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Interview

Die freistoss-Analyse der Hintergrundgespräche

Oliver Fritsch | Sonntag, 24. Juli 2005 Kommentare deaktiviert für Die freistoss-Analyse der Hintergrundgespräche

Kritik an Jürgen Klinsmann

Jürgen Klinsmanns Kritik an den Medien im Allgemeinen und gegen den Boulevard im Besonderen, geäußert im ZDF und in der FAZ, hat jeder gehört und gelesen. Viele Kollegen muss man darauf gar nicht erst ansprechen, sie erwähnen diesen „Angriff“ in den Gesprächen ungefragt; besonders Berries Boßmann betont, dass er ihn als „Drohung“ empfindet. Das Ziel von Klinsmanns Aussagen ist offensichtlich und leicht zu entschlüsseln: die Bild-Zeitung, das haben alle erkannt. Walter Straten aber will sich nicht angesprochen fühlen und spielt die Sache herunter.
Vertreter der Printmedien fürchten aus drei Gründen Bevormundung, Verlust an Status und Entzug der Arbeitsgrundlage. 1. Michael Ashelm sorgt sich nach Klinsmanns Aussagen im FAZ-Interview über die Folge gerade für die Schreibenden. 2. Durch die Beschränkung des Zugangs zu Pressekonferenzen werde vielen Kollegen die Grundlage der Berichterstattung entzogen, fürchtet Michael Horeni. 3. Dass die DFB-Pressekonferenz live im Fernsehen übertragen wird, ist den Schreibenden ein Graus, denn ihnen werde die Story verbrannt.
Die einseitige Rhetorik, die alle Jürgen Klinsmann vorhalten, könnte die Berichterstattung über die positive sportliche Entwicklung verdecken. Auf „Schönrednerei“ und Monotonie verweisen alle Journalisten, nur manche entwickeln Verständnis für die zugrunde liegende Pädagogik und „Philosophie“, wie Ashelm. Doch es dominiert die Ablehnung, damit verbunden könnte ein Verlust an Kredit und Glaubwürdigkeit sein.
Klinsmanns Verhältnis zu den Medien ist ein sehr umstrittener und sensibler Punkt. Seine vermutliche Nähe zur SZ beäugen die manche Journalisten missmutig. Boßmann schreibt der SZ einen großen Anteil bei der Einstellung Klinsmanns zu. Ashelm wiederum betont die Unabhängigkeit Klinsmanns gegenüber Pressevertretern, was Boßmanns Auffassung eher zustimmt als widerspricht. Horeni dagegen wirft ein, dass das Leitmedium in Deutschland nach wie vor die Bild-Zeitung sei.
Einige Journalisten sorgen sich um den Gefühlszustand Klinsmanns und warnen vor dem Werdegang Rudi Völlers, der im Umgang mit Medienkritik irgendwann die Nerven verloren und in zu viele Richtungen ausgeteilt habe.
Die „Wohnsitzdebatte“ wird vermutlich fortgeführt werden – wenn der Erfolg ausbleiben sollte, sehr heftig; wenn der Erfolg anhält, leiser, aber sie wird geführt werden. Sie spaltet die Journalisten: Die Boulevard-Journalisten wollen Klinsmann in ihrer Nähe haben, ihr stärkstes Argument ist ein sportliches: die Validität der Spielerbewertung im Stadion. Den befragten Journalisten der SZ und der FAZ ist es gleichgültig.
Die Torwartfrage hat an Brisanz verloren, insbesondere für die Qualitätspresse hat das Thema sich bis auf weiteres erledigt; sie würde jeder Entscheidung offen begegnen. Für Straten hingegen ist es ein attraktives Thema. Auch die Sport-Bild sieht in Oliver Kahn noch immer den „Titan“, den Klinsmann unnötig erniedrigt habe. Jede andere Nominierung als die ihres „Lieblings“ ist für Bild und Sport-Bild nicht denkbar.
Gefahr, zumindest laute Kritik, vermutet Boßmann im Misserfolgsfall durch die „Rasierten“: Sepp Maier, Bernd Pfaff, Michael Skibbe und so weiter.

Lob für Klinsmann

Die Offensive auf dem Spielfeld gilt bei allen als großer Erfolg Jürgen Klinsmanns.
Ein großes Plus Klinsmanns bei den Medien sind seine Zielstrebigkeit, Unabhängigkeit und Konsequenz, mit denen er seinen Weg geht.
Das Trainerteam wird allseits gelobt, sowohl deren Kompetenz als auch die Zusammenarbeit mit ihnen. Oliver Bierhoffs Einstellung bewertet Boßmann als klugen Schachzug, Joachim Löw ist ein gesuchter Gesprächspartner, Urs Siegenthaler hat die anfängliche Skepsis gegen ihn besiegt.
Der Medientag findet großen Anklang bei den befragten Journalisten, besonders Christof Kneer. Und in der Tat: Kneers Analyse der deutschen Abwehr (SZ v. 7.6.) ist einer der auffälligsten Texte dieses Jahres.

Erwartungen und Wünsche an den DFB

Kneer wünscht sich mehr Substanz und mehr Erkenntnis in der Pressearbeit. Gregor Derichs verlangt mehr Sportliches auf Presskonferenzen. Horeni dagegen stellt bereits mehr Substanz als bei allen Vorgängern fest.
Öffentliche Trainingseinheiten wünschen sich alle öfter und früher, zeigen jedoch Verständnis dafür, dass Training nicht immer für alle zugänglich sein kann.

Sonstiges

Es fällt auf, dass die Schlagzeilen und -wörter der Bild-Zeitung von der Branche – und von Bild selbst – scheinbar nicht ganz ernst genommen werden oder besser: heruntergespielt. Selbst Straten distanziert sich vom eigenen Vorgehen. Welche große Wirkung bild erzielen kann, das wissen vermutlich dennoch alle.
Über die „Bayern-Lobby“ äußern sich alle Befragten ähnlich, auch ähnlich ungenau – außer Horeni, der am Beispiel der Nominierung Carsten Janckers für die WM 2002 den Druck von Hoeneß, Rummenigge und Beckenbauer gespürt habe.
Es gibt vier Gründe, die aus Sicht der Befragten gegen eine TV-Übertragung sprechen: Erstens „schreit das Ganze nach Glosse und Kabarett“ (Kneer). Zweitens ändere die Anwesenheit von Kameras das Verhalten aller. Drittens verunmögliche die Dramaturgie der Live-Übertragung eine lebendige, kritische und kohärente Befragung. Viertens benachteilige die Übertragung die Arbeit der Schreibenden.

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