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Taktiker, Planer, Motivator, Eroberer

Oliver Fritsch | Montag, 4. April 2005 Kommentare deaktiviert für Taktiker, Planer, Motivator, Eroberer

José Mourinho, im Zentrum der Fußball-Welt – Christian Eichler (FAS 3.4.): „Er gilt als glänzender Taktiker, Planer, Motivator, ein Fan von Disziplin und Methodik. Jeden Morgen verläßt er Punkt sieben seine Wohnung am feinen Eaton Place. Er plant pedantisch jede Minute in der Arbeit mit seinen Spielern. Er läßt sich von seinen Scouts detaillierte Dossiers über jeden Gegner erstellen. Und, zunehmend wichtig in der späten Saisonphase, da die „big games“ zunehmen: Er weiß über die Medien jene Psycho-Spielchen einzusetzen, die manchmal die siegbringende Verunsicherung von Gegnern oder (…) Und das Auftreten eines Eroberers. Dunkel funkelnde Augen, bronzener Teint, graumelierter Kurzschopf, fein geschnittene Züge, dazu der Anflug eines Nachmittagbartes, weil er sich vor Spielen grundsätzlich nicht rasiert: So könnte Jose Mourinho auch einen portugiesischen Entdecker in einem Seefahrerfilm spielen. Den Eroberer-Look, den Siegerblick kombiniert er stilsicher mit eleganten Mänteln und sportlich-federndem Auftritt. Aber er hat nicht nur das grimmige Pokerface im Repertoire oder die kühle Arroganz, auch einen entwaffnenden Charme und eine unterhaltsame Rhetorik voll Witz und Ironie.“

Mourinho verkörpert all das, was die Uefa verabscheut

Matthias Matussek (Spiegel 4.4.) hält Mourinho nicht einen Feind des Fußballs, sondern für das Gegenteil: „Die Uefa spielte sich, wie gewohnt, als Ermittler, Ankläger und Richter gleichzeitig auf, und sie wollte den Schuldspruch. Fair? Ganz sicher nicht, und angesichts solcher Freunde des Fußballs kann man sich einen Feind wie Mourinho nur wünschen. Der wahre Grund für seinen Ausschluss, das ist klar, ist ein anderer. Die Uefa trommelt sich auf den Brustkasten, um sich als größter Gorilla auf der Lichtung zurückzumelden. Denn Mourinho verkörpert all das, was die Uefa verabscheut. Geld, Macht, zunehmende „Amerikanisierung“ (Gaillard) des Gladiatorenbetriebs Fußball. Er ist tatsächlich ein Outlaw. Er legt Strukturen frei. Er erfindet derzeit das Spiel neu. Er verachtet die ranzigen Hinterzimmer-Säcke des alten Systems und macht das deutlich. Was früher das Theater vermochte und heute noch ab und zu dem Kino gelingt, schafft der Fußball mühelos. Die Arena kreiert neue Rollenspiele, neue Hierarchien. Mourinho ist der Coach des Hyperkapitals. (…) Das ist die eigentliche Provokation, mit der die Leute Schwierigkeiten haben: Chelsea ist die Zukunft des Fußballs im globalen Freibeuter-Kapitalismus. Chelsea, das sind geostrategische Geldströme, die sich neue Anlageformen suchen und dabei den Fußball revolutionieren. Das System Mourinho hat keine Stars, sondern mannschaftsdienliche, auswechselbare Hochleistungsteile, die verschleißfrei und niederschmetternd erfolgreich arbeiten. Er führe den Verein, sagt er, wie Bill Gates Microsoft führt. (…) Mourinho/Abramowitsch sind Avantgarde, und aus deutscher Sicht lässt sich nur schwermütig seufzen darüber, dass die eisigen Milliarden den englischen Fußball suchen, um ihn aufzumischen, und nicht den deutschen, wo osteuropäisches Kapital nur in Form der hinterwäldlerischen kroatischen Wett-Mafia vertreten ist.“

José Mourinho, Feind des Fußballs oder „Avantgarde“, wie der Spiegel schreibt? Diskutieren Sie mit anderen Lesern in der Südkurve!

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Markus Lotter & Chris Hatherall (WamS 3.4.) preisen Frank Lampard: “Inwieweit ist Mourinho für seine Leistungssteigerung verantwortlich? Lampard: „Ich habe bei allen Trainern, die ich bisher hatte, genau hingehört und von jedem einzelnen gelernt. Aber Jose ist großartig. Wenn er mit uns auf dem Trainingsplatz steht, behandelt er uns wie seine eigene Familie. Er kümmert sich um alle Spieler und gibt allen ein unglaubliches Maß an Selbstvertrauen. Er will um jeden Preis gewinnen, und genau das vermittelt er uns jeden Tag.“ Tatsächlich hat kein anderer Spieler des Nobelklubs aus Londons Bezirk SWS 6 die Siegermentalität des Portugiesen so verinnerlicht wie Lampard. Keiner anderer verkörpert die Zweidimensionalität des Chelsea-Spiels besser als er. Das Team kann je nach Spielsituation und Spielstand gekonnt verteidigen oder begeisternden Offensivfußball initiieren. Und Lampard ist dabei der „kingpin“, der Dreh- und Angelpunkt in Mourinhos System. Er ist der perfekte „box-to-box-player“, verhindert Gegentore durch seine Defensivarbeit und hat dazu noch eine Torquote (Saison 2003/2004: 15 Treffer), die eines Stürmers würdig wäre. Lampard spielt die Rhythmusgitarre in der Band von der Stamford Bridge.“

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