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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

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You‘ve got to love them!

Oliver Fritsch | Freitag, 22. Juli 2005 Kommentare deaktiviert für You‘ve got to love them!

Die deutsche Nationalmannschaft in der ausländischen Qualitätspresse bei der WM 2002

Brasilianische Samba trifft auf italienische Theatralik, spanischer Stolz auf afrikanische Verspieltheit, und teutonische Präzision misst sich mit argentinischer Leidenschaft: Während einer Fußball-WM haben Klischees Konjunktur. Dieser Anlass bietet die spielerische Möglichkeit für holzschnittartige Charakterisierungen, welche als Abbildungen ganzer Staatsvölker verstanden werden (sollen). Es ist ein problematisches Vorgehen, die Presse als Sprachrohr der Nation zu betrachten; sollte doch auch bei sportlichen Großwettkämpfen den Regeln und Ansprüchen der Objektivität weiterhin Rechnung getragen werden. Als Lackmustest für Stimmungen innerhalb der Bevölkerung ist ihre Lektüre aufschlussreich; als Einflussgröße ist sie wirksam. Bei den meisten ausländischen Zeitungen erkennt man Identifikation mit der „eigenen“ Mannschaft erkennen – ebenso eine hierarchisch gegliederte Sympathie mit anderen Teilnehmerländern. In welch zwiespältigem Ruf der deutsche Fußballer in der Weltöffentlichkeit steht, ist bekannt: Einerseits denkt man an den Zerstörer, grätschend, grobmotorisch und talentfrei. Andererseits gelten die Sekundärtugenden Fleiß, Kampfgeist und Disziplin als seine Erfindung.

Dieser Kategorisierung bedient sich, wie man weiß, der Boulevard, von dem man keine sachliche Analyse erwartet; mit Häme und Zerrbild erreicht man Stammtischhoheit. Dass die Qualitätszeitungen aus Madrid, London und Rom zu den gleichen Stilmitteln greifen, überrascht – und bestürzt. Eine Auswertung internationaler seriöser Presseorgane im Rahmen der vergangenen Fußball-WM zeigt: Das Spiel von Ballack, Klose und Linke muss nahezu durchweg als Beweis für deutsche „Mentalität“ herhalten sowie als Projektionsfläche für Beschreibungen deutscher Wesensart. Die Autoren dieser Zeitungen urteilen teilweise drastischer und giftiger als ihre Kollegen von den Revolverblättern.

Liest man die sich wiederholenden Lamenti erkennt man Eigenarten: In Italien und Spanien leiten gesellschaftliche Aversionen gegen die Deutschen die Fußballberichterstattung. Offenbar halten die Kommentatoren die Deutschen wegen ihrer vermeintlichen körperlichen und geistigen Abweichungen für das Produkt eines evolutionären Holzwegs: „Deutschland ist das Grab der Phantasie“, schrieb die römische La Repubblica am Tag nach dem deutschen Final-Einzug und störte sich an der „Unerbittlichkeit“ teutonischen Tuns. „Die Deutschen sind nichts wert“, war die erschütternde Erkenntnis des regierungskritischsten Organ Italiens aus dem „vielleicht schlechtesten Halbfinale aller Zeiten“. Spanische Autoren lassen sich immer wieder zu Kriegs- und neuerdings Industriemetaphorik hinreißen: „Mit der ganzen Feldtruppe im Galopp überrollen und bekriegen sie den Gegner“, schrieb das linksliberale El País nach dem 8:0-Erfolg der DFB-Auswahl gegen Saudi-Arabien und sprach der Elf Individualität ab, denn „sie sind nach einem Muster geklonte Spieler, deren Charakter keine Romantik zulässt. Sie bilden eine Montagekette und schrauben phantasielos am Fließband. Ihre Baukräne beordern sie dabei in den Strafraum“, heißt es weiter über hiesige Fußballkultur. Gleichzeitig fürchten die Autoren die klassische „Turnierbestie Deutschland“ als Gegner, die „das Schöne zerstört“ – womit man die eigene Auswahl meint.

