indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Interview

Mit Sportjournalisten kann man über Sport reden

Oliver Fritsch | Freitag, 22. Juli 2005 Kommentare deaktiviert für Mit Sportjournalisten kann man über Sport reden

Telefonat mit Gregor Derichs über Vor- und Nachteile der Kommunikation Jürgen Klinsmanns, dessen Verhältnis zu Medien und die Unsäglichkeit der DFB-Pressekonferenzen im Fernsehen

Frage: Wie bewerten Sie die Kommunikation Jürgen Klinsmanns, der nun ein Jahr Bundestrainer ist?

Derichs: Ich beschäftige mich seit langem intensiv mit dieser Frage und erkenne auf der einen Seite eine große Schwäche: Mir ist sein Optimismus zu dick aufgetragen. Das mag seine Art sein, ich kritisiere das nicht öffentlich. Aber geheuer ist mir das nicht. Ich würde als Trainer ein bisschen bremsen. Rudi Völler ist nach dem zweiten Platz bei der WM 2002 immer skeptisch geblieben. Gut, Probleme mit dem Selbstbewusstsein kann man Klinsmann nun wirklich nicht nachsagen, doch er sollte sich davor hüten, die Erwartungen zu sehr zu „pushen“. Auf der anderen Seite muss man ihm große Selbstständigkeit attestieren. Das ist ihm sehr wichtig – kein Geklüngel, kein Hintenrum, keine geheimen Absprachen, keine Seilschaften aus seiner Spielerzeit, keine Gefälligkeiten. Der Mann ist unabhängig, das sieht man auch an seinem Verhältnis zum DFB.

Frage: Sehen Sie eine Gefahr für Klinsmann, dass er den Schwung verliert, den er mitnehmen will? Vielleicht durch eine Personalentscheidung…

Derichs: In manchen Dingen hat er sich ungeschickt verhalten, und das könnte auf ihn zurückschlagen. Ich nenne zwei Beispiele: Erstens, als er die Torwartfrage bis Mai 2006 verlängert hat, teilte er das so beiläufig mit, dass man den Eindruck bekam, es wäre ihm rausgerutscht. Mir sind Brisanz und Nachrichtenwert dieser Entscheidung erst nachher klargeworden, als ich mit einem Kollegen darüber sprach. Ich hätte Klinsmann empfohlen, dieses Thema sorgfältig zu klären und ausführlich zu begründen. Offensichtlich hat er das auch intern unzureichend besprochen, selbst Andreas Köpke sagte: „Davon weiß ich ja gar nichts.“ Zweitens haben uns Klinsmann und Bierhoff nach dem Champions-League-Sieg Liverpools Didi Hamann als den herausragenden Spielmacher der Welt dargestellt. Hamann hatte bis dahin gar nicht unter Klinsmann gespielt, von ihm war nie die Rede gewesen; plötzlich hieß es: „Nur deswegen, um andere zu testen.“ Bei Christian Wörns übrigens argumentierten sie im Frühjahr ähnlich, ähnlich überraschend. Das ist unglaubwürdig, da sehe ich eine große Gefahr für die künftige Kommunikation seiner Personalentscheidungen. Da kann es schnell heißen: „Jetzt macht er das gleiche wieder.“ Mein Eindruck ist, manche Journalisten warten geradezu auf seine Fehler. Rudi Völler hat man vieles nachgesehen; Klinsmann kriegt das immer aufs Butterbrot geschmiert. Die Fans mag er auf seiner Seite haben; sein Verhältnis zu den Medien scheint gespalten.

Frage: Wie kommt das?

Derichs: Er jongliert mit den Medien und instrumentalisiert uns. Ein Kernvorwurf: Es gibt eine Diskrepanz zwischen dem, was er sagt und dem, was er tut. Er redet sehr wenig über Fußball. Zum Beispiel im Frühjahr in Slowenien: Als man ihn fragte, ob er nun die Balance zwischen Abwehr und Angriff suche, sagte er: „Nein, nein, wir spielen immer stramm nach vorne.“ Dabei plante er etwas ganz anderes. Wenn man sich die Mannschaft heute, drei Monate später, ansieht, stellt man fest: Sie spielt gar nicht mehr bedingungslos offensiv. Sportliche Entwicklung und sportliches Geschehen – das ist, was uns Journalisten interessiert, das ist, worüber man mit uns offen reden sollte.

Frage: Seltsam, oft hört man von Trainern und Spielern, die deutschen Fußballjournalisten würden nicht gern über Taktik und Sportliches sprechen und schreiben – im Vergleich mit ihren Kollegen aus Italien und England.

