indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Kulturgut

Oliver Fritsch | Freitag, 5. August 2005 Kommentare deaktiviert für Kulturgut

Bundesliga im Öffentlich-Rechtlichen oder exklusiv auf Premiere? Markus Hesselmann (Tsp 5.8.) kommentiert: „Niemand kann voraussehen, ob sich Bezahlfernsehen in Deutschland rentiert, wenn das Doppelte und Dreifache für Exklusivrechte bezahlt werden muss. Schon einmal ist die Bundesliga zu den Öffentlich-Rechtlichen zurückgekehrt, als Sat1 einsah, dass mit Fußball keine Gewinne zu erzielen sind. Was passiert, wenn die erneute Abkehr von ARD und ZDF im Desaster endet? Zu konservativ sind die Sehgewohnheiten der deutschen Fußballgemeinde. Ebenso konservativ sollte auch die Haltung der Fußballschaffenden sein. Gerade der FC Bayern macht vor, wie weit man mit mittelständischem Unternehmerethos kommt. Dort halten ehemalige Fußballer einen Klub an der Spitze, ohne den Kollaps zu riskieren. Warum vertreten Rummenigge und Co. nicht selbstbewusst ihr Modell, statt nach englischen oder italienischen Verhältnissen zu rufen? Deutschlands Fußballchefs sollten erkennen, was sie an der Sportschau haben. Diese Sendung ist selbst Kulturgut. So etwas gibt man nicht leichtfertig aus der Hand.“

Man kennt sich, man duzt sich, man schützt sich

Höchst lesenswert! Hans Leyendecker (SZ/Medien 5.8.) kritisiert Sportjournalisten (und meint wohl Fußballjournalisten): „Sind Sportjournalisten anders? Sind sie gedankenloser oder korrupter als die Kollegen? Einerseits: In keinem anderen Journalismusbereich sind die Unterschiede zwischen den Sparten – Fernsehen, Radio, Boulevard, lokale, regionale, überregionale Zeitungen, Fachzeitschriften – so groß wie im Sportjournalismus. Andererseits: In keinem anderen Journalismusbereich haben sich so symbiotische Verhältnisse zwischen Akteuren und Beobachtern entwickelt. Man kennt sich, man duzt sich, und in aller Regel schützt man sich auch. In dieser Journalistensparte gibt es „Fairplay-Preise“: Wer wessen Parasit ist, bleibt oft unklar. (…) Es geht ihnen buchstäblich um Sieg oder Niederlage, Triumph oder Desaster. Der Verein ist ihre Welt. Wer kritisch fragt, kann rasch zum Außenseiter werden. Wer kritisch schreibt, gilt manchem als Nestbeschmutzer. Denn angeblich sitzen doch alle in einem Boot. Wer den Kurs vorgibt, ist egal. Bei Spielen der Fußball-Nationalmannschaft kann es passieren, dass ältere Kollegen die Jüngeren bei der Hymne auffordern, aufzustehen. Heile Fußballwelt. Der Sportsektor ist aber auch längst zur Werbemaschinerie für die Sport-Unterhaltungsindustrie geworden. Dass einer wie Franz Beckenbauer, die Fleischwerdung des totalen Sponsorings, als Kolumnist zum Griffel greifen darf, ist Zustandsbeschreibung. Dass mancherorts Sportjournalisten die Vergabe von Eintrittskarten für Bundesligaspiele an Kollegen übernommen haben, zeigt die Provinzialität. Die Sportberichterstattung weitet sich immer mehr aus, und die journalistischen Grenzverletzungen nehmen zu. Der Einzug des Kommerz-Fernsehens hat den Sportjournalismus gewaltig verändert und oft – wie Boxen, Fußball oder Motorsport zur Ware gemacht.“

Internet als Bedrohung für Fernsehsender und Zeitungen

Auf der Münchner Tagung „Visions of Football“ – Georg David (NZZ/Medien und Informatik 5.8.) notiert: „Die gewagteste und interessanteste These stellte Christian Blümelhuber von der Technischen Universität München auf: Er prophezeite, dass Sportjournalisten bald überflüssig sein werden, weil sich die nächsten Generationen ausschliesslich direkt informieren würden, etwa im Internet in Weblogs und ähnlichen Quellen. In der Tat: Dort können sie spätestens in Zeiten niedriger Flatrates für den Bruchteil des Zeitungspreises mehrere Meinungen abrufen – und nicht nur die eines einzelnen Journalisten, der erstens wie jedes Individuum seine Vorurteile hat, zweitens der Linie des Blattes folgt und drittens nur bis zum Redaktionsschluss schreiben und nachdenken kann, wohingegen im Netz ohne Schere im Kopf und ohne Zeitlimite kommentiert und diskutiert wird. (…) Das Internet als wachsende Bedrohung für Fernsehsender und Zeitungen?“