Selbst wenn die Verfasser sich der Gefahr der Schwarz-Weiß-Malerei bewusst sind, schimmern die Stereotypen durch den Schleier vorgeblicher Neutralität. Nach dem deutschen Vordringen ins Halbfinale ging die Neue Zürcher Zeitung in sich: „Wenn es um Sport geht, wird er wahrnehmbar, der antideutsche Reflex, der Futterneid ob deutscher Erfolge“, sah „Arbeiter mit (relativ) wenig Talent“ am Werk und bedauerte augenzwinkernd: „Wir bringen heuer beim besten Willen keinen ordentlichen Deutschland-Hass zustande.“ Die englische Berichterstattung kennzeichnet eine selbstironische Koketterie mit Neid und Affekt. „Lieber die lächerliche Vorstellung, dass Südkorea einen Platz in Yokohama auf dem goldenen Teller präsentiert bekommt als ein faires Spiel, in dem Deutschland einen selbstgefälligen Sieg landet“, hoffte die Times trotzig auf eine Schiedsrichter-Fehlentscheidung zugunsten des deutschen Gegners. In London unterliegt man scheinbar nicht der Versuchung, den Abziehbildern der „Betonköpfe“ und „Panzer“ durch eine neutrale Darstellung zu entgegnen.

Germanische Quadratschädel

Bei genauerem Hinsehen vernimmt man Zwischentöne im internationalen Chor der Spötter. Nach dem Final-Einzug bescheinigte die Times dem deutschen Kollektiv eine achtungsgebietende „Leidensfähigkeit“ – in Anbetracht individueller Mängel und einer Verletzungsmisere im Vorfeld des Turniers und forderte ihre Leser auf: „Steigt herab vom hohen Ross. Die Deutschen bekamen, was sie verdienten. Wir übrigens auch.“ Dem Teamgeist von „la Mannschaft“, wie die deutsche Nationalelf in den französischen Zeitungen respektvoll genannt wird, zollte man in Frankreich zunehmend Respekt. Das Sportblatt L’ Équipe bekannte sogar: „Die deutsche Mannschaft gewann unsere Sympathie“: ein mutiges Bekenntnis.

Die Gegenbeispiele können jedoch nicht über das traurige Fazit hinwegtäuschen, das über das rein Sportliche hinaus Geltung hat: Deutschland hat nach wie vor ein schlechtes Image. Dabei kommt hierzulande dem Fremdbild große Bedeutung bei, vermisst die Öffentlichkeit die aus ihrer Sicht gerechtfertigte Anerkennung – allen Gewöhnungseffekten zum Trotz. Internationale Pressespiegel und Kommentare gehören zum festen Inventar deutscher Tageszeitungen. Auch Trainer und Spieler der DFB-Auswahl werden häufig mit den Ansichten des Auslands konfrontiert; nicht immer reagieren sie darauf gelassen. Man denke an den allergischen Gegenschlag Rudi Völlers auf die Kritik des südkoreanischen Experten und ehemaligen Weggefährten Cha nach Chas Kritik am deutschen Sieg gegen Paraguay.

Für die schablonenhafte Darstellung des deutschen Fußballs im Ausland gibt es zwei Erklärungen, die sich ergänzen: Erstens handelt es sich um Beifall heischende Zugeständnisse an Ressentiments innerhalb der Leserschaft. Zweitens sehen die Kommentatoren das deutsche Spiel und die deutschen Spieler voreingenommen: Nichts ist so hartnäckig wie ein schlechter Ruf. Letztlich widersprechen die Vor-Urteile aus dem Ausland der allseitigen Auffassung, wonach der Weltfußball Globalisierungstendenzen unterliegt und sich Spielsysteme und -stile in einem unaufhaltsamen Angleichungsprozess befinden. Zwar erkannten die internationalen Experten im Nachhinein die Wertlosigkeit ihrer Theorien, die das Finale zwischen Brasilien und Deutschland als Aufeinandertreffen zweier Extremwerte vorausgesagt hatten. Der „Clash der Fußball-Kulturen“ blieb aus. Man gestand Völlers Equipe allseits spielerische Eleganz und Offensivgeist zu. Zur Milde dieses Urteils mag die als Erlösung empfundene Niederlage von Kahn Co. wesentlich beigetragen haben. Doch die Wette gilt: Bei der nächsten Gelegenheit wird wieder von „Robotern“, „germanischen Quadratschädeln“ und „Dampfwalzen“ die Rede sein, wenn die Deutschen „wahrscheinlich keinen Fußball spielen“ (El País). Die Aufforderung Martin Samuels (Times) wird ungehört verhallen: „Come on, you´ve got to love them.“

Oliver Fritsch
(Dieser Artikel erschien, leicht redigiert, in der SZ vom 17.7.2002)

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