Derichs: Ich kenne diesen Vorwurf – und kann ihn nur an den DFB zurückgeben: Wenn Ihr wenig über Fußball sprecht, haben wir keine Möglichkeit, in die Mannschaft „reinzuschauen“. Ich selbst bin Diplomschullehrer mit Schwerpunkt Fußball und kann viele Aspekte beurteilen. Ich würde gerne mehr Eindrücke über das Sportliche sammeln und kann nicht mal mehr beim Training zusehen, vielleicht 15 Minuten Stretching. Alle Ausführungen zur Mannschaft lehnt Klinsmann aus strategischen Gründen ab. Dafür habe ich ein gewisses Verständnis; ein Trainer muss nicht seine Mannschaftsaufstellung 24 Stunden vorher benennen. Aber wir finden keinen „Anpack“, mit ihm über Sport zu reden. Dann dürfen sich Klinsmann und der DFB nicht wundern, wenn ein Thema wie Kalifornien immer wieder gespannt wird.

Frage: Da sehen Sie eine Ursache, nach dem Motto: selber schuld?

Derichs: Ja, aber es ist nicht allein Klinsmanns Aufgabe, sondern auch die Harald Stengers (Direktor für Öffentlichkeitsarbeit). Er müsste Klinsmann besser beraten, etwa: „Hör mal, wir gehen zur Pressekonferenz und erzählen was übers Torwarttraining! Wenn du denen ein Thema vorgibst, funktioniert das.“

Frage: Wie ist sein Verhältnis zur Bild-Zeitung?

Derichs: Er ist deutlich unabhängiger als andere vor ihm. Gegenüber Medien ist er auf Selbstständigkeit bedacht. Die Bild-Zeitung kommt ihm mit ihrer traditionellen Dominanz sogar sehr gelegen, um sein Profil zu schärfen. Für die Leute von Bild ist es außerdem extrem wichtig, dass sie die Aufstellung am Spieltag drucken. Und die bekommen sie, aller Mühen zum Trotz, nicht mehr. Ich weiß ja auch nicht, warum ihnen das so wichtig ist, warum sie daraus einen Sport machen.

Frage: Und die anderen Zeitungen?

Derichs: Die größte Nähe hat die SZ, ihre Beziehung zu Klinsmann ist ungewöhnlich loyal, sie haben einen Draht zu ihm. Und sie haben ihn mit in Position gebracht, in der nun ist. In der SZ hatte sich Klinsmann erstmals dazu geäußert, dass er sich das Amt vorstellen könne. Anfangs habe ich gestutzt, weil er früher immer gesagt hatte, mit dem Business wolle er nichts mehr zu tun haben. Erst dachte der DFB über ein Modell mit Klinsmann und Luis van Gaal nach. Am Ende blieb es bei Klinsmann. Ich glaube, Sie haben im freistoss mal in einem Teaser geschrieben, dass mittlerweile die SZ im Fußball Trends und Tendenzen setzt; im Fall Klinsmann kann ich das nur bestätigen. Das liegt natürlich auch daran, dass die FAZ darin ein bisschen schwächer ist.

Frage: Die FAZ hat die deutsche Mannschaft euphorisch bewertet. Woher kommt die Begeisterung für die deutsche Mannschaft? Denken wir auch an die Fans – ist das kein Kommunikationserfolg Jürgen Klinsmanns?

Derichs: Da gibt es keinen direkten Zusammenhang, aber es gibt andere Gründe: Erstens ist die Nationalmannschaft des Deutschen liebstes Sportkind. Zweitens ist die Fan-Stimmung in den vergangenen Jahren insgesamt sehr gut; in der Bundesliga, sind die „Hütten“ ja auch voll. Das liegt zum einen an den moderaten Eintrittspreisen im Vergleich mit dem Ausland, zum zweiten am „Live-Faktor“; auch Konzerte sind schnell ausverkauft. Die Leute erleben sich als Teil des Events. Dass die deutsche Elf und auch Klinsmann gefeiert werden, wie in Leipzig, hängt natürlich drittens mit ihrer Spielweise zusammen. War ja auch ein tolles Spiel gegen Mexiko. Die Mannschaft marschiert, und das ist Klinsmanns Verdienst. Mit der Kommunikation hat das nicht viel zu tun.

Frage: Wie ist Klinsmanns Team, zum Beispiel Urs Siegenthaler?