Über den schweren Ballast des Dritten Reichs hinaus

Moshe Zimmermann, Direktor des Koebner Zentrums für Deutsche Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem und HSV-Fan, (SZ/Seite 2 5.8.) rätselt über die israelische Lust an der Bundesliga: „Der Fußballfan, wo auch immer, möchte guten Fußball sehen, und da die Bundesliga nun einmal zu den Top-Ligen gehört, ist es „ganz normal“, dass dem verkabelten israelischen Fußballfan eine entsprechende Portion Bundesliga serviert wird. Doch aus zwei Gründen – über den schweren Ballast des Dritten Reichs hinaus – ist das nicht so „ganz normal“: Erstens fehlt der direkte Bezug zum Spiel. Ein Japaner oder ein Iraner kann sich für den HSV begeistern – er kann sich mit seinem Landsmann Takahara oder Mahdavikia identifizieren. Einen israelischen Spieler in der Bundesliga gibt es seit mehr als 20 Jahren nicht mehr. Als „Pisa“ Pizzanti beim 1. FC Köln oder 15 Jahre früher Shmuel Rosenthal bei Mönchengladbach spielte, gab es eben diesen direkten Bezug zur Bundesliga. Israelische Fußballspieler gibt es aber in der spanischen, in der englischen und in der türkischen Fußball-Liga – und dementsprechend dehnt sich die Berichterstattung über diese Ligen aus. Dass die Bundesliga trotz der Abwesenheit von israelischen Fußballspielern doch so intensiv gezeigt wird, kann man entweder schlicht als Anomalie bezeichnen oder als Spätfolge des überaus positiven Eindrucks, den Borussia Mönchengladbach bei den israelischen Fußballfreunden beim unvergesslichen Israel-Besuch 1970 hinterließ. Zweitens fehlt es an Fußballfreunden, die in Deutschland aufgewachsen sind und so eine unmittelbare Beziehung zur deutschen Fußballtradition haben. Ganz anders geht es mit dem südamerikanischen Fußball in Israel: Gebürtige Argentinier, Brasilianer, Kolumbianer oder auch in Frankreich geborene Israelis gibt es in großer Zahl, und die bleiben ihrem ursprünglichen Vaterland und ihren Fußballvereinen treu. Es ist die argentinische Fußballliga, die leidenschaftlich von israelischen Fans südamerikanischer Herkunft verfolgt wird. Ja, auch aus England kam keine Massenimmigration nach Israel, aber als Israel noch als Mandatsgebiet, „Palästina“ genannt, zu England gehörte, haben ihre Bewohner von den Engländern die Liebe zum Fußball gelernt. Und auf diese Tradition baut bis heute das enorme Interesse für die Premier League. Aber Deutschland?“

Projekt Deutschlandrettung

Gerrit Bartels (taz 5.8.) bremst: „Jetzt hat der Spaß ein Ende. Ab jetzt wird’s ernst, ab jetzt muss Deutschland gerettet werden. Das Projekt Deutschlandrettung begann ja bekanntlich vor einem Jahr, als Jürgen Klinsmann die Nationalmannschaft zu trainieren begann und wieder ein frisches Fußballlüftchen wehte, wenn auch begleitet von einem Fußballvokabular mit neoliberalen Zwischentönen. Plötzlich atmete Deutschland wieder freier, plötzlich waren alle Deutschlandprobleme nicht mehr so überwältigend und lähmend. Doch fragt sich, ob der Fußball diese Erwartungen aushält, zumal das Land spätestens zur WM 2006 merken wird, dass die vorgezogene Neuwahl alles andere als einen Aufbruch bedeutet und Schwarz-Gelb höchstens für einen Sturm im Wasserglas gesorgt hat: Deutschland muss dann Weltmeister werden, sonst heißt es wieder „Land unter“. Und es fragt sich, ob der Fußball es wirklich verkraftet, von der einst schönsten Nebensache der Welt zu einer der brutalsten Hauptsachen der Welt geworden zu sein.

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