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Ball und Buchstabe

Fußball muss in Italien wieder zum Sport werden

Oliver Fritsch | Dienstag, 11. Januar 2005 Kommentare deaktiviert für Fußball muss in Italien wieder zum Sport werden

Birgit Schönau (SZ 10.1.) kommentiert den Faschistengruß Paolo Di Canios: „Es reicht jetzt. Schluss mit der Verharmlosung, Schluss mit dem Gerede von Volkstribunen und Gladiatoren, gleichgültig, ob sie Totti heißen oder Di Canio. Wer vor 75 000 Zuschauern die Hand zum Duce-Gruß erhebt, muss bestraft werden, so einfach ist das. Wenn Italiens Verband sich nicht traut, muss die Uefa ein Machtwort sprechen. Der Fußball muss in Italien wieder zum Sport werden. Oder doch wenigstens endlich wieder danach aussehen.“

Zwielichtiges Milieu

Dirk Schümer (FAZ 11.1.) ergänzt: „Di Canios keineswegs unbedachte Geste fügt dem schlechten Image seines Klubs und dem gesamten Calcio neuen Schaden zu. Mag auch der Faschistengruß nur ein pubertäter Ausraster sein, der mit konkreter Politik wenig zu tun hat und schnell dementiert wird, so zeugt sie doch von einer Verrohung der Sitten in einem Sport, bei dem mehrere frühere Präsidenten nach Bankrott im Gefängnis sitzen, Schiedsrichter mit Gegenständen beworfen, Gegenspieler bespuckt werden, regelmäßig Wett- und Dopingskandale ans Licht kommen und der allgemeine Hang zum Absahnen und Verschwenden die Serie A an den Rand des Kollapses gebracht hat. In diesem zwielichtigen Milieu, in dem Jugendliche ihre Idole suchen, hatte der allsonntägliche Faschismus als Zugabe gerade noch gefehlt.“

Thomas Fromm (FTD 11.1.) befasst sich mit der Haltung vieler Italiener zu Mussolini: “In Italien ist es gar nicht so unüblich, dem Ex-Diktator zu huldigen. In der Emilia Romagna, der Heimatregion Mussolinis, schmücken stolze Winzer die Etiketten ihrer besten Flaschen mit dem Konterfei des Mannes, der einst aus dem Dorf Dovia di Predappio ausgezogen war, um zuerst Rom, dann Italien, und dann den Rest der Welt zu erobern. Eine Grundüberzeugung ist vielen Italienern geblieben: Mussolini war ein starker Mann, jemand, der die Zügel in der Hand hielt, ein Siegertyp. Einer, wie er überall gebraucht werden kann. In der Politik und auch im Sport. So verbirgt sich nach Meinung vieler hinter Paolo Di Canios Führergruß in Wirklichkeit vor allem ein Marketinginstrument. Zum einen, weil er ein Siegertyp ist. Zum anderen, weil es darum geht, Tausende von rechtsextremen Tifosi an den Verein zu binden.“

Duce, Duce!

Vincenzo Delle Donne (Tsp 11.1.) referiert die Reaktionen anderer Fans: “Mit seinem faschistischen Gruß ist Paolo Di Canio zum Werbeträger der rechtsextremen Fußballfans in der Serie A geworden. Die Tifosi von Inter Mailand widmeten ihm zwei Transparente. Das erste lautete: „Ave Di Canio, Mailand grüßt dich!“, das zweite: „Ehre Di Canio.“ Und als auf der Anzeigetafel sein Ausgleichstor gegen den AC Florenz aufleuchtete, spendeten die Tifosi tosenden Beifall. In Florenz, wo Lazio am Ende 3:2 gewann, grölten die Tifosi: „Duce, Duce!“ Die Fiorentina-Fans antworteten im Chor: „Faschisten! Faschisten!““

SZ: „Der Fußballprofi Paolo Di Canio von Lazio Rom streckt seinen rechten Arm aus – und Italiens Rechtsradikale feiern ihn.“

Peter Hartmann (NZZ 11.1.) fügt hinzu: „Vor dem Derby verhöhnte Di Canio den Intelligenzgrad des Roma-Superstars Francesco Totti, der den Mittleren Osten als „Zone irgendwo im Mittelfeld“ vermute. Totti trat völlig genervt auf und ging aus dem Duell gegen Di Canio wie vernichtet hervor. 24 Stunden vor dem Spiel hatte sich Di Canio als Gutenachtgeschichte im Trainingszentrum Formello seinen Lieblingsfilm angesehen, das Blut- und Gewalt-Video von „Braveheart“, Mel Gibson in der Rolle des unbezähmbaren schottischen Freiheitskämpfers, der am Ende von den Engländern gevierteilt wird. Sein Zimmernachbar Rocchi sagte, aus Di Canios Augen habe der Wahnsinn geleuchtet, und sie hätten dann ein Schlafmittel geschluckt.“

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