indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Allgemein

Freier Mann

Oliver Fritsch | Sonntag, 11. September 2005 Kommentare deaktiviert für Freier Mann

Sehr lesenswert! Edo Reents (FAZ/Feuilleton 10.9.) schildert das Singuläre Franz Beckenbauers im deutschen Fußball und in den deutschen Siebzigern: „Beckenbauer wirkte mit seiner aufrechten Körperhaltung, der liebevollen, im besten Sinne spielerischen Ballbehandlung wie entmaterialisiert, nach eigenen Gesetzen auch abseits vom Platz handelnd: denen des freien Mannes. In der Position des Liberos, die er recht eigentlich schuf, verdichteten sich Sehnsüchte, die das Land der Opel Asconas und Ford Capris sonst nur schwer einzulösen vermochte. Es mag eine nationale Eigenheit sein, daß man in Deutschland auf diesen Posten so viel Wert legte wie in keinem anderen Land; aber es war eben Beckenbauer, der ihn auf eine, so zumindest will es uns heute scheinen, idealtypische Weise ausfüllte und die eindeutig besitzstandswahrende Funktion, die damit verbunden war, sprengte. (…) Der sozialliberalen Ära, in der Beckenbauer groß wurde, war dessen anstrengungslose Beweglichkeit zunächst nichts grundsätzlich Fremdes; Willy Brandts Wort ‚mehr Demokratie wagen’ ging ja in diese Richtung. Um so erstaunlicher, daß der Fußballer sich von Politik so fernhielt und den Kanzler, mit dem gerade der Aufbruch verbunden war, den er fußballerisch verkörperte, einmal als eine Art nationales Unglück bezeichnet hat. Daß man ihm diese rustikale, um nicht zu sagen: dumme Äußerung wie viele andere durchgehen ließ und schnell wieder vergaß, ist im Grunde nicht zu begreifen. Nur mit der Außergewöhnlichkeit und Konstanz seiner fußballerischen Leistungen ist es zu erklären, daß alles, was er als nicht mehr Aktiver sagt, wie eine päpstliche Enzyklika aufgenommen wird. Wie bei vielen charismatischen Menschen, so käme auch bei ihm niemand auf die Idee, nach seiner Intelligenz zu fragen.“

Der deutsche Beatle

Sehr lesenswert! Thomas Hüetlin (Spiegel 12.9.) beschreibt die Phantasie der Deutschen, die Beckenbauer belebte, und die Lücke, die er schloss: „Männer, junge und alte, gingen anders, wenn sie Beckenbauer hatten spielen gesehen, ein wenig lockerer in der Hüfte zumindest, den Rücken ein Stück aufrechter, eine Zukunft für sich ahnend, die vielleicht nur sie selbst kannten, aber nun glaubten, verfolgen zu dürfen. Der Libero aus Giesing machte die Deutschen ein Stück mutiger, individueller, freier. Jemanden wie die Beatles hatte es in Deutschland nie gegeben. Beckenbauer, der mit Abstand größte Star der mit Abstand größten deutschen Leidenschaft, des Fußballs, war genau dies: ein überlebensgroßes Idol, das die Kraft hatte, die Art wie die Leute, die sich selbst und die Welt sahen zu ändern und sie zum Träumen zu bringen. Beckenbauer war der deutsche Beatle. (…) Trotz aller Leistungen ist Beckenbauer viel kritisiert worden in den vergangenen Jahren. Wildfremde Leute beschimpften ihn, weil er in Kitzbühel wohnt und dort seine Steuern zahlt; sie kritisieren ihn, weil er für zwei Mobil-Telefongesellschaften gleichzeitig wirbt und manchmal merkwürdige Sachen fordert, wie zum Beispiel, dass Terroristen das Olympiastadion wegsprengen sollen, damit der FC Bayern endlich seine eigene Arena kriegt. Manchmal kommt es einem so vor, als sei diese Art Kritik nichts anderes als eine Fortsetzung der deutschen Depression und des lähmenden Kleinmuts, mit dem sich ein ganzes Volk selbst fesselt. Wenn der Name des berühmtesten Deutschen, des deutschen Beatle in einem anderen Land fällt, in Brasilien, in Italien, in Kamerun oder in Chile, dann ist es so, als ob ein Sonnenstrahl die Gesichter streift.“

Er steht zu seinen Schwächen

Jörg Hanau (FR 10.9.) verweist auf Beckenbauers Rückendeckung durch die Bild-Zeitung: „Seine Omnipräsenz ist so erschreckend wie faszinierend. Der Aufstieg des eleganten Kickers zum honorigen Manager und zur Werbe-Ikone ist eng verbunden mit dem Schulterschluss mit der auflagenstärksten Boulevard-Zeitung des Landes. Ein Pfund, mit dem sich in den vergangenen vier Jahrzehnten trefflich wuchern ließ. ‚Er hat alles gemacht, was ein Deutscher nicht machen darf’, sagt Paul Breitner: ‚Sich scheiden lassen, die Kinder verlassen, mit der Freundin abhauen, Steuerschulden, die Freundin wieder verlassen.’ Geschadet hat es seinem guten Ruf nie. Im Gegenteil. Beckenbauers Interpretation des Liberos, des freien Mannes, scheint anzukommen. Er steht zu seinen Schwächen – und redet. Manchmal auch zu viel.“

Der Ball ist der Ball, und wenn man ihn hat, dann muss er auch wieder weg

Sehr lesenswert! Benjamin Henrichs (SZ 10.9.) lenkt den Blick auf den Fußballer: „In Beckenbauers Fußballkunst gab es kein teutonisches Rumpeln, aber eben auch nicht die brasilianischen Zaubereien und Räusche. Er ist der vielleicht erste Fußballer, der das klassische Paar ‚Genie und Wahnsinn’ ausgewechselt hat gegen das Tandem ‚Genie und Ökonomie’. Niemals hat er uns seine Virtuosität stolz und eitel vorgeführt, er hat sie einfach zu seinen Zwecken benutzt. Er war ein deutscher Schönspieler, der alle deutschen Ressentiments gegen den Schönspieler lässig vernichtete, weil er das Schöne fast immer mit dem Nützlichen und Sinnvollen verband. Er war der rare Fall eines Genies, das den Absturz ins Bodenlose nicht fürchtet. Das immer von Hochmut und Heiterkeit geschützt zu sein schien und also immer in Sicherheit war vor der Umnachtung. Der Ball ist kein Feind, der Ball ist kein Lustobjekt. Der Ball ist der Ball, und wenn man ihn hat, dann muss er auch wieder weg – und je schneller, desto besser. Das klingt schlicht, aber so, wie man die größten Dichter oft an den einfachsten Sätzen erkennt, so hat Beckenbauer oftmals bewiesen, dass die einfachsten Spielzüge die schönsten sind. Man muss sie bloß sehen! (…) Längst betrachten die Deutschen ihren Beckenbauer mit den Augen des Verliebten: Wir sehen nur, was wir sehen wollen, und wir vergessen schnell alles, was nicht zur Legende passt. Was immer also Beckenbauer tut, wir finden es gut.“

FAZ: Magier unter der Sonne

WamS: Wie Beckenbauer wirklich zu seinem Beinamen kam

SZ-Interview mit Georg Schwarzenbeck
SZ-Gespräch mit Marketing-Experte Ronald Focken über Glaubwürdigkeit, Verona Feldbusch und Beckenbauers Wirkung auf die Frauenwelt

Bildstrecke, sueddeutsche.de faz.net

Zitate von und über Beckenbauer, NZZ

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

111 queries. 0,480 seconds.