Derichs: Klinsmann hat sich die richtigen Mitarbeiter geholt. Siegenthaler macht einen sehr kompetenten Eindruck, ebenso die Fitness-Trainer. Auch Joachim Löw ist ein offener Gesprächspartner. Alles, was Klinsmann sportlich bewegt hat, ist positiv. Diese Personalien entsprechen meiner Forderung nach Umbau, die ich immer geäußert habe. Das Umfeld beim DFB war fürchterlich altbacken und spießbürgerlich.

Frage: Sollten Siegenthaler und die Fitness-Trainer mehr in den Vordergrund?

Derichs: Ja, das wäre ein gutes Mittel zur Kooperation. Wie wär’s, wenn der DFB uns an Pressekonferenzen Urs Siegenthaler statt, überspitzt gesagt, die Ersatzspieler Brdaric und Owomoyela auf das Podest setzen würde? Das würde das Funktionsfeld durchleuchten. Ob Siegenthaler angenommen würde? Ich weiß es nicht, aber einen Versuch wäre es wert. Wir Journalisten sollten jedoch mit Kritik an den Pressekonferenzen sehr vorsichtig sein. Denn wir haben die Gestaltung der Presskonferenz in der Hand.

Frage: Stichwort Pressekonferenz. Was halten Sie davon, diese im Fernsehen zu übertragen?

Derichs: Das sind Katastrophenveranstaltungen.

Frage: Inwiefern?

Derichs: Sie sind gestelzt. Sobald eine Kamera an ist, sprechen unsere Bezugspersonen anders. Das kennt man aus dem Alltag: Wenn wir irgendwo vor einer Kabine stehen und mit einem Spieler sprechen, und es kommt ein Kollege mit einer Kamera, ändert sich der Ton sofort.

Frage: Der Ton wird anders?

Derichs: Ja, politisch korrekt. Die Spieler reden vorsichtiger und umgehen Themen, mit denen sie im Einzelgespräch kein Problem hätten. Das gleiche gilt für die andere Seite, den Journalisten. Er fragt befangener. Ein weiteres Problem: Wenn die Kameras bei Pressekonferenzen laufen, fragen plötzlich Leute, die sonst nie fragen würden. Warum? Ihre Redaktionen fordern: „Zeig dich!“ Dann gibt es andere, die fragen nicht mehr, weil sie eine Hemmung fühlen. Oder weil sie einen verrückten Chef haben, der ihnen sagt: „Wenn ich euch da sehe, dann ist der Teufel los!“ Tatsächlich gibt es das bei einer großen deutschen Tageszeitung. Bei Pressekonferenzen, ob sie übertragen werden oder nicht, haben wir ohnehin das Problem, inwieweit wir unsere Idee und unser Thema dem konkurrierenden Kollegen präsentieren. Da hält man sich immer ein wenig zurück. Mit der Übertragung der Pressekonferenz nimmt man uns Schreibenden außerdem unseren Informationsvorsprung.

Frage: Wie könnte man die Pressekonferenzen gewinnbringender gestalten?

Derichs: Uns Journalisten schreibe ich ins Stammbuch: Wir holen, sagen wir, aus Ballack und Kahn, die beide gut sprechen können, zu wenig raus. Wenn die Lage brisant ist, müssen wir sie ins Kreuzfeuer nehmen – wie bei einer amerikanischen Pressekonferenz: Da muss eine Frage nach der anderen kommen. Wenn wir das nicht machen, dürfen wir nicht aus dem Saal rausgehen und meckern: „Mann, das war wieder eine miserable PK!“ Dazu dürfte aber Stenger die Fragen nicht nach Meldung chronologisch aufrufen. Kollege X fragt: „Wie geht es jetzt strategisch weiter?“ Und dann kommt Kollege Y mit der Frage nach dem Oberschenkel Arne Friedrichs. Drei Fragen später knüpft irgendwer an die erste Frage. Die Presskonferenz wird thematisch zerrissen, von einer Diskussion kann keine Rede sein. Das habe ich Stenger auch gesagt. Er selbst klagt darüber, dass die Leute, die die Mikros schleppen, zu langsam sind.

Frage: Eigentlich sehr fernsehfeindlich, zumindest in dieser Form.

Derichs: Furchtbar ist das. Der VDS (Verband deutscher Sportjournalisten) hat sich in dieser Entscheidung überrumpeln lassen, ohne sich darüber klar zu sein, was das bedeutet. Das rückgängig zu machen, ist sehr schwierig. Wir denken tatsächlich über einen Boykott nach, um ein Druckmittel zu bekommen. So peinlich empfinden wir diese Veranstaltung.

