturen gestrafft, Darlehen umgeschuldet, Jugendarbeit forciert. Junge Katalanen kamen ins Team. Diese Erdung der zwischen Himmel und Hölle schwankenden Fußball-Diva Barça forciert auch der sachliche Trainer Frank Rijkaard.“

Ohne sportlichen Plan

Ralf Itzel (BLZ 22.11.) fügt hinzu: “Man spürte, dass eine Ära zu Ende geht, und eine neue beginnt. Eine alternde, satte, langsame Ansammlung von Einzelkönnern gab den Staffelstab an eine junge, hungrige, dynamische Mannschaft weiter. Eto‘os Tor nach dem Fehler von Roberto Carlos war ein Moment, der auch die Politik beider Klubpräsidenten versinnbildlichte. Real-Boss Florentino Pérez verlängerte kürzlich den Vertrag des Brasilianers, obwohl dessen beste Zeit vorbei ist, und schob den jungen Himmelsstürmer aus Kamerun, groß geworden in der Madrider Nachwuchsabteilung, endgültig ab. Ohne sportlichen Plan häufte Pérez Superstars an, deren Fertigkeiten nun schwinden, und die somit gegen starke Rivalen nicht mehr kaschieren können, dass sie keine Einheit bilden. Im Sommer hat der Bauunternehmer seinen Kurs halbherzig zu korrigieren versucht. Für 45 Millionen Euro kaufte er einen überforderten und einen verletzten Verteidiger (Samuel und Woodgate) und führte seinen Scheckheftfußball so nur einen Schritt näher zum Bankrott. Barcelonas Laporta hört im Gegensatz zu Pérez auf sportliche Berater.“

Europas Fußball am Wochenende: Ergebnisse – Tabellen – Torschützen NZZ

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