Frage: Machtfeld Nationalmannschaft – wie bewerten Sie den ständigen Urteilswillen von Karl-Heinz Rummenigge, Felix Magath und Uli Hoeneß?

Derichs: Die Bayern sind nun mal die größte Fraktion in der Nationalelf – logisch, dass Rummenigge und Hoeneß da mitreden wollen. Das mag zwar manchmal Blödsinn sein, aber immerhin nehmen sie sich des Themas Nationalmannschaft an. Die Bremer haben zwar auch viele Nationalspieler, aber nicht die entscheidenden. Klaus Allofs ist ohnehin ein anderer Typ. Die Bayern-Lobby gibt es, doch wenn Jens Lehmann davon spricht, die Bayern-Maschinerie habe für Kahn gearbeitet, ist das Unsinn. Die haben Kahn gedeckt, wenn ein Konflikt aufkam. Seinen Status hat er sich definitiv durch Leistung erworben. Übrigens: 2002 hatten wir eine Leverkusen-Lobby. Dieser kleine Verein war durch Völlers Heimatbezug sehr stark geworden. Und plötzlich sprang Reiner Calmund um die Nationalmannschaft rum, als Mitglied der Task Force. Das lag natürlich an starken Spielern: Ballack, Nowotny, Schneider, Ramelow, Neuville.

Frage: Wird die Bayern-Lobby die Torwartfrage beeinflussen?

Derichs: Nein, das glaube ich nicht. Die Stärke von Klinsmann ist seine Unabhängigkeit. Er lässt sich nicht reinreden.

Frage: Gibt es ein Thema, das die Medien beim Confederations Cup übersehen oder unterschätzt haben?

Derichs: Ich muss zugeben, dass mir nichts einfällt.

Frage: Ich denke an das Mexiko-Spiel: Mir als TV-Zuschauer war es unangenehm, wie die Leipziger die braven und fairen Mexikaner ausgebuht haben. Außerdem habe ich die deutsche Elf nicht so unfair in Erinnerung wie in den letzten Monaten. Ich denke an das Foul Schweinsteigers gegen den Australier Tony Popovic oder das Foul Ballacks gegen die RussenMarat Ismailow; beide Gefoulte mussten ausgewechselt werden.

Derichs: Das ist Klinsmann.

Frage: Ist das Klinsmann?

Derichs: Auch das ist Klinsmann. Die Grenze zwischen starker Physis und Härte fließen bei ihm. Als Spieler – er war ja immer der Fitteste – hat er bei der Euro 1996 im Viertelfinale gegen Kroatien nach 20 Minuten einen umgehauen. Das hat er hinterher damit begründet, ein Zeichen setzen zu müssen. Härte sieht er als Zeichen der Professionalität und verlangt es von seinen Spielern. Ich kann mir gut vorstellen, dass er von seinen Spielern fordert, „den Gegnern auf die Socken zu gehen“. Die Spielweise der Elf ist jedenfalls sehr ruppig und aggressiv. Michael Ballack liegt das, weswegen ihn man nie mit Andreas Möller oder Thomas Häßler vergleicht. Er hält dagegen, und deshalb ist er auch ein guter Kapitän.

Frage: Auch über die sehr gute Leistung des australischen Schiedsrichters Breeze im Mexiko-Spiel hätte ich gerne mehr gelesen. Er hat eine zentrale Rolle gespielt, weil er sich nicht, wie man erwarten könnte, von dem Publikum hat anstecken lassen.

Derichs: Also ich fand, dass er ein bisschen kleinlich gepfiffen hat; Mike Hanke hätte er nicht unbedingt Rot zeigen müssen. Aber er ist bei seiner Linie geblieben, das ist das wichtige. Und es ist immer heikel, Publikum zu kritisieren, Länderspielpublikum ist oft noch problematischer. Das sind Leute, die nicht oft zum Fußball gehen. In Leipzig war das wohl anders. Es gehört halt dazu, Gegner und Schiedsrichter unter Druck zu setzen. Mit Fairness hat das, zugegeben, wenig zu tun.

Frage: Letzter Punkt, wer sind die Sieger des Confed-Cups?

Derichs: Der deutsche Fußball. Zum ersten wegen der Mannschaft, die ungewöhnlich forsch nach vorne spielt; Ihnen ist anscheinend wirklich ein 4:3 lieber als ein 1:0. Zum zweiten wegen der Stimmung in den Stadien. Und: Die Mexikaner haben gezeigt, wie gut sie sind